Krisenprävention weiter denken 27. Juli 2016 · Philipp Rotmann Die Krisenprävention muss raus aus ihrer Nische, sich ihren praktischen Zielkonflikten und Dilemmata stellen. Die Leitliniendebatte ist eine Chance, konstruktiv querzudenken und die schwierigen Fragen aufzuwerfen, auch wenn dabei nicht immer befriedigende Antworten herauskommen. Debatten PeaceLab2016 Krisenprävention weiter denken „Deutschland ist bereit, sich früh, entschieden und substanziell als Impulsgeber in die internationale Debatte einzubringen, Verantwortung zu leben und Führung zu übernehmen. Dazu gehört auch die Bereitschaft, zur Bewältigung heutiger und zukünftiger sicherheitspolitischer sowie humanitärer Herausforderungen beizutragen.“ So steht es im neuen Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. Damit hat die Debatte über deutsche Verantwortung in der Welt, die Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen Anfang 2014 angestoßen haben, einen neuen außenpolitischen Konsens geschaffen. Dieser Konsens schlägt sich handfest in den Haushaltsentscheidungen des Bundestages nieder: Es gibt nicht nur mehr Geld für die Bundeswehr, sondern auch für Krisenprävention, Stabilisierung, Konfliktnachsorge und humanitäre Hilfe. Das Auswärtige Amt hat sich umgebaut und für diese Themen nun eine eigene Abteilung geschaffen. Zivilgesellschaftliche Akteure haben sich weitergehend organisiert, um z.B. Friedensmediation als ein wichtiges politisches Instrument zu stärken oder zum Stichwort „friedenspolitisches Leitbild“ die Debatte über Deutschlands Verantwortung für Krisenbewältigung und Friedensförderung voranzubringen. Raus aus der Nische Die Arbeit an neuen Leitlinien der Bundesregierung bietet die Chance, diese Debatte weiter zuzuspitzen und den Themenkreis Krisenengagement und Friedensförderung aus seiner beschaulichen Nische herauszuführen. Diese Nische erst einmal zu schaffen war ein hartes Stück Arbeit und ein großer Erfolg des Aktionsplans von 2004. 12 Jahre später ist die langjährige, in unterschiedlichen Schattierungen aus friedens- wie sicherheitspolitischen Fachkreisen vorgetragene Forderung nach mehr Engagement und mehr Verantwortung im Prinzip akzeptiert. Sie wird aber dauerhaft nur Realität werden, wenn Experten und Politiker, Beamte und Aktivisten auch die praktischen Fragen beantworten – in den Worten des Außenministers: „Tun wir immer das Richtige und tun wir es mit den richtigen Mitteln?“ Was sind realistische, verantwortliche Zielsetzungen? Was heißt mehr Verantwortung konkret für die zivilen, politischen Strategien und Instrumente? Wo gilt es Prioritäten zu setzen und wo gerade nicht? Ehrlichkeit schafft Vertrauen Im Kontext wachsender Ansprüche und Ressourcen besteht die Gefahr, den schnellen Konsens vor allem dort zu suchen, wo etablierte Akteure etablierte Instrumente anbieten. Das ist zwar dann richtig, wenn diese Instrumente sowohl überdurchschnittlich gut funktionieren als auch weiter skalierbar sind, d.h. wenn mehr Geld wirklich mehr oder bessere Erfolge bringt. Oft ist es aber nicht so einfach, denn die Erfolgsbilanzen bestehender Ansätze sind durchwachsen. Das gilt für alle gleichermaßen, ob zivil oder militärisch, bilateral oder multilateral. Das ist auch kein Wunder, denn Investitionen in Krisenengagement und Friedensförderung sind zwar notwendige, aber auch hochriskante Formen der Geldanlage. Das Verständnis für die Risiken wächst in Politik und Öffentlichkeit, doch das nötige Vertrauen ist nur zu schaffen, wenn der Ruf nach mehr Ressourcen mit der selbstkritischen Reflexion von Zielkonflikten, Dilemmata und vergangenen Fehlschlägen verbunden wird. Gleichzeitig gilt es Erfolge besser zu vermitteln, aus zwei Gründen. Erstens um daraus zu lernen: Was haben wir richtig gemacht? Was können wir auf andere Situationen übertragen? Zweitens um die Erwartungen von Politik und Öffentlichkeit zu erden: Was heißt es, vielleicht erfolgreich zur Abwendung einer Krise beigetragen zu haben? Wie gehen wir damit um, dass die betreffenden Länder auch im Erfolgsfall keine Demokratien werden, dass trotzdem systematisch Menschenrechtsverletzungen stattfinden? Einen echten Beitrag zum Weiterdenken wird die Debatte um die neuen Leitlinien erst dann leisten, wenn sie über die Aufbereitung bestehender Erkenntnisse und Positionen hinausgeht. Wie wird Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik in fragilen Staaten politisch wirksamer? Wie kann deutsche und europäische Politik schneller und effektiver aus eigenen und fremden Erfahrungen lernen? In welcher Hinsicht gilt es ehrgeiziger, wo bescheidener zu sein? Wie können wir Partner vor Ort unterstützen, die unsere Werte teilen – und wie gehen wir mit Partnern um, die tatsächlichen Einfluss auf Gewalt und damit auf Politik vor Ort haben, aber unsere Werte gerade nicht teilen? In der Neuvermessung deutscher Ambitionen müssen wir uns mit den Grenzen und den nichtsdestotrotz bestehenden Einflussmöglichkeiten ehrlich auseinandersetzen – auch und gerade wenn dabei nicht immer befriedigende Antworten herauskommen. Haben wir keinen Einfluss, oder machen wir es uns zu leicht? Beispiel Früherkennung und kurzfristige Krisenprävention (early action): Trotz erheblicher Fortschritte in der Krisenfrüherkennung bleibt auch heute oft eine frühe, wirksame Reaktion auf Warnsignale aus – so scheint es zumindest. Doch ist der Einfluss der Bundesregierung oder der Europäischen Union auf Präsidenten, Minister und Milizenführer wirklich so groß, wie es das Machtgefälle zwischen dem reichen Deutschland einerseits und Burundi oder dem Südsudan andererseits vermuten lässt? Umgekehrt kann die scheinbare Machtlosigkeit auch zur komfortablen Ausrede werden: Wenn wir ohnehin nichts erreichen können, wer möchte sich dann früh und strategisch engagieren? Wenn die Schüsse fallen, reicht doch auch der Kurzbesuch zum persönlichen Appell an das Gute im Warlord. Ist das „früh, entschieden und substantiell“? Ist Deutschland damit „Impulsgeber für die internationale Debatte“ und „übernimmt Verantwortung“? Wie können wir schnell, wirksam und flexibel stabilisieren? Beispiel schnelle Stabilisierungsprojekte in akuten Krisen: wirksame, stabilisierende Einflussnahme kann nur gelingen, wenn Projekte innerhalb weniger Wochen starten und nach wenigen weiteren Wochen erste sichtbare Ergebnisse zeigen – und das unter extrem volatilen Bedingungen. Oft ist nicht klar, ob lokale, regionale und nationale Machthaber in einigen Monaten noch die gleichen sein werden. Die Nachhaltigkeitsmethoden der Entwicklungspolitik greifen unter diesen Umständen ins Leere. Ersatzweise haben in den letzten zehn Jahren Außenministerien wie das Auswärtige Amt, UN-Friedensmissionen wie MONUSCO im Kongo, und Entwicklungsakteure wie USAID einen neuen Typ schneller, oft kurzfristiger Stabilisierungsprojekte entwickelt. Da werden Brücken und Straßen, Schul- und Verwaltungsgebäude instandgesetzt, um der Bevölkerung die Grundversorgung zu ermöglichen und um lokale politische Prozesse auf die Bedürfnisse der Bevölkerung zu fokussieren. Seit mindestens fünf Jahren werden hunderte Millionen Euro investiert, die Instrumente aus praktischen Erfahrungen und unter dem massiven Druck immer neuer Krisen weiterentwickelt. Wie gut wirken diese Projekte? Wie sind solche Projekte politisch so zu steuern, dass sie effektiv auf kurzfristige Veränderungen der Konfliktdynamik reagieren können? Unabhängige Studien und Evaluierungen fehlen fast völlig, vor allem in Deutschland. Der Bundestag fordert für den gesamten Bereich der Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung zurecht eine zeitgemäße Evaluierungspraxis ein, während sich das Interesse der Wissenschaft in sehr engen Grenzen hält. Von der Ernüchterung in die Ertüchtigung, oder lieber Frieden ohne Staat? Beispiel langfristige Friedensförderung und Institutionenaufbau: Niemand glaubt mehr, die Vereinten Nationen, die USA oder Europa könnten in Kriegsgebieten innerhalb einiger Jahre mit viel Geld, Fachwissen und Engagement effektive und legitime staatliche Institutionen schaffen. Die Ernüchterung ist groß, doch was sind die überzeugenden Alternativen? Die einen propagieren die Flucht in die Zivilgesellschaft, um nur keine repressiven Staatsorgane zu unterstützen. Doch wer sorgt dann für Sicherheit? Wer erhebt dann legitim Steuern, um damit Bildungs- und Gesundheitsleistungen zu finanzieren, die nicht auf immer und ewig am Tropf internationaler Geber hängen? Die anderen, die Bundeskanzlerin an der Spitze, verbreiten das Turnvater-Jahn-Mantra der „Ertüchtigung“ sogenannter „strategischer Partner.“ Doch ist es wirklich vor allem das überlegene deutsche Militär- und Polizeihandwerk (nebst Waffen und Ausrüstung), das den Herrschenden in Bagdad und in Bamako fehlt, um wirksam Sicherheit für ihre Bürger zu schaffen? Nein, der Kern des Problems liegt in der Politik. Deshalb fordern Forschung und Praxis seit Jahren, technische Ausbildungs- und Ausstattungsprogramme mit wirksamem politischem Engagement zu verbinden. Wo sind hier die „politischen Lösungen“, die deutsche Politiker immer einfordern? Über 2017 hinaus: Krisenengagement und Friedensförderung weiter entwickeln Das sind nur einige der Fragen und Themen, denen sich die Leitlinien stellen müssen. Im Schreib- und Abstimmungsprozess wird sich zeigen, ob die Bundesregierung ihren Anspruch einlösen kann, echte „Leitlinien“ zu formulieren. Werden die Ressorts den Mut haben, die Zielkonflikte und Dilemmata des Eingreifens in Gesellschaften offen zu benennen, in denen organisierte Gewalt ein entscheidendes Mittel der Politik ist und für viele Jahre bleiben wird? Können sie eine gemeinsame konzeptionelle Basis für den Umgang damit schaffen, die inhaltlich überzeugt und sich in der Praxis bewährt? Debatten PeaceLab2016 Krisenprävention weiter denken Early Action Security Sector Reform Evaluierung Friedensförderung Stabilisierung Philipp Rotmann Philipp Rotmann leitet die friedens- und sicherheitspolitische Arbeit am Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin.