Prioritäten, Voraussetzungen und Gestaltungsansätze erfolgversprechender Krisenprävention

16. August 2016   ·   Hans-Joachim Giessmann

Deutsche Krisenprävention muss normativ verankert, vorausschauend und nachhaltig sein. Dafür gilt es Prioritäten zu setzen und geltendes Völkerrecht durchzusetzen statt selbst am Grundgesetz zu rütteln. Ein deutlicher Ausbau von Mediation und Mediationsunterstützung sind dafür besonders geeignet.

Krisen markieren potenzielle Wendepunkte einer Entwicklung, deren weitere Richtung durch Handlungsentscheidungen politisch verantwortlich handelnder Akteure herbeigeführt oder beeinflusst wird. Krisenprävention zielt darauf ab, die ihnen zugrundeliegenden Konflikte gewaltfrei zu bearbeiten bzw. die Rahmenbedingungen friedlicher Zusammenarbeit zu verbessern. Für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik besitzt dieses Ziel bekanntlich Verfassungsrang. Als „gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“: Die Präambel des Grundgesetzes gibt der deutschen Politik ein normatives Leitmotiv, an der sich alle operativen Ansätze zur Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung messen lassen müssen. Daran zu erinnern ist zeitgemäß, gewinnt doch eine auf aktivere politische Gestaltung und Einflussnahme gerichtete Außen- und Sicherheitspolitik für Deutschland zunehmend an Bedeutung.

Chance für vorausschauende und nachhaltige Sicherheitspolitik

Die geplanten Leitlinien zur Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung eröffnen die Chance, betonen aber auch die Notwendigkeit, sich auf Prioritäten, Voraussetzungen und Ansätze einer solchen aktiveren Politik festzulegen. Im Vorwort zum neuen Weißbuch zur Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr unterstrich Bundeskanzlerin Merkel, dass Sicherheitspolitik vorausschauend und nachhaltig sein müsse, um Krisen vorzubeugen. Dabei dürfe es weder Automatisierung noch Handlungszwänge geben, die eigenen Werten und Interessen zuwiderlaufen oder Möglichkeiten überdehnen. Insofern sind vor allem drei Fragen zu beantworten: Erstens, welche Prioritäten der Krisenprävention sollte Deutschland festlegen? Zweitens, welchen rechtlichen Voraussetzungen sollte aktiveres Engagement genügen? Und zuletzt, welche Ansätze sind für einen gestaltenden Einfluss deutscher Politik auf Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung geeignet?

Prioritäten deutscher Krisenprävention

Deutschland sei zu groß, um das weltpolitische Geschehen nur von der Außenlinie zu kommentieren, so beschrieb Frank-Walter Steinmeier das Spannungsfeld von Ansprüchen und Erwartungen an die deutsche Außenpolitik. Deutschland ist keine Supermacht, verfügt aber über Potenziale, weltpolitisch relevante Prozesse zu beeinflussen. Eine Lektion der Geschichte besteht allerdings darin, dass Deutschland diese Potenziale am stärksten nicht in nationalen Alleingängen sondern in Unterstützung bzw. als Teil kooperativer Politik entfalten kann. Eine erste Priorität sollte deshalb sein, kooperative Politikansätze zu fördern und die sie tragenden Organisationen mit deutscher Beteiligung gezielt zu stärken und weiterzuentwickeln. Die Stärkung der Präventionsinstrumente internationaler Organisationen wie der Vereinten Nationen und der Europäischen Union liegt im deutschen Interesse. Um dies zu erreichen, ist eine größere konzeptionelle, institutionelle und auch personelle Mitwirkung in den für Planung und Implementierung zuständigen Organen der Krisenprävention anzustreben. Darüber hinaus ist eine starke vermittelnde Rolle Deutschlands in ad-hoc Kooperationen, wie jüngst in den Formaten 5+1 (Iran) oder Normandie (Ukraine) zunehmend gefragt. Diese Rolle weiter auszubauen, liegt letztlich auch im Interesse unserer Partner und Verbündeten.

Hieraus ergibt sich eine zweite Priorität: Deutschland sollte sich aktiv engagieren, wenn es eigene Potenziale wirkungsvoll zur Geltung bringen kann. Vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen betrifft dies vor allem Verhandlungsunterstützung, Hilfen zum demokratischen Staatsaufbau, zur Entwicklung föderaler Strukturen, zur Förderung von Rechtsstaatlichkeit, zur Entwicklung eines demokratisch kontrollierten Sicherheitssektors sowie zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Mitwirkung in Prozessen der Nachkriegskonsolidierung und gesellschaftspolitischen Stabilisierung.

Drittens sollte Deutschland vor allem strukturellen und komplementären Ansätzen Vorzug geben. Strukturelle Krisenprävention zielt als Hilfe zur Selbsthilfe auf die Stärkung der eigenverantwortlichen, konstruktiven Kooperationsfähigkeit der konfliktbeteiligten Akteure. Komplementäre Krisenprävention bedeutet, den Fokus vor allem auf Fälle zu legen, in denen eine deutsche Mitwirkung von den Konfliktbeteiligten ausdrücklich erwünscht wird und Deutschland seine spezifischen Potenziale voraussichtlich wirkungsvoll einsetzen kann. Die enge arbeitsteilige Abstimmung mit Partnern und Verbündeten ist hierzu erforderlich.

Durchsetzungskraft des geltenden Völkerrechts erhöhen

Grundlegend für eine aktivere deutsche Krisenpräventionspolitik ist deren Bindung an Grundgesetz und Völkerrecht. Große Mächte neigen dazu, in der Verfolgung ihrer Interessen das Recht als Funktion ihrer jeweiligen politischen Interessen zu erachten. Deutschland sollte dieser Versuchung nicht nachgeben. Die verlässliche Rechtsbindung seiner Außen- und Sicherheitspolitik sowie das aktive Eintreten für eine starke internationale Rechtsgemeinschaft sind Ausweis seiner weltweiten Anerkennung als Führungsmacht im Rahmen internationaler Organisationen. Deutschland sollte seine Anstrengungen deutlich verstärken, gemeinsam mit EU-Partnern und NATO-Verbündeten die Durchsetzungskraft des geltenden Völkerrechts zu erhöhen. Eine Aufhebung grundgesetzlicher Beschränkungen für die deutsche Sicherheitspolitik ist nicht erforderlich – dies könnte Deutschlands Reputation als vermittelnde Partei sogar schmälern.

Deutschlands Beitrag: Mediation und Mediationsunterstützung

Mit der Ankündigung zu einer aktiveren deutschen Außen- und Sicherheitspolitik wachsen zugleich die Erwartungen an deutsche Beiträge zur stärkeren Unterstützung internationaler Krisenprävention. Mediation und Mediationsunterstützung gewinnen in diesem Zusammenhang für die deutsche und europäische Außenpolitik seit einiger Zeit an Bedeutung. Tatsächlich ist Mediation für die Umsetzung der oben genannten Prioritäten in besonderer Weise förderlich. Sie zielt auf gewaltfreie Konflikttransformation durch nachhaltige Beeinflussung von Einstellungen, Interessen und Verhaltensweisen der beteiligten Akteure.

Der Bedarf an Mediation hat in dem Maße zugenommen, wie sich Gewaltkonflikte zunehmend entlang ethnischer, nationaler, religiöser oder kultureller Trennlinien entzünden bzw. eskalieren. Von Mazedonien bis zur Ukraine, von Afghanistan bis Jemen – die Ursachen für diese Gewaltkonflikte unterschiedlicher Intensität sind weder durch militärische Intervention noch allein durch formelle Vereinbarungen aus der Welt zu schaffen. Erforderlich sind vielmehr Dialog- und Kooperationsräume, in denen die Konfliktakteure lernen und eigene Erfahrungen sammeln, wie ihre Konflikte friedlich zu bearbeiten sind.

Ohne kolonialen Rucksack ist Deutschland oft willkommener Vermittler

Mediation und Mediationsunterstützung sind vergleichsweise weder kostenträchtig noch verschlingen sie übermäßige Ressourcen. Allerdings erfordern sie viel Geduld und die Fähigkeit, im Ringen um Verhaltensänderungen der Konfliktakteure auch Rückschläge zu verkraften und selbst im Falle vorläufigen Scheiterns nicht aufzugeben. Sie bedürfen zudem einer strengen Vertraulichkeit, was den Interessen an politischer Transparenz in der Öffentlichkeit sowie an öffentlicher Sichtbarkeit auf Seiten der politisch Handelnden zuwiderlaufen kann. Die Argumente für eine stärkere Gewichtung dieses Ansatzes überzeugen jedoch.

Deutschland verfügt über ein großes politisches und wirtschaftliches Gewicht, das es gegenüber allen Konfliktbeteiligten glaubwürdig einbringen kann, um als starker Mediator aufzutreten. Hinzu kommt aus der Sicht vieler Konfliktbeteiligter das Fehlen eines kolonialen Rucksacks, was Deutschland vor allem in vielen Ländern des Südens als vermittelnden Partner in Friedensprozessen willkommen erscheinen lässt. Und es könnte seinen großen Einfluss in internationalen Organisationen nutzen, um für die Ergebnisse der Mediation die erforderliche internationale Legitimation und Zustimmung zu erhalten.

Um Mediation wirksam betreiben zu können, bedarf es zugleich hoher Professionalität und praktischer Erfahrung. Beides ist nicht kurzfristig aufzubauen. Im Gegenteil: Mediationsexpertise muss einen festen Platz im Diplomatentraining bekommen und es gilt, den Erfahrungsaustausch mit Partnerstaaten wie der Schweiz oder Norwegen zu intensivieren. Zielführend ist auch die Entwicklung einer engeren strategischen Kooperation staatlicher Außenpolitik mit professionellen nichtstaatlichen Organisationen. Strategische Kooperation meint hier eine enge Abstimmung bei Konfliktanalyse, Strategiebildung und Implementierung sowie finanzielle Unterstützung der Nichtregierungsorganisation bei gleichzeitiger Wahrung der unterschiedlichen, komplementären Rollen und Möglichkeiten. Denn gerade in den weltweit dominierenden Konflikten zwischen Staaten und nichtstaatlichen Gewaltakteuren verfügen nichtstaatliche Organisationen oft über den besseren Zugang zu Konfliktbeteiligten, um als Partner der Bundesregierung einen unverzichtbaren Beitrag zur Mediationsunterstützung zu leisten.

Vereinte Nationen Leitbild Mediation Europäische Union

Hans-Joachim Giessmann

Hans-Joachim Giessmann ist Director Emeritus der Berghof Foundation und Senior Advisor für das Afghanistanteam. @hjgiessmann