​Zivile Maßnahmen in Mandate für Auslandseinsätze integrieren

07. März 2018   ·   Christian Thiels

Für einen wirklichen Aufbruch in der Sicherheitspolitik der neuen Bundesregierung braucht es mehr als nur mehr Geld. Sie sollte zivile Maßnahmen in die Mandate der Auslandseinsätze integrieren, diese Einsätze regelmäßig evaluieren und ein übergreifendes Sicherheitslagezentrum für die Frühwarnung einrichten.

Ein entschiedenes „Weiter so“ oder ein neuer Aufbruch – vor dieser Wahl steht die neue Bundesregierung, (die ja auch die alte ist) in der Sicherheitspolitik. Und tatsächlich ist zumindest in Finanzfragen ein neuer Wind zu spüren. Die Kopplung der Steigerung der Verteidigungsausgaben im Verhältnis eins zu eins an die geplanten Mehrausgaben für Krisenprävention, humanitäre Hilfe, auswärtige Kultur- sowie Bildungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit lässt hoffen, dass das jahrelange Lippenbekenntnis, man folge dem „Vernetzten Ansatz“ in der Sicherheitspolitik nun endlich mit Leben gefüllt wird. Doch mit Geld allein wird man die mangelhafte Koordination der verschiedenen Politikansätze in diesem Feld nicht beseitigen können.  Mit drei konkreten Schritten könnten Union und SPD einen Einstieg in mehr Nachhaltigkeit bei der Sicherheitspolitik erreichen.   

Ressorts zu einer besseren Koordinierung und Strategiebildung zwingen

Erstens sollten die neuen Koalitionäre zivile Maßnahmen in die Mandate für Auslandseinsätze integrieren. Würde man diese langjährige Forderung vieler Experten und auch der Grünen umsetzen, könnte dies dazu führen, dass nicht nur – wie bereits beschlossen - entwicklungspolitische, wirtschaftliche und militärische Fähigkeiten ähnlich finanziert werden. Auch die Formulierung und Umsetzung von ganzheitlichen sicherheitspolitischen Strategien könnte eine ganz neue Bedeutung bekommen. Bislang formulieren die Mandate eher wolkige Ziele, benennen aber wenig konkret die Mittel und Maßnahmen. Auch der Schwerpunkt auf militärische Maßnahmen ist dabei wenig hilfreich. In der täglichen Arbeit gibt es - etwa in Afghanistan – zwar schon viel Kooperation zwischen Hilfsorganisationen und Militär, aber auf der politischen Ebene wird nach wie vor zu viel in den verschiedenen Ressorts nebeneinander her gewerkelt und nicht selten eifersüchtig über Zuständigkeiten gewacht.  

Wenn alle Maßnahmen Teil ein- und desselben Bundestagsmandates sind, wäre dies eine deutliche Weichenstellung, die Vernetzung auf allen Ebenen ernsthaft umzusetzen. Denn dann müssten die beteiligten Ressorts sich besser abstimmen und wären gezwungen, schon in der Planung enger zu kooperieren. In Afghanistan etwa finanzierte Deutschland in Herat die Sanierung des Trinkwassernetzes und die Restaurierung der historischen Zitadelle. Für sich genommen sinnvolle und kluge Maßnahmen, aber in einer Region, in der die Bundeswehr nicht präsent war und ist. Wieviel mehr könnte man erreichen, wenn man das deutsche Engagement – sei es militärisch oder entwicklungspolitisch – stärker regional konzentrieren würde?  

Im Mandat müssten dazu regionale Schwerpunkte in Einsatzgebieten definiert, die erforderlichen und eingesetzten Mittel benannt und konkrete Zeithorizonte festgelegt werden. Die beteiligten militärischen Verbände, zivilen Hilfsorganisationen, Diplomaten und Wirtschaftsfachleute könnte man dann auch in einer gemeinsamen Struktur unter ein einheitliches Dach bringen, um deren Handeln untereinander besser abzustimmen und zu vernetzen. Dazu wäre dann auch das Amt eines hauptamtlichen Koordinators an der Spitze eines ständigen Rates zur Führung eines solchen zivil-militärisch vernetzten Auslandseinsatzes notwendig. Als Vorbild könnten die Beauftragten der Vereinten Nationen für den Wiederaufbau in Krisenregionen dienen. Der Koordinator sollte kein aktiver Politiker, sondern eher ein Fachmann oder Diplomat, der möglichst Sachkompetenz für die fragliche Region mitbringt. Der Rat sollte auch über weitreichende Kompetenzen und Weisungsbefugnisse verfügen, um mehr als ein informeller Frühstücks-Club zu sein. Die bestehenden ressortübergreifenden Task-Forces wie auch die Staatssekretärsrunde zu Afghanistan haben bislang nicht die erforderliche Durchsetzungsstärke gezeigt, könnten aber eine Basis für diese neue Organisationsstruktur sein. Unabhängig vom Ende einzelner Bausteine der Gesamtstrategie sollte der Rat aber in jedem Fall bis zum Ende des Engagements weiter aktiv bleiben. Anders formuliert: Auch wenn etwa die Streitkräfte ihre Mission beenden, sollte der Rat weiter arbeiten, um die Nachhaltigkeit der Maßnahmen zu gewährleisten.  

Auslandseinsätze regelmäßig evaluieren und öffentlich im Bundestag debattieren  

Zweitens, sollten der nächste Bundestag und die nächste Bundesregierung die Auslandseinsätze endlich regelmäßig und umfassend evaluieren. In der Neufassung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes ist zwar die Evaluierung vorgesehen, aber erst nach Abschluss des Einsatzes. Das macht die öffentliche Diskussion um „lessons learned“ unnötig schwierig und verhindert womöglich die Auseinandersetzung mit Fehlentwicklungen. Führende Politiker aus Union und Sozialdemokratie werden derzeit nicht müde, von einer größeren Verantwortung Europas in der Welt zu sprechen, davon ist auch im Koalitionsvertrag die Rede. Mit einer regelmäßigen öffentlichen Debatte über dieses Engagement und dessen Erfolg und Misserfolg könnte man beweisen, wie ernst man es damit meint. Die von Union und SPD bereits verabredeten Befragungen der Kanzlerin bieten darüber hinaus die Möglichkeit, immer wieder auch die grundsätzlichen Fragen deutscher Sicherheitspolitik zu debattieren. In der Vergangenheit haben sich die Kanzlerin aber auch ihre sozialdemokratischer Vorgänger jedenfalls um Regierungserklärungen in diesem bedeutenden Politikfeld gedrückt.  

Erfolge und Misserfolge von Auslandseinsätzen und dem zivilen wie militärischen Engagement müssen regelmäßig analysiert und debattiert werden – am besten an prominenter Stelle im Deutschen Bundestag. Das deutsche Engagement im Ausland, die Ziele der Bundesrepublik und die Grenzen und Chancen der dafür möglichen und nötigen Maßnahmen würden so in einer breiteren öffentlichen Debatte thematisiert und aus der Mauschelecke der Politik herausgeholt. Sie fristen in Expertenzirkeln und akademischen Kreisen seit langem ein viel zu elitäres Dasein – und das, obwohl die Herausforderungen der Sicherheitspolitik ganz konkrete Folgen für andere Politikfelder haben – siehe Flüchtlingsfrage oder Terrorismus-Gefahr. Und nicht zuletzt, weil es bei der Entsendung von Soldaten oder zivilen Helfern in krisengeschüttelte Regionen häufig um Leben und Tod geht.

Dies erfordert ein besonders hohes Maß an Behutsamkeit und Sensibilität und eine schonungslose transparente Aufarbeitung von „lessons learned“. Um diese Debatte auf eine belastbare Faktenbasis zu stellen, muss es jährliche Evaluationsberichte geben, bei deren Erstellung nicht nur die Sicht der Bundesregierung, sondern auch unabhängiger Experten einfließen sollte. Auch die Einsetzung eines Sonderbeauftragten des Bundestages für die jeweiligen Auslandsmissionen wäre eine Option. In den USA gibt es mit dem „Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction für den Wiederaufbau am Hindukusch solch einen eigenen Beauftragen des Kongresses. Er stellt sicher, dass nicht nur die Regierungssicht vermeldet wird, sondern auch unangenehme Punkte untersucht werden. Dabei untersucht er etwa regelmäßig die wesentlichen Investitionsmaßnahmen der US-Regierung in Afghanistan und veröffentlicht seine Ergebnisse noch während des laufenden Einsatzes, Auch ein deutscher Sonderbeauftragter sollte nicht auf den Abschluss der Operationen oder die regelmäßigen Evaluierungen warten müssen, sondern davon unabhängig auf Entwicklungen hinweisen können.    

Sicherheitslagezentrum als Frühwarnsystem  

Die Bundesregierung sollte schließlich ein neues Sicherheitslagezentrum für die Frühwarnung einrichten. Globale Krisen fallen nicht vom Himmel, sie entwickeln sich über Jahre und Jahrzehnte, schwelen lange bevor sie offen ausbrechen. Deshalb bedarf es zudem eines zentralen Frühwarnsystems, einer Art unabhängigen globalen Sicherheitslagezentrums mit Experten aus allen relevanten Ministerien und aus Nichtregierungsorganisationen und Denkfabriken. Das Auswärtige Amt allein kann der Komplexität der Herausforderungen nicht immer gerecht werden – dort gibt es zwar exzellente Diplomaten, aber die Detailkompetenz für Entwicklungspolitik, Wirtschaftsbeziehungen, Umweltfragen oder eben auch  militärischen Zusammenhängen liegt in anderen Ressorts.  

All‘ diese Kompetenzen gilt es zu bündeln, mit den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden zu ergänzen und in ein umfassendes ganzheitliches Lagebild zu fassen. Natürlich geschieht dies schon jetzt im Zuge von Einzelberichten, doch das ist reichlich ineffizient, weil niemand die übergeordnete Verantwortung hat. Die könnte von einem Nationalen Sicherheitsberaters im Ministerrang an der Spitze des Sicherheitslagezentrums geschaffen werden. Die Debatte um die Schaffung einer solchen Position wird zwar seit Jahren gefordert, im Koalitionsvertrag ist sie aber bislang nicht vorgesehen und es ist unwahrscheinlich, dass sich an dieser Haltung viel ändert. Auch das aktuelle Weißbuch hat die Frage nicht aufgenommen. Das könnte sich auf lange Sicht als Fehler erweisen, wenn es die Neuauflage der Großen Koalition mit dem Diktum von der größeren Verantwortung Deutschlands ernst meint.