Nachhaltige Entwicklung: Raus aus dem Schatten des Sicherheitsrats

06. August 2018   ·   Alexander Freese

Feuer löschen reicht nicht, und effektiven Brandschutz kann der Sicherheitsrat nicht leisten. Entscheidend ist, dass die 2018 verabschiedete Reform der UN-Entwicklungszusammenarbeit gelingt. Deutschland und seine Partner sollten dafür sorgen, dass die vielen UN-Organisationen besser koordiniert und ausgestattet werden, um ihr volles Potenzial für nachhaltige Entwicklung zu entfalten.

Mit großer Mehrheit wurde Deutschland als nichtständiges Mitglied in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gewählt. In diesen unruhigen Zeiten wird zu Recht viel über diese wichtige Gestaltungschance Deutschlands diskutiert. Der Sicherheitsrat ist und bleibt die Feuerwehr der Welt, die im Einsatz ist, um in aktuell schwelenden Krisen und Konflikten zu vermitteln und Frieden zu wahren. Um Deutschlands Ziele in der Krisenprävention langfristig zu erreichen, reicht ein Fokus auf den Sicherheitsrat allein allerdings nicht aus.

Im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York befindet sich in unmittelbarer Nähe des Sicherheitsrats der deutlich weniger prestigeträchtige Wirtschafts- und Sozialrat, ECOSOC. Hier diskutieren die Mitgliedstaaten Fragen zu nachhaltiger Entwicklung und humanitärer Hilfe. Der Rat koordiniert und beaufsichtigt auch die zahlreichen Organisationen der UN, die diese Ziele konkret umsetzen. Mit dem ECOSOC eng verknüpft sind zum Beispiel die Arbeitsorganisation ILO, die Jugendbeschäftigung fördert; die WHO im Kampf für globale Gesundheit; UNICEF für die Wahrung von Kinderrechten oder Programme wie UNDP und UNEP, die gute Regierungsführung und Klimaschutz stärken. Ist der Sicherheitsrat die Feuerwehr der Welt, werden im ECOSOC die Brandschutzvorschriften verfasst. Das wirkt manchmal weniger dringend, ist aber ebenso wichtig, um langfristig Frieden zu sichern.

Die UN müssen ihre komparativen Vorteile stärker nutzen

Das hat auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, erkannt. Noch vor Beginn seiner Amtszeit Anfang 2017 hat er seine Vision für eine präventiv und pro-aktiv für den Frieden handelnde Weltgemeinschaft dargelegt. Zur Umsetzung strebt Guterres nicht nur Reformen in den Bereichen Management und Frieden und Sicherheit an, sondern auch in der Entwicklungszusammenarbeit. Dafür übertrug er seiner Stellvertreterin Amina J. Mohammed die Aufgabe, langfristige Reformvorschläge im Bereich nachhaltiger Entwicklung der UN zu erarbeiten. Am 31. Mai 2018 hat die Generalversammlung schließlich die wohl umfassendste Reform der Entwicklungszusammenarbeit der Vereinten Nationen seit der Gründung der Organisation verabschiedet.
 
Die Reform hat zum Ziel, die Programme der Vereinten Nationen besser abzustimmen und wirksamer zu machen, um die „Sustainable Development Goals“ (SDGs) und das Pariser Klimaschutzabkommen zu erreichen. Diese Anpassungen in der Entwicklungszusammenarbeit sollen im Einklang geschehen mit den vom Generalsekretär geleiteten Änderungen im Bereich Frieden und Sicherheit. Dass sich beide Bereiche gegenseitig verstärken und komplementieren, ist Kern seiner Präventionsagenda.
 
Besonders vielversprechend ist die Aufwertung der sogenannten „UN Resident Coordinators”, die höchsten Repräsentanten des Generalsekretärs in über 100 Ländern. Das Reformpaket sieht vor, sie mit echter Leitungsverantwortung für alle UN-Organisationen im Land auszustatten, zum Beispiel für die gemeinsame Programmplanung und Finanzierung.
Die Praxis zeigt, dass sie bereits gut positioniert sind, um UN-Programme auf Konfliktprävention auszurichten. Mit dieser Maßnahme stärken die Vereinten Nationen auch ihre Fähigkeit, auf ihren größten komparativen Vorteil im operativen Bereich besser zurückzugreifen: ihr universelles Mandat, ihre weltweite Präsenz und ihr globales Wissen. Keine andere Organisation verfügt über Instrumente, um gleichzeitig sowohl Programme zu sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen, humanitärer Hilfe, als auch zur Friedenssicherung und Einhaltung von Menschenrechten umzusetzen. 

Raus aus den Silos: Multilateralisten brauchen eine ganzheitliche Strategie 

Das UN-Sekretariat, aber vor allem die Mitgliedstaaten in den Aufsichtsgremien der Fonds, Programme und Sonderorganisationen müssen die vielen geplanten Maßnahmen des Reformpakets in den nächsten Jahren in die Tat umsetzen. Dabei liegt der Teufel im Detail, denn es gilt, ein komplexes System von Organisationen wirksamer, effizienter und koordinierter aufzustellen. Der ECOSOC hat mit den Aktivitäten und Berichten rund um das jährlich stattfindende High-level Political Forum on Sustainable Development wichtige Schritte eingeleitet, um zu einem Weltforum für Strategien und Lösungen nachhaltiger Entwicklung zu werden. Um auch die Organisationen der Vereinten Nationen besser zu koordinieren und auf die Krisenprävention auszurichten, trifft sich das Forum jedoch nicht oft genug und hat formell zu wenig Autorität. Auch die Delegierten im ECOSOC decken zwar oft eine Vielzahl politischer Themen in den Vereinten Nationen ab, sind aber weniger vertraut mit den operativen Fragen von über 30 UN-Organisationen, die in über 130 Ländern maßgeschneiderte Politikberatung und Programme für Nachhaltigkeit umsetzen.
 
Eine Lösung wäre ein gemeinsamer strategischer Ansatz Deutschlands, der EU und anderer „Multilateralisten“, den sie nicht nur im ECOSOC, sondern in allen Aufsichtsgremien der UN-Organisationen umsetzen. Dieser müsste entwicklungs-, sicherheits- und umweltpolitische Ziele zusammendenken, die momentan noch zu sehr in ihren thematischen “Silos” diskutiert werden. Mit Blick auf die Komplexität der Vereinten Nationen als auch die deutsche Ressortkoordinierung wird dies nicht einfach. So flossen zum Beispiel 2015 allein aus Deutschland Mittel von 10 verschiedenen Bundesressorts an über 30 verschiedene UN-Organisationen. Die Strategie müsste das übergeordnete Ziel formulieren, vermehrt in die Entwicklungszusammenarbeit der UN zu investieren. Darüber hinaus müssten die Teilziele, die zum Beispiel Arbeits-, Umwelt-, oder Gesundheitsministerien in den UN verfolgen, in den Zusammenhang dieser Gesamtstrategie für nachhaltige Entwicklung gestellt werden. Nicht zuletzt muss die Strategie Schritte beinhalten, um die Leistungsfähigkeit der UN-Organisationen zu verbessern.

Profitieren könnte eine solche Strategie von der Expertise zu Nachhaltigkeit und Krisenprävention der vielen Denkfabriken, Arbeitsgemeinschaften, Stiftungen, der Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft. Im Zuge dieses Austauschs könnte auch die deutsche Öffentlichkeit mehr Einblick und durch politischen Dialog und zivilgesellschaftliches Engagement Anteil an der wichtigen Rolle der Vereinten Nationen gewinnen (siehe PeaceLab). Gleichzeitig ist es wichtig, diese Strategie von Beginn an Hand in Hand mit den Organisationen der Vereinten Nationen zu durchdenken. Ein offener und direkter Dialog über gemeinsame Ziele mit Experten und Führungsebene der Vereinten Nationen kann helfen, um konkrete Anknüpfungspunkte zu identifizieren. Deutschland ist mit der Rolle als Vermittler gut positioniert und könnte so auch Ideen aus weniger stark repräsentierten Richtungen fördern, vor allem aus den Partnerländern selbst.

Klare Arbeitsteilung, besseres Wissensmanagement, Öffnung der Aufsichtsgremien

Ein wichtiger Teil der Strategie muss es sein, die operative Leistungsfähigkeit und Koordination der UN-Organisationen gemäß der verabschiedeten Reform zu verbessern. Oft sind Bemühungen gescheitert, weil Mitgliedstaaten die konkreten Reformschritte wie zum Beispiel die gemeinsame strategische und finanzielle Planung auf Länderebene nicht vehement in allen Aufsichtsgremien eingefordert haben. Gefordert werden sollten darüber hinaus:

  • Eine klare Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Organisationen und Partnern sowie die Messbarkeit von ihren Beiträgen zu den SDGs. Alle strategischen Pläne und Jahresberichte der Organisationen müssten darauf entsprechend eingehen. Nur so können Überschneidungen abgebaut werden und auch Geber ihre finanzielle Unterstützung strategischer und weniger projektorientiert ausrichten. Die Forderung nach der Koordination rund um SDG 3 durch die WHO ist ein starker Anfang.
  • Die lange versprochene Zusammenlegung von Länderbüros, sowie der Betriebs- und Beschaffungsplanung muss endlich in die Tat umgesetzt werden, auch wenn hier anfangs neue Investitionen nötig sein könnten.
  • Die Verbesserung der Personalpolitik, um gute Mitarbeiter zu halten und den Wechsel zwischen Organisationen zu erleichtern, muss ebenfalls ernsthaft vorangetrieben werden.
  • Dringend nötig ist außerdem eine Harmonisierung der gesammelten Daten zu Zielindikatoren, Finanzen und der operativen Arbeit. Diese sollten gemeinsam mit der Vielzahl von hochwertigen Wissensprodukten verständlich aufbereitet und auf einer gemeinsamen Plattform geteilt werden.
  • Fortgesetzt werden sollten auch die offene Suche nach Führungspersonal, wie zuletzt bei der Wahl des Generalsekretärs selbst, und die Berücksichtigung innovativer Ideen wie die Öffnung der Aufsichtsgremien für relevante nicht-staatliche Akteure

Die gerade verabschiedete Reform kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland starke Unterstützung in Politik und Öffentlichkeit erfährt. Deutschland sollte diesen Konsens nutzen, um im Sicherheitsrat, im ECOSOC und den vielen UN-Organisationen eine präventive Agenda aktiv mitzugestalten. Der komparative Vorteil der Vereinten Nationen ist hier unangefochten und sollte weiter gestärkt werden. Nicht nur im Bereich Frieden und Sicherheit, sondern auch durch ein global präsentes, einsatzfähiges und adäquat ausgestattetes UN-System für die Entwicklungszusammenarbeit. Nur so kann langfristig Frieden und Entwicklung gemeinsam gelingen.

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Alexander Freese

Alexander Freese war zuletzt Referent für Strategie, Partnerschaften und die Reform des UN-Entwicklungssystems beim Development Operations Coordination Office (DOCO) der Vereinten Nationen in New York und ist jetzt als Berater in Berlin tätig.