Globale Sicherheitspolitik: Wir sind gefordert

13. Juni 2018   ·   Christoph Heusgen

Unser Leitmotiv für die zwei Jahre im Sicherheitsrat: die Verteidigung unserer regelbasierten Weltordnung. Wir müssen zu akuten Krisen klare Positionen beziehen, wollen den Sicherheitsrat stärker präventiv nutzen sowie Peacekeeping und Peacebuilding stärken. Auch Menschenrechte und Klimawandel gehören zum harten Kern der Sicherheit, dem darf sich der Rat nicht verschließen. 

Mit einer großen Mehrheit von 184 von insgesamt 190 möglichen Stimmen ist Deutschland am 8. Juni von der VN-Generalversammlung für zwei Jahre in den Sicherheitsrat gewählt worden. Von Januar 2019 bis Dezember 2020 werden wir nun einen Platz am Tisch in dem Gremium einnehmen, das wie kein anderes als Herz der internationalen Sicherheitsarchitektur gilt. Als eines der 15 Mitglieder wird Deutschland in einem viel stärkeren Maße als bisher außenpolitische Prozesse mitgestalten und im Kontext der Vereinten Nationen eine größere Rolle spielen. Wie werden wir dieses Mehr an Gestaltungsmöglichkeiten einsetzen und mit welchen Zielen?

Klar Position beziehen und eine regelbasierte Weltordnung verteidigen 

Zunächst gilt zu beachten: Die Agenda des Sicherheitsrates ist überwiegend durch aktuelle Krisen und Konflikte aber auch durch regelmäßig wiederkehrende Debatten zu Mandaten von Friedensmissionen und anderen Themen vorgegeben. Hier wird es mehr denn je für uns darauf ankommen, zu allen 69 Tagesordnungspunkten, mit denen der Sicherheitsrat mehr oder weniger regelmäßig befasst ist, nicht nur sprechfähig zu sein, sondern auch klar Position zu beziehen. Auch schwierige Entscheidungen kommen hier auf uns zu, dessen sind wir uns bewusst. Der Sicherheitsrat bleibt, bei allen Unzulänglichkeiten in der Entscheidungsfindung, das zentrale Gremium auf internationaler Ebene zu Fragen von Frieden und Sicherheit. Wir haben größtes Interesse dazu beizutragen, eine positive Dynamik zu schaffen, Blockaden zu überwinden und auf Lösungen zu den zentralen Krisen unserer Zeit hinzuwirken. Wir wollen mit allen Mitgliedern des Sicherheitsrates eng zusammenarbeiten.

Das zugrundliegende Leitmotiv unseres Handelns in den Vereinten Nationen und auch unserer zweijährigen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat wird das Eintreten und die Verteidigung einer regelbasierten Weltordnung sein. Der Rückzug der Vereinigten Staaten aus multilateralen Formaten wie dem Pariser Klimaabkommen, den Verhandlungen über einen Globalen Migrationspakt oder aus der UNESCO, aber auch das verstärkte unilaterale Vorgehen Washingtons, etwa mit Blick auf die Verlegung der eigenen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem, haben zu einer spürbaren Verunsicherung auch im System der Vereinten Nationen beigetragen. Die USA scheinen heute weniger bereit zu sein, die Rolle als Führungsmacht der westlichen Welt und Schlüsselstaat der multilateralen Nachkriegsordnung auszufüllen. 

Das Vakuum durch den Rückzug der USA wird von Russland und China gefüllt 

Ein Vakuum hat nicht nur in der Physik die Tendenz, rasch gefüllt zu werden. So treten Russland und China im VN-System - als ständige Mitglieder seit jeher selbstbewusst - nun immer engagierter auf, nicht zuletzt mit dem strategischen Ziel, die über Jahrzehnte aufgebaute Weiterentwicklung unserer regelbasierten Ordnung zurückzudrehen oder in eine andere Richtung zu lenken als wir dies für richtig hielten. Grundsätzlich zu nennen wäre hier die Rückbesinnung auf die Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten und die Betonung einer staatenzentrierten Sicht, während wir und unsere westlichen Partner das Individuum, seinen Schutz, seine Rechte, Freiheiten und Entwicklungschancen in den Blick nehmen. Beide Staaten versuchen – mehr oder weniger subtil – eigene Interessen und Normen innerhalb der VN durchzusetzen, die westlichen Vorstellungen oft nicht entsprechen oder gänzlich entgegenstehen. Besonders sichtbar ist dies im Bereich der Menschenrechte, wo China darauf aus ist, die Bedeutung individueller, politischer Rechte zurückzudrängen, um stattdessen die Dimension wirtschaftlicher und sozialer Rechte vermehrt in den Mittelpunkt zu stellen. Mit Blick auf Russland sind wir im Sicherheitsrat in zentralen Dossiers Zeugen eines Verhaltens, das sich in den vergangenen Jahren hinsichtlich des Syrien-Konflikts in einem ganzen Dutzend russischer Vetos niederschlug, mit dem Zweck, das Assad-Regime zu schützen. Nach wie vor steht auch die schwere Verletzung internationaler Normen im Raum, die Russland mit der Besetzung von Teilen der Ukraine begangen hat. 

Prävention priorisieren und Peacebuilding Commission stärken

Es wird uns auch darauf ankommen, einen ganzheitlichen Sicherheitsbegriff zu vertreten. Frieden und Stabilität sind mehr als die Abwesenheit bewaffneter Auseinandersetzungen, so vordringlich dies natürlich scheint. Anders als es Anhänger einer engeren Definition von Sicherheit immer wieder vortragen, sollte der Sicherheitsrat sich nicht erst mit Konflikten befassen, wenn diese ein hohes Eskalationsniveau erreicht haben. Wir wollen nicht sehenden Auges in die nächste bewaffnete Auseinandersetzung laufen, sondern krisenhaften Entwicklungen durch Weitsicht und konkrete Präventionsmaßnahmen frühzeitig begegnen. 

Eine weitsichtige, vorbeugende Krisenpolitik zur Friedenserhaltung („Sustaining Peace“) und die Fokussierung auf Prävention ist auch ein Kernanliegen von VN-Generalsekretär António Guterres, das wir nach Kräften unterstützen, auch außerhalb des Sicherheitsrats. Der Peacebuilding Fund des VN-Generalsekretärs leistete hier allein im vergangenen Jahr in 31 Ländern wichtige Arbeit in der Friedensförderung und bei präventiven Maßnahmen. Deutschland hat sein Budget für Krisenprävention, Stabilisierung und Humanitäre Hilfe in den letzten Jahren mehr als verdreifacht, auf 2,5 Milliarden Euro im Jahr 2017. Im Peacebuilding Fund waren wir im selben Zeitraum der zweitgrößte Geber. Mit der Peacebuilding Commission, wo wir aktuell den Vize-Vorsitz innehaben, steht ein intergouvernementales Beratungsgremium für Prävention und Friedensförderung zur Verfügung, das vom Sicherheitsrat noch zu selten in Anspruch genommen wird. 

Als Fürsprecher von Prävention und Friedensförderung werden wir uns im Sicherheitsrat für eine Stärkung der Peacebuilding Commission einsetzen, vor allem im Hinblick auf die Gestaltung des schwierigen Übergangs von Friedensmissionen hin zu „Peacebuilding“. Gleichzeitig engagieren wir uns für eine intensive Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsrat, Generalversammlung, Peacebuilding Commission und Menschenrechtsrat. Die Reform des VN-Generalsekretärs im Bereich Frieden und Sicherheit soll die Vereinten Nationen, unter anderem durch eine Umstrukturierung des Sekretariats, in die Lage versetzen, ihre Aufgaben effektiver wahrzunehmen. Die Expertise dieser Organe muss dabei stärker als bislang in die Arbeit des Sicherheitsrats einfließen. 

Deutschland wird sich weiterhin sichtbar in Friedensmissionen einbringen müssen 

VN-Friedensmissionen sind zu Recht eines der Aushängeschilder der Weltorganisation. Über ihre Mandate werden wir auch in den nächsten zwei Jahren mitentscheiden. Dabei sind wir uns bewusst: Friedensmissionen sind zentrale Instrumente um Chancen zu eröffnen, aus Konflikten herauszufinden. Sie können politische Lösungen jedoch nicht ersetzen. Wir wollen uns für die enge Zusammenarbeit mit Regionalorganisationen, wie der Europäischen Union und der Afrikanischen Union einsetzen. Blauhelmmissionen sind durch innere und äußere Umstände in den vergangenen Jahren unter Druck geraten: Peacekeeper werden immer häufiger Ziel tödlicher Angriffe. Sexuelle Übergriffe bei einigen Einsätzen haben zu einem Vertrauensverlust geführt. Der Spardruck der US-Regierung setzt diesem Instrument weiter zu. 

VN-Generalsekretär Guterres will mit seiner neuen Initiative „Action for Peacekeeping“, Blauhelmeinsätze grundlegend reformieren und modernisieren und sie für die veränderten Anforderungen angesichts veränderter Konflikte besser aufstellen. Deutschland unterstützt dies nachdrücklich. Finanziell tragen wir als viertgrößter Beitragszahler zum Peacekeeping-Haushalt bereits einen Großteil der Lasten. Personell hat die Bundesregierung z.B. bei MINUSMA in Mali und UNIFIL vor der Küste Libanons ihr Engagement in den vergangenen Jahren weiter ausgebaut. Hier dürfen wir nicht nachlassen. Als Mitglied des Sicherheitsrats wird sich Deutschland im VN-Kontext auch weiterhin sichtbar bei Friedensmissionen einbringen müssen; auch was die Entsendung von Soldatinnen und Soldaten und die Bereitstellung militärischer Fähigkeiten angeht. 

Der Schutz von Menschenrechten gehört zum harten Kern von Sicherheit 

Zu einem umfassenden Sicherheitsbegriff gehören auch Themen, die von Vertretern einer engeren Definition häufig als „soft“ belächelt werden. Die systematische Verletzung von Menschenrechten, um ein Beispiel zu nennen, ist hingegen nicht nur Ergebnis von Konflikten, sondern vielfach auch deren Ursache. Somit gehört für uns auch der Schutz von Menschenrechten zum „harten“ Kern von Sicherheit. Diese Verbindung stärker in den Vordergrund zu rücken und in Bezug auf Menschenrechtsfragen nicht allein auf den Genfer Menschenrechtsrat zu verweisen, sondern vielmehr einen engeren Austausch beider Organe zu befördern, wird eine weitere Aufgabe während unserer Mitgliedschaft sein. Die gleichberechtigte Mitwirkung von Frauen ist ein Schlüsselelement zur nachhaltigen Friedenssicherung und muss ebenso Teil der Lösung akuter wie der Verhinderung neuer Krisen sein. Und auch die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels, vor allem der Umgang mit knappen Wasserressourcen, haben eine klare sicherheitspolitische Dimension. Dieser darf sich der Sicherheitsrat nicht verschließen. Während unserer letzten Mitgliedschaft war es uns als ein konkretes Ergebnis unseres Vorsitzes im Juli 2011 gelungen, Konsens für ein so genanntes präsidentielles Statement zu dieser Thematik herzustellen. Hieran werden wir anknüpfen. 

Eine der Lektionen aus sieben Jahren Syrien-Konflikt ist die Festigung der Erkenntnis, dass die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ihr Verhalten nicht ändern werden, solange ihre Taten ungesühnt bleiben. Straflosigkeit hält den Preis, den individuelle Straftäter für ihr Tun zu „zahlen“ haben, niedrig und verleitet nicht selten zu weiteren Grausamkeiten. Das Fehlen eines unabhängigen Mechanismus zur Klärung der Verantwortlichkeit für Chemiewaffeneinsätze ist hier besonders schmerzlich und wir setzen uns dafür ein, dass ein solcher wieder geschaffen wird. Das Tabu darf nicht ausgehöhlt werden. Auch in anderen Bereichen werden wir der Forderung nach strafrechtlicher Verantwortlichkeit (accountability), etwa durch Verweise an den Internationalen Strafgerichtshof oder durch Anwendung von Sanktionsregimen Gehör verschaffen. Im speziellen Fall von Syrien unterstützt Deutschland bereits den Internationalen, Unabhängigen und Unparteiischen Mechanismus der Vereinten Nationen (IIIM), der Beweise dokumentiert und für spätere Strafverfahren aufbereitet. 

Überholte Zweiklassengesellschaft im Sicherheitsrat aufheben 

Neben der Umsetzung eines ganzheitlichen Sicherheitsbegriffs wird es noch auf ein weiteres Element ankommen: Die Aufteilung der Arbeit im Sicherheitsrat ist traditionell so geregelt, dass die ständigen Mitglieder die Federführung bei den allermeisten Länderdossiers innehaben. Eine „Penholdership“ durch die nicht-ständigen Mitglieder ist noch immer die Ausnahme. Diese Verteilung der Zuständigkeiten führt zu einer „Zweiklassengesellschaft Sicherheitsrat“ und ist aus unserer Sicht überholt. Wir zielen auf eine Öffnung dahingehend, dass auch nicht-ständige Mitglieder federführend tätig werden können, speziell bei Themen, bei denen sie selbst über weitreichende Erfahrung verfügen. Deutschland wird allein nur wenig bewegen können. Wir beabsichtigen deshalb auch auf eine gemeinsame Positionierung der im Sicherheitsrat vertretenen EU-Mitglieder zu achten und eng mit unseren französischen Partnern zu kooperieren.