Schmerzhafte Wahrheiten brauchen Meister*innen der Rede

20. Dezember 2018   ·   Ulrike Schmid

Über Unterdrückung, Wut, erlebte Demütigung oder gar Gewalt und Folter reden, so dass andere diese Wirklichkeiten anerkennen, ohne Widerstand oder Rechtfertigung auszulösen - Meister*innen der Rede können das. Die Bundesregierung sollte über Netzwerke vor Ort diese lokalen Schlüsselakteure dabei unterstützen, solche Kommunikationsfähigkeiten auszubauen – mit externer Prozessbegleitung als schützendem Rahmen.

Debatten

in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung

Schmerzhafte Wahrheiten vermitteln, ohne damit den Lernprozess bei anderen Personen zu erschweren – insbesondere bei jenen, bei denen es so wichtig wäre, das Erzählte zu verstehen. Es ist entscheidend, dass das Geschehene – oft hoch traumatische Erfahrungen – zugänglich wird. Wer aber möchte sich selbst schon in solchen Bildern der Zerstörung wiedererkennen? Vor allem, wenn die eigene Person oder Community für Zerstörung (mit-)verantwortlich ist oder war? WIE kommuniziert man konfliktträchtige Geschichte ohne Widerstand oder gar Leugnung auszulösen?   

Der erste Schritt zu konsensfähiger Gerechtigkeit

Es gibt „Meister*innen der Rede“ und Feder mit dieser Fähigkeit: Unsägliches Leid, auch unsägliches eigenes Leiden, und selbst das Leid auf Seiten von Tätern beschreiben und diese Wirklichkeiten – die eigenen und auch die der anderen – in einer Weise vermitteln, so dass die meisten Menschen sie auf- und annehmen können.

Aus der Bereitschaft, nicht mehr zu leugnen, kann die Bereitschaft erwachsen, verstehen zu wollen, wie es so weit kommen konnte. Dieses Verstehen ist zugleich der erste Schritt hin zu Anerkennung von Verantwortung und zu Nicht-Wiederholung – auch zu Nicht-Vergeltung. Und, es ist einer der ersten Schritte hin zu ausgewogener und damit konsensfähiger(-er) Gerechtigkeit.

Das rechte Wort, wie es gesprochen, wie es vermittelt wird, kann diese Transformation in der Begegnung mit dem Geschehenen erwirken. Lokale Akteure, die dies können und dazu bereit sind, haben dieses Geschehene selbst erlebt. Und sie haben für sich einen Umgang damit gefunden, eine Klärung. Sie sind für ihre Gesellschaften und deren Umgang mit der Vergangenheit kostbar.

Diesen Chronisten fehlt die nötige Unterstützung

Constantin Goschler betont auf diesem Blog, dass historische Narrative nicht nur von Experten verhandelt werden dürften. Die lokale Öffentlichkeit müsse konsequent miteinbezogen werden, „nicht nur als ein Publikum, sondern auch als Produzenten“.

Diese Chronisten kennen die Konfliktdynamiken ihres Landes, die Chronik der jahrzehntelangen Konfliktsequenzen mit ihren Dilemmata und entsprechenden historischen Narrative. Häufig sind es ältere Personen, die selbst Opfer von Gewalt waren und/oder Familienmitglieder verloren haben. Manchmal gab es in der eigenen Familie auch Menschen, die durch Taten und Entscheidungen – oder deren Unterlassung – für verübte Gewalt mit-verantwortlich sind. Anders als die problemlösenden Counselling Teams wirken solche Meister*innen-der-Rede auf der Diskursebene – den Narrativen.

Sie können diese Arbeit – schreiben, erzählen und im Radio, bei Veranstaltungen in Schulen oder in Kommissionen Rede und Antwort stehen – nicht allein machen. Sie brauchen Unterstützung – manchmal auch im Umgang mit diesen Belastungen.

Und sie brauchen Verstärkung durch weitere Akteure des öffentlichen Raums, die bereit sind, als Vermittler dieser Geschichte und als Mittler zu wirken. Oft haben diese Akteure (noch) nicht die Fähigkeit, schmerzhafte Wahrheiten konstruktiv zu kommunizieren. Es sind Journalisten, Personen der Zivilgesellschaft, (Lokal-)Politiker, Historiker… auf nationaler und lokaler Ebene. In ihren Artikeln, Sendungen, Diskursen ist erkennbar, dass sie um moderierende Bedachtsamkeit ringen – auch wenn ihnen dies angesichts von Reizthemen nicht (immer) gelingt. Man erkennt, wann der Trigger hochgeht – aus der um Dialog bemühten Person ein Mensch wird, der um Beherrschung ringt und sie verliert.

Internationale Partner unterschätzen Belastung lokaler Akteure

Die ständige Ausreizung der Belastbarkeit lokaler Akteure durch anhaltende Spannungen und wiederholte Krisen bringt eine Erschöpfung mit sich. Diese Erschöpfung wird von den internationalen Partnern unterschätzt. Auch der häufige Wechsel aus Hoffnung, überhöhter Erwartung und Frustration derselben zehrt die Menschen aus – auch diese Schlüsselakteure, die sich in Politik, Zivilgesellschaft, Medien um Deeskalation bemühen.

Die nicaraguanische Psychologin Martha Cabrera kritisiert diesen blinden Fleck in Projekten: Lokale Schlüsselakteure sollen zur Stabilisierung einer traumatisierten Bevölkerung beitragen. Doch man verdrängt, dass eben diese Schlüsselakteure selbst Teil dieser Bevölkerung und meist von den gleichen Belastungen betroffen sind.

Sie brauchen Stärkung – nicht nur technischen Kapazitätsaufbau. Sie brauchen Unterstützung beim Ausbau ihrer Fähigkeit, mit den eigenen Belastungen und mit dem Stress besser umzugehen, den ihr Engagement verursacht.

Die Herausforderung? „Meister*innen der Rede“ zu identifizieren

Kann die Bundesregierung solche Prozesse gezielt unterstützen? Ja, das Auswärtige Amt über akute Krisenprävention und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur Sicherung der Nachhaltigkeit.

Es braucht etwas Zeit, wenngleich oft nicht viel. Denn das Wichtigste, ein Mindestmaß an Erfahrung und die rechte innere Haltung, müssen mitgebracht werden. Der Rest – bewusste, gewaltfreie Kommunikation, Moderation und Mediation, Stressmanagement mit Psychoedukation und die Fähigkeit eigenen Belastungsgrenzen zu erkennen und mit grenzwertigen Situationen umzugehen – das kann man lernen und mit Hilfe von Mentoren oder der Unterstützung aus einem Netzwerk ausbauen.

Die Herausforderung? „Meister*innen der Rede“ und solche, die es werden können, zu identifizieren.

In den Mitgliedsorganisationen von FriEnt und Konsortium Ziviler Friedensdienst gibt es Personen, die nach Jahren vor Ort die Konfliktchronik, Dilemmata und historischen Narrativen verstehen. Und jene, welche zudem selbst die erforderliche innere – friedensförderliche – Haltung haben, kennen solche Chronisten und können mit jenen gemeinsam bei Projektsondierungen weitere, die es werden können, identifizieren.

Ein Kapazitätsaufbau von „Kommunikatoren“ mit externer Prozessbegleitung als schützendem und nährendem Rahmen kann zur Deeskalation konfliktträchtiger Dynamiken im öffentlichen Diskurs beitragen, wenn er gezielt Akteure unterstützt, die in strategischen Bereichen des öffentlichen Raums wie den Medien arbeiten, oder die als Meinungsführer auf lokaler und nationaler Ebene aktiv sind.

Hate-speech und Diskurse, die das Geschehene leugnen, lassen sich nur langfristig verringern. Es braucht rasch einen Ausgleich, der den Menschen alternative Orientierung bietet – gerade der Jugend.

Geschichte im Rahmen von Kommissionen aufarbeiten, Geschichtsbücher schreiben sowie Lehrer ausbilden, die den neuen Umgang mit Geschichte auch tragen, ist unabdingbar für die Nachhaltigkeit von Vergangenheitsarbeit. Doch das braucht viel Zeit. Im Vergleich zu diesen institutionellen Ansätzen, die im prekären Übergang nicht zur Hand sind, bringt dieser Kapazitätsaufbau rasch Wirkung.

Die Zeit drängt – der digitale Informationsfluss erreicht schon die Dörfer

Die Geschichte bricht inzwischen brandgefährlich via Internet in den Alltag der Menschen ein. Digitalisierung bis in die Dörfer und Smartphones transportieren diese komplexe und hoch konfliktträchtige Geschichte in all ihren Versionen, Interpretationen und problematischen Verkürzungen zu den Menschen – und zu einer meist vollkommen unvorbereiteten Jugend.

Es braucht nicht hate-speech, um Spannungen zu verschärfen. Es reicht die „Wahrheit“. Denn vor allem die Jugend in diesen Ländern hat oft keine Ahnung von den Geschehnissen der Vergangenheit. Sie kennt die offizielle Fassung, die vom früheren, aktuellen oder Nachfolge-Regime festgeschrieben wurde und im Geschichtsunterricht weitergegeben wird.

Manche Jugendlichen haben in ihren Familien von Folter und Tod, erfahren – sowie das Gebot, darüber zu schweigen. Aber oft ist die Kultur des Schweigens so tief verwurzelt, dass selbst Jugendliche, die sich für die Geschichte ihres Landes interessieren, nicht wissen, dass Großeltern oder Onkel/Tanten Opfer waren – oder aber Täter.

Nun wird diese Geschichte im Internet in einem hochpolitisierten Kampf gegen Straflosigkeit und von Opferverbände im Bemühen um Wahrheit aufbereitet. Diese wichtige Arbeit kann mit Nicht-Wiederholung in Zielkonflikt geraten.

Jugendliche lesen gegebenenfalls in den Opferlisten den eigenen Familiennamen und vielleicht auch den Familiennamen eines Schulkameraden bei den Täterlisten - oder umgekehrt.

Auch jene, für die die Repression eine aus ihrer Sicht legitime Verteidigung war, melden sich mit ihren Geschichtsinterpretationen zu Wort. Jugendlichen wird – teils wirkungsmächtig – vermittelt, dass es notwendig und dadurch in Ordnung war (und sei), die Feinde der Nation zu foltern und zu töten. Die Herausforderung durch solche Gatekeeper kann man nur erahnen.

Bleibt der öffentliche Raum, in dem Meister*innen der Rede vermitteln, dass man dieses Spannungsfeld bevor es Wahrheit und Gerechtigkeit gibt erstmal gemeinsam (er-)tragen muss und kann, warum das so ist, und wie und dass das geht. Geschichte braucht Menschen, die mit dieser Geschichte umgehen können.

Debatten

in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung

Transitional Justice

Ulrike Schmid

Dr. Ulrike Schmid arbeitet freiberuflich im Bereich Peacebuilding in Westafrika – in den letzten Jahren u.a. zu Dialog & Versöhnung (UNICEF/PBF) sowie Sondierungen zum Thema Kapazitätsaufbau zu Stressmanagement beim Militär mit der Schnittstelle SSR (Schweizer Kooperation).