Partizipation von Kindern ist angewandte Rechtsstaatsförderung

06. Februar 2019   ·   David Kowertz, Christine Idems

Einen Rechtsstaat gesetzlich zu verankern reicht nicht aus, solange er keine breite Akzeptanz in der Bevölkerung genießt. Hierbei spielt Bildung im Sinne der Kinderrechtskonvention eine entscheidende Rolle. Deutsche Akteure sollten deshalb die Bildungssysteme der Partnerländer gemeinsam mit Kindern evaluieren und diese so an ihr Recht auf Partizipation heranführen.

Debatten

in Zusammenarbeit mit dem RSF-Hub der Freien Universität Berlin

Am 31. Oktober 2018 sprach der oberste Gerichtshof Pakistans Asia Bibi vom Vorwurf der Blasphemie frei, nachdem sie acht Jahre inhaftiert gewesen war. Damit hob er das im Jahr 2010 verhängte Todesurteil gegen die Christin auf. In Folge des Urteils kam es allerdings zu teils gewalttätigen Protesten islamistischer Gruppen. Diese forderten trotz der Gerichtsentscheidung die Exekution Asia Bibis und aufgrund des Rechtsspruchs die Ermordung höchster Richter.

Um die Proteste zu beenden, sicherte die Regierung Pakistans diesen Gruppen zu, dass Asia Bibi das Land nicht werde verlassen dürfen und dass der Freispruch einer Überprüfung unterzogen würde. Sie schloss also auf Kosten der Rechtsstaatlichkeit eine Vereinbarung mit Demonstranten. Doch das Oberste Gericht in Pakistan entschied auch den Berufungsantrag zu Gunsten Asia Bibis.

Rechtsstaatlichkeit erfordert gesellschaftliche Akzeptanz

Der Fall Asia Bibi verdeutlicht, dass es nicht ausreicht, Rechtsstaatlichkeit gesetzlich zu verankern. Sie benötigt zusätzlich eine breite Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung. Ein Rechtsstaat kann nicht zur vollen Entfaltung kommen ohne eine breite Mehrheit, die auch gewillt ist, ihn zu verteidigen und einzufordern, dass das Recht respektiert wird. Eine gewählte Regierung, die auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen ist, wird sich unter solchen Umständen auch zu Kompromissen über den Rechtsstaat bereit zeigen müssen. Die Strategie der Bundesregierung zur Förderung von Rechtsstaatlichkeit muss daher Elemente beinhalten, die zu einer Steigerung der Akzeptanz von Rechtsstaatlichkeit beitragen.

Akzeptanz von Rechtsstaatlichkeit entsteht nicht über Nacht. Vielmehr bedarf es langfristig angelegter gesellschaftlicher Prozesse und Entwicklungen auf verschiedenen Ebenen. Diese beinhalten die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes ebenso wie Reformen des Justizsektors im Sinne einer guten Regierungsführung und die Beziehungen ziviler und militärischer Akteure zueinander.

Bildung spielt eine Schlüsselrolle

Insbesondere dem Bildungssektor kommt eine zentrale Bedeutung zu. Dies gilt nicht nur in Hinblick auf die Kinderrechte, sondern auch auf Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Bildung kann einen wichtigen und langfristigen Beitrag zur notwendigen Akzeptanz der Rechtsstaatlichkeit leisten. Die Bundesregierung sollte dies in ihrer neuen Strategie zur Rechtsstaatsförderung entsprechend berücksichtigen. Entscheidend ist, dass das Bildungssystem eines Landes die in der Kinderrechtskonvention verankerten Bildungsziele umsetzt. Beispiele dafür sind:

  1. Bildung soll die verschiedenen Fähigkeiten der Kinder zur Entfaltung bringen. So erschließt Bildung Kindern Perspektiven und fördert Zuversicht. Im Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten fällt es leichter, auch andere Gruppen zu ihrem Recht kommen zu lassen.
  2. Bildung soll Achtung vor den Menschenrechten vermitteln. Rechtsstaatlichkeit ist in den Menschenrechten unmittelbar angelegt. Sie kann die in der jeweiligen Verfassung verankerten Grund- und Bürgerrechte, die Rolle und Funktionsweise des Justizsystems und der Gewaltenteilung weitergeben. Dieses Ziel hat somit eine direkte Relevanz für Rechtsstaatlichkeit.
  3. Bildung soll Achtung vor anderen Kulturen und Toleranz vermitteln. Darin ist angelegt, dass Rechtsstaatlichkeit allen dient, etwa auch religiösen oder anderen Minderheiten.

Bildungssysteme weltweit haben großen Nachholbedarf bei der Erreichung dieser Ziele. Viele staatliche Systeme und religiös affiliierte Schulen wenden einseitige Bildungskonzepte an. Diese verhindern, dass Kinder ihre Potentiale zur vollen Entfaltung bringen und sich daher nur begrenzte Perspektiven erschließen können. Nicht zufällig haben viele Teilnehmer der oben beschriebenen Proteste Koranschulen besucht. Die Achtung der Menschenrechte, deren praktische Einübung etwa durch partizipative Unterrichtsgestaltung sowie der Respekt vor anderen Kulturen spielen in den Lehrplänen der staatlichen und der Koranschulen in Pakistan und anderswo häufig eine untergeordnete oder gar keine Rolle.

Die Perspektiven von Kindern sind unerlässlich

Bildungssysteme, die sich nicht konsequent an den Zielen der Kinderrechtskonvention ausrichten, lassen Kinder selbst nicht zu ihrem Recht kommen. Sie untergraben vielmehr langfristig und strukturell das Vertrauen in und die Akzeptanz von rechtsstaatlichen Verfahren. Die Bundesregierung sollte mit ihrer Strategie zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit daher unter anderem hier ansetzen.

Doch Reformen von Bildungssystemen erfordern ein lokal angepasstes Vorgehen. Von deutschen Akteuren geförderte bzw. durchgeführte Programme sollten deshalb mit den Kindern und den zuständigen Regierungen gemeinsam erkunden, welche Potentiale ihre jeweiligen Systeme noch nicht ausgeschöpft haben und wie sie weiterentwickelt werden können, um ihre Ziele besser zu erreichen. Gemeinsame Evaluierungen können eine Grundlage schaffen, auf der Bildungssysteme schrittweise reformiert werden. Gleichzeitig bieten sie die Möglichkeit,  über die Ergebnisse sowohl im lokalen als auch im internationalen Kontext zu kommunizieren und sie mit Erkenntnissen aus anderen Ländern zu vergleichen.

Die Perspektiven von Kindern stellen hierbei die Relevanz solcher Lernprozesse sicher und sind daher essentiell: Kinder erleben ihre Bildungssysteme in der täglichen Praxis. Ihre Erfahrungswerte sind damit unerlässlich, um Lücken und Potenziale zu erkennen. Die Partizipation von Kindern in einem Lernprozess ist selbst schon angewandte Rechtsstaatsförderung, weil Bürgerbeteiligung zu den Grundlagen der Rechtsstaatlichkeit gehört. Kinder können so lernen, was Beteiligung ausmacht, wie sie funktioniert und was das für sie selbst bedeutet. Kinder haben ein Recht darauf, in den Belangen, die sie betreffen, gehört zu werden. Das gilt sowohl für den Bildungssektor als auch für den Rechtsstaat insgesamt.

Wenn die Kinderrechtskonvention in der Entwicklung staatlicher Curricula, in der Ausrichtung der pädagogischen Ausbildung und in der Gestaltung des Unterrichts die Richtung vorgibt, trägt das zur Entwicklung der notwendige Akzeptanz von Rechtsstaatlichkeit zumindest bei kommenden Generationen bei. Kinder und Jugendliche, die an menschenrechtlich orientierten Bildungsangeboten teilhaben, können eher dazu beitragen, dass eine breite Akzeptanz von Rechtsstaatlichkeit entsteht, das Vertrauen in den Rechtsstaat wächst und sein Wert für alle nachvollziehbar und erfahrbar wird

Debatten

in Zusammenarbeit mit dem RSF-Hub der Freien Universität Berlin

Jugend in Konflikten Rechtsstaatsförderung

David Kowertz

David Kowertz ist der Programme Manager South Asia bei der Kindernothilfe e.V.

Christine Idems

Christine Idems ist die Managerin für Humanitarian Assistance bei der Kindernothilfe e.V.