Waffenexporte stoppen, um Frauenrechtler*innen zu schützen: Für eine kohärente deutsche Außenpolitik 11. Juni 2020 · Anna von Gall Die Bundesregierung hat sich im VN-Sicherheitsrat für die Bekämpfung sexualisierter Gewalt in Konflikten eingesetzt. Dafür ist die Arbeit lokaler Aktivist*innen unerlässlich – diese werden aber im Jemen von Konfliktparteien angegriffen. Deutschland sollte deshalb Waffenexporte an Drittstaaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate stoppen, die dort Menschenrechte verletzen. Debatten Frauen, Frieden & Sicherheit Impulse für den dritten Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung Wie bereits im Beitrag von Toni Haastrup und Miriam Mona Müller auf diesem Blog beschrieben, sollte die Bundesregierung im Rahmen einer nachhaltigen und glaubhaften Umsetzung der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger*innen unterstützen. Dieser Beitrag soll nun aufzeigen, welche Konsequenzen Deutschlands wirtschafts- und sicherheitspolitische Entscheidungen auch indirekt für Aktivistinnen haben können und welche Rolle hier Rüstungskontrolle und Rüstungsexportpolitik spielt. Kurz gesagt ist es kontraproduktiv, wenn einerseits Projekte für Aktivist*innen gefördert werden, Resolutionen zur Bekämpfung von sexualisierter Gewalt vorangetrieben werden und andererseits Waffen in Drittstatten geliefert werden, die in Konfliktgebieten Menschenrechtsverletzungen verüben. Deutschland muss eine kohärente Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik verfolgen, welche die Handlungsspielräume für Menschenrechtsverteidiger*innen nicht gefährdet. Resolution 2467: trotz Kontroversen ein wichtiges Instrument, um sexualisierte Gewalt in Konflikten zu bekämpfen Gewalttätiger Extremismus, Menschenhandel und Terrorismus, Fluchtbewegungen oder fehlende Abrüstung sind mehr denn je Treiber von sexualisierter Gewalt. Unter deutschem Vorsitz hat im April 2019 der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine neue Resolution (VNSR 2467) zu konfliktbezogener sexualisierter Gewalt verabschiedet. Diese gilt als eine der acht Folgeresolutionen der VNSR 1325 (Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit). Es gab viel Kritik an dieser Resolution: Zum einen, weil VNSR 1325 und ihre Folgeresolutionen von den Mitgliedstaaten seit nun fast 20 Jahren nicht ausreichend umgesetzt werden. Zum anderen, weil VNSR 2467 – unter Androhung der USA, Russlands und Chinas ein Veto einzulegen – ein Kompromiss ist: Aspekte zu sexuellen Identitäten, reproduktiven und sexuellen Rechten sowie zu Frauenrechtsverteidiger*innen wurden aus der Resolution gestrichen. Viele Frauenrechtsaktivist*innen waren daher besorgt, dass diese neue Resolution keine Wirkung haben wird oder sogar das bisher Erreichte verwässern wird. Dennoch ist die VNSR 2467 auch in ihrer jetzigen Form eine Ansage, sich weiter für Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen und die Bedürfnisse der Überlebenden in den Fokus zu stellen. Darüber hinaus ist die Resolution ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung von konfliktbezogener sexualisierter Gewalt durch staatliche und nicht-staatliche Akteur*innen. Gewalttätiger Extremismus, Menschenhandel und Terrorismus, Fluchtbewegungen oder fehlende Abrüstung sind mehr denn je Treiber von sexualisierter Gewalt. Strafverfolgungen laufen ins Leere, Betroffene bekommen unzureichende Unterstützung. All das wurde in der neuen VNSR 2467 aufgenommen. Deutschland ist auf lokale Partnerorganisationen für Konfliktanalyse angewiesen Warum ist es inkonsequent die Straflosigkeit sexualisierter Gewalt einerseits bekämpfen zu wollen und andererseits Kriegswaffen z.B. an Kriegsparteien und deren Partner im Jemen-Konflikt zu beliefern? Gerade bei sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt, die als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt werden, ist es wichtig, die Taten an sich zu dokumentieren und die dazugehörigen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Kontexte zu verstehen. Außerdem müssen geschlechtssensible Konfliktanalysen durchgeführt und – wie auch in der VNSR 2467 gefordert – den Betroffenen ausreichend Unterstützung garantiert werden. Für diese Tätigkeiten ist die Arbeit von Frauenrechtsverteidiger*innen unerlässlich. Lokale Bewegungen spielen eine wichtige Rolle dabei, den Zugang zu Rechtsmitteln zu verbessern, indem sie den Betroffenen Schutz gegen Stigmatisierung und Verfolgung bieten und diese so ermächtigen, als Zeug*innen aufzutreten. Auch haben sie Zugang zu den nötigen Informationen, um – möglicherweise in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen aus dem Globalen Norden – internationale Mechanismen zu nutzen. Sexualisierte Gewalt als geschlechtsspezifische Gewalt hat viele Formen und kann nicht mit einer universell gültigen Methodik bekämpft werden. Sexualisierte Gewalt als geschlechtsspezifische Gewalt hat viele Formen und kann nicht mit einer universell gültigen Methodik bekämpft werden. Es gilt vielmehr, die spezifische Situation vor Ort zu verstehen: Wie verhalten sich die Geschlechter im Alltag zueinander? Wie wirkt sich ein Konflikt auf die unterschiedlichen Geschlechter und auf Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung aus? Diese Fragen können nicht allein von Menschenrechtsorganisationen und Ermittlungsbehörden aus dem Globalen Norden beantwortet werden. Sie können und sollten gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen gestellt und beantwortet werden. Denn nur wenn die Strukturen im Land verstanden werden, kann der Einsatz von bestimmten Gewaltformen verstanden werden. Frauenrechtsverteidiger*innen sind im Jemen Ziel von Unterdrückung – durch alle Konfliktparteien Der Fall Jemen zeigt, was es für verheerende Wirkungen haben kann, wenn z.B. ein Militär mit Rüstungsgütern aus Europa beliefert wird. Dort wird geschlechtsspezifische Gewalt verstärkt gegen weibliche Aktivistinnen, Journalistinnen, Mitarbeiterinnen von Frauenberatungsstellen oder Frauenrechtsverteidigerinnen eingesetzt. Neben einem Anstieg von geschlechtsspezifischer Gewalt werden dadurch auch jene Strukturen zerstört, die eine Aufarbeitung solcher Taten unmöglich machen. Denn diese Gruppen sind für die Sammlung von Zeug*innenaussagen und der Betreuung von Überlebenden sexualisierter Gewalt sehr wichtig. “The thing that really annoyed them was my work on women’s rights. They told me to stop, and harassed me and then arrested me. There were days of constant interrogations, blackmail, accusations of prostitution and threats against my family. It was emotionally painful and exhausting. One evening the armed guard came. She called me a ‘bad girl’ whilst she stripped me naked and sexually assaulted me whilst I cried. It was the longest and worst night of my life.” Women’s rights defender, Auszug aus dem 2. Bericht der Group of Eminent International and Regional Experts on Yemen, 2019 Die „Group of Eminent International and Regional Experts on Yemen” (GEE) kommt in ihrem zweiten Bericht zu dem Schluss, dass alle Parteien in dem Konflikt insbesondere Frauenrechtsverteidiger*innen unterdrücken – unabhängig davon, für welche Seite sie kämpften. Spätestens seit 2017 ist das lokale Unterstützungsnetzwerk für Betroffene von sexualisierter Gewalt komplett zusammengestürzt. Die de-facto-Regierung in Sanaa erteilt keine weiteren Genehmigungen für Projekte zum Schutz und zur Sensibilisierung geschlechtsspezifischer Gewalt. Außerdem bedroht, belästigt und inhaftiert diese Regierung Mitarbeiter*innen von solchen Unterstützungsnetzwerken und beschuldigt sie der Prostitution. Die GEE hat in diesem Zusammenhang ebenfalls Berichte von bewaffneten Gruppen aus den von unter anderen den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) kontrollierten Gebieten erhalten, die Mitarbeiter*innen von Beratungsstellen schikanieren. Darüber hinaus hat die GEE die Beteiligung der Streitkräfte der Vereinigten Arabischen Emirate an sexualisierter Gewalt gegen Häftlinge in Geheimgefängnissen im Süden des Landes verifiziert. Ein juristischer Aufarbeitungsprozess scheint somit auch auf Grund der extrem schwierigen Lage der Frauenrechtsverteidiger*innen, die solche Fälle aufarbeiten und dokumentieren könnten, kaum möglich. Deutsche Waffenexporte gefährden die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger*innen Die Bundesregierung riskiert außerdem ihre eigenen Ziele im Kampf gegen sexualisierte Gewalt zu untergraben, wenn sie Waffenlieferungen genehmigt, die für Kriegsverbrechen oder Menschenrechtsverletzungen benutzt werden könnten. Zwar tut Deutschland gut daran, zumindest bis Ende 2020 keine weiteren Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zu genehmigen. Laut Amnesty International erhält jedoch auch das Militär der Vereinigten Arabischen Emirate von westlichen Staaten und anderen Ländern Waffenlieferungen in Milliardenhöhe, um diese dann an Milizen im Jemen weiterzuleiten. Wie hier beschrieben, nutzten die Vereinigten Emirate diese nicht nur defensiv. Die VAE müssen sich den Vorwürfen der Verletzung humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte stellen. Der Bericht der GEE zur Situation im Jemen zeigt umfassend, wie bis Juni 2019 alle Konfliktparteien Repressionen gegen Menschenrechtsverteidiger*innen einsetzten. Diese sind aber für eine umfassende Aufarbeitung aller Völkerrechtsverbrechen in der Region unerlässlich. Deutschland läuft somit Gefahr, nicht nur gegen den Gemeinsamen Standpunkt der Europäischen Union für Rüstungsexporte, gegen die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern und gegen den internationalen Waffenvertrag zu verstoßen. Die Bundesregierung riskiert außerdem ihre eigenen Ziele im Kampf gegen sexualisierte Gewalt zu untergraben, wenn sie Waffenlieferungen genehmigt, die für Kriegsverbrechen oder Menschenrechtsverletzungen benutzt werden könnten. Damit dem ein Ende gesetzt wird, sollte die Bundesregierung folgende Empfehlungen im dritten deutschen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung von Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit bedenken. Auf Rüstungsexporte verzichten und geschlechterspezifische Analysen berücksichtigen Die Bundesregierung sollte anerkennen, dass lokale Bewegungen eine wichtige Rolle darin spielen, den Zugang zu Rechtsmitteln für Betroffene zu verbessern, da sie Schutz gegen Stigmatisierung und Verfolgung bieten und Betroffene ermächtigen, als Zeug*innen aufzutreten. Sie sollte deshalb in ihrem dritten Nationalen Aktionsplan berücksichtigen, dass es den oben geschilderten Zusammenhang zwischen deutschen Waffenexporten und gewalttätigen Konflikten sowie sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt gibt und auf einen kompletten Rüstungsexportstopp in Drittländer hinarbeiten. Die Bunderegierung sollte sich konsequent für eine (präventive) Rüstungskontrolle einsetzen. Inzwischen fordern und führen nicht nur die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs Genderanalysen durch. Insbesondere die aktuellsten internationalen Ermittlungsgruppen der Vereinten Nationen, wie der unabhängige Mechanismus für die Ermittlung von schweren Verbrechen in Syrien (IIIM) oder die GEE im Jemen, haben eine spezielle Methodik zur Berücksichtigung des geschlechtsspezifischen Aspektes entwickelt, viele lokale Organisationen konsultiert und letztlich umfassende Passagen geschlechtsspezifischer Aspekte in ihre Berichte aufgenommen. Sofern Verfahren von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt in Konflikten vor deutschen Gerichten geführt werden, sollte auch die Generalbundesanwaltschaft bei den Ermittlungen geschlechtsspezifische Konfliktanalysen berücksichtigen. Dies könnte für das gerade begonnene Verfahren gegen zwei ehemalige syrische Funktionäre des Allgemeinen Geheimdienstdirektorats von Präsident Baschar al-Assad in Deutschland von wesentlicher Bedeutung sein. Es bestünde dann die Möglichkeit, die „root causes“ oder Beweggründe von sexualisierter Gewalt in den konkreten gesellschaftlichen Kontext einbetten zu können und die dahinter liegenden strukturellen Diskriminierungen zu erkennen. Dieser Ansatz wurde auch mehrfach in der VNSR 2467 betont. Deutschland sollte einen solchen Ansatz ernst nehmen und auch in der Kontextanalyse eines Konfliktes, insbesondere wenn es um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht, einfließen lassen. Debatten Frauen, Frieden & Sicherheit Impulse für den dritten Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung Menschenrechte Frauen Yemen Anna von Gall Anna von Gall ist Juristin und Expertin für Frauen, Frieden und Sicherheit. @GallVon
Artikel Frauen an den Verhandlungstisch? Ja, aber nicht als Pflichtübung Eine breite Beteiligung an Friedensprozessen ist wichtig, um Konfliktursachen anzugehen und Frieden nachhaltiger zu gestalten. Deutschland sollte sich für kontextspezifische Inklusion einsetzen, die Verhandlungspartner_innen nicht auf einzelne Identitätsmerkmale reduziert: Das Ziel sollte immer die Transformation der Beziehungen zwischen verfeindeten Akteuren sein. Andreas Hirblinger, Dana Landau • 04. Mai 2020
Artikel More Women, More Peace: Opportunities at the EU Level The upcoming German EU Council presidency provides the opportunity to advance the women, peace, and security agenda at the EU level. The German government should seize this chance by advocating for formal Council conclusions, setting up a dedicated Council Working Group, and organizing a High Level Ministerial Conference on women, peace, and security. Hannah Neumann • 22 April 2020
Artikel Protecting Women Human Rights Defenders: Leveraging the German-African Union Partnership To link human rights mechanisms to the agenda on Women, Peace, and Security, Germany should reinforce its support to the African Union’s engagement in peace and security. Building on existing African women’s mediator and leadership networks, Berlin should dedicate funds to the work of women human rights defenders and the development of a database highlighting their efforts and challenges. Toni Haastrup, Miriam Mona Müller • 24 March 2020