Frauen an den Verhandlungstisch? Ja, aber nicht als Pflichtübung

04. Mai 2020   ·   Andreas Hirblinger, Dana Landau

Eine breite Beteiligung an Friedensprozessen ist wichtig, um Konfliktursachen anzugehen und Frieden nachhaltiger zu gestalten. Deutschland sollte sich für kontextspezifische Inklusion einsetzen, die Verhandlungspartner_innen nicht auf einzelne Identitätsmerkmale reduziert: Das Ziel sollte immer die Transformation der Beziehungen zwischen verfeindeten Akteuren sein.

Friedensmediation folgt scheinbar stets dem gleichen Muster: Eine kleine Anzahl von politischen und militärischen Führungspersönlichkeiten trifft sich im kleinen Kreis und hinter verschlossenen Türen. Die Grundlagen einer neuen politischen Ordnung sollen verhandelt und so der bewaffnete Konflikt beigelegt werden. Nach einem langwierigen Prozess wird das daraus resultierende Friedensabkommen bei einer feierlichen Zeremonie unterzeichnet. Anschließend folgt der Fototermin: Händeschütteln vor der nationalen und internationalen Presse. So lässt zumindest die Berichterstattung zu den Friedensverhandlungen für Afghanistan, Libyen oder Südsudan vermuten. Allerdings lassen sich viele Mediator_innen auch gerne mit Vertretern der Zivilgesellschaft oder Frauengruppen ablichten. Dies soll demonstrieren, dass die Ergebnisse des Friedensprozesses von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen werden.

Inklusion trägt zu nachhaltigerem Frieden und der Adressierung von Konfliktursachen bei

 „Inklusion“ gehört heute zum guten Stil von Friedensverhandlungen: eine breite Beteiligung von Interessensvertreter_innen jenseits der unmittelbaren Konfliktparteien wird als guter Standard erachtet.* Bereits 2012 benannte die Handreichung der Vereinten Nationen für effektive Friedensmediation Inklusivität als einen von acht „Mediationsgrundsätzen“. Inklusivität ist dann gewährleistet, wenn die Perspektiven und Bedürfnisse der Konfliktparteien und anderer Interessenvertreter_innen in den Verhandlungen und ihren Ergebnissen berücksichtig werden. Durch Inklusivität können die Ursachen des Konflikts besser adressiert werden, so die Annahme der Handreichung. Darauf folgte eine Vielzahl von Empfehlungen, Erklärungen und Resolutionen, durch welche Inklusion – also die Beteiligung diverser Akteure, mit dem Ziel ihre Perspektiven und Bedürfnisse zu berücksichtigen – ein zentrales Thema in den internationalen Policy-Debatten um Mediation wurde. Es ist deswegen nicht verwunderlich, dass der Aktionsplan 2017–2020 zu Frauen, Frieden und Sicherheit der Bundesregierung ebenfalls die Förderung einer „inklusiven Gestaltung“ von Friedens- und Transformationsprozessen empfiehlt. Auch wissenschaftliche und praxisorientierte Studien haben für den Trend zur inklusiven Friedensmediation in den letzten Jahren entsprechende Nachweise geliefert. Sie stellen beispielsweise fest, dass eine Beteiligung der Zivilgesellschaft zu einem nachhaltigeren Frieden führt, der als legitimer wahrgenommen wird, oder, dass die Beteiligung von Frauen die durchschnittliche Dauer bis zur Rückkehr zu bewaffneter Gewalt verlängert und zu einem qualitativ besseren Frieden beiträgt.

Inklusion steht im Spannungsfeld zwischen normativen Verpflichtungen und den praktischen Bedarfen von Friedensprozessen

In der Praxis besteht jedoch die Gefahr, dass Inklusion und Inklusivität leere Schlagwörter bleiben, die gebetsmühlenartig von Diplomat_innen, Botschafter_innen oder Mediator_innen wiederholt werden. Der Ruf nach Inklusivität hat dazu geführt, dass viele Mediator_innen die Beteiligung der Zivilgesellschaft und anderer Interessenvertreter als Pflichtübung wahrnehmen – beispielsweise wenn ein inklusiver Ansatz in den Mandaten des VN-Sicherheitsrats verankert wird. Aus unseren Recherchen geht hervor, dass viele dies als Ablenkung von der Hauptaufgabe der Friedensmediation wahrnehmen, welche sich der Beilegung der Gewalt widmet, und deshalb vor allem auf bewaffnete Akteure fokussiert sein sollte. Die oben erwähnten Fototermine sind hierfür ein gutes Beispiel. Auch auf dem New Yorker Parkett der Vereinten Nationen mehren sich die skeptischen Stimmen, und es droht ein „Backlash“ von Mitgliedsstaaten, die durch den Trend zur Inklusion das Primat der staatlichen Souveränität bedroht sehen.

Zusätzlich ziehen viele Mediator_innen pragmatische Ansätze der Inklusion nach einem festen Schema vor, da diese eine kontextabhängige Einbindung von relevanten Interessensvertreter_innen erlauben. Dies mag erklären, warum die Zivilgesellschaft oftmals weiterhin außen vor bleibt. Es gibt also ein Spannungsfeld zwischen den normativen Verpflichtungen, wie sie in nationalen und internationalen Leitlinien formuliert sind, und den praktischen, kontextabhängigen Bedarfen einzelner Prozesse. Deswegen ist es wichtig, genauer hinter den Begriff „Inklusion“ zu schauen und zu klären, wo, wann und wie Inklusion einen Beitrag zur friedlichen Konfliktbeilegung leisten kann. Auf dieser Grundlage kann nicht nur ein nuancierter Ansatz für inklusive Friedensmediation entworfen werden. Auch die notwendigen Kapazitäten für die Umsetzung eines solchen Ansatzes können erst dann geschaffen werden.

Inklusion ist sinnvoll, wenn sie Teil eines transformativen Prozesses ist

Inklusion kann aus unterschiedlichen Beweggründen heraus sinnvoll sein und wird strategisch eingesetzt, um diese zu erzielen. Dies verdeutlicht unsere systematische Durchsicht wesentlicher internationaler Policy-Dokumente und Interviews mit Mediator_innen, die wir in den Dialog mit der wissenschaftlichen Forschung zu Friedensprozessen gebracht haben. Diese Beweggründe ergeben sich aus dem normativen Rahmenwerk, wie es von dem VN-Sicherheitsrat, der Generalversammlung und dem Generalsekretär formuliert wurde. Sie lassen sich ebenso in den zahlreichen Handreichungen für Mediator_innen finden und spiegeln sich in der Mediationspraxis wider:

Erstens wird Inklusion als Mittel betrachtet, Friedensprozesse auf eine breitere Basis zu stellen. Dadurch lässt sich die politische Befürwortung und Legitimität der Prozesse und ihrer Ergebnisse im Vergleich zu exklusiven Deals zwischen bewaffneten Gruppen erhöhen.

Darüber hinaus hat in den letzten Jahren eine zweite Überlegung an Prominenz gewonnen, insbesondere im Zuge der Umsetzung von Resolution 1325 zu Frauen, Frieden, Sicherheit: Die Beteiligung an Friedensprozessen kann benachteiligten und vulnerablen Bevölkerungsgruppen dienen, ihre Stellung in der Nachkriegsgesellschaft und -politik zu stärken und ihre Schutzbedürfnisse besser zu decken. Dieser Ansatz wird vor allem mit Hinblick auf die Beteiligung von Frauen verfolgt.

Drittens kann Inklusion auch Teil eines transformativen Prozesses sein, wenn sie einen relationalen Ansatz verfolgt. Gewaltsame Konflikte sind die Folge von antagonistischen Beziehungen, die in gesellschaftlichen und politischen Machtverhältnissen begründet sind. Eine relational angedachte Inklusion zielt auf die Beteiligung von Akteuren ab, die einen Anteil an diesen antagonistischen Beziehungen haben. Ihr Ziel ist es, diese in agonistische (d.h. in von friedlicher Rivalität charakterisierte) Beziehungen umzuwandeln.

Effektive Inklusion umzusetzen erfordert Fingerspitzengefühl, Geduld und kontextspezifische Kenntnisse

In der Praxis lassen sich die unterschiedlichen Zielsetzungen jedoch nur schwierig umsetzen oder gar vereinen. Zunächst ist der schnelle Ruf nach einer breit angelegten Inklusion zur Legitimitierung von Prozessen sehr kompliziert zu operationalisieren: Viele Resolutionen, Handreichungen und Mandate fordern pauschal die Einbindung aller relevanten „Akteure“ oder „Stimmen“, oder der Zivilgesellschaft. Um eine breite Beteiligung der oft heterogenen Bevölkerung zu ermöglichen, ist jedoch viel Fingerspitzengefühl, Geduld und eine genaue Kenntnis des Landeskontexts notwendig. Auch ein mangelnder Zugang zu und unzureichende Ressourcen für die Sammlung und Analyse von Daten spielen hier eine Rolle.

Die Beteiligung spezieller Interessenvertreter_innen, ausgewählt anhand eines bestimmten Identitätsmerkmals, wie etwa dem Geschlecht, bringt in der Praxis zahlreiche Fallstricke und Nachteile mit sich. So mögen beispielsweise weibliche Verhandlungsteilnehmerinnen sich selbst nicht in der Lage sehen, für alle Frauen zu sprechen. Auch führt der Fokus auf ein einzelnes Identitätsmerkmal dazu, dass andere wichtige Assoziationen ausgeblendet werden, die das Verhalten der Teilnehmerin am Verhandlungstisch mitbeeinflussen können. Manche Beobachter sprachen deswegen im Syrienkonflikt von „Regimefrauen“, welche zivilgesellschaftliche und feministische Belange nur unzureichend vertraten. Schließlich führt eine Auswahl von Teilnehmer_innen anhand einzelner Identitätsmerkmale wie Geschlecht, Religion oder ethnischer Zugehörigkeit zu einem Kampf um die Sitze am Verhandlungstisch, deren Anzahl zwangsweise begrenzt ist.

Ein relationaler Inklusionsansatz ist oft deswegen schwer umzusetzen, weil dafür ausreichende Kapazitäten für die Analyse und Umsetzung der Maßnahmen erforderlich sind. Die Konfliktlinien verlaufen oft entlang mehrerer Identitätsmerkmale, welche die Interessen und Haltungen der Konfliktparteien und ihrer Anhänger_innen definieren. Die Gewebe antagonistischer Beziehungen sind komplex. Relationale Inklusion sollte deswegen nicht nur am Verhandlungstisch erfolgen, sondern auch durch eine Vielzahl anderer Beteiligungsformate, wie Reform- und Wahrheitskommissionen, durch die der Wandel von Antagonismus zu Agonismus gelingen kann. Allerdings wird eine solche Inklusion mit Fingerspitzengefühl nicht nur durch mangelnde Kapazitäten erschwert, sondern auch durch eine „Box-ticking“-Mentalität, die durch den starken Fokus auf einzelne Interessenvertreter_innen in den letzten Jahren entstanden ist. In der Praxis hingegen zeigt sich, dass der Fokus auf die unterschiedlichen (und oft vielfachen) Konfliktlinien an einem Verhandlungsprozess unermesslich ist, da nur so eine längerfristige Transformation des Konflikts erreicht werden kann.

Deutschland sollte sich für kontextspezifische, transparente und langfristig ausgerichtete Inklusion einsetzen

Deutschland sollte sich dafür einsetzen, dass Inklusion in Friedensprozessen nicht nach einer Standardformel, sondern stets kontextspezifisch geplant und umgesetzt wird. Insbesondere essentialisierende Inklusionansätze, die in den letzten Jahren in Bezug auf die Teilnahme von Frauen und Jugendlichen zu beobachten waren, sollten vermieden werden, um einen "Wettkampf" am Verhandlungstisch zu vermeiden. In konkreten Friedensprozessen sollten die Mediator_innen die Ziele und Zielgruppen der Inklusion klar artikulieren, damit diese einen Beitrag zum Friedensprozess leisten können. So lassen sich mögliche Spannungsfelder und Zielkonflikte frühzeitig erkennen. Zudem sollten die Inklusionsbemühungen längerfristig stets auf die Transformation der antagonistischen Beziehungen abzielen, die gesellschaftlichen und politischen Machtverhältnissen zugrunde liegen und potenziell zu Gewalt führen können. Hierfür muss der Einbezug von unterschiedlichen Interessen und Haltungen im Vordergrund stehen, nicht die Präsenz von Vertreter_innen einzelner Gruppen am Verhandlungstisch. Um die Anwendung dieser Ansätze zu ermöglichen, sollten das Auswärtige Amt und deutsche Mediationsorganisationen ihre Kapazitäten zur Akteurs- und Konfliktanalyse stärken und die Entwicklung von Analysewerkzeugen, die unterschiedliche Interessen abbilden können, vorantreiben.


*Die Begriffe „Inklusion“ (Inclusion) und „Inklusivität“ (Inclusivity), wie sie im Kontext der Friedensmediation verhandelt werden, unterscheiden sich in ihrem Verständnis von der Verwendung in anderen Feldern, wie etwa der Schulbildung. Zwar ist in der Friedensmediation mit Inklusion häufig auch die Beteiligung von Benachteiligten oder vulnerablen Gruppen gemeint. Wie unser Beitrag zeigt, wird der Begriff jedoch breiter und heterogener verwendet. 

Mediation Friedensförderung Frauen

Andreas Hirblinger

Dr. Andreas Hirblinger ist Forscher am Centre on Conflict, Development and Peacebuilding (CCDP), Graduate Institute of International and Development Studies, Genf. Er befasst sich mit Wissenproduktion in Friedensprozessen, insbesondere im Zusammenhang inklusiver Mediation und Digitalisierung. @hirblinger

Dana Landau

Dr. Dana Landau ist Forscherin bei der schweizerischen Friedensstiftung swisspeace und lehrt an der Universität Basel. Sie forscht zu Mediation, Friedensförderung, und Minderheitenrechten, unter anderem im Balkan. @DanaMLandau