Geht es ohne „Zwang“? Mit Verbindlichkeit in der Klimapolitik Frieden sichern

02. März 2021   ·   Stefan Kroll

Klimasicherheitsrisiken können nur durch Anpassung und Emissionsminderung überwunden werden. Damit diese Ziele eingehalten werden, muss auf die Verbindlichkeit der Maßnahmen zwischen Staaten gedrungen werden. Dazu sollte die Bundesregierung im Rahmen der UN-Klimakonferenzen Review-Prozesse stärken und da, wo ein kooperativer Ansatz nicht ausreicht, Sanktionen unterstützen.

Wie viel „Zwang“ benötigt der Frieden? Wieviel verträgt er? Diese Forschungsfragen aktueller Friedensforschung stellen sich auch im Hinblick auf den Zusammenhang von Klimawandel, Sicherheit und Konflikt. Es soll dabei nicht um physischen Zwang gehen, sondern um die Frage, wie die Verbindlichkeit und die Bindungswirkung zwischen den Staaten vereinbarter Normen und Ziele durch politische, rechtliche und ökonomische Instrumente erhöht werden kann. Klimaveränderungen sind schon jetzt ein Risiken verstärkender Faktor für Konflikte und das Wissen verdichtet sich, dass dieser Effekt zunehmen wird. Im Zuge dieser Beobachtungen ist es unvermeidbar, dass Klimaveränderungen verstärkt als Sicherheitsrisiken behandelt werden. Dabei sind die Risiken einer solchen Versicherheitlichung und insbesondere auch Militarisierung der Klimapolitik in der politischen Praxis zu berücksichtigen und zu vermeiden. Zugleich stellt sich die Frage, wie die Verbindlichkeit der Einhaltung internationaler und nationaler Ziele der Emissionsminderung und Klimaanpassung erhöht werden können. Angesichts des steigenden Konfliktrisikos durch Klimaveränderungen müssen die Staaten überprüfen, ob das Maß an Zwang in den internationalen Beziehungen ausreichend ist, den Frieden zukünftig zu sichern –  wissend, dass ein Übermaß an Zwang selbst Widerstände und Konfliktgründe hervorrufen wird.

Verbindliche Klimamaßnahmen im Sicherheitsrat diskutieren

Die deutsche Initiative, das Verhältnis von Klimawandel und Sicherheit in den Jahren 2019 und 2020 im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen stärker zu verankern, ist auch vor diesem Hintergrund einzuordnen. Ein Schwerpunkt dieser Initiative war es, Mechanismen anzustoßen, die das Wissen über den Zusammenhang von Klimawandel und Sicherheit erhöhen: welches sind die Ansatzpunkte für klimasensitive Prävention, Früherkennung und Reaktion? Die Verankerung einer Klimasicherheits- oder besser Klimafriedenspolitik im Sicherheitsrat hat aber auch eine symbolische Funktion. Für die Bundesregierung, um sich anhand eines Themenfeldes zu profilieren, in dem Deutschland nach wie vor Glaubwürdigkeit besitzt. Aber vor allem für das Thema Klimafriedenspolitik selbst, das hierdurch eine größtmögliche globale Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit erfahren soll. Eine Frage allerdings, die in den vergangenen beiden Jahren nicht intensiv genug diskutiert wurde, ist auch hier die des Zwangs. Dabei liegt diese Frage gerade im Falle des Sicherheitsrats auf der Hand – der Sicherheitsrat ist das zentrale Forum zur Bearbeitung internationaler Sicherheitsfragen und darüber hinaus befugt, über Zwangsmaßnahmen zu entscheiden.

Die Gründe dafür, dass die Frage des Zwangs nicht prominent diskutiert wurde, sind allerdings klar. Bezogen auf den Sicherheitsrat ging es zunächst einmal darum, angesichts der Widerstände Chinas und Russlands sowie der Vereinigten Staaten während der Trump-Präsidentschaft, überhaupt für die systematische Verankerung einer Klimafriedenspolitik zu werben. Mit Blick auf den Sicherheitsrat und seine Möglichkeiten ist es aber wichtig, frühzeitig eine Strategie zu entwickeln, die zwingende Instrumente einbezieht und kritisch reflektiert. Dies besonders vor dem Hintergrund, dass Außenminister Heiko Maas den Klimawandel selbst als Element beschrieb, das zur Handlung zwingt: „physical, chemical and geographical realities of global warming will not compromise with us“. Es ist natürlich klar, dass eine multilaterale Klimafriedenspolitik immer auch Aushandlungsprozesse und Kompromisse einschließen wird.

Das notwendige und zum Glück immer weiter anwachsende Wissen um die naturwissenschaftlichen Prozesse der Veränderung des Klimas, das in den Aussagen des Außenministers deutlich wird, stellt für sich jedoch noch keine Antwort auf die damit verbundenen politischen Herausforderungen dar. Die Politikberatung benötigt hier Natur- und Sozialwissenschaften als Bezugswissenschaften und im besten Fall – und dafür stehen weite Teile der Klimawissenschaften – ein Zusammenwirken der beiden. Wenn sich das Wissen um die Konfliktrisiken des Klimawandels weiter in der zu erwartenden Weise verdichtet, ist dies eine wichtige legitimierende Grundlage für ein engagierteres Vorgehen und das konsequente Einfordern von verbindlichen Zusagen. Im Sicherheitsrat, aber auch darüber hinaus.

Verbindlichkeit schaffen: Auch auf informelle Übereinkommen setzen

An dieser Stelle ist es notwendig, die Perspektive über den unmittelbaren Bereich der Klimasicherheit hinaus zu weiten. Wie eingangs festgestellt, geht es auch bei einer Klimafriedenspolitik nicht zuletzt um die Einhaltung von Emissionszielen. In diesem Zusammenhang ist der Ansatz des Pariser Klimaabkommens, das als rechtsverbindlicher Vertrag auch nicht-bindende Elemente enthält, von großer Relevanz. Zumindest in diesen Teilelementen entspricht das Abkommen einem Trend zur „Informalisierung“ bzw. zur Verwendung von „Soft Law“, das in der jüngeren Vergangenheit oft in Übereinkommen zur Anwendung kam, die inhaltlich umstritten sind. Informalität ist dabei eine Möglichkeit, ein innovatives Vorgehen in einem Kontext umzusetzen, in dem hohe Widerstände gegen Formalität und „harte“ Rechtsverbindlichkeit bestehen. Dies ist ein Potential von „Informalität“, das die Staaten auch weiterhin zur Normsetzung nutzen sollten. Zugleich müssen aber Mechanismen verstärkt werden, die auf die Bindungswirkung informeller Normen hinwirken. Diese sind neben dem Monitoring und der Evaluation auch die Bereitschaft über eben jene Normen Konflikte auszutragen und auch Sanktionsstrategien zu entwickeln.

Die Verwendung informeller Formate, insbesondere der Verzicht auf Rechtsverbindlichkeit, kann ganz unterschiedliche Gründe haben, die den eigentlichen Willen, sich an ein Ziel oder eine Norm zu binden, gar nicht beeinträchtigen. Die Praxis von inzwischen drei amerikanischen Präsidenten, per Verordnung dem Pariser Klimaabkommen bei- beziehungsweise aus ihm auszutreten, illustriert dies, da unter Umgehung innenpolitischer Widerstände eine internationale Verpflichtung eingegangen, aufgegeben und wieder eingegangen wurde. Es ging hier aber stets um den Willen sich zu binden bzw. zu entbinden. Insbesondere in der Debatte um informelles internationales Recht wird deutlich, dass das Fehlen eines formellen Prozesses oder traditionellen Rechtsdokuments keineswegs damit einhergeht, dass es nicht an verbindliche Folgen geknüpft ist. Die Kooperation in der OSZE ist ein prägnantes Beispiel hierfür.

Von Übereinkommen zu ihrer Umsetzung mithilfe von Review-Prozessen

Die jüngste Executive Order von Präsident Biden ist in jedem Fall ein eindrucksvolles Dokument mit Blick auf den Willen, der Klimakrise in ihren verschiedenen Dimensionen gerecht zu werden. Es sind Dokumente dieser Art, die nach den zähen und versäumten Jahren der Trump-Präsidentschaft auch als Signale nach außen benötigt werden. Die Bundesregierung sollte diese Gelegenheit nutzen und ebenfalls weiterhin anspruchsvolle Emissionsziele formulieren und diese auch international einfordern, in formellen und informellen Formaten (insbesondere den G7 und G20). Ein zentraler Fokus sollte in den kommenden Jahren vor allem weiterhin auf der Überprüfung und Evaluierung der „verbindlichen“ Ziele aus dem Pariser Übereinkommen liegen und den Lehren, die daraus zu ziehen sind. Der Pledge and Review-Approach „(zusichern und prüfen lassen“) war 2015 ein innovativer Weg, zu einem Übereinkommen zu gelangen, ein Update der Ziele war für 2020 geplant. Dieser Prozess ist allerdings durch Verzögerungen gekennzeichnet. Zahlreiche Staaten haben noch keine neuen Ziele mitgeteilt bzw. ihre Ambitionen nicht wie gefordert erhöht. Dieser Prozess dauert an und es ist mit der Meldung weiterer nationaler Emissionsziele zu rechnen. Dennoch, oder gerade deshalb, sollte sich Deutschland im Rahmen der UN-Klimakonferenzen um eine Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung des Review-Prozesses bemühen, um dessen Verbindlichkeit zu erhöhen.

Über Informalität hinaus: Gerichtliche Instrumente und Sanktionen nutzen

Ein wichtiges und verbindliches Instrument sollte zunehmend auch das Recht und die Mechanismen der gerichtlichen und außergerichtlichen Konfliktlösung sein. Ein Verfahren vor internationalen Gerichten, wie es erst kürzlich fiktiv in einem Film durchgespielt wurde, ist dabei vermutlich weniger weit von der Realität entfernt, als der Film vielleicht vermuten lässt. In jüngerer Vergangenheit gab es darüber hinaus bereits Fälle nationaler Gerichte, in denen Klimaverpflichtungen (insbesondere die aus dem Pariser Klimaabkommen) gestärkt und eine rechtliche Zurechnungsverantwortung untermauert wurden. Auch in privaten internationalen Schiedsverfahren ist damit zu rechnen, dass Klimaverpflichtungen herangezogen werden – hier freilich mit dem „Risiko“, dass Interessen von Investoren zu Lasten des Klimas geschützt werden. Wieder konkret bezogen auf das Feld der Konflikte und der menschlichen Sicherheit sollte das Recht und rechtliche Verfahren auch hierfür ein Instrument sein, Klimaziele zur erreichen und Klimarisiken zu reduzieren. Rechtliche Verfahren können die Funktion erfüllen, klimabezogene Konfliktursachen zu benennen, anzuerkennen und aufzuarbeiten.

Neben den klimawissenschaftlichen Expertisen sollte die Bundesregierung in diesem Bereich auch politische, rechtliche und ökonomische Strategien entwickeln, um Verbindlichkeit zu erhöhen. Die Bundesregierung sollte insgesamt die nachgewiesenen Vorteile informeller Normensetzung weiter nutzen, dabei aber einen Beitrag zur stärkeren Akzentuierung der Verbindlichkeit, des zwingenden Charakters dieser Normen leisten. Sie sollte auch das Instrument der Sanktion gegen Staaten als Teil einer multilateralen Strategie nutzen, die Einhaltung von Klimazielen zu erreichen, wenn der Eindruck sich verstärkt, dass ein rein kooperativer Ansatz den Gefahren für die menschliche Sicherheit nicht entspricht. So können die Klimaziele erreicht werden, die letztlich auch die Grundlage für die Vermeidung von Klimasicherheitsrisiken bilden.


Dieser Beitrag wurde parallel auch auf dem PRIF-Blog veröffentlicht.

Vereinte Nationen Klimawandel Völkerrecht

Stefan Kroll

Stefan Kroll ist Forschungskoordinator des Forschungsinstituts gesellschaftlicher Zusammenhalt an der Goethe-Universität und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Programmbereichs Internationale Institutionen am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. @ST_Kroll