Friedenspolitik ist Interessenpolitik: Konfliktpräventive Afrikapolitik mit afrikanischer Perspektive

21. April 2021   ·   Ottmar von Holtz

Für ein Umdenken hin zu einer kohärenten und postkolonialen deutschen Afrikapolitik sollte die Bundesregierung Frieden als eigenständiges Interesse formulieren. Für nachhaltigen Frieden müssen wirtschaftliche Interessen konsequent an Klima- und Entwicklungsziele anknüpfen. Diese Aushandlungsprozesse sollten Afrikaner:innen auf dem Kontinent sowie Diasporagruppen einbeziehen.

Mit den Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ von 2017 rückte die Bundesregierung die friedenspolitische Kohärenz politischer Entscheidungen verstärkt ins Zentrum. Eine Studie von November 2020 im Auftrag des Beirats Zivile Krisenprävention und Friedensförderung der Bundesregierung zeigt allerdings, dass die Afrikastrategien des Auswärtigen Amtes sowie der Bundesministerien der Verteidigung (BMVg), für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), für Bildung und Forschung (BMBF) und für Wirtschaft und Energie (BMWi) zwar inhaltlich vergleichbar sind – d.h. ähnliche Herausforderungen betonen und gemeinsame Ziele verfolgen – bezogen auf die Umsetzung der Leitlinien jedoch kaum Kohärenz aufweisen.

Die Studie zeigt, dass vorrangig wirtschaftliche Denkmuster die deutsche Afrikapolitik bestimmen und das selbst dann, wenn der Fokus ein gänzlich anderer sein sollte. Gerade der „Marshallplan mit Afrika“ des BMZ sollte Frieden priorisieren. Stattdessen fokussiert er zunehmend Privatinvestitionen. Ebenso verwunderlich ist das Ergebnis der Beiratsstudie, dass auch das BMVg sein Ziel – die Schaffung von „Sicherheit, Frieden und Stabilität“ – mit wirtschaftlichem Aufschwung verknüpft, als sei dies das eigentliche Anliegen. Letztlich zeigt die Studie die Dominanz wirtschaftspolitischer Entscheidungsmaxime in den verschiedenen Afrikastrategien.

Was der Studie und auch der Debatte bisher fehlt, ist der nächste logische Schritt: Friedenspolitik muss anders definiert werden – als eigenständiges Interesse.

SDGs, Klimaziele und Friedenspolitik verknüpfen für eine global gerechte Afrikapolitik

Wirtschaftliche Stabilität und nachhaltige Ökonomien (im Sinne von sozial, ökologisch und global gerecht) können in fragilen Kontexten nur schwer be- oder entstehen. Gleichzeitig braucht Deutschland eigenständige, demokratische und friedliche Staaten sowie starke zivilgesellschaftliche Organisationen als Partner:innen in einer globalen Weltordnung, um die weltweiten Klimaziele und die 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 (SDGs) zu erreichen. Aus diesem Grund ist Friedenspolitik inhärent deutsche Interessenpolitik und sollte konsequent bei allen politischen Entscheidungen bedacht werden.

Mit den Leitlinien ist die Bundesregierung wichtige Schritte in Richtung einer friedenspolitisch ausgerichteten Außenpolitik gegangen. Sie sollte nun verstärkt die Umsetzung der SDGs als weltweites Interesse einfordern und Friedenspolitik zu einer prominenten Säule einer zukunftsfähigen, kohärenten und global gerechten Afrikapolitik machen.

Beiratsstudie kritisiert: Fehlende Definitionen verhindern konkretes politisches Handeln

Politik besteht zum Großteil daraus, sprachliche Konzepte in konkretes Handeln zu übersetzen. Die Studie des Beirats kritisiert daher zu Recht fehlende Begriffsdefinitionen in den afrikabezogenen Strategien. Die Analyse zeigt ein Friedensverständnis, das sich auf politische Stabilität und das Ende gewaltsamer Auseinandersetzungen als Voraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklung beschränkt. Für eine Friedenspolitik allerdings, davon bin ich überzeugt, ist Gewaltfreiheit mehr als die Nichtanwendung physischer Gewalt und Frieden mehr als die Abwesenheit von Krieg. Es geht um Gerechtigkeit und Freiheit, die Verringerung globaler Ungleichheit und Armut, den gleichberechtigten Zugang zu globalen Gemeingütern, die Förderung von Demokratie und die Teilhabe von Frauen und Minderheitengruppen.

Auch das friedenspolitische Ziel der Agenda 2030 „friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung [zu] fördern[…]“ (SDG 16) unterstützt die Definition eines positiven Friedens im Verständnis des Friedensforschers Johan Galtung. Die Umsetzung von SDG 16 ist folglich eine Querschnittsaufgabe für alle Politikbereiche. Es ist daher notwendig, die deutsche Afrikapolitik mit afrikanischen Partner:innen neu zu denken, bestehende Strukturen zu hinterfragen und folgende friedenspolitische Ziele als deutsche Interessen zu betonen:

1) Handlungsmacht afrikanischer Staaten und der Afrikanischen Union stärken

Erst, wenn Afrikaner:innen weltweit als Individuen mit Handlungsmacht und eigenem Gestaltungswillen anerkannt und ihre Perspektiven in internationalen Entscheidungen entsprechend beachtet werden, können afrikanische Identitäten sich von einseitigen Narrativen befreien und ihre vielfältigen Interessen vertreten. Ein realistischer Blick auf den afrikanischen Kontinent fordert die konsequente Beendigung kolonialer Kontinuitäten und damit eine Demontage verwendeter Stereotypen („Krisen- vs. Chancenkontinent“). Es ist ein gegenseitiges Interesse, die Verantwortung Deutschlands als ehemalige Kolonialmacht anzuerkennen und aufzuarbeiten, denn nur so können wir in Zukunft einander mit Respekt begegnen.

Die Konkretisierung dieser Ziele kann nur mit afrikanischen Partner:innen erfolgen. Beispielsweise sollten transparent und gemeinsam menschenrechtsbasierte Interessen und Ziele herausgearbeitet werden. Gleichzeitig braucht es institutionalisierte und regelmäßige Austauschformate mit Afrikaner:innen auf dem Kontinent sowie afrikanischen Diasporagruppen in Deutschland, zum Beispiel in öffentlichen Fachgesprächen. Es braucht vielfältige Perspektiven, um nicht erneut eine afrikapolitische Strategie zu entwickeln, die in kolonialer Manier eine Strategie für Afrika, sondern in postkolonialer Überzeugung eine Strategie mit Afrika ist.

2) Nachhaltigen Frieden als eigenständiges globales Interesse definieren

Nachhaltiger Frieden darf nicht mehr nur unter wirtschaftlichen oder migrationspolitischen Gesichtspunkten von Interesse sein. Der Trend, Gelder aus dem Haushalt des BMZ für eine restriktive Migrations- und Grenzpolitik auszugeben, ist grundlegend falsch. Statt dieser fehlgeleiteten Interessenspolitik sollte die Bundesregierung das SDG 16 als Interesse an sich definieren. Bezogen auf die deutsche Afrikapolitik bedeutet dies, dass die Förderung von Rechtsstaatlichkeit, demokratischer Strukturen und die Stärkung der Zivilgesellschaft – insbesondere von Frauen und Mädchen – weiterhin und in stärkerer Intensität vorrangiges Ziel der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik sein muss. Als Grüne Bundestagsfraktion fordern wir beispielsweise, Bildungsprogramme in Krisen- und Konfliktsituationen auszubauen und die Gesundheitsversorgung von Mädchen und Frauen in bewaffneten Konflikten und Krisengebieten umfassend zu verbessern.

Bei allen Vorhaben sollte die Bundesregierung stets eine Risikoanalyse unter der Prämisse eines konsequenten Do-No-Harm-Ansatzes durchführen. Einer solchen Analyse würde beispielsweise der vorgelegte Gesetzentwurf für das „Lieferkettengesetz“ nicht standhalten, da er noch immer erhebliche Lücken aufweist, Umweltbelastungen außen vor lässt und nicht hilft, konsequent Konflikten vorzubeugen, die mit zunehmender Wasserknappheit, der Verseuchung von Ackerland oder längeren Dürreperioden einhergehen. Eine konsequente Folgenabschätzung für Nachhaltigkeit und Menschenrechte (SDG-TÜV) bei Gesetzesvorhaben würde der Umsetzung des SDG 16 dienen und damit tatsächlich friedenspolitische Kohärenz nach den Leitlinien bedeuten.

3) Primat der Prävention stärken

Radikal ändern muss sich vor allem die Zeitlichkeit:  Nicht reaktiv, sondern präventiv muss politisch auf Konflikte reagiert werden. Der Vorrang für zivile, gewaltfreie Konfliktbearbeitung geht mit einem Vorrang für Präventionsmaßnahmen Hand in Hand. Die Bundesregierung sollte durch Kooperationen und Weiterbildungen massiv in Mediationskapazitäten in den Partnerländern investieren, um auf der Track 3-Ebene dazu beizutragen, entstehende Konflikte zu entschärfen. Verhandlungen um Flächen für den Anbau landwirtschaftlicher Produkte, für Solarparks oder Ölbohrungen müssen die Interessen und Bedürfnisse der Einwohner:innen berücksichtigen, um im Sinne der Konfliktvermeidung präventiv zu wirken.

Wenn die Bunderegierung die Ausgestaltung und Priorisierung all ihrer politischen Maßnahmen konsequent an den 17 SDGs messen müsste, würde sie auch ihre friedenspolitischen Leitlinien kohärent umsetzen. Wir Grünen fordern daher einen Rat für Frieden, Nachhaltigkeit und Menschenrechte, der jedes Gesetzesvorhaben auf seine Friedens- und Nachhaltigkeitsverträglichkeit prüft und dafür auch konkrete Kriterien entwickelt.  

Konfliktpräventive Afrikapolitik mit afrikanischer Perspektive

Ökonomischer Nutzen für deutsche und afrikanische Unternehmen ist natürlich auch in Zukunft Teil einer deutschen Afrikapolitik, muss sich aber an den Nachhaltigkeitszielen orientieren. Viele Ziele der Agenda 2030 bedürfen internationaler Handelsbeziehungen, bilateraler Partnerschaften und weltweiter, sozial-ökologisch gestalteter Lieferketten.

Doch die aktuelle Schwerpunktsetzung der Bundesregierung auf rein wirtschaftliche sowie sicherheitspolitische Entscheidungsmaximen wird uns auf die Füße fallen: Durch die Klimakrise und die zunehmende Ungleichheit und Unzufriedenheit einer wachsenden jungen Bevölkerung in Ländern des Globalen Südens steigt das Risiko für Konflikte. Es auszublenden oder ohne Bezug zur Verantwortung der Handelnden auf Wirtschaftskooperation zu setzen, wäre ein grundlegender Fehler. Stattdessen sollte die Bundesregierung die Expertise der Menschen an der Basis in den Partnerländern und die Erfahrungen und Vermittlungsfähigkeiten der afrikanischen Diaspora nutzen und ihre Perspektiven einbeziehen. So könnten sie eine gemeinsame, konfliktpräventive und friedenspolitisch ausgerichtete Afrikapolitik entwickeln, an der sich konsequent alle Ministerien orientieren und die kohärent die Leitlinien stärkt.

Politikkohärenz Krisenprävention Afrika

Ottmar von Holtz

Ottmar von Holtz ist Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen. Er ist Sprecher für zivile Krisenprävention der Grünen-Bundestagsfraktion, Vorsitzender des Unterausschusses für zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln und Obmann im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. @OWvonHoltz