Ukraine: Reintegration von Veteran*innen für sozialen Frieden 31. Mai 2021 · Julia Friedrich Die Reintegration von Veteran*innen des andauernden militärischen Konfliktes in der Ukraine ist zentral für die langfristige Konfliktbearbeitung und die Stärkung des gesellschaftlichen Friedens. Die Bundesregierung sollte die Unterstützung von ex-Kombattant*innen in ihr Konfliktengagement einschließen und Projekte für den sozialen Zusammenhalt fördern. Debatten Die Zukunft von Krisenprävention und Friedensförderung Prioritäten bis 2025 Über 400.000 ex-Kombattant*innen, die seit 2014 auf ukrainischer Seite im Donbas gekämpft haben, sind seitdem in Städte und Gemeinden in der ganzen Ukraine zurückgekehrt. Für die Mehrheit der Ukrainer*innen sind sie eine der wenigen Erinnerungen daran, dass der Krieg im Osten des Landes weitergeht und immer wieder zu eskalieren droht. Formelle Maßnahmen zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von Veteran*innen werden in der Regel erst nach einem Friedensschluss begonnen – doch fast eine halbe Million ehemalige Soldat*innen, deren Anzahl weiterhin steigt, können nicht auf eine Lösung des Konfliktes warten. Die Bundesregierung ist seit Jahren für Frieden in der Ostukraine und Reformen im Land engagiert. Auch im siebten Konfliktjahr ist weder eine politische Lösung in Sicht, noch scheint ein Dialog mit Moskau in naher Zukunft wahrscheinlich. Der stockende Friedensprozess ist allerdings kein Grund, langfristige Konfliktbearbeitung mit dem Ziel eines friedlichen Zusammenlebens der ukrainischen Gesellschaft noch nicht anzugehen. Denn es gibt klare Risiken der Marginalisierung und, in Folge, auch Risiken der Radikalisierung, wenn die Reintegration von Veteran*innen in den nächsten Jahren nicht gelingt. Damit das deutsche Engagement in der Ukraine sinnvoll ist, sollte die Bundesregierung zur Konfliktbearbeitung über das Kriegsgebiet im Donbas hinausschauen. Denn für eine langfristige Konfliktbewältigung ist die Überwindung der durch den Krieg entstandenen und vertieften sozialen Gräben im Land unabdingbar. Eine gelungene Reintegration von Veteran*innen ist dabei zentral. Die Bundesregierung sollte sie deshalb als eigenständige Herausforderung angehen – und zwar sofort, trotz des schleppenden Friedensprozesses, und somit vor einer möglichen Konfliktlösung. Unzureichende Unterstützung und gesellschaftliche Entfremdung erschweren Reintegration Das momentane System der staatlichen Leistungen für Veteran*innen wird sowohl von Seiten der Betroffenen, als auch der Regierung und Zivilgesellschaft als unzureichend empfunden. Nach ihrer Rückkehr haben ehemalige Soldat*innen Anspruch auf eine Vielzahl von staatlich geförderten Sozialleistungen. Doch diese Leistungen sind nicht nur zum Teil veraltet – wie beispielsweise das Recht auf einen Festnetzanschluss – oder schwer zugänglich. Sie sind obendrein inadäquat, wenn sie nicht mit einer breiteren und tiefgreifenden Palette von Maßnahmen gepaart werden, welche die Herausforderungen der Reintegration angehen. Insbesondere was die Versorgung der physischen und mentalen Gesundheit angeht, reicht die momentane Unterstützung nicht aus. Das momentane System der staatlichen Leistungen für Veteran*innen wird sowohl von Seiten der Betroffenen, als auch der Regierung und Zivilgesellschaft als unzureichend empfunden. Neben dieser unmittelbaren Notwendigkeit besserer Leistungen hat die Wiedereingliederung von Veteran*innen wichtige soziale und politische Dimensionen, die für die Zukunft der gesamten Ukraine entscheidend sind. Internationale Akteure sollten daher neben der Unterstützung eines besseren Leistungsangebotes auch ganzheitliche Reintegrationsmaßnahmen unterstützen, welche zu Grunde liegende Herausforderungen angehen: die Unfähigkeit und Unbeholfenheit von Veteran*innen und Zivilist*innen miteinander umzugehen, das administrative Chaos, sowie die wahrgenommene Dominanz rechtsradikaler Stimmen unter Veteran*innen. Dialogprojekte in Kommunen fördern um gesellschaftliche Spaltung zu verhindern Der andauernde Konflikt erzeugt und verstärkt immer wieder soziale Spaltungen in der ukrainischen Gesellschaft. Für viele Veteran*innen wird die Einstellung der Menschen zum Konflikt zur entscheidenden Frage: ob jemand "eine unabhängige Ukraine“ und damit "Veteran*innen des Donbas-Konflikts“ unterstützt wird zum Kriterium, anhand dessen sie die Gesellschaft in "gut" und "schlecht" einteilen. Hinzu kommt, dass Veteran*innen zunehmend desillusioniert sind von einer Gesellschaft, die sich nach fast sieben Jahren immer weniger für den Krieg interessiert, während die ungelöste Situation viele ex-Kombattant*innen davon abhält, sich voll und ganz auf ein ziviles Leben einzulassen. Die Bundesregierung kann die Ukraine dadurch unterstützen, dass sie gezielt Dialogprogramme auf kommunaler Ebene fördert, in denen Zivilist*innen, Ex-Kombattant*innen und Binnengeflüchtete miteinander interagieren. Diese gesellschaftliche Entfremdung zwischen Veteran*innen und Zivilist*innen wird durch zunehmende Stereotype aggressiver und drogensüchtiger Veteran*innen verstärkt, befeuert durch massive russische Propaganda. Diese Vorurteile haben einen wahren Kern – viele Veteran*innen kämpfen mit Drogenmissbrauch, Aggression und Suizidalität – allerdings hat dies vor allem mit dem unzureichenden System staatlicher psychosozialer Unterstützung zu tun. All dies führt dazu, dass Zivilist*innen und Veteran*innen häufig nicht wissen, wie sie miteinander umgehen sollen. Während Zivilist*innen häufig der Zugang zu Gesprächen mit Veteran*innen fehlt, ziehen sich letztere in Freundeskreise mit ihren ehemaligen Kamerad*innen zurück. Auf diese Weise entstehen und verfestigen sich soziale Enklaven, die soziale Spaltung begünstigen. Die Bundesregierung kann die Ukraine dadurch unterstützen, dass sie gezielt Dialogprogramme auf kommunaler Ebene fördert, in denen Zivilist*innen, Ex-Kombattant*innen und Binnengeflüchtete miteinander interagieren. Zudem sollten spezielle Programme für weibliche Veteran*innen unterstützt werden. Diese machen einen nicht zu unterschätzenden Anteil aus und stehen aufgrund geschlechterbedingter Diskriminierung vor großen Herausforderungen. Ganz praktisch sollten solche Programme sicherstellen, dass Treffpunkte auch auf Frauen ausgerichtet sind – vom Zugang zu einer Frauentoilette bis hin zu Angeboten für Kinderbetreuung. Thematische Schwerpunkte wie die Traumabewältigung sexueller Gewalt, oder geschlechterspezifischer Diskriminierung können darüber hinaus hilfreich sein. Zudem sollten internationale Akteure bereit sein, Lehren aus der ukrainischen Erfahrung zu ziehen. Administrative Koordinationsprobleme durch bessere Abstimmung unter internationalen Partnern vorbeugen Ein Grund für das unzureichende Leistungssystem für Veteran*innen ist ein Mangel an administrativer Koordination. Eigentlich sollte das Ende 2018 eigens gegründete Veteranenministerium dafür zuständig sein, Reintegration zu koordinieren. Allerdings kann es dieser Aufgabe nicht nachkommen, da es zu wenig Personal, Finanzierung und politischen Rückhalt in der Regierung hat. Weder kann es also die mächtigen Innen- und Verteidigungsministerien dazu bringen, zusammenzuarbeiten, noch kann es den nötigen Druck auf die Regionen ausüben um einheitliche Versorgungsstandards durchzusetzen. Internationale Akteure können hier einen Beitrag leisten, indem sie sich untereinander besser abstimmen. Da die Ukraine eine Fülle von Fördergeldern erhält, müssen Geldgeberinnen wie die Bundesregierung sicherstellen, keine Programme zu duplizieren. Gleichzeitig können internationale Akteure auch Anreize für eine bessere administrative Koordination setzen, beispielsweise indem sie das Veteranenministerium in Projekte zur Reintegration mit einbeziehen, selbst wenn diese mit dem Verteidigungsministerium durchgeführt werden. Deutschland sollte insbesondere berücksichtigen, dass die Wiedereingliederung von Veteran*innen eigenes politisches und finanzielles Kapital benötigt, und der Konfliktfokus auf Reintegration ausgeweitet werden muss. Insgesamt ist das internationale Engagement für Veteran*innen zum Teil noch recht zögerlich. Deutschland sollte insbesondere berücksichtigen, dass die Wiedereingliederung von Veteran*innen eigenes politisches und finanzielles Kapital benötigt, und der Konfliktfokus auf Reintegration ausgeweitet werden muss. Die meisten Veteran*innen leben nicht in der Konfliktzone, dies sollte bei der Projektförderung ebenfalls bedacht werden. Vielversprechende Fördermöglichkeiten zur Verbesserung des Leistungsangebots sind sogenannte „Hubs“ für Veteran*innen: Organisationen, die mehrere zivilgesellschaftliche Initiativen verbinden und Veteran*innen so in gleich mehreren Feldern Unterstützung anbieten. Ganzheitlichen Dialog über die Zukunft des Donbas fördern um radikalen Akteuren vorzubeugen In internationalen Medien sorgen rechtsradikale Milizen immer wieder für Schlagzeilen. Da einige von ihnen mit Freiwilligenverbänden assoziiert sind, die zwischen 2014-2015 in der Ostukraine gekämpft haben, werden Veteran*innen ebenfalls mit ihnen in Verbindung gebracht. Tatsächlich sind rechte Akteure eine Interessensgruppe innerhalb der Veteran*innencommunity und bieten zum Teil Strukturen, (il-)legale Arbeit und ein sinnstiftendes Narrativ des Krieges. Sie waren es außerdem, die Proteste gegen eine „Kapitulation“ während der letzten Friedensverhandlungen lautstark anführten. Doch die Realität ist komplex und das Bild in (internationalen) Medien und der ukrainischen Gesellschaft häufig verzerrt: Rechtsradikale Bewegungen sind in keiner Weise repräsentativ für alle Veteran*innen. Die Mehrheit der Veteran*innen ist nicht rechtsradikal, sondern eher neutral oder passiv. Wenn manche Veteran*innen Hilfestellungen und Gelegenheitsjobs von rechten Akteuren akzeptieren, geschieht das häufig vor allem aus pragmatischen Gründen. Die Tatsache, dass russische Propaganda das Narrativ der Veteran*innen als "ukrainische Faschisten" seit Beginn des Konflikts massiv vorangetrieben hat, erschwert eine realistische Einschätzung der Bedrohung sowohl durch den ukrainischen Staat als auch durch internationale Akteure. So werden rechtsradikale Gruppen zu einem weiteren Faktor, der Zivilist*innen und Veteran*innen voneinander entfernt und Reintegration erschwert. Internationale Akteure sollten die Gefahr rechter Gruppen weder unter- noch überschätzen. Um sicherzugehen, dass keine rechtsradikalen Akteure gefördert werden, sollte die Bundesregierung gemeinsam mit ukrainischen und internationalen Partnern ein umfassendes Mapping zivilgesellschaftlicher Akteure vornehmen. Dies könnte helfen, einige Zurückhaltung bei der Projektförderung im Bereich der Veteran*innenreintegration zu überwinden. Internationale Akteure können außerdem einen gesellschaftlichen Austausch über die Zukunft des Donbas, der alle Teile der Gesellschaft einschließt, fördern – auch wenn das am Ende ein ukrainischer Dialog sein muss. Veteran*innen, die gleichzeitig auch Binnenvertriebene sind, können in diesem Austausch eine wichtige Rolle spielen, insbesondere wenn es um die Zukunft der nicht-regierungskontrollierten Gebiete in der Ukraine geht. Ein solcher Dialog ist eine sehr große, nur langfristig zu bewältigende Aufgabe, und gleichzeitig von zentraler Bedeutung um eine weitere Vertiefung von Spaltungen zu verhindern und Frieden zu fördern. Dieser Beitrag wurde zuerst auf "Ukraine Verstehen" veröffentlicht und beruht auf den Forschungsergebnissen der Studie „The Long Shadow of Donbas: Reintegrating Veterans and Fostering Social Cohesion in Ukraine“, die durch die finanzielle Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew ermöglicht wurde. Debatten Die Zukunft von Krisenprävention und Friedensförderung Prioritäten bis 2025 Ukraine Extremismus Russia Julia Friedrich Julia Friedrich ist Research Associate am Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin. @ja_friedrich
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Artikel More Than Counting Shots: Working Towards a More Effective OSCE in Ukraine The implementation of the mandate of the OSCE Special Monitoring Mission to Ukraine is centred on ceasefire monitoring at the expense of economic, environmental, or human rights concerns. Germany should advocate for a more balanced focus within the mission, suggest longer reporting cycles, and request a comprehensive conflict analysis to refocus efforts. Johanna Suhonen • 23 September 2020
Artikel Kooperation statt Konfrontation: zivilgesellschaftlicher Dialog als Modell für inklusive Friedensprozesse Ein inklusiver Friedensprozess muss auf Kooperation setzen und auf die Bedürfnisse der Bevölkerung eingehen – nicht einfach aus humanitären Gründen, sondern weil dies für den Erfolg von Verhandlungen ausschlaggebend ist. Die Bundesregierung sollte deswegen zivilgesellschaftliche Dialogprozesse und offizielle Friedensverhandlungen stärker verknüpfen. Ein Beispiel aus der Ukraine. Inga Luther, Dana Jirouš • 25. Juni 2020