Erstmal zuhause ertüchtigen

23. Mai 2018   ·   Jan Fuhrmann, Anne-Kathrin Herlitze

Bei Ertüchtigung geht es immer um das Management von Dilemmata. Diese sollte die Bundesregierung als Teil ihrer SSR-Strategie offen kommunizieren und gleichzeitig Erfolgskriterien für SSR-Programme festlegen. Für die Bundeswehr bedeutet das ihrerseits, systematisch das Lehren zu lernen.

Die Bedeutung von Ertüchtigung als Instrument deutscher Außenpolitik nimmt zu. Dass die Bundesregierung eine Strategie zu Sicherheitssektorreformen formulieren möchte, die Ziele und Mittel sinnvoll in Einklang bringt, ist daher richtig und wichtig. Gleichwohl steht diese Strategie vor der gleichen Gefahr wie vergleichbare Schriften zuvor: Sie droht von politischen Ereignissen schneller überholt zu werden, als sie implementiert werden kann.

Input aus der Fachöffentlichkeit als Teil der Strategie begreifen

Eine Möglichkeit mit den vielfältigen und (un-)vorhersehbaren Herausforderungen umzugehen, ist es, öffentliche Debatten nicht nur als ein Kernelement der Strategiebildung, sondern auch ihrer Implementierung zu begreifen. Es ist begrüßenswert, dass die Bundesregierung bei diesem Thema den Input aus der Fachöffentlichkeit sucht, wie beispielsweise auf dem PeaceLab-Blog. Gleichzeitig müssen diese Beiträge seitens der Regierung aber auch weiterverwendet werden.

Gerade die Inputs aus der Fachcommunity können zu einem besseren Monitoring und einer besseren Evaluation der Ertüchtigungsmaßnahmen beitragen und die Instrumente ständig weiterentwickeln. Der Diskurs in der Fachöffentlichkeit vergrößert grundsätzlich auch die Anzahl der diskutierten Handlungsoptionen und gewährleistet zugleich eine Abwägung ihrer Vor- und Nachteile.

Bundesregierung muss Debatten aktiv gestalten und Dilemmata offen kommunizieren

Bei dem Thema Ertüchtigung geht zu einem großen Teil um das Management von Dilemmata. Diese ergeben sich aus hohen Risiken wie der Weitergabe von Waffen oder Ausrüstung sowie schwer kontrollierbaren Faktoren wie unsicheren Partnern, nichtdemokratischen Staaten oder einem beschränkten Set gemeinsamer Werte und Interessen. Dabei darf man sich nichts vormachen: Wunschkoalitionen sind auch hier kaum am Werk. Umso wichtiger ist es, diese Dilemmata auch offen in die Bevölkerung zu kommunizieren, wie bereits Mario Schulz in seinem Beitrag gefordert hatte.

Denn ein Instrument wie Ertüchtigung, das in Krisenregionen durchaus gravierende Auswirkungen haben kann, braucht hierzulande ein Mindestmaß an demokratischem Rückhalt. Hierfür ist es seitens der gesamten Bundesregierung künftig notwendig, klar und deutlich politische Meinungsführerschaft zu übernehmen und Dilemmata zu erklären. Dies könnte auch einen Beitrag zu mehr Transparenz und einer stärkeren Legitimation leisten.

Ertüchtigung ist nur in einem größeren strategischen Kontext wirksam

Eine dynamisch angelegte Strategie ist jedoch nur ein erster Baustein. Gerade wenn man Ertüchtigung als eines von mehreren Elementen auf dem Weg zu einer erfolgreichen Sicherheitssektorreform in Partnerländern betrachtet, benötigt dies Zeit, Kontinuität im Handeln und den entsprechenden politischen Durchhaltewillen, vor allem in Deutschland selbst. Dies heißt auch, zwischenzeitliche Misserfolge in Kauf zu nehmen ohne dabei ein größeres strategisches Ziel aus den Augen zu verlieren, dem man die Ertüchtigungsmaßnahmen unterordnet.

Nur in einem größeren strategischen Kontext können Ertüchtigungsprogramme Legislaturperioden und Regierungswechsel in Deutschland überstehen und ihre Wirkung mit der Zeit entfalten. Bindet man Ertüchtigung nicht an diese höheren Ziele an, besteht die Gefahr, dass sie ins Leere laufen oder gar kontraproduktiv wirken. Dies lässt sich gut am Beispiel der kurdischen Peschmerga im Irak darstellen, die zur Bekämpfung des sogenannten Islamischen Staats (IS) Waffenlieferungen und militärische Ausbildungen erhielten. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD kündigen die Koalitionspartner an, das Ausbildungsmandat im Nordirak zu beenden, nachdem der IS nun (zumindest) militärisch geschlagen scheint. Damit erwachsen aber neue Dilemmata im Hinblick auf den Zusammenhalt des irakischen Staatsgebietes und die langfristigen Wirkungen vorheriger Ertüchtigungsmaßnahmen.

Bereits im Oktober 2017 standen sich die von Deutschland ausgerüsteten Peschmerga und Truppen der irakischen Zentralregierung in Kirkuk gegenüber. Zudem erscheint es nur eine Frage der Zeit, bis die Peschmerga ihre Leistungen im Kampf gegen den IS in Form von weiterer Autonomie einfordern bzw. weitere Fakten schaffen. Solche Fragen waren bereits 2014 während der ersten Waffenlieferungen bekannt, die einen Völkermord an den irakischen Jesiden verhindern sollten. Dass sie erst jetzt, fast vier Jahre später, in der Debatte, wie Deutschland den Sicherheitssektor des Gesamtstaates Irak unterstützen kann, zum Tragen kommen, ist zu spät. Vielmehr muss die Bundesregierung solche Fragen künftig zu Beginn von Ertüchtigungsprojekten adressieren und Ziele definieren, die über einzelne Unterstützungsleistungen im Rahmen von Ertüchtigung hinausgehen, und es ermöglichen, kohärent und mit langem Atem auf diese hinzuarbeiten.

Die Bundesregierung muss Erfolgskriterien festlegen

Teil eines jeden größeren strategischen Kontextes sind verbindliche Erfolgskriterien. Die Bundesregierung muss daher bei der Konzeption von SSR-Programmen und damit verbundenen Ertüchtigungsmaßnahmen, gemeinsam mit den Partnern verbindliche Ziele identifizieren und Wegmarken festlegen, die sich am Charakter des jeweiligen Projekts orientieren. Diese können beispielsweise der Erfolg bisheriger Ausbildungen oder die sachgerechten Nutzung des bislang gelieferten Materials sein. Von diesen Erfolgskriterien muss die Fortsetzung des Projekts abhängen. Diese dienen neben der Herstellung von Konditionalität gegenüber Partnern vor allem auch dem Monitoring und der Evaluation in Deutschland selbst. Die Bundesministerien der Verteidigung und des Auswärtigen können hierbei auf Erfahrungen aus der Entwicklungszusammenarbeit zurückgreifen. Hier gibt es bereits ein vielschichtiges Instrumentarium für Monitoring und Evaluierung.

Die beiden Ressorts sollten jedoch nicht der Illusion verfallen, dass eine solche Evaluation im sicherheitspolitischen Bereich nur mit quantitativen Indikatoren zu bewerkstelligen ist. Die Bewertung von Einsätzen sollte auch auf Grundlage von (öffentlichen) Debatten zu den Maßnahmen stattfinden – beispielsweise in den Fachausschüssen des Bundestages. Eine entsprechende Konditionalität von SSR-Maßnahmen ermöglicht es darüber hinaus, nachvollziehbare Exit-Kriterien zu definieren, auf die man zurückgreifen kann, wenn es im Projektverlauf zu nicht-tragbaren Fehlentwicklungen kommt.

Die Bundeswehr muss das Lehren lernen

Um im zuvor beschriebenen langfristigen Rahmen die strategische Nachhaltigkeit von Ertüchtigungsprojekten zu fördern, ist neben materieller auch ideelle Unterstützung bereitzustellen. Dies bedeutet deutsche Sicherheitskräfte vor Ort, die nicht nur Knowhow sondern mitunter auch Werte vermitteln, wie Christian Weber anschaulich beschreibt. Die Prinzipien der „Inneren Führung“ der Bundeswehr bieten ein attraktives Modell der Streitkräfteführung an, deren Werte und menschenrechtliche Standards im Rahmen von SSR-Programmen vermittelt werden können. Die Bundeswehr muss das Lehren lernen, wenn sie zunehmend deutsche Soldaten und Soldatinnen in Ausbildungs- oder Beratungseinsätze entsendet. Derzeit beinhalten 10 von 17 Einsätzen entsprechende Maßnahmen. Didaktische und methodische Fähigkeiten gehören daher in das Repertoire für eine nachhaltige Ertüchtigung. Das beginnt hier in Deutschland.

Eine Möglichkeit, diese Fähigkeiten bereits kurzfristig zu verbessern, liegt in der Einsatzvorbereitung. Das Auswärtige Amt und das Bundesverteidigungsministerium sollten die Evaluation und den Erfahrungsaustausch unter „Ertüchtigern“ systematisch in ihrer SSR-Strategie verankern. Dies ist aus zwei Gründen wichtig:

Erstens, von einem Erfahrungsaustausch und dem Lernen aus vorherigen Einsätzen profitieren insbesondere jene Offiziere, die im Rahmen von SSR-Programmen Ministerien und Stäbe vor Ort beraten und unterstützen. Was hat gut funktioniert? Wie ist man bei plötzlichen Hindernissen vorgegangen? Was sollte man vermeiden? Vor allem in fragilen Kontexten wird es immer wieder zu unvorhergesehen Ereignissen kommen, die nicht vorher geübt werden können.

Zweitens, die Beratung und Unterstützung vor Ort ist stets durch persönlichen Kontakt und individuelle Ratschläge gekennzeichnet. Der Erfolg der SSR-Programme darf jedoch nicht von den Softskills einzelner Berater abhängen. Das Auswärtige Amt und das Bundesverteidigungsministerium müssen daher sicherstellen, dass der Erfolg einer übergeordneten SSR-Strategie nicht an die persönlichen Charaktere des Personals der Beratungsmissionen geknüpft ist. Möchte die Bundeswehr in Zukunft noch stärker Missionen in Form von „Train the Trainer“ ausführen, benötigt sie auch eigene „Train the Trainer“-Kompetenzen. Auch hier kann sie aus Erfahrungen der Entwicklungszusammenarbeit lernen. Die Lösung kann zwar nicht in einem vereinheitlichten „Ertüchtigungs-Lehrgang“ liegen. Dafür sind die Ertüchtigungseinsätze zu unterschiedlich. Doch ein systematisierter Erfahrungsaustausch sowie die Vermittlung interkultureller Kompetenzen sind in der Vorbereitung zu jedem Beratungseinsatz unabdingbar.