Ein Erasmus-Programm für Soldaten

22. Mai 2018   ·   Christian Weber

Der Schlüssel für den Erfolg einer internationalen Ausbildungsmission liegt in der vertrauensvollen Zusammenarbeit über kulturelle Grenzen hinweg. Daher ist es wichtig, dass die EU bereits vor einem Einsatz die späteren Trainer aus verschiedenen Nationen gemeinsam ausbilden möchte. Sie sollte auch ein Erasmus-Programm für Soldaten entwickeln.

Zu keinem Zeitpunkt habe ich mich mehr als Europäer gefühlt als während meines Auslandseinsatzes als Presseoffizier der Bundeswehr bei der European Union Training Mission (EUTM) im beschaulichen Koulikoro, 60 Kilometer entfernt von der malischen Hauptstadt Bamako und 6.000 Kilometer südlich meiner Heimat in Deutschland.

Gemeinsam mit Soldaten aus über 26 Nationen in einem Camp zu leben, hat seinen eigenen Charme. So pflegt jede Nation ihre Besonderheiten: Während im deutschen Teil des Lagers bayerische Soldaten sonntags an ihrer Weißwurst zuzeln und auf die Zuverlässigkeit der Kühlkette vertrauen, werfen Italiener an Festtagen einen Pizzaofen an und selbst die finnischen Soldaten lassen es sich nicht nehmen, bei über vierzig Grad die wenige dienstfreie Zeit in der selbstgefertigten Sauna zu verbringen.

Vertrauensvolle Zusammenarbeit über kulturelle Grenzen hinweg ist Schlüssel zum Erfolg

Diese Beschreibung mag idyllisch klingen. Tatsächlich liegt aber der Schlüssel für den Erfolg einer solchen Mission in der vertrauensvollen Zusammenarbeit über kulturelle Grenzen hinweg. Kulturelle Unterschiede beschränken sich natürlich nicht auf kulinarische Gewohnheiten. Sie gehen weit darüber hinaus und beinhalten im militärischen Kontext unterschiedliche Führungsphilosophien, Traditionen, Einsatzgrundsätze und Verfahren genauso wie eine jeweils eigene Bewaffnung und Ausrüstung sowie natürlich unterschiedliche sprachliche Voraussetzungen.

Bevor eine Ausbildung der in diesem Fall malischen Soldaten stattfinden kann, braucht es zunächst eine Ausbildung der europäischen Trainer und eine Einigung darüber, nach welchen Grundsätzen und mit welchen Mitteln diese überhaupt stattfinden soll. Eine solche Harmonisierung der Ausbildung mit den beteiligten truppenstellenden Nationen stellt eine echte Herausforderung dar. In der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit ist es kaum möglich, eine gemeinsame Ausbildungskonzeption zu entwickeln, was dazu führt, dass die Methodik und Didaktik der Ausbildung überwiegend national geprägt bleibt. Die malische Armee selbst wird größtenteils noch nach französischen Grundsätzen aus Kolonialzeiten ausgebildet. Umso wichtiger wären einheitliche Standards, nach denen die Ausbildung der malischen Soldaten erfolgt.

Einsatzvorbereitende Ausbildung der Soldaten muss praxisrelevanter sein

Trainingsmissionen wirken folglich nicht nur in der Vermittlung von Wissen nach außen. Sie haben auch eine innere Dimension, die noch zu wenig beachtet wird. Während meines Einsatzes fand die einsatzvorbereitende Ausbildung ausschließlich in nationaler Zuständigkeit statt. Die mit der Ausbildung betrauten Einheiten vermittelten dabei hauptsächlich Erfahrungen aus ihren eigenen Einsätzen, häufig mit Bezug zu Afghanistan. Die Grundidee war, dabei das „Worst-Case-Szenario“ auszubilden, um auf das Schlimmste gefasst zu sein.

Dies war sicherlich gut gemeint. Als ich jedoch gefechtsmäßig im tiefsten bayerischen Winter während einer simulierten Patrouille aus einem Fuchs-Transportpanzer ausstieg und mich in einem Hinterhalt des in afghanischen Trachten gekleideten Übungspersonals wiederfand und mir in der schneebedeckten Landschaft vorstellen sollte, in Afrika zu sein, zweifelte ich doch an dem praktischen Nutzen der Ausbildung. Während meiner späteren Zeit in Mali sollte ich dann auch weder in einem Fuchs Patrouille fahren noch auf die Taliban treffen. Geschneit hat es ebenfalls nicht. Stattdessen wurden im Einsatz geleaste zivile Geländewagen mit Berliner Kennzeichen zur Fortbewegung genutzt und im Umgang mit den malischen Soldaten waren vor allem Soft-Skills gefragt. Die Bundeswehr täte gut daran, auch für die kleineren Einsätze eine einsatznahe Ausbildung sicherzustellen.

Erasmus-Programm für Soldaten einführen

Als Presseoffizier war ich zwar nicht selbst als Ausbilder tätig, aber ich hatte durch meine Aufgabe einen umfassenden Überblick über den Stand des Trainings. Die Geduld, mit der sich beispielsweise deutsche Trainer noch weit über ihren eigentlichen Dienst hinaus mit ihren malischen Kameraden auseinandersetzten und dabei sogar noch Brocken der eigentlichen Landessprache Bambara lernten, haben mir großen Respekt abgerungen. Ganz anders übrigens als andere Nationen wie beispielsweise die Angehörigen des französischen Kontingents, die einen wesentlich hierarchischeren Umgang mit den Soldaten ihrer ehemaligen Kolonie pflegten. Nicht nur europäischen Soldaten wird interkulturelle Kompetenz abverlangt, auch ein malischer Soldat muss sich in seiner Ausbildung immer wieder auf fremde Kulturen einstellen.

Es ist folglich sinnvoll, bereits vor einem Einsatz die späteren Trainer aus den beteiligten truppenstellenden Nationen einheitlich und gemeinsam auszubilden. Die EU selbst hat mittlerweile diesen Bedarf erkannt. Im Rahmen der Ende 2017 beschlossenen „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ soll ein Kompetenzzentrum für europäische Trainingsmissionen unter deutscher Führung entstehen. Durch dieses Projekt soll Personal vor einem Einsatz schneller und einheitlicher ausgebildet werden und während des Einsatzes konzeptionelle Unterstützung erhalten. Dieser Schritt weist in die richtige Richtung und ist dringend notwendig. Er könnte aber noch weiter gefasst werden, indem der Austausch zwischen den Streitkräften durch eine Art „Erasmus-Programm“ für Soldaten während ihrer gesamten Ausbildung gefördert wird, um auf diesem Weg militärische Kulturen und Identitäten anzugleichen und Vertrauen zu fördern. Die Erfahrungen der EU-Einsätze sollten hierfür genutzt und besser ausgewertet werden. In der überwiegend akademisch geführten Diskussion über eine mögliche Europäische Armee wird leider häufig übersehen, dass gerade die EU-geführten Missionen ein Versuchslabor für vertiefte Streitkräftekooperationen bilden. Dabei bieten die Erfahrungen aus der „Graswurzelebene“ einen Schatz an praktischen Erkenntnissen und „lessons learned“ für die Entwicklung einer europäischen Verteidigungsunion oder gar einer europäischen Armee.

Jährlicher Evaluationsbericht zu den Auslandseinsätzen

Durch meinen Einsatz bin ich von der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit von Ertüchtigungsmissionen wie der EUTM Mali überzeugt. Insbesondere weil diese nicht nur militärisches Handwerk sondern auch ethische Inhalte und Grundsätze des humanitären Völkerrechts vermitteln. Sie können langfristig aber nur erfolgreich sein, wenn sie nicht nur durch politische Entscheidungen sondern vor allem durch militärischen Sachverstand geleitet werden. Die Politik muss lernen auf ihre militärische Führung zu hören, um realistische Ziele zu formulieren und den Truppenführern vor Ort die Freiheiten geben, um ihren Auftrag zu erfüllen. Die vielzitierte Auftragstaktik muss auch auf der politischen Ebene gelebt werden. Gleichzeitig muss das Militär mutiger in der Bewertung und Kommunikation der Einsatzrealitäten vor Ort werden. Dies könnte im Rahmen eines jährlichen Evaluationsberichts der Bundesregierung zu den Auslandseinsätzen geschehen, der im besten Fall im Parlament diskutiert wird. Dies würde den Weißbuchprozess sinnvoll fortführen.

Leider ist das mediale und damit auch öffentliche Interesse an diesen Einsätzen, vor allem wenn sie gut laufen, gering. Ich werde nicht vergessen, wie bei einem Pressetermin ein zufällig ausgewählter malischer Soldat von sich aus einem deutschen Journalisten mit ganzer Überzeugung schilderte, dass ihm die Ausbildung bereits mehrfach das Leben gerettet habe und wie dankbar er hierfür den westlichen Soldaten sei. In dem später veröffentlichten Beitrag des öffentlich-rechtlichen Senders hatte dieses Statement keinen Platz mehr. Stattdessen wurde ein aus meiner Sicht völlig unpassender Vergleich zu Afghanistan gezogen. Natürlich ist das Risiko im Norden Malis hoch, insbesondere für die ebenfalls oft nur schlecht ausgebildeten und ausgestatteten Blauhelmsoldaten aus Ländern wie Burkina Faso, Bangladesch und dem Tschad, welche die größten Truppensteller der anderen und UN-geführten Mission in Mali, MINUSMA, darstellen. Ein Vergleich zwischen Mali und Afghanistan mag zwar medial eingängig sein, dennoch gibt es gewichtige kulturelle und historische Unterschiede zwischen den Ländern. Aber vielleicht hatte der Journalist auch einfach nur die gleiche Vorausbildung wie ich selbst genossen.

Ressortübergreifende Jugendoffiziere einführen

Die positiven Erfahrungen dieser Einsätze sollten der Öffentlichkeit stärker vermittelt werden. Bislang wird in Deutschland die sicherheitspolitische Öffentlichkeitsarbeit weitestgehend dem BMVg und der Bundeswehr überlassen. Ein Beispiel hierfür sind die Jugendoffiziere der Bundeswehr, deren Angebot sich hauptsächlich an Schüler richtet. Eine Ergänzung dieses Angebots durch zivile „Jugenddiplomaten“ des AA oder „Jugendentwicklungshelfer“ des BMZ wäre sinnvoll, um den vernetzten Ansatz auch in der Öffentlichkeitsarbeit und sicherheitspolitischen Bildung Rechnung zu tragen.

Auch als in der deutschen Bundeswehr im vergangenen Jahr 2017 über die Frage von Traditionen diskutiert wurde, hätte ich mir gewünscht, die Erfahrungen aus den multinationalen Einsätzen zum Ausgangspunkt einer Debatte über europäische Streitkräftetraditionen zu nehmen. Europäischen Soldaten sollte nicht nur bewusst sein, für welche Werte sie im äußersten Fall ihr Leben riskieren. Sie sollten auch wissen, welche Werte sie vermitteln sollen. Das Militär darf mit diesen Fragen nicht alleine gelassen werden. Es wird Zeit, dass sie in der gesamten europäischen Öffentlichkeit diskutiert werden.

Eine Sauna in der Wüste mag auf dem ersten Blick sinnlos klingen. Bei genauerer Betrachtung wird sie zu einem Symbol für kulturelle Vielfalt – der größten Stärke Europas.

Friedenseinsätze Europäische Union Security Sector Reform Frieden & Sicherheit Mali

Christian Weber

Dr. Christian Weber arbeitet als politischer Referent für den Deutschen Bundeswehrverband. Er war als Offizier u.a. als Referent für Sicherheitspolitik sowie für die EU als Presseoffizier in Mali tätig.