Sicherheitssektor (re)formieren – Vier Empfehlungen für Mali 09. Mai 2018 · Robin Schroeder Grundlegende Strukturen des Sicherheitssektors in Mali benötigen keine Reform, sondern müssen überhaupt erst einmal geschaffen werden. Gleichzeitig ist eine Dezentralisierung des Polizeiwesens notwendig. Eine SSR-Koordinationsstelle und operatives Mentoring könnten helfen, diese Aufgaben unter den schwierigen Rahmenbedingungen laufender Operationen anzugehen. Debatten Sicherheitssektorreform Ideen für eine Strategie der Bundesregierung „Notre premier besoin, c’est la sécurité.“ Wir benötigen zuallererst Sicherheit. Dies war der Tenor in nahezu jedem der Gespräche, die ich mit Vertretern der malischen Zivilbevölkerung zwischen November 2016 und Dezember 2017 in der Region Gao führte. Ein Befund, der die andauernd schwierige Sicherheitslage in Nord- und Zentralmali widerspiegelt. Bewaffnete Milizen diverser politischer Interessengruppen, Banditen und Wegelagerer sowie die an Zulauf gewinnenden Jihadisten versorgen sich in Nord- und Zentralmali aus der Bevölkerung, wobei die Grenzen zwischen diesen Gruppen bisweilen fließend sind. Die Unsicherheit stellt die internationalen Anstrengungen zur Stabilisierung und Entwicklung des Landes vor große Herausforderungen. Gewalt und Kriminalität untergraben nicht nur das Vertrauen der Malier in den Staat, sondern stellen aus Sicht der lokalen Bevölkerung langfristig auch den Mehrwert einer internationalen militärischen Präsenz infrage. Doch weder die UN-Friedensmission MINUSMA noch die Soldaten der französischen Antiterrorismus-Operation Barkhane haben die Ressourcen, um die malische Zivilbevölkerung ausreichend zu schützen. Dies können nur malische Sicherheitskräfte leisten. Daher ist die Reform des Sicherheitssektors und die Ertüchtigung der Sicherheitskräfte ein elementarer Baustein des internationalen Stabilisierungsansatzes in Mali. Doch dieses Unterfangen ist von erheblichen lokalen Herausforderungen geprägt. Um diesen zu begegnen, bedarf es bei den im SSR-Bereich tätigen internationalen Partnern, neben politischer Entschlossenheit und langem Atem, einem Umdenken in vier Bereichen. Lokale Schutzpolizei statt Polizeikräfte aus Bamako Das zentralistische Staatsmodell Malis wird den Bedürfnissen der unterschiedlichen Regionen des Landes nicht immer gerecht. Neben dem latenten Spannungsverhältnis zwischen der starken Zentralregierung und den einzelnen Gebietskörperschaften in Fragen der politischen Mitbestimmung, betrifft dies im Falle des Polizeiwesens auch den Sicherheitssektor. Dass die Polizisten nicht direkt aus den lokalen Gemeinden rekrutiert werden, in denen sie zum Einsatz kommen, hat sich als ein bedeutendes Problem erwiesen. Stattdessen setzt die Zentralregierung bewusst ortsfremde Polizeikräfte ein, die nach wenigen Wochen bereits rotieren. Aus diesem Grund haben die Polizisten nur geringe Ortskenntnisse, sprechen oft die lokale Sprache nicht und sind kaum motiviert, während ihrer kurzen Stehzeiten viel Aktivität zu zeigen. Zudem genießen sie als Repräsentanten einer oft nicht sehr beliebten Zentralregierung wenig Akzeptanz. So ist es nachvollziehbar, dass die Polizisten es vermeiden, an ihren Dienstorten anzuecken und in Konflikt mit lokalen Milizen und kriminellen Netzwerken zu geraten. Doch gleichzeitig führt diese Passivität der Polizei zu Frust und Wut in der lokalen Zivilbevölkerung, die angesichts der hohen Kriminalität vehement nach mehr Sicherheit ruft. Eine Lösung für dieses Problem könnte künftig eine Police Territoriale sein, die sich direkt aus den Gebietskörperschaften rekrutieren soll und damit lokal verwurzelt wäre. Eine solche Idee steht zwar bereits seit dem Abschluss des Friedensvertrages von Algier im Raum, wurde aber seitens der Zentralregierung bisher, wenn überhaupt, nur zögerlich vorangetrieben. Es liegt auf der Hand, dass Bamako gerade im Sicherheitssektor wenig Interesse an einer Dezentralisierung hat. Doch eine lokale Polizei würde nicht dem Verlust des zentralstaatlichen Gewaltmonopols gleichkommen: Die Gouverneure als Vertreter Bamakos in den Regionen wären weiterhin Oberbefehlshaber aller Sicherheitskräfte in ihrem Verantwortungsgebiet einschließlich der Polizei und könnten somit nach wie vor eine entsprechende Kontrolle sicherstellen. Darüber hinaus würden Armee, Gendarmerie und Nationalgarde kräftemäßig weiterhin ein deutliches Übergewicht gegenüber einer lokalen Polizei behalten. Sicherheitssektoraufbau statt Sicherheitssektorreform Eine vielbeachtete Studie von Catriona Craven-Mathews und Pierre Englebert hat kürzlich überzeugend argumentiert, dass die malischen Staatsinstitutionen potemkinschen Dörfern gleichen, hinter deren Fassade sich wenig Substanz befindet. Dies gilt neben den (unnötig) vielen Ministerien und Behörden auch für die Sicherheitsinstitutionen. Den vier malischen Sicherheitsdiensten Armee, Nationalgarde, Gendarmerie und Polizei fehlt in vielerlei Hinsicht der notwendige institutionelle Unterbau. Hinter der Fassade von (vor allem sich selbst sichernden) Checkpoints und (viel zu seltenen) Patrouillenfahrten mangelt es an Strukturen und Fähigkeiten, die von entscheidender Bedeutung für die Leistungsfähigkeit nationaler Sicherheitskräfte sind. Dazu zählen Führungsgrundgebiete wie Personalwesen, Planung oder Logistik und Fähigkeiten wie die Instandsetzung von technischem Gerät oder funktionierende sanitätsdienstliche Rettungsketten. "Wer schlecht geführt, bei ausstehendem Sold, mit unzureichender Ausrüstung und im Ernstfall ohne Aussicht auf schnelle Rettung in einem gefährlichen Umfeld Sicherheit schaffen soll, tut dies – wenn überhaupt – nur mit geringem Elan." Wer schlecht geführt, bei ausstehendem Sold, mit unzureichender Ausrüstung und im Ernstfall ohne Aussicht auf schnelle Rettung in einem gefährlichen Umfeld Sicherheit schaffen soll, tut dies – wenn überhaupt – nur mit geringem Elan. Diese einfache Wahrheit gilt nicht nur für malische Sicherheitskräfte. Diese grundlegenden Defizite veranschaulichen, dass der malische Sicherheitssektor in vielen Bereichen nicht reformiert, sondern überhaupt erst einmal aufgebaut werden muss, um in einem Mindestmaß zu funktionieren. Andernfalls werden angebliche Brigaden und Regimenter in der Realität weiterhin nur aus einem Bruchteil der Sollpersonalstärke bestehen, Kommandeure nicht wissen, welche und wie viele Kräfte tatsächlich unter ihrem Kommando dienen, und effektive Operationsplanungen unmöglich sein. Um dies zu ändern, müssten die Führungskräfte im Sicherheitssektor noch stärker leistungsbasiert generiert werden. Doch die in Mali traditionell auf Familienbanden und persönlichen Netzwerken basierende Elitenrekrutierung steht dem noch oft im Weg. Operatives Mentoring im Feld neben Schießübungen auf dem Ausbildungsgelände Die beschriebenen substanziellen Defizite der malischen Sicherheitskräfte werden sich nicht kurzfristig lösen lassen. Sie erfordern den sukzessiven Aufbau von Organisations- und Planungsfähigkeiten durch internationale Berater in den Stäben malischer Sicherheitsinstitutionen. Dieser Ansatz erfolgt in einigen Fällen bereits und muss konsequent fortgeführt werden. Die aktuelle Lage verlangt jedoch, dass die malischen Sicherheitskräfte im Feld schnellstmöglich ihre Aufgaben besser wahrnehmen. Hier hat sich gezeigt, dass die malische Armee derzeit in der Regel nur dann erfolgreich operiert, wenn sie durch internationale – zumeist französische – Kräfte im Feld begleitet und angeleitet wird. Das Mentoring im Feld ist dabei nicht nur entscheidend für das Selbstvertrauen der malischen Sicherheitskräfte, sondern auch für das Verinnerlichen von Taktiken und Standardverfahren unter Einsatzbedingungen. Nur durch das Training auf Übungsplätzen allein kann dies nur bedingt und vor allem nicht nachhaltig erreicht werden, wie zahlreiche SSR-Missionen der letzten Jahre verdeutlichen. Bislang verlegen die Absolventen der EUTM-Ausbildung nach einem mehrwöchigen Training im ruhigen Koulikoro ohne internationale Berater in die Unruhprovinzen im Zentrum und Norden des Landes. Aufgrund der Defizite im malischen Personalwesen ist dabei schwer nachzuvollziehen, an welchen genauen Einsatzort die von EUTM ausgebildeten malischen Einheiten gesendet werden. Somit sind auch mögliche Erfolge der EUTM-Ausbildung nur schwer zu überprüfen. Die Leistungen auf sich allein gestellter malischer Einheiten im Feld lassen aber schlussfolgern, dass allein das Training in Koulikoro angesichts der aktuellen Sicherheitslage nicht ausreicht. Der angestrebte Multiplikator-Effekt, den die einzelnen von EUTM ausgebildeten Kräfte in der Fläche erzielen sollen, ist offenbar zu gering, als dass er die Gesamteffektivität der malischen Sicherheitskräfte im derzeit erforderlichen Maße erhöht. Ein operatives Mentoring von Armee und Polizei ist daher eine Option für das internationale Stabilisierungsengagement in Mali, die diskutiert werden sollte. Auf diese Weise würde gleichzeitig ein umsichtiges Verhalten malischer Sicherheitskräfte gegenüber der Zivilbevölkerung besser überprüft werden können. Wie letztes Jahr von Amnesty International dokumentiert, kommt es hier weiterhin zu Fehltritten, welche die Bevölkerung in die Arme regierungsfeindlicher Kräfte treiben. Effektive Koordination statt Missions-Wirrwarr In Mali tummeln sich mittlerweile vier internationale Missionen, die in verschiedenem Maße an der Reform des malischen Sicherheitssektors beteiligt sind: Die militärische EU-Mission EUTM trainiert Soldaten der malischen Armee. Die zivile EU-Mission EUCAP Sahel Mali stärkt die Kapazitäten der Polizei, Gendarmerie und Nationalgarde. Die MINUSMA arbeitet eng mit den malischen Sicherheitskräften zusammen und UN-Polizisten praktizieren sogar bereits Mentoring im Feld mit malischen Polizeikräften. Französische Soldaten der Operation Barkhane arbeiten auf allen Ebenen eng mit der malischen Armee zusammen. Darüber hinaus gibt es bereits seit 2005 eine kleine Beratergruppe der Bundeswehr in Mali. Auch haben US-Kräfte über Jahre malische Spezialeinheiten ausgebildet. "Eine zentrale Koordinationsstelle sollte die verschiedenen internationalen Missionen in Mali miteinander abstimmen und das professionelle Verhalten der malischen Sicherheitskräfte überwachen." Das breite internationale Engagement und die unterschiedlichen SSR-Instrumente sind grundsätzlich positiv zu bewerten, bergen aber das Risiko eines unkoordinierten Nebeneinanders verschiedener Aktivitäten. Die Bundesregierung und ihre Partner sollten zusammen mit dem malischen Staat ein effizientes System entwickeln, das Ausbildung und Einsatz der malischen Sicherheitskräfte miteinander abstimmt und verbindet. Eine zentrale Koordinationsstelle wäre hier äußerst sinnvoll. Von einer solchen Stelle müsste auch ein systematisches Monitoring des malischen Sicherheitssektors hinsichtlich Missbrauch und Korruption ausgehen. Hier stehen die Mandatsgeber, insbesondere der UN-Sicherheitsrat, in der Pflicht, Lösungen zu präsentieren. Fazit: Erfolg der G5 Sahel hängt vom Erfolg der SSR-Programme ab Es bedarf noch viel Zeit und Mühe bis die malischen Sicherheitskräfte selbstständig und erfolgreich auf die zahlreichen Herausforderungen in ihrem Land reagieren können, welche im Kontext regionaler Konfliktdynamiken betrachtet werden müssen. Dies trifft in variierendem Maße auch auf die Sicherheitskräfte der Nachbarländer Mauretanien, Burkina Faso, Niger und Tschad zu, die gemeinsam mit Mali die Organisation „G5 Sahel“ zur Förderung der regionalen Sicherheit und Entwicklung geschaffen haben. Ein Erfolg der G5 Sahel wird daher grundsätzlich von Fortschritten bei der Ertüchtigung all jener Kräfte abhängig sein, die künftig im Rahmen des militärischen Arms der G5, der sogenannten Force Conjointe, eingesetzt werden. Im Falle Malis sollten die hier genannten Punkte zugunsten einer solchen Ertüchtigung berücksichtigt werden. Debatten Sicherheitssektorreform Ideen für eine Strategie der Bundesregierung Security Sector Reform Sub-Sahara Afrika Mali Robin Schroeder Robin Schroeder ist Leiter des Arbeitsbereichs Konfliktanalyse und Internationales Krisenmanagement am Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK). Von November 2016 bis Dezember 2017 war er für das Auswärtige Amt im Rahmen der MINUSMA-Mission als Civil Advisor des 3.-6. Bundeswehr-Einsatzkontingents im nordmalischen Gao tätig. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wieder.
Artikel Wie geht Ertüchtigung (nicht)? Erfahrungen aus Mali Erfahrungen aus Mali zeigen: Die Bundesregierung muss besser darin werden, plausible Strategien dafür zu entwickeln, was sie mit ihrer Ertüchtigungspolitik in Krisenländern erreichen will. Dabei sollte sie Annahmen immer wieder evaluieren, Maßnahmen anpassen und genügend Personal für die politische Analyse entsenden. Denis Tull • 02. Mai 2018
Artikel Deutsches Engagement in Mali: Hilfe an politische Forderungen knüpfen Der Bundeswehreinsatz in Mali ist gefährlich, aber notwendig. Das Beispiel Mali zeigt, dass rein technische Hilfe ohne politischen Rahmen der Nährboden für den Ausbruch langanhaltender Krisen sein kann. Deutschland sollte trotzdem weitermachen und klare politische Forderungen für den Friedensprozess im Land stellen. Melanie Hauenstein • 02. Mai 2017
Artikel Keine SSR-Programme ohne Beteiligung marginalisierter Gruppen Die Bundesregierung sollte sich mit ihrer neuen SSR-Strategie von ihrer Staatszentriertheit lösen und traditionelle Sicherheits- oder Justizinstitutionen stärker in ihre Maßnahmen einbinden. Voraussetzung für ein deutsches Engagement sollte die Beteiligung von marginalisierten Gruppen an SSR-Programmen sein. Nadine Ansorg • 07. Mai 2018