Wer strategisch reformieren will, muss ressortgemeinsam planen

06. Juni 2018   ·   Ursula Schröder

Strategische Reformvorhaben im Sicherheitsbereich sollten gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und demokratische Kontrolle stärken, um nachhaltig erfolgreich zu sein. Doch das deutsche SSR-Engagement weicht zu oft von diesen Prinzipien ab. Die Bundesregierung muss endlich ressortgemeinsam planen sowie die nötigen Ausbildungs- und Analysekapazitäten schaffen.

Reformen des Sicherheitssektors müssen politische Herausforderungen auf allen Ebenen eines Partnerlandes adressieren. Isolierte Ausbildungs- und Ausstattungsmaßnahmen, die sich an kurzfristigen Erfolgen orientieren und keine klaren politischen Ziele verfolgen, werden nicht zu nachhaltigem politischem Wandel führen. Denn in vielen Konfliktsituationen fungieren staatliche Sicherheitskräfte weniger als Sicherheitsgaranten der Bevölkerung, sondern als Machtinstrument politischer Eliten. Reiner Kapazitätsaufbau führt daher selten zu mehr Sicherheit für die Bevölkerung. Um negative Folgen zu verhindern, müssen strategische Reformvorhaben im Sicherheitsbereich auf die Stärkung dreier Prinzipien ausgerichtet sein: gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit sowie demokratische Kontrolle des Sicherheitssektors.

Langfristige Planungs- und Umsetzungsprozesse sind zentrales Erfolgskriterium

Entsprechende internationale Strategien für Reformen des Sicherheitssektors liegen bereits vor und sind weitgehend konsensuell abgestimmt. In aktuellen Strategiedokumenten der OECD, der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der OSZE sind zentrale Prinzipien für Reformvorhaben im Sicherheitssektor verankert. Die Bundesregierung sollte bei ihrer neuen SSR-Strategie berücksichtigen, dass längerfristige und adaptive Planungs- und Umsetzungsprozesse ein zentrales Kriterium für den nachhaltigen Erfolg dieser Strategien sind. Oft sind etablierte Planungsprozesse zu statisch und avisierte Projektlaufzeiten zu kurz. Insbesondere in aktuellen Stabilisierungskontexten sind Konfliktkonstellationen fluide und der Weg zu einer stabilen Friedensordnung weit. Reformvorhaben müssen sich auf diese häufig wechselnden politischen Konstellationen und Interessenlagen einstellen können. Das Personal in internationalen SSR-Missionen braucht Raum zur Innovation und zum Design neuer Programme, die an lokale Gegebenheiten angepasst sind. Mehrjährige Planungs- und Evaluationszyklen sind die Voraussetzung, um existierende Programme ständig verbessern zu können.

Zentral ist nicht nur die klare politische Unterstützung durch das Partnerland, sondern auch die Verantwortungsübernahme lokaler - auch zivilgesellschaftlicher - Partner für die angestrebten Reformen. Der Staat ist in vielen Regionen, in denen SSR-Vorhaben umgesetzt werden, nur ein Akteur unter vielen. Sicherheit wird für große Teile der Bevölkerung oft durch informelle Akteure gewährleistet, statt durch staatliche Sicherheitskräfte. Die Bundesregierung muss diese Realitäten pluraler Sicherheitsgewährleistung in ihrer Planung von Reformvorhaben des Sicherheitssektors stärker einbeziehen.

Deutsche SSR-Programme folgen nicht den bekannten Erfolgsprinzipien

Über die Faktoren, die die Erfolgschancen von SSR-Maßnahmen erhöhen, gibt es also genug belastbares Wissen. Doch bislang weichen deutsche und internationale Vorhaben weitgehend von diesen Prinzipien ab. Internationales Engagement wie das der Vereinten Nationen fokussiert sich häufiger auf klassische Ausbildungs- und Ausstattungshilfen als auf Prinzipien guter Regierungsführung. Im Engagement der Europäischen Union fehlt die Einbettung der primär technischen Unterstützung in einen politischen Rahmen

Auch das deutsche Engagement im Sicherheitssektor priorisiert die Befähigung einzelner Sicherheitskräfte, anstatt den bekannten Erfolgsprinzipien zu folgen. Schwerpunkte sind die Ausstattung und Ausbildung ausländischer Streit- und Polizeikräfte sowie die Ertüchtigung von Sicherheitskräften im Rahmen von Stabilisierungseinsätzen. Um die Lücke zwischen identifizierbaren Erfolgsfaktoren und aktueller Praxis zu schließen, sollte die Bundesregierung die strategische Neuausrichtung ihres SSR-Engagements auf mehreren Ebenen durchführen.

Risiken aktiv managen

Reformen des Sicherheitssektors sind komplexe Projekte in oft unwägbaren politischen Situationen. Das Risiko zu Scheitern ist hoch, insbesondere in akut gewaltsamen Konfliktsituationen und Kontexten extremer staatlicher Fragilität. Bevor sie in SSR-Vorhaben investiert, sollte die Bundesregierung daher klären, ob ein Mindestmaß an Sicherheit und Stabilität, sowie Handlungsfähigkeit lokaler politischer Institutionen gegeben ist. Fehlt es an diesen Grundbedingungen, sollten SSR-Maßnahmen nicht durchgeführt werden

In einem Sicherheitsvakuum können insbesondere die aus dem Sicherheitssektor selbst resultierenden Bedrohungen stabiler Friedensordnungen nicht nachhaltig bekämpft werden.  Um mögliche positive Effekte zu stärken und konfliktverschärfende Folgen zu vermeiden, muss die Bundesregierung ihre SSR-Programme zudem durch systematische Prozessbegleitung und politische Erfolgskontrollen flankieren.

Ressortzusammenarbeit deutlich verbessern

An der Schnittstelle zwischen kurzfristiger Stabilisierung und langfristiger Krisenprävention und Entwicklung muss die Bundesregierung endlich die Zuständigkeiten der Ressorts klären und die Ressortzusammenarbeit deutlich verbessern. Ressortgemeinsame Strategien und Planungsprozesse sind unerlässlich, um nachhaltige Reformen des Sicherheitssektors auf den Weg zu bringen. In komplexen Konfliktkontexten müssen Programme flexibel an sich schnell wandelnde lokale Situationen anpassbar sein. Die Bundesregierung sollte ihre Ausbildungs- und Ausstattungsmissionen in komplexen Stabilisierungskontexten konsistent auf längerfristige politische Ziele hin orientieren. Sie muss ihre Ertüchtigungsvorhaben auf Grundlage der Prinzipien guter Regierungsführung gestalten, um längerfristig positive Effekte zu erzielen.

Ausbildungs- und Analysekapazitäten schaffen 

Die Bundesregierung sollte eine Wissensgemeinschaft (Community of Practice) etablieren, um sich bei der Planung und Durchführung von SSR-Vorhaben systematischer auf vorhandene wissenschaftliche und praktische Expertise stützen zu können. Eine solche Wissensgemeinschaft bündelt Expertise zu spezifischen SSR-relevanten Feldern und Regionen und leitet diese bei Bedarf an die Bundesregierung weiter. Kontextanalysen vor Beginn einer Maßnahme und vergleichende Wirkungsanalysen schätzen die Risiken, Erfolgschancen und möglichen längerfristigen Folgen durchgeführter Reformvorhaben ein und lassen dieses Wissen in den politischen Prozess einfließen. Ressortübergreifende Lehrgänge zur Planung und Durchführung von SSR-Programmen ermöglichen die Identifikation und Dissemination bestehender Best-Practice-Beispiele und die Entwicklung innovativer Umsetzungsformate.