Öffentlichkeit als strategisches Problem der Außen- und Sicherheitspolitik

04. Juli 2018   ·   Klaus Naumann

In Zeiten von hybrider Kriegsführung werden Gesellschaft, Öffentlichkeit und Medien zu strategischen Faktoren der Sicherheitspolitik. Zwar hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, die breitere Öffentlichkeit stärker anzusprechen. Statt jedoch strategisch zu kommunizieren, setzt sie bisher auf Ad-hoc Maßnahmen. Das reicht nicht mehr.

Wer sich mit Problemen der strategischen Kommunikation in der Außen- und Sicherheitspolitik auseinandersetzt, ist schnell an den alten Witz über die vier Feinde der Deutschen Bahn erinnert – Frühling, Sommer, Herbst und Winter. In der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zeichnen sich nach wie vor drei Widrigkeiten ab: (1) Trotz besserer Vorsätze gibt es noch keine befriedigende, öffentlich kommunizierte Strategiebildung; (2) die Umsetzung einer vernetzten Politik krankt nicht allein an institutionellen Schwerfälligkeiten, sie hat zudem auch keinen autorisierten „Sprecher“; und (3) die Bestandsaufnahme von Missionen, Einsätzen und deklarierten außen- und sicherheitspolitischen „Gestaltungsfeldern“ steckt noch in den Kinderschuhen.

Die eindrucksvollen Belege der Inklusivität und Transparenz des Review2014-Prozesses, des PeaceLab2016 im Vorfeld (und Nachgang!) der Erarbeitung der Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ und des Weißbuch2016-Prozesses sollten über zweierlei Strukturprobleme nicht hinwegtäuschen: Zum einen handelte es sich dabei um beachtliche, aber außergewöhnliche, kampagnenartige Anstrengungen, denen oftmals der Rückfall in die Amtsroutinen folgte. Zum anderen beschränkte sich der Radius der Öffentlichkeiten, die erreicht werden konnten, auf die verschiedenen Communities der Fachwelt, die Experten, Multiplikatoren und Analysten. Das ist nicht eben wenig, zeigt aber zugleich an, dass die gewählten Formate und Foren in Reichweite und Publikumsansprache begrenzt sind.

Der Erklärungs- und Legitimationsbedarf der Außen- und Sicherheitspolitik ist enorm

Aus mehreren Gründen ist dieser Befund alles andere als nebensächlich. Angesichts einer Weltordnung, die nach Diagnose der verantwortlich Beteiligten dabei ist, „aus den Fugen“ zu geraten, besteht beträchtlicher Erklärungs- und Legitimationsbedarf in der Außen- und Sicherheitspolitik, der das gesamte Spektrum des vermeintlich Selbstverständlichen umfasst – die Frage der Partner, des Multi- oder Minilateralismus, der Ziele und Mittel, der Fristen und Erfolgskriterien. Politik muss gleichsam „politischer“, d.h. grundsätzlicher in ihren Begründungen werden. Das umso mehr, wenn komplexe Probleme mit komplexem Mitteleinsatz mit offenen Fristen angegangen werden sollen. Nicht nur Feldakteure vor Ort und Koordinatoren auf Botschaftsebene oder in den Ministerien bedürfen der Selbstverständigung über Formen, Ziele und Etappen des Zusammenhandelns; die Bundesregierung und ihre Ressorts müssen auch die Öffentlichkeit vertraut machen mit den speziellen Herausforderungen eines ressortgemeinsamen Mitteleinsatzes deutscher Politik. Andernfalls droht nach der ersten, oft suggestiven Zustimmung („Man muss etwas tun!“) die Auszehrung der öffentlichen Akzeptanz, nachträglicher Sinnverlust oder sogar grassierende Gleichgültigkeit.

Richtig brisant aber wird das Problem der Öffentlichkeit dort, wo es zum strategischen Faktor eines Krisen- und Konfliktgeschehens wird. Das zeichnet sich beispielsweise in den hybriden Konfliktszenarien der Gegenwart ab. Der Fall um das russlanddeutsche Mädchen Lisa bewies die mediale Wirkungsmacht von Fake News, demonstrierte aber auch die Mobilisierungsbereitschaft einer vermeintlich diskriminierten Minderheit und ihre diplomatische Instrumentalisierung. Reichweite und Wirkung dieser Art von „Informationskrieg“ waren begrenzt, kündigten aber mögliche Konfliktszenarien an, in denen Glaubwürdigkeit, Legitimation und Akzeptanz der nationalen Politikangebote und Narrative selbst zum Gegenstand grenzüberschreitender Polemik oder verdeckter Einflussnahme wird.

Dabei zeigt sich beispielsweise, dass selbst „gesamtstaatliches“ Handeln („whole of government“) noch zu kurz greift, wenn sich Problem- und Krisenlagen in einer „gesamtgesellschaftlichen“ Dimension aufdrängen. Das Leitmotiv eines jüngsten PeaceLab-Beitrags „Erstmal zuhause ertüchtigen“ betrifft auch das Problem des „guten Regierens“, wie es u.a. Pierre Rosanvallon ausbuchstabierte: „Ertüchtigungen“ des Regierungshandelns seien in der Politisierung des Regierens (Gouvernement) zu suchen – in der Stärkung der Transparenz (Öffentlichkeitsbezug), der „Lesbarkeit“ („Begreifen von Abläufen“), der Rechenschaftspflicht und der „Reaktivität“ („Zuhören und regieren“).

Ist dieses Spektrum an Herausforderungen einer sicherheitspolitischen Kommunikation in den relevanten Ministerien der Bundesregierung bereits erkannt?

Die konzeptionelle Ausarbeitung einer strategischen Kommunikation bleibt aus

Sowohl das Verteidigungsministerium (BMVg) als auch das Auswärtige Amt (AA) wollen seit einigen Jahren zunehmend über die Fachöffentlichkeit hinaus wirken. In den einschlägigen Leitdokumenten ist dieses Bestreben jedoch konzeptionell noch nicht angekommen. Das Weißbuch 2016 nimmt sich erstmalig in der bundesdeutschen Sicherheitspolitik des Strategieproblems an. Doch im Rahmen der Ausführungen zur „Strategiefähigkeit“ (57, 135, 138) erfahren wir nichts über die damit verbundenen Öffentlichkeitseffekte. Im Abschnitt „Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft“ (111f) ist diese Bezugnahme natürlich unvermeidlich, bleibt aber pauschal. Annonciert wird ein „sicherheitspolitischer Diskurs“, aber nur mit „zentralen Akteuren“ (112). Interessant wird die Sache unter dem reichlich ins Weißbuch ausgestreuten Stichwort „Resilienz“. Hier zeichnet sich in der Tat eine strategische Perspektive ab, die geeignet ist, das Gefüge von Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Medien und Infrastrukturen auf die Probe zu stellen: Die konstatierte Vulnerabilität (48f) lässt den Ruf nach Widerstands- und Adaptionsfähigkeit, nach einer integrierten „Sicherheitsvorsorge“ laut werden, deren Instrumentarien und Implikationen noch weithin unklar sind. Daher ist es völlig richtig, einen „Dialog über die Grenzen von Sicherheit“ und das „akzeptable Risikoniveau“ (60) anzumahnen – zumal dann, wenn die „öffentliche Meinung“ als ein „Angriffsziel“ (ebd.) externer Einflussnahmen identifiziert wird. Die daraus folgende „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ einer „nachhaltigen Resilienzbildung“ (ebd.; auch Bundeskanzlerin Merkel, Vorwort, 7) ist freilich durch nichts gedeckt – außer durch den Umstand, dass die Bundesakademie für Sicherheitspolitik mit der „Institutionalisierung“ eines „gesamtgesellschaftlichen Dialogs zu den Erfordernissen künftiger Sicherheitsvorsorge“ (59) betraut worden ist.

Die Leitlinien warten hingegen mit einem Kranz von Vernetzungen zwischen dem AA und den Fachöffentlichkeiten auf, kündigen die regelmäßige Unterrichtung des Bundestages zu „ausgewählten Schwerpunktthemen“ (144) an, zeigen die Fortsetzung des mit dem PeaceLab2016 begonnenen „inklusiven Dialogs“ (ebd.) an und stellen eine Ausweitung der „Kommunikationsaktivitäten der Bundesregierung“ in Aussicht, „um ihr Engagement gegenüber der Öffentlichkeit zu erklären.“ (ebd.) Soweit so gut. Von der dort ebenfalls vorgesehenen „ressortgemeinsamen Arbeitsgruppe“ zum Zweck der gesteigerten Außenkommunikation ist hingegen noch nichts zu vernehmen.

Umfragen belegen: Viele Bürger fühlen sich nicht ausreichend informiert

Um die Dimensionen des Problems zu verdeutlichen, sollen drei Aspekte des Öffentlichkeitsbezugs von Außen- und Sicherheitspolitik unterschieden werden. Die Grundlage des politischen Öffentlichkeitsbezugs ist das Einwerben und Erhalten von Legitimation, d.h. von Vertrauen, Rückhalt, Akzeptanz und Wertschätzung. Aus einschlägiger Erfahrung einer wehrskeptischen Öffentlichkeit ist das BMVg darum besorgt, sich regelmäßigen Überblick über das öffentliche Meinungsbild zu verschaffen – durch jährliche Bevölkerungsumfragen des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw). Doch jenseits einer pauschal positiven Erwähnung der „Verankerung“ der Bundeswehr (111f), ist es der öffentlichen Meinung nicht gelungen, im Weißbuch Resonanz zu erzeugen. So überzeugend das anhaltende öffentliche Institutionenvertrauen in die Bundeswehr auch ist, 2016 und 2017 hielten 41% den Kontakt Bundeswehr-Gesellschaft für ausreichend, 40% dagegen für nicht ausreichend. Auch in Bezug auf die Auslandseinsätze fühlt sich die Bevölkerung nicht ausreichend informiert. Der allgemeine Informationsstand ist vielmehr anhaltend „rückläufig“. Entsprechendes gilt für die stabilen Ablehnungswerte von Auslandseinsätzen, sobald diese mit offenen, dauerhaften Kampfhandlungen einhergehen. Die öffentliche Haltung zur deutschen Außenpolitik ist durchaus vergleichbar: Die Deutschen sehen die vom Ausland wie von der eigenen Regierung gewünschte „aktive Rolle“ eher skeptisch.

Die Bundesregierung betreibt bisher Ad-Hoc-Maßnahmen statt strategischer Kommunikation

Vor diesem Hintergrund wird der Eindruck bestärkt, bei den beachtlichen Anstrengungen beider Ressorts um Inklusivität und Transparenz handele es sich letztlich immer noch um Ad-Hoc-Maßnahmen, während es nicht gelingt, eine stabile prozessuale Dimension zu entfalten, wie sie beispielsweise in Jacobis Überlegungen zu einer „strategischen Sicherheitskommunikation“angeregt worden sind. Durch die Ankündigung, Evaluationen von Einsätzen und Krisenmissionen vorzunehmen oder, wie in Expertenkreisen vielfach und seit Jahren angesprochen, regelmäßige strategische Lage- und Entwicklungsberichte zur Sicherheitspolitik vorzulegen, wird dieses Manko bisher nicht aufgefangen. Die Lesbarkeit der Außen- und Sicherheitspolitik, die sowohl im Review-Prozess 2014, dem Weißbuch-Prozess 2015 sowie dem PeaceLab2016 immer wieder angesprochen wurde, hat sich noch nicht entscheidend verbessern können.

Gesellschaft, Öffentlichkeit und Medien sind strategische Faktoren deutscher Sicherheitspolitik

Beide genannten Punkte – Legitimation und strategische Kommunikation – und ihre jeweiligen instrumentellen Hebel und Folgerungen zu unterscheiden, ist die neue strategische Bedeutung von Öffentlichkeiten im Rahmen von hybriden Konfliktlagen, denen einer der Workshops des Weißbuch-Prozesses gewidmet war, während diese Dimension in den Leitlinien zum Krisenengagement noch keine Aufmerksamkeit erfahren hat. Zielen solche Konflikte direkt oder mittelbar auf die politische Stabilität und die Integrität der demokratischen Lebensform, so werden Gesellschaft, Öffentlichkeit und Medien selbst zu strategischen Faktoren. Risikokommunikation, die auf diesen Konflikttypus zielt, wird sich nicht auf „zentrale Akteure“ (Weißbuch 2016, 112) beschränken wollen, sondern „Experten“ und „Laien“, kurzum: die Bürgergesellschaft, generell einbeziehen müssen. Was es aber bedeutet, Vulnerabilität und Resilienzphänomene, die gleichsam ein innerstaatliches Spiegelbild zum Fragilitätsproblem (Leitlinien, 21) bilden – zu einem gesamtgesellschaftlichen Thema zu machen, ist bisher nicht erkennbar.

So ermutigend die Willenserklärung ist, dass beide vorliegenden Leitdokumente fortgeschrieben werden sollen: Das strategische Problem der Öffentlichkeit ist weiterhin eines der zentralen Felder, auf denen noch viel zu tun ist.