Frauen, Gender und Transitional Justice

25. September 2018   ·   Susanne Buckley-Zistel

Die Bundesregierung sollte eine auf Frauen ausgerichtete Transitional Justice-Politik verfolgen, die nicht nur die Anzahl von Frauen in relevanten Gremien erhöht, sondern auch frauenspezifische Verletzungen aufarbeitet. Sie sollte das Potenzial von Transitional Justice, einen kleinen Beitrag zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft zu leisten, erkennen und unterstützen.

Debatten

in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung

Das Feld der Transitional Justice wurde unlängst durch den systematischen Einfluss von Geschlechterperspektiven bereichert, der seine normativen Grundlagen, seine praktische Umsetzung sowie seine sozialen und politischen Folgen im Sinne einer Geschlechtergerechtigkeit beeinflussen soll. Im Einklang mit der UN Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit aus dem Jahr 2000 sowie den Folgeresolutionen zielt dies darauf ab, die Rechte von Frauen in Nachkriegsgesellschaften zu stärken. So sollen Frauen gleichberechtigten Zugang zu Friedensförderung und Wiederaufbau erhalten und sexuelle Gewalt an Frauen und Mädchen soll geächtet werden. 

Frauen und Frauenrechte einbeziehen

Vor diesem Hintergrund ist es von großer Bedeutung, die Gleichstellung von Frauen als Entscheidungsträgerinnen zu fördern, da in vergangenen Transitional Justice-Prozessen Frauen in Gerichten, Wahrheitskommissionen und ähnlichen Institutionen unterrepräsentiert waren. Zudem wurde sexuelle Gewalt an Frauen zunächst nicht aufgearbeitet. Dies hatte mehrere Gründe: So schweigen viele Frauen aus Scham und Angst vor Stigmatisierung. Zudem wurde dem Tatbestand der sexuellen Gewalt generell wenig Aufmerksamkeit geschenkt, nicht zuletzt, weil er sich oft im Privaten abspielt. Auch gab es die Tendenz, vor allem körperliche Gewalt wie Folter und Tötung an Männern aufzuarbeiten, da diese von der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen wird. 

Inzwischen gibt es einige positive Entwicklungen zu verzeichnen: So wird beispielsweise am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag fast eine Geschlechterparität unter den Richtern und Richterinnen erreicht und auch jüngere Wahrheitskommissionen achten darauf, ausreichend weibliche Kommissarinnen einzubeziehen. Heutzutage ist zudem die Aufarbeitung von sexueller und genderbasierter Gewalt in den meisten Mandaten und Statuten integriert. Dazu führten nicht nur die extreme sexuelle Gewalt in Ruanda und dem ehemaligen Jugoslawien und die entsprechenden Urteile der internationalen Strafgerichthöfe, auch das einflussreiche Lobbying von Frauenrechtsorganisationen setzte das Thema auf die Agenda.

Nichtsdestotrotz muss die Gleichstellung von Frauen weiter thematisiert werden, um ihnen Zugang zu Entscheidungspositionen – und damit zu Machtpositionen – zu verschaffen. Es sollte jedoch nicht aus dem Blick geraten, dass Frauen nicht nur Opfer sexueller Gewalt, sondern auch Akteurinnen und Täterinnen sein können. Auch ist es wichtig zu betonen, dass auch Männer Opfer sexueller Gewalt sein können. 

Eine Geschlechterperspektive einnehmen

Transitional Justice geschlechtersensibel auszurichten, bedeutet nicht nur Frauen einzubeziehen und ihre Rechte zu wahren, sondern auch, eine Geschlechterperspektive einzunehmen. Da Frauen und Männern durch die Gesellschaft verschiedene Rollen zugeschrieben werden, ergeben sich wichtige Fragen für Transitional Justice: Inwieweit sind Transitional Justice-Maßnahmen auf die unterschiedlichen Lebensweisen von Männern und Frauen ausgerichtet? Wird dem in der Herangehensweise und den zugrundeliegenden Normen der Institutionen Beachtung geschenkt? Ohne eine generalisierte Vorstellung von Maskulinität und Femininität propagieren zu wollen, beinhaltet dies zu verstehen, ob und wie in einem bestimmten Kontext Männer und Frauen einen gewaltsamen Konflikt oder Repression aufgrund der ihnen zugeschriebenen gesellschaftlichen Rollen unterschiedlich erfahren. Für Frauen können daher wirtschaftliche, soziale und ökonomische Rechte (WSK-Rechte) wichtiger sein, da sie häufig in Bereichen präsent sind, wie zum Beispiel in der Familie oder im Haushalt, in denen WSK-Rechte verletzt werden können. Viele Transitional Justice-Maßnahmen arbeiten vor allem die Verletzung politischer und bürgerlicher Rechte auf, weshalb die Erfahrungen von Frauen außen vor bleiben. Wichtig ist daher, neben Verbrechen wie Tötung, Verschwindenlassen, oder Folter auch WSK-Rechte durch Transitional Justice zu behandeln. Sonst besteht die Gefahr, dass Frauen nur über Vergehen an ihren Männern und Söhnen aussagen, ohne dass ihre eigenen Erfahrungen berücksichtigt werden.

Das emanzipatorische Potential von Transitional Justice nutzen

Um den Nexus von Transitional Justice und Geschlecht noch einen Schritt weiter zu treiben: Viele Maßnahmen haben die Möglichkeit, einen kleinen Beitrag zu einer größeren Geschlechtergerechtigkeit in einer (Nachkriegs-)Gesellschaft zu leisten. Transitional Justice hat daher auch ein emanzipatorisches Potential. Durch das Offenlegen von geschlechterspezifischer Gewalt durch Gerichtsverfahren werden die Vergehen an Frauen im öffentlichen Diskurs stärker thematisiert oder sogar geächtet. Gleichzeitig kann durch die erreichte Öffentlichkeit Stigma reduziert werden. Durch materielle Reparationen können Empfängerinnen in manchen Fällen finanziell bessergestellt werden, was dazu führen kann, dass sie in der Gesellschaft besser gestellt sind und sich mehr beteiligen können. Es ist zumindest ein wichtiges Signal, dass Frauen auch wirtschaftliche Akteurinnen sein können. Darüber hinaus sollten Wahrheitskommissionen empfehlen, Frauen stärker in politische Entscheidungsprozesse einzubinden. Gedenkstätten können durch ihre Darstellung die Erfahrung von Frauen illustrieren und so zu gesellschaftlichen Diskussionen über ihre Gewalterfahrung anregen.

Dies sind Wege, wie man nicht nur den gesellschaftlichen Fokus auf Männer herausfordern, sondern auch die Rolle und Erfahrungen der Frauen in Zeiten von Krieg und Repression thematisieren kann. So kann der Status von Frauen in der (Nachkriegs-)Gesellschaft verbessert und eine bessere Geschlechtergerechtigkeit erreicht werden. Das wäre ein wichtiger, wenn auch subtiler Beitrag zur Emanzipation von Frauen. 

Was heißt das für die Politik?

Zusammengefasst bedeutet eine geschlechterspezifische, auf Frauen ausgerichtete Transitional Justice-Politik nicht nur die Anzahl von Frauen in relevanten Gremien zu erhöhen, sondern auch mehr frauenspezifische Verletzungen aufzuarbeiten. Gleichzeitig müssen Transitional Justice-Maßnahmen die Anliegen von Männern und Frauen adressieren. Das Potenzial von Transitional Justice, einen kleinen Beitrag zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft und der Emanzipation von Frauen zu leisten, sollte unterstützen werden.

Was bedeuten diese Anforderungen nun für die Bundesregierung? Wie können diese Prozesse von außen unterstützt werden? Jeder Antwort muss vorweggestellt werden, dass es sich bei der Aufarbeitung gewaltvoller Vergangenheit um höchst komplexe und stark politisierte Prozesse in zumeist tief gespaltenen Gesellschaften handelt, denen jegliche Form der externen Intervention Rechnung tragen muss. Zugleich sind diese Prozesse zutiefst in den Gesellschaften verankert, so dass das Suchen nach Lösungen und Strategien vor allem aus den Gesellschaften selbst kommen muss. Dies ist auch von Bedeutung für die Rolle von Frauen und Gender in Transitional Justice Prozessen. 

Die Bundesregierung sollte den Dreiklang von Frauen, Gender und Emanzipation umsetzen. Sie sollte weiterhin darauf pochen, Frauen in Entscheidungsgremien einzubeziehen und ihre Rechte wahren, wie es die Resolution 1325 vorsieht. Dies bedeutet aber vor allem auch, Frauen generell zu fördern, damit sie die gleichen Ausbildungs- und Karrierechancen wie die Männer in ihrem Land genießen können. 

Sexuelle und geschlechterbasierte Gewalt ist inzwischen ein Aktionsfeld vieler staatlicher und nicht-staatlicher Akteurinnen und Akteure – ohne dass dadurch die Anzahl der Vergehen weniger geworden ist. Es ist also nach wie vor wichtig, den Tatbestand auf die Agenda zu setzen und Akteurinnen sowie Akteure, die in diesem Bereich tätig sind, zu unterstützen. Wenn die Bundesregierung Transitional Justice-Institutionen berät, sollte sie darauf achten, dass sie sowohl die Erfahrungen von Männern als auch von Frauen in den Blick nimmt. Auch sollte bei jeglicher Form der Unterstützung von Transitional Justice Prozessen mit Anschlussprogrammen garantiert werden, dass die Empfehlungen (z.B. Reparationen) auch umgesetzt werden. Und letztlich ist all dies nicht möglich, ohne die gesellschaftliche Gleichstellung von Mann und Frau zu unterstützen und gemeinsam mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort Wege zu finden, wie das emanzipatorische Potential von Transitional Justice seine gesellschaftliche Wirkung entfalten kann.

Debatten

in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung

Friedensförderung Frauen Transitional Justice

Susanne Buckley-Zistel

Prof. Dr. Susanne Buckley-Zistel ist geschäftsführende Direktorin des Zentrums für Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg.