Rechtsstaatsförderung als Beitrag zur Festigung staatlicher Legitimität

19. März 2019   ·   Lothar Jahn

Rechtsstaatsförderung zur Stabilisierung kann aufgrund der kurz- bzw. mittelfristigen Laufzeiten das Verständnis staatlicher Legitimität in einer Gesellschaft kaum beeinflussen. Deutsche Akteure sollten sich stärker an der Wahrnehmung der Zielbevölkerung orientieren, indem sie Erfolge unabhängiger Beschwerdemechanismen möglichst sichtbar verbreiten und Input- und Output-Legitimität gemeinsam fördern.

Debatten

in Zusammenarbeit mit dem RSF-Hub der Freien Universität Berlin

Wie kann Rechtsstaatsförderung eine Stabilisierung fragiler staatlicher Strukturen unterstützen? Die Leitlinien der Bundesregierung heben bei dieser Frage die Bedeutung von Legitimität besonders hervor. Die Festigung legitimer politischer Institutionen und Akteure ist eine wichtige Zieldimension beim Aufbau staatlicher Strukturen und der Stärkung von Governance. Wenn die Bevölkerung staatliche Organe akzeptiert und anerkennt, dann handelt sie aus freien Stücken rechtskonform.

Kollektive, freiwillige Anerkennung und Gefolgschaft wurzeln allerdings in ganz subjektiven Gedankenkonstruktionen. Durch ihre Verbreitung erzeugen sie den sozialen Zusammenhalt in einer Gemeinschaft. Erst dadurch ist eine Gemeinschaft in der Lage kollektiv zu handeln, etwa indem jede Person die staatliche Gesetzgebung beachtet.

In diesem Verständnis ist Legitimität eine Glaubensfrage und gründet stark in den Werteüberzeugungen jedes einzelnen Individuums. Diese Überzeugungen speisen sich aus kulturellen, traditionellen und religiösen Quellen. Mit kurz- und mittelfristigen Stabilisierungsprogrammen sind sie kaum zu beeinflussen.

Stabilisierungsorientierte Rechtsstaatsförderung muss an kulturelle Wertesysteme anknüpfen

Das bedeutet, dass in Stabilisierungskontexten Rechtsstaatsförderung an das kulturelle Wertesystem der Bevölkerung anknüpfen muss. Strategien zur Rechtsstaatsförderung, die als Beitrag zur Stabilisierung gedacht sind, müssen sich demzufolge aus der jeweiligen Verfassung bzw. dem Verständnis im jeweiligen Krisenland ableiten. Auch wenn dies mitunter zu Zielkonflikten und zu Konflikten mit eigenen Wertvorstellungen kommt. Dazu ein Beispiel aus einem GIZ-Vorhaben in einem Partnerland im südlichen Afrika:

Nach den gesetzlichen Vorschriften ist in diesem Land eine vorläufig von der Polizei festgenommene Person nach 3 Tagen wieder frei zu lassen, sofern keine Untersuchungshaft angeordnet wurde. Die Polizei setzt diese Vorschrift allerdings nicht in die Praxis um. Diesen Zustand rechtfertigte ein Projektpartner (lokaler Staatsanwalt) gegenüber einem deutschen Fachberater wie folgt: Nimmt die Polizei, die wegen eines Diebstahls in ein Dorf gerufen wird, den vermeintlichen Täter fest, kann sie ihn unmöglich nach 3 Tagen freilassen, selbst wenn diese Person unschuldig wäre. Denn dies zerstöre das Vertrauen in die Polizei und die staatliche Kontrolle über das Dorf ginge bald verloren.

Das Gespräch verdeutlicht das Dilemma von Projekten mit Stabilisierungszielen: Projekte, die staatliche Legitimität stärken sollen, verbessern nicht unbedingt die menschenrechtliche Lage in einem Partnerland. Deutsche Akteure müssen dies mitbedenken. In solchen Vorhaben sollten sie darauf achten, dass sich die Menschenrechtslage dadurch nicht verschlimmert oder verfestigt.

Das Beispiel veranschaulicht auch, dass der Wahrnehmungshorizont der Bevölkerung maßgeblich sein sollte, wenn internationale Akteure Rechtsstaatsförderungsmaßnahmen zur Stabilisierung konzipieren. Maßnahmen, die den Erwartungen und Werten der Bevölkerung zuwiderlaufen, oder sogar als disruptiv erfahren werden, können destabilisierend wirken.

Input- und Output-Legitimität von gleicher Bedeutung

Legitimität entsteht auch daraus, dass die Entscheidungsmuster staatlicher Strukturen mit den Mitwirkungsprozessen der Betroffenen übereinstimmen. Gemeint sind faire und inklusive Verfahren in Verwaltungsentscheidungen, Privatstreitigkeiten und Strafsachen sowie reale Möglichkeiten der Beteiligung und Mitbestimmung in politischen Angelegenheiten (Input- Legitimität). Zielt die Förderung hingegen auf eine verbesserte Leistungsfähigkeit des Staates z. B. für einen besseren Zugang zu Trinkwasser ab, dann wird dadurch die Output-Legitimität beeinflusst.

Die Erfahrungen der GIZ in fragilen Kontexten haben gezeigt: Effektive Fairness- und Partizipationsprozesse haben auf die Legitimität staatlicher Strukturen einen ebenso wichtigen Einfluss wie der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen. In fragilen Kontexten, die von besonderem Misstrauen der Bevölkerung gegenüber dem Staat geprägt sind, kann die Förderung von Input-Legitimität sogar wirksamer sein als die Förderung von Output-Legitimität. In diesen Fällen sollten deutsche Akteure das Wie der Entscheidungsfindung staatlicher Strukturen prioritär fördern. Gleichzeitig würden sie damit ein Beitrag zur Umsetzung von Artikel 10 der UN-Menschenrechtscharta (rechtliches Gehör) leisten.

Die Veränderungen müssen sich herumsprechen

Die deutsche Strategie zur Rechtsstaatsförderung sollte dabei auch berücksichtigen, dass nicht nur die jeweiligen Verfahrensbeteiligten, sondern die gesamte Bevölkerung die Arbeit der Justiz- und Verwaltungsinstitutionen wahrnimmt und spürt. Nur so lässt sich staatliche Legitimität über den Einzelfall hinaus beeinflussen. Die bloße Einführung von unabhängigen Beschwerdestellen sowie Gerichten mit öffentlichen Verhandlungen und Anhörungen reicht nicht aus. Die betroffene Bevölkerung muss entsprechende Veränderungen aktiv wahrnehmen und als glaubwürdig ansehen können.

Glaubwürdig werden diese Institutionen erst dann, wenn sie das Recht ohne Ansehen der Person auch gegen „die Mächtigen“ anwenden. Entscheidungen also, die sich auch gegen nichtstaatliche Gewaltakteure, sich bereichernde Behörden und korrupte Eliten richten. Werden diese öffentlich wahrgenommen, dann entsteht bei den Bürgerinnen und Bürgern ein Bild anerkennenswerter staatlicher Strukturen.

Der wichtigste (beeinflussbare) Faktor, um die freiwilligen Anerkennung von staatlichen Strukturen zu steigern, ist die sichtbare Glaubwürdigkeit von Beschwerde- und Klagemechanismen. Daher muss sich der Erfolg von Anhörungen, Beschwerden und Klagen vor allem in Krisenländern möglichst breit herumsprechen. Die entsprechenden Berichte müssen in sozialen Medien, lokalen Zeitungen, in Radio und Fernsehen Verbreitung finden. Meinungs- und Pressefreiheit schaffen dafür ein günstiges kommunikatives Umfeld.

Entscheidend ist hierbei, dass staatliche Beschwerdestellen ein gewisses Maß an Unabhängigkeit haben. Die erlebbare Unabhängigkeit von Beschwerdestellen und Gerichten ist für die Effektivität von Stabilisierungsmaßnahmen nicht zu unterschätzen. Sind in den politischen Rules of the Game eines Landes unabhängige Gerichte nicht vorgesehen, werden politische Akteure diese zwar häufig befürworten (z.B. in Regierungsvereinbarungen), die hierfür notwendigen Maßnahmen aber nur zum Schein unterstützen (Commitment Gap). Geberländer wie Deutschland müssen daher bei der Auswahl der Krisenländer, die für Rechtsstaatsförderung zur Stabilisierung geeignet sind, kritisch vorgehen. Geeignete Krisenländer wären z. B. Äthiopien, Armenien oder seinerzeit die Länder in der Phase des arabischen Frühlings.

Input- und Output-Legitimität miteinander koppeln

Bei Programmen zur Rechtsstaatsförderung sollte die Bundesregierung auch die Effekte von Output- und Input-Legitimität in der Praxis miteinander verbinden. Hierfür müsste sie die Förderung der staatlichen Daseinsvorsorge (Maßnahmen der Übergangshilfe oder der nachhaltigen Entwicklung) mit der Stärkung von Partizipationsmechanismen in staatlichen Strukturen koppeln (z. B. Mechanismen, die den Zugang zu Recht sicherstellen). Eine solche Strategie könnte Rechtsstaatsförderung in bereits etablierte Projekte integrieren, z.B. in die Verbesserung der Wasser- oder Gesundheitsversorgung.

Doch sowohl input- als auch outputorientierte Legitimitätsförderung verliert an Wirksamkeit, wenn in Krisenländern nichtstaatliche, mit dem Staat konkurrierende Gewaltakteure die Deutungshoheit darüber haben, was richtig oder falsch, heimisch oder fremd ist. So gelingt es z.B. den Taliban in Afghanistan durch ihre Deutungshoheit über islamische Quellen, eine generelle Unvereinbarkeit der bestehenden staatlichen Rechtsordnung mit den Regeln des Islam zu konstruieren. Damit schwächen sie die Legitimität des afghanischen Staates in der Bevölkerung erheblich ab. Die Bundesregierung darf in Stabilisierungsszenarien diese Deutungshoheit nicht den nichtstaatlichen Gewaltakteuren überlassen. Im Gegenteil, deutsche Akteure müssen diese proaktiv herausfordern, etwa indem sie mit konstruktiven Akteuren zusammenarbeiten, die als Meinungsführer innerhalb ihrer Gemeinschaft das Vertrauen der Bevölkerung genießen.

In diesen hochfragilen Kontexten muss die Internationale Gemeinschaft mit besonderer Aufmerksamkeit auftreten. Denn Legitimität ist ein sensibles öffentliches Gut. Es stellt sich die Frage, ob die Partizipationsstrukturen in Ministerien und Parlamenten sowie die Reformen hin zu einer unabhängigen Justiz tatsächlich als Eigeninitiative der Geförderten erscheinen? Prägen nicht in erster Linie die Geberländer das Bild der Reformen und Veränderungen in diesen Ländern? Die vielen Logos der Geber und Durchführer relativieren den Staat als Akteur und unterminieren damit seine Legitimität. In ihrer neuen Strategie sollte die Bundesregierung daher für Stabilisierungsmaßnahmen durch Rechtsstaatsförderung auch die gängige Praxis der Öffentlichkeitsarbeit im jeweiligen Krisenland überdenken. Diese sollte möglichst unsichtbar bleiben.

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in Zusammenarbeit mit dem RSF-Hub der Freien Universität Berlin

Rechtsstaatsförderung

Lothar Jahn

Dr. Lothar Jahn ist Seniorfachplaner für Recht und Justiz in der Abteilung Governance und Konflikt des Fach- und Methodenbereichs der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).