Sudan: Der Abzug der Friedensmission in Darfur bleibt richtig

25. Juni 2019   ·   Peter Schumann

Trotz Umsturz und Gewalt in Khartum: Die Bundesregierung sollte sich im UN-Sicherheitsrat dafür engagieren, den Abzug der UN-AU-Mission in Darfur (UNAMID) bis Mitte 2020 wie geplant umzusetzen. Nur so werden dringend benötigte Entwicklungsprogramme endlich priorisiert.

Am 27. Juni 2019 verhandelt der UN-Sicherheitsrat über eine Resolution zur Verlängerung des Mandats der Friedensmission der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union (AU) in Darfur (UNAMID). Während öffentliche Ordnung und Sicherheit in weiten Teilen von Darfur von den Vereinten Nationen als stabil beschrieben werden, eskaliert die Auseinandersetzung in Khartum seit dem Militärputsch gegen Präsident Omar Al Bashir im April 2019 zwischen den Zivilisten der Forces of Freedom and Change und dem Militärrat (Transitional Military Council, TMC). Militärische Gewalt gegen Demonstranten, vor allem durch Einheiten der National Intelligence and Security Service (NISS) und Rapid Support Forces (RSF) hat zu zahlreichen Opfern geführt. Der UN-Sicherheitsrat fordert eine friedliche Lösung, die AU hat den Sudan bis auf weiteres suspendiert. Am 14. Juni 2019 diskutierte der Sicherheitsrat kontrovers über das weitere Vorgehen in Darfur: Denn der Zeitplan zum Abzug der Mission bis 2020 und zur Umsetzung einer Übergangsstrategie bis dahin wird nun wegen der Ereignisse in Khartum von einigen Vertretern im Sicherheitsrat in Frage gestellt.

Die Bundesregierung hat bisher keine klare Strategie ihrer Politik zu Darfur und Sudan im Sicherheitsrat erkennen lassen. Die jetzt anstehende Mandatsverlängerung könnte eine gute Gelegenheit sein, eindeutig Position zu beziehen. Da Deutschland bisher weder als wesentlicher Truppen- noch Polizeisteller im Rahmen von UN-Friedensmissionen in Erscheinung getreten ist, ist die politische Gestaltungsebene ein wichtiges Feld, das sie jetzt besetzen sollte. Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, die Mission entsprechend den geplanten Schritten bis 2020 abzuziehen.

Hintergrund: Bis 2020 sollte die UN-Mission in Darfur beendet werden

Hintergrund der derzeitigen Diskussionen im Sicherheitsrat ist die Resolution 2429/2018, die der Sicherheitsrat im Juli 2018 verabschiedete. Hierin wurde nach langen Diskussionen sowie Konsultationen mit dem Peace and Security Council der Afrikanischen Union und lokalen Organisationen beschlossen, UNAMID bis 2020 zu beenden.

Ein zweijähriger Übergangsprozess soll dabei die Vorrausetzungen für nachhaltige Sicherheit und Entwicklung in Darfur schaffen. UNAMID und das UN Country Team – alle UN Organisationen mit Akkreditierung im Land, z.B. UNDP, UNICEF, WFP, FAO, ILO – sollen in State Liason Offices einen gemeinsamen institutionellen Rahmen schaffen und gemeinsame Programme umsetzen, die auch Aufgaben von UNAMID übernehmen. Das UNAMID-Budget stellt 2018/2019 dafür 50 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Damit soll die Basis für weitere Konfliktprävention und Stabilisierung in Darfur geschaffen werden. Zum Zeitpunkt der Beendigung der Aktivitäten von UNAMID im Juli 2020 soll der institutionelle Rahmen für die weiterführende Arbeit des UN Country Teams vorhanden und funktionsfähig sein.  

Darfur heute ist keineswegs friedlich: Die Grundlage für die Reduzierung der Truppen und Polizeiverbände von UN und AU und der Schließung von Standorten der Mission bildete das Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und Regierung in Darfur. Andere Konflikte, die zum großen Teil auf die Zeit der großen Sahel-Dürre 1984/85 zurückgehen, sind nach wie vor ungelöst. Diskriminierende politische Ideologien, basierend auf dem Anspruch „arabischer Überlegenheit“, beeinflussen nach wie vor den Zugang zu öffentlichen Gütern und staatlichem Schutz. Die ländliche Ökonomie wird durch das Zusammenspiel von traditionellen landwirtschaftlichen Produktionssystemen bestimmt, basierend auf einer Kooperation zwischen Ackerbau und Viehzucht, die wiederum von regelmäßigen und verlässlichen Regenfällen und Zugangs- bzw. Nutzungsrechten von Land abhängig sind.

Die wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Folgen von klimatischen Veränderungen haben sich seit 2014/15 wieder verschärft. Flucht aus ehemals landwirtschaftlich stabilen Gebieten Darfurs – ausgelöst durch die Sahel-Dürre 1984/85, verstärkt durch Krieg, Vertreibung und Zerstörung von Lebensgrundlagen – ist nach wie vor nicht überwunden. Eine anhaltende Dürreperiode, die etwa 2014 einsetzte, ist zu einer neuen existentiellen Bedrohung für große Teile die Bevölkerung geworden. Diese Folgen von Klimaveränderungen bestimmen zunehmend Ausmaß und Intensität von Konflikten in weiten Teilen von Darfur. Präventive Maßnahmen, die diese Herausforderungen angehen, sind damit zentral und zum bestimmenden Faktor auch für öffentliche Ordnung und Sicherheit geworden.

Der Übergangsprozess zum Abzug von UNAMID ist weiterhin sinnvoll

Der oben skizzierte Rahmen zur Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen UN-Organisationen unter einem Whole System Approach und der Regierung in Darfur nimmt Gestalt an. 2018 wurde der Prozess der Übergabe von UNAMID-Standorten an die jeweilige Landesregierung institutionalisiert – ein komplexes Unterfangen, da die meisten Standorte bis zu 30 Kilometer außerhalb der Landeshauptstädte liegen und deren Unterhalt den öffentlichen Haushalt sprengen würde. Bereits 2017 hat UNAMID Standorte ohne ein formales Verfahren geschlossen. Der Abbau von zivilem und militärischem Personal ist seit 2018 eingeleitet, Vorgaben zur Reduzierung der Budgets der Mission für 2017/18 sowie 2018/19 sind implementiert. Das System der State Liaison Functions, ein Netzwerk von Büros in den Regionen in denen UNAMID-Standorte geschlossen wurden, befindet sich im Aufbau und wurde durch eine Verschiebung der Abzugsschritte unterbrochen.

Der Sicherheitsrat hatte im Juli 2018 in enger Absprache mit der Afrikanischen Union beschlossen, Anfang 2019 einen zweiten Strategic Review and Assessment durchzuführen, um vor Ort zu überprüfen, ob die gemachten Annahmen nach wie vor zutreffen. Auch die Ereignisse in Khartum, vor allem im April 2019, wurden für diesen Review hinsichtlich der geplanten Vorgehensweise in Darfur untersucht und bewertet. Der resultierende Bericht empfiehlt ohne Einschränkung, die 2018 beschlossene Strategie und den Zeitplan beizubehalten.

Bei der Vorstellung des Berichts am 14. Juni 2019 im Sicherheitsrat verwies der Leiter des Department of Peace Operations, Untergeneralsekretär Jean-Pierre Lacroix, auf die nach wie vor bestehenden Konflikttreiber in Darfur: Zugang zu Land und Ressourcen; Klimawandel und Umweltschäden; Menschenrechtsverletzungen und fehlendes Vertrauen in staatliche Institutionen. Seine Schlussfolgerung: “Konventionelle Friedenssicherung ist nicht mehr das angemessene Mittel für die Lage in Darfur”. Er beschrieb im Detail warum der State Liaison Function Framework durch das UN Country Team dringend notwendig sei. UNAMID müsse sich entsprechend anpassen.

In der anschließenden Debatte im Sicherheitsrat war ein Kernstreitpunkt, ob und wie das UNAMID-Mandat mit der Situation in Khartum zusammenhänge. Es wird berichtet, dass einige – u.a. Russland, Kuwait, Indonesien und die USA – argumentierten, dass sich das Mandat von UNAMID nur auf Darfur beziehe und damit der Handlungsspielraum des Sicherheitsrats definiert sei. Sie unterstützen den graduellen Abzug der Mission ohne Änderungen. Andere – darunter Großbritannien, Deutschland und Frankreich – warnten vor der zunehmenden Gewalt in Khartum. Sudanesische Akteure wie die Führung der Rapid Support Forces spielen im Militärrat eine zentrale Rolle: Diese sind als Vorgängerorganisation der Janjaweed für die Gewalt in Darfur verantwortlich und wenden nun brutale Gewalt gegen Demonstranten an. 

Ein technical roll-over würde nur zu Stillstand führen  

Großbritannien und Deutschland  – beide Penholder für Sudan im UN-Sicherheitsrat – stellten deswegen den Zeitplan des Abzugs der Mission in Frage und schlugen in der Sitzung  einen technical roll-over der Resolution 2429 vor. Das würde bedeuten, das UNAMID-Mandat zwar zu verlängern, aber unter der Auflage, alle Aktivitäten, die mit dem Abzug zusammenhängen, einzufrieren und erst zu einem späteren Zeitpunkt über dessen Fortsetzung noch einmal zu debattieren. Einen Zeitrahmen dafür nannten sie nicht. Das ist aus mehreren Gründen keine gute Idee.

Erstens versucht die Bundesregierung damit Einfluss auf die Gestaltung der zukünftigen Regierung im Sudan zu nehmen und die Führung der Rapid Support Forces zu kontrollieren. Der Erfolg dieser Strategie ist mehr als zweifelhaft: Versuche, Einfluss auf die politische Führung in Khartum über direkten Druck auf politische Eliten auszuüben, sind in der Vergangenheit immer wieder kläglich gescheitert.

Zweitens sind die Auswirkungen eines solchen roll-overs auf die Realitäten in Darfur offensichtlich: Die Ablehnung der von der AU und UN ausgearbeiteten Übergangsstrategie unterminiert die verbliebene Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft und verhindert, dass Programme für Entwicklung und Stabilität den Vorrang bekommen. Die Umwandlung der Mission wird im besten Fall verzögert, höchstwahrscheinlich wird UNAMID als Organisation gleichzeitig nachhaltig geschwächt.

Drittens wäre die weitere Unterstützung der Empfehlungen im Strategic Review Report auch ein klares Bekenntnis zu multilateralem Handeln. Die vorgeschlagene Mandatsverlängerung inklusive der Übergangsstrategie ist das Ergebnis eines umfangreichen und sehr komplexen Konsultationsprozesses unter Beteiligung aller Parteien, UN und AU, Regierung in Darfur und in Khartum, der Zivilgesellschaft, des UN Country Teams und anderen.

Die Ablehnung der Empfehlung des Strategic Review Reports der UN und AU und die Verknüpfung des UNAMID-Mandats mit der derzeitigen Situation in Khartum würde viertens eine Ausweitung von Aktivitäten von UNAMID auf den gesamten Sudan bedeuten – denn die Begründung des roll-overs ist die Anwendung von Gewalt gegen Demonstranten vor allem durch die Rapid Support Forces und die Ausweitung dieser Gewalt auch in Darfur. Eine solche Ausweitung der Diskussion über das UNAMID-Mandat auf die Gesamtsituation im Sudan wäre ohne eine neue Resolution weder politisch durchzusetzen noch im Rahmen der Regeln der UN-Friedensmissionen. Eine Politik der „beliebig erweiterten Interpretation“ einer Resolution würde die Glaubwürdigkeit des Sicherheitsrates und vor allem die seiner gewählten Mitglieder gefährden. Die Sicherheitsratspolitik von demokratisch gewählten Mitgliedern wie Deutschland sollte sich von der Politik permanenter Mitglieder im Rat unterscheiden.

Der graduelle Abzug der UNAMID-Mission würde auf die Sicherheitslage von Zivilisten keinen Einfluss haben

Statt sich für eine Mandatsverlängerung ohne Übergangsstrategie einzusetzen, sollte die Bundesregierung den strategischen Wandel von UNAMID durch die Einbindung des UN Country Teams politisch unterstützen und die Implementierung der State Liason Offices als vorrangiges Ziel vorantreiben. Dazu gehört vor allem die unbedingte Einhaltung des im Strategic Review Report bestätigten Zeitablaufs und Fokussierung auf zentrale Konflikttreiber. Ein technical roll-over der Resolution würde zu einem Stillstand aller Operationen seitens UNAMID und des UN Country Teams führen – mit den entsprechenden Konsequenzen für die von Dürre, Hunger und Konflikten um Zugang zu Ressourcen bedrohte Zivilbevölkerung. Risiken, die durch seit Jahren zurückgehaltenen Entwicklungsprogramme bereits bestehen, werden sich verschärfen. Dies wird vor allem Menschen in den IDP-Lagern betreffen, deren Lebensgrundlagen äußerst prekär sind.

Das Argument, der geplante Abzug von UNAMID würde unter den gegenwärtigen Umständen die Sicherheitssituation der Zivilisten in Darfur verschlimmern, ist nicht stichhaltig. Erstens weil bereits heute die Verantwortung für Sicherheit und Ordnung bei der Regierung in Darfur liegt – wie die UN vor Ort auch immer wieder betonen – und UNAMID das Mandat zum „Schutz von Zivilisten“ in Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen der Regierung ausübt. Dies beinhaltet auch bereits heute die Kooperation mit Rapid Support Forces und Polizei, damit auch den National Intelligence and Security Services. Die RSF wurde u.a. im Rahmen des EU Better Migration Management-Programms (BAMM) im Rahmen des Khartum Prozesses als Grenzschutzverband gestärkt. Kooperation zwischen UNAMID und RSF vor allem in Norddarfur ist deshalb unumgänglich.

Zweitens, weil UNAMID keinen guten Track Record dabei hat, Zivilisten tatsächlich zu schützen. So wurde zum Beispiel 2017 Frauen vor den Toren eines UNAMID-Standortes vergewaltigt, ohne dass die UN-Polizei eingriff. Die Übergabe von Missionsstandorten an die Regierung und der Abzug von Soldaten und Polizisten bedeutet drittens nicht, dass die Aufgaben zum Schutz von Zivilisten im Mandat nicht weitergeführt werden: Schutz von humanitären Operationen wird seit 2017/18 von lokaler Polizei geleistet. Und der Schutz von Zivilisten durch die Mission beinhaltet vor allem Aktivitäten, die von zivilen Teilen der Mission durchgeführt werden. Diese würden gemäß Übergangsstrategie zunächst von zivilen Teilen der Mission weitergeführt und dann vom UN Country Team übernommen.

Der Abzug der Soldaten und Polizisten der Mission ändert also an der unmittelbaren Sicherheit der Menschen vor Ort nichts. Aber je länger die Mission vor Ort ist, umso länger werden Entwicklung und Wiederaufbau verzögert.

Deutschland sollte vorschlagen, eine eigenständige Resolution zum Sudan zu verabschieden

Die Durchsetzung der Empfehlungen des Strategic Review Reports 2019 müssen unabhängig von politischen Ereignissen der Regierungsbildung in Khartum organisiert werden. Dazu gehört auch die Durchsetzung der Anklagen des Internationalen Strafgerichtshofs.

Die Vermittlungsbemühungen durch die Afrikanische Union und die Intergovernmental Authority on Development (IGAD) zur Durchsetzung einer mehrheitlich von Zivilisten geführten Regierung haben eine Eigendynamik entwickelt. Die Gefahr einer weiteren Eskalation bis hin zur Möglichkeit eines Bürgerkrieges ist nicht auszuschließen. Die Mitglieder im Militärrat (TMC) verfolgen unterschiedliche Interessen, die sieben Nachbarländer sind bereits involviert. Staaten der arabischen Region, Mittlerer Osten und andere spielen zunehmend eine Rolle, nicht zuletzt durch die militärische Kooperation zwischen TMC und Saudi Arabien im Jemen-Konflikt. Die „Sicherheitsrat-Dynamik“ kam bereits während den Beratungen am 14.6.2019 zum Ausdruck. Die Bundesregierung sollte in ihrer Rolle als co-penholder für den Sudan darauf drängen, dass der Sicherheitsrat die Initiative ergreift und – unabhängig von der Diskussion um die Verlängerung des Mandats von UNAMID – die Ereignisse im Sudan als eine Bedrohung des Weltfriedens ansieht. Das Ziel sollte dabei eine eigenständige Resolution zur Regelung der Regierungsbildung im Sudan sein – zur Stärkung der Mediationsbemühungen der Afrikanischen Union und der IGAD.

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Peter Schumann

Peter Schumann ist Sudanexperte und war Dezember 2017 bis Februar 2018 als Stellvertretender Sondergesandter von UNAMID in Darfur stationiert, wo er Vorschläge für die zukünftige Ausrichtung der Mission und des UN Country Teams entwickelt hat. Im April 2019 erschien sein Paper „Die Verantwortung zu Handeln: Deutsche VN-Politik für Stabilität und Entwicklung in Darfur“.