Frieden in die Schulen: Transparente, authentische und kontroverse Ansätze für die Friedenspädagogik

04. Dezember 2019   ·   Uli Jäger

Friedensbildung gehört in die Schulen. Dafür sollte die Bundesregierung mehr Informationen und Materialien zur Verfügung stellen und ihre Herausforderungen in der Friedenspolitik transparenter kommunizieren. Kontroversen sind notwendig und erwünscht.

Jugendliche haben ein Recht auf Lernräume für die Auseinandersetzung mit den Themen Krieg und Frieden, Konflikt und Gewalt. Das Interesse ist groß, die Verunsicherungen ebenso. Aktuelle sicherheits- und friedenspolitische Herausforderungen, die Reaktionen in Politik und Gesellschaft und das Ringen um die Wege zum Frieden betreffen die Lebenswelten und Zukunftschancen von jungen Menschen. Vor allem an Schulen ist Friedensbildung gefragt. Die Bundesregierung könnte diese Bildung bereichern: mit authentischen und transparenten Informationsbeiträgen, die Kontroversen aufzeigen und themenrelevante Ansätze und Maßnahmen im Bereich Krisenprävention aus ihrer Perspektive erklären.  

Internationale Sicherheits- und Friedenspolitik ist ein fester, wenn leider auch nur randständiger Bestandteil der schulischen Lehrpläne in allen Bundesländern. Schulbuchverlage, ausgewiesene Bildungsträger (zum Beispiel Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung), aber auch zivilgesellschaftliche Akteure bieten (mehr oder weniger aktuelle) Lernmedien an. Nichtregierungsorganisationen, die sich neben ihren Praxisfeldern wie Friedensförderung, Konflikttransformation oder humanitärer Hilfe auch pädagogischen Ansätzen wie der Friedensbildung, dem Globalen Lernen oder der Bildung für Nachhaltige Entwicklung verpflichtet fühlen, gewinnen dabei an Bedeutung. Zusammenarbeit ist gefragt: Im Bundesland Baden-Württemberg wurde 2015 eine Servicestelle Friedensbildung eingerichtet, welche vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, der Landeszentrale für politische Bildung und der Berghof Foundation getragen wird.  

Friedensbildung braucht Meinungsbildung

Friedensbildung (als Teil politischer Bildung) will durch interessante und zeitgemäße Angebote Schüler*innen befähigen, sich eine eigene Meinung über friedenspolitische Ansätze und die Rolle Deutschlands zu bilden. Bezüge zur eigenen Lebenswelt werden thematisiert und Handlungsmöglichkeiten und -ansätze auf der individuellen, der gesellschaftlichen und der weltpolitischen, internationalen Ebene erörtert. Jugendliche benötigen fundiertes Orientierungswissen zum besseren Verstehen der (welt-)aktuellen Geschehnisse. Sie müssen Möglichkeiten haben, sich umfassend und friedensorientiert über Hintergründe, Zusammenhänge und Eskalationsgefahren von Gewalt, Terror und Krieg informieren zu können. In einer globalisierten Welt, in der Gewalt allgegenwärtig ist und Kriege näher rücken, ist es wichtig, sich auf unterschiedlichen Ebenen damit auseinandersetzen zu können. Es ist aber genauso wichtig, am eigenen Verständnis von Frieden zu arbeiten: Wie stelle ich mir das Zusammenleben in meinem Umfeld, in der Gesellschaft und weltweit vor? Welchen Beitrag kann und will ich dazu leisten? Friedenspädagogik muss besonders zivile, nichtmilitärische und gewaltfreie Formen der Bearbeitung von Konfliktpotenzialen sichtbar machen und zur Diskussion stellen, denn diese werden in vielen verfügbaren Informationsangeboten weiterhin vernachlässigt.  

Grundlage für Friedensbildung ist die normative Orientierung an den Werten Frieden und Gewaltfreiheit, gleichzeitig werden Standards der politischen Bildung wie das Überwältigungsverbot (das heißt keine Überrumpelung und Behinderung bei der Gewinnung eines selbständigen Urteils) und das Kontroversitätsgebot („Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers sein.“) beachtet.  

Transparenz durch konkrete Informationen zu Maßnahmen und Kontroversen

Friedensbildung bedarf für ihre Lernarrangements verwertbare Informationen, die vertiefte Einblicke in friedenspolitische Konzeptionen, Maßnahmen und Kontroversen erlauben. Bereits Ende der 1960er Jahre hat der Friedensforscher Dieter Senghaas in seinem Grundlagenwerk „Abschreckung und Frieden“ (1969) mit Nachdruck betont: „Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Friedenspädagogik, bei der gegebenen Komplexität internationaler Beziehungen den Sinn für die wirklich relevanten issues, also Probleme, Streitfragen und interessenbedingten Kontroversen zu schärfen.“ Jugendliche möchten erfahren, nach welchen friedenspolitischen Interessen, Kriterien oder Wertmaßstäben eine Regierung oder ein*e Außenminister*in Entscheidungen trifft – zum Beispiel in Bezug auf das umstrittene Thema Rüstungsexporte. Eine weitgehende Transparenz (beispielsweise darüber, wie Entscheidungen zustande kamen, wer mit welchen Argumenten daran beteiligt war und welche Gegenstimmen es gab) fördert das Interesse an Hintergrundinformationen und lässt eigene Bewertungen zu.

Mehr Authentizität: Biographisches Lernen und exemplarische Darstellung

Für die Friedensbildung ist biographisches Lernen ein besonders interessanter Ansatz. Dazu gehört (1) die angeleitete Auseinandersetzung mit den Biographien von Menschen, die sich trotz schwieriger und manchmal widriger Verhältnisse weltweit für Frieden engagieren, (2) das gemeinsame Lernen von deren Erfahrungsschatz bezüglich gelingender und gescheiteter Friedensstiftung und (3) schließlich die Transfermöglichkeiten zur Erkundung eigener Handlungsmöglichkeiten. 
Dazu bedarf es der Geschichten, Reportagen und Interviews, die authentisch Auskunft geben über Friedensmacher*innen und deren Erfolge beim Einsatz für Menschen in Not, beim Aushandeln von Friedensverträgen oder der Durchführung von gemeinsamen Friedensprojekten. Friedensaktivist*innen sind genauso gefragt wie Diplomat*innen und Menschen, die im Stillen als Mediator*innen ihre guten Dienste tun. Alle Erfolgsgeschichten dürfen die Zweifel, Rückschläge und den Umgang mit Misserfolgen nicht ausklammern. Gerade (biographische) Brüche sprechen Jugendliche besonders an. Das journalistische Projekt Peace Counts hat hier Maßstäbe gesetzt. Die Verwendung in der Friedensbildung hat sich als Erfolgsgeschichte erwiesen („Peace Counts School“).  

Je komplexer sich Sachverhalte und Zusammenhänge darstellen, desto erkenntnisreicher ist in der politischen Bildung im Allgemeinen und der Friedensbildung im Besonderen eine exemplarische Darstellung. Dieses Vorgehen verlangt Mut und erfordert hohe Sachkenntnis seitens der verantwortlichen Pädagog*innen. Es mag widersprüchlich klingen, aber je größer der Ressourcenpool an Beispielen ist, desto gezielter kann die Auswahl erfolgen und das gelungene Beispiel ziviler Konfliktbearbeitung zum Modellfall werden. Für den Bildungsbereich könnte hier der Ansatz der Friedensschule in Neve Shalom / Wahat al Salam als Beispiel dienen.

Friedensbildung heißt auch wappnen gegen Desinformation

Friedensbildung ist heute auch eine Frage der Auseinandersetzung mit Desinformation – gerade, wenn es um friedenspolitische Themen geht. Immer mehr Jugendliche holen sich ihre Informationen und Erfahrungen aus den sozialen Medien. Wenn Jugendliche sich dort tummeln und nach Antworten auf Fragen zu Krieg und Frieden, Konflikt oder Gewalt suchen, werden sie mehr als jemals zuvor mit Hass- und Gewaltaufrufen extremistischer Gruppen konfrontiert. Gefälschte Nachrichten und Verschwörungstheorien tragen zu einer großen Verunsicherung bei. Jugendliche brauchen Unterstützung, damit sie sich die sozialen Medien in Eigenverantwortung als einen friedensorientierten Handlungs- und Lernort erobern und ihn gestalten können. Anleitungen für Jugendliche zum verantwortungsbewussten Umgang mit der aktuellen Informationsflut müssen Wege zu eigenständigen Recherchemöglichkeiten eröffnen – auch bezüglich des friedenspolitischen Verständnisses und der darauf bezogenen Handlungsabläufe der an der Förderung von Friedenspolitik und ziviler Konfliktbearbeitung interessierten staatlichen, halbstaatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure.

Kontroversen begegnen und Dilemmata nachvollziehbar machen

Die Ansätze einer friedensorientierten Außenpolitik bringen politisch Verantwortliche in reale (oder auch vermeintliche) Dilemmasituationen. Das Abwägen einer Beteiligung an militärischen Interventionen bringt manche Parlamentarier*innen in Gewissensnöte. Warum können sie diese nicht offensiv sichtbar und damit nachvollziehbar machen, zum Beispiel in einer gemeinsamen Erklärung? Das Ausleuchten und Nachvollziehen von Dilemmata im Sinne eines glaubwürdigen persönlichen Ringens regt zum Nachdenken und Mitfühlen an und kann dem Politikbetrieb ein menschliches Antlitz geben.  

Die UNO hat zu Recht 2015 in ihrer Resolution 2250 zu Jugend, Frieden und Sicherheit (YPS) ausdrücklich hervorgehoben, dass junge Menschen nicht nur als Gewalttäter oder -opfer wahrgenommen werden müssen, sondern auch als „change agents“, als Friedensstifter*innen. Die Perspektive von Kindern sollte dabei aktiv mit einbezogen werden. Verantwortungsvolle Politik muss friedenspolitische Rahmenbedingungen schaffen und diese authentisch und transparent zur Diskussion stellen, damit Friedensbildung junge Menschen begleiten kann.

Zivilgesellschaft Kommunikation Friedenspädagogik

Uli Jäger

Uli Jäger leitet das Programm der Berghof Foundation zu Friedenspädagogik und Globalem Lernen und ist Honorarprofessor an der Universität Tübingen.