Mali: Zeit mit Jihadist*innen zu reden

05. Februar 2020   ·   Melissa Li

Die Sicherheit in Mali hat sich trotz zahlreicher Militärinitiativen gravierend verschlechtert. Deutschland sollte sich Frankreich gegenüber für einen Strategiewechsel einsetzen. Ein wichtiger Teil dieser neuen Strategie: Malische Initiativen für Gespräche mit Jihadist*innen unterstützen.

Sollte Deutschland sich in Mali noch stärker militärisch engagieren? Diese Frage wird in den nächsten Wochen im politischen Berlin immer wieder hochkochen, wenn der Bundestag die  Verlängerung der Bundeswehr-Mandate für die UN- und EU-Missionen Ende Mai wieder neu diskutiert. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer forderte bereits ein robusteres Bundeswehr-Mandat. Frankreich plant eine neue Anti-Terror-Spezialeinheit „Takuba“ in Mali und schickt 600 weitere Soldat*innen zur Verstärkung der eigenen „Barkhane“-Mission. Doch mehr Militär wird die Krise nur noch verschlimmern, wenn nicht gleichzeitig politische Verhandlungslösungen mit allen malischen Akteur*innen gefunden werden. Die Bundesregierung sollte einen Strategiewechsel einfordern. Ein wichtiger Teil einer neuen Strategie: Frankreich und Deutschland sollten lokale Initiativen, mit Jihadist*innen zu sprechen, unterstützen und mit der malischen Regierung weitere Optionen diskutieren. 

Die bisherige Strategie hat keine Verbesserungen gebracht

Die bisher gefahrene Strategie wird keine Stabilität im Sahel bringen. Schon seit mehreren Jahren sind nicht nur die Französ*innen sondern auch eine UN-Mission, EU-Missionen und die sahelischen G5-Staaten vor Ort. Auch rund 1000 Bundeswehrsoldat*innen sind in Mali. Und dennoch nützt all dies nichts: Die Sicherheitssituation hat sich gravierend verschlechtert. Nicht nur in Mali werden Anschläge verübt, auch die Sicherheit im Norden Burkina Fasos und im Westen Nigers bröckelt.  

Gleichzeitig steigt die Wut vieler Malier*innen gegen die Französ*innen, die trotz ihres jahrelangen Anti-Terror-Kampfes die Sicherheit in Mali nicht verbessern konnten. Viele Malier*innen lehnen die militärischen Interventionen immer energischer ab. Dazu heizen Desinformationskampagnen die Stimmung an. Einfach nur mehr Soldat*innen nach Mali zu schicken, würde die Stimmung gegen die französischen und internationalen Streitkräften nur noch weiter anheizen, von denen bewaffnete Gruppen noch profitieren könnten. Auch in den französischen Institutionen ist man sich nicht so sicher, über die „Grand Strategy“ im Sahel. Und dennoch scheint man weiter machen zu wollen wie bisher.

Gespräche mit Jihadist*innen sind politisch heikel, aber notwendig  

Statt weiterzumachen wie bisher, sollte sich Deutschland Frankreich gegenüber für eine politische Strategie einsetzen, die Verhandlungen mit jihadistischen Gruppen anstrebt. Gesprächsformate mit jihadistischen Gruppen wären nicht nur ein neuer Ansatz, der zumindest vielversprechender ist, als nur mehr Soldat*innen zu schicken, sondern würde auch der Forderung von malischen Stakeholder*innen entsprechen. Schon bei der Konferenz zur nationalen Verständigung 2017 forderten zivilgesellschaftliche Organisationen, die religiöse Führungsperson Mahmoud Dicko, Oppositionsführer und Delegierte der bewaffneten Gruppe „Coordination des Mouvements de l'Azawad“ die malische Regierung auf, mit Iyad Ag Ghali und Amadou Kouffa, den wichtigsten Führungspersonen der Jihadist*innen, zu sprechen. Auch beim Inklusiven Nationalen Dialog im Dezember 2019 haben Teilnehmer*innen Gespräche mit beiden gefordert. Erst letztens gab der Hohe Vertreter des Präsidenten für das Zentrum Dioncounda Traoré, der nach dem Militärputsch und der Tuareg-Rebellion in 2012 Übergangspräsident in Mali war, bekannt, dass er vor vier Monaten Vermittler*innen beauftragt hat, einen Dialog mit Kouffa und Ag Ghali aufzunehmen. Die Position der malischen Regierung ist jedoch unklar. Sie lehnt weiterhin offiziell Gespräche mit Jihadist*innen ab. 2017 sah das zunächst noch anders aus: Die malische Regierung versuchte mithilfe von religiösen und traditionellen Führungsfiguren, Gesprächskanale zu Jihadist*innen zu etablieren. Frankreich lehnte dies aber entschieden ab. Die „missions de bons offices“ wurden daraufhin eingestellt. Hochrangige Personen aus der Gruppe der Fulanis bemühten sich dennoch, mit Kouffa Kontakt aufzunehmen. „Wie verhandelt man mit Terroristen? Dies ist ein unzweideutiger Kampf", war die Antwort von Jean-Marc Ayrault, dem damaligen Außenminister. Dass sie französisches Blut an den Händen haben, macht offizielle Gespräche mit Jihadist*innen zu einem politischen Balanceakt. 

Erfahrungen zeigen, dass Verhandlungen mit Jihadist*innen möglich sind   

Frieden mit Jihadist*innen zu verhandeln ist schwierig, aber nicht unmöglich. In Kolumbien hat es auch geklappt, trotz schwieriger ideologisch-ökonomischer Konfliktlagen. Auch in Mali haben die Expert*innen der Berghof Foundation, die im Auftrag der Bundesregierung an einer Reihe von Kriegsschauplätzen an stillen Vermittlungslösungen arbeitet, Ansatzpunkte für Gespräche mit jihadistischen Gruppen gefunden. Dazu gebe es bei der Gruppe von Ag Ghali, Ansar Dine immer wieder „strategische Wendepunkte“ und Individuen, die sich für mögliche Gespräche offen zeigen würden. Die NGO International Crisis Group, die sich auf Konfliktprävention spezialisiert, schlägt konkret vor, mit dem inneren Kreis von Kouffa Kontakt aufzunehmen. Kouffa habe sich in der Vergangenheit offen für Dialoge mit Dicko gezeigt.  

Solche Gesprächsformate anzustoßen würde auch dazu führen, dass genauer analysiert wird, wer die Jihadist*innen wirklich sind. Denn was die internationale Gemeinschaft unter „den“ Jihadist*innen versteht, sind ganz unterschiedliche Gruppen: Manche wollen für ihre Clans oder ihre Region einfach nur vergleichbare Lebenschancen wie die Menschen in der Hauptstadt Bamako und haben sich nach Jahrzehnten gewaltsamer Repression in einer Aufstandsbewegung radikalisiert. Andere sind vor allem Drogen- oder Menschenschmuggler*innen. Und wieder andere sind verblendete islamistische Ideologen*innen. Oft sind die Motive und Strategien gemischt – doch diese genau zu analysieren und zu verstehen, wer wirklich jihadistische Ambitionen hat, ist zentral für eine effektive politische Strategie in Mali.  

Lokale Initiativen wie von Traoré zu unterstützen, wäre ein erster wichtiger Schritt für Deutschland und Frankreich. Die malische Regierung sollte aber auch selbst an den Verhandlungstisch kommen, denn nur sie kann den Jihadist*innen im Gegenzug zum Ende der Gewalt Zugeständnisse einräumen. Auch dafür ist die Unterstützung von Frankreich und Deutschland wichtig. Die Dialoge mit Jihadist*innen sollten außerhalb des offiziellen Friedensabkommens stattfinden, um zu vermeiden, den Jihadist*innen die gleiche Legitimität anzuerkennen wie den Teilnehmer*innen am Friedensprozess. Zudem sollten diese zumindest vorerst nicht öffentlich stattfinden. Dies könnte das Risiko eines öffentlichen und politischen Aufschreis minimieren, was ein schnelles Ende der Gespräche bedeuten könnte. 

Die Bundesregierung sollte den Französ*innen einen gut durchdachten Plan vorlegen  

Deutschland sollte sich nicht davor scheuen, diese Option auf den Tisch zu legen. Frankreich von einer solchen Idee zu überzeugen wird nicht einfach. Es gibt aber zumindest Hinweise, dass nicht alle hochrangigen französischen Offizier*innen durchweg Gespräche mit Jihadist*innen ablehnen. Und auch die Leiterin des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten in Mali unterstützt diese Option. Die Bundesregierung müsste den Französ*innen einen gut durchdachten Plan vorlegen und gleichzeitig bereit sein, im Gegenzug auch über ein verstärktes deutsches militärisches Engagement zu diskutieren. Denn militärischer Druck wird notwendig sein, um Jihadist*innen an den Verhandlungstisch zu bekommen. Doch das wäre militärisches Engagement zur Unterstützung eines politischen Ziels.  

Verhandlungen mit Jihadist*innen sind politisch heikel und erfordern einen langen Atem. Aber ohne solche politischen Initiativen bleiben die Militäreinsätze wirkungslos. Wenn die internationale Gemeinschaft der malischen Regierung immer wieder signalisiert, dass die finanzielle und militärische Unterstützung wegen des Anti-Terror-Kampfs immer weiter fließen wird – unabhängig davon, ob sie notwendige Reformen, politische Verhandlungen und die Umsetzung des offiziellen Friedensabkommens weiterbringt und den Boden für die gewalttägigen Gruppen entzieht – unterminiert gerade diese Logik der Terrorismusbekämpfung die eigentlichen politischen Ziele der Europäer*innen: Frieden und Stabilität. 

Dieser Artikel erschien zuerst in einer kürzeren Version in der taz am 29. Januar 2020. 

Read the English version of this article on the GPPi website. 

Sub-Sahara Afrika Kommunikation Mali

Melissa Li

Melissa Li ist Research Associate am Global Public Policy Institute. Ihre Forschungsschwerpunkte sind deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, Krisenprävention und Entwicklungspolitik. @MelissaLi_.