„Der Anti-Terror-Kampf im Sahel ist in keiner Weise effektiv“

30. Januar 2020   ·   Youssouf Coulibaly

Dr. Youssouf Coulibaly, malischer Sicherheitsexperte und Professor für internationales Recht in Bamako, kritisiert im Interview die Ergebnisse der verschiedenen internationalen Missionen in Mali. Statt Frankreichs Spezialeinheit „Takuba“ sollte Deutschland laut Coulibaly die G5 Sahel Joint Force nachhaltiger unterstützen, mehr finanzielle Hilfen zur Verfügung stellen und die bevorstehenden Wahlen unterstützen.

1. In letzter Zeit ist die Sicherheitslage Malis Gegenstand zahlreicher Diskussionen in den europäischen Hauptstädten. Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Herausforderungen in Mali?

Mali und die anderen vier Länder der G5-Sahelstaaten (Mauretanien, Burkina Faso, Niger, Tschad) haben ein Sicherheitsproblem. Die Herausforderungen, die das mit sich bringt, sind enorm: die Stabilisierung und Bekämpfung terroristischer Gruppen, bewaffnete Kriminelle, Drogen- und Menschenhandel, Migration und illegale Einwanderung. Die größte Herausforderung ist heute, wie die gesamte Sahelzone stabilisiert und gesichert werden kann. Diese Zone ist riesig. In Bezug auf Sicherheit ist das die größte Bedrohung, aber es gibt natürlich auch andere Herausforderungen: Mali ist, wie alle Länder des Sahel, ein fragiles Land. Die Entwicklungsindikatoren verschlechtern sich weiter.

2. Wie bewerten Sie das internationale Engagement Frankreichs, der EU und der Vereinten Nationen in Mali?

Seit der Serval-Intervention 2013, als französische Truppen den Vormarsch der Terrorist*innen Richtung Süden stoppten, stieg die Zahl der Sicherheitskräfte und Soldaten, sowie die Anzahl der Truppenkontingente Frankreichs und Europas, vieler Länder der EU (auch Deutschland), der Vereinten Nationen und der [westafrikanischen Regionalorganisation, Anm. d. Red.] ECOWAS. Frankreich leitet die militärischen Operationen und Interventionen gegen die terroristischen Gruppen in Mali. Diese französischen Interventionen seit 2013 erzielten jedoch nicht die gewünschten Ergebnisse: In sieben Jahren Intervention und trotz der Präsenz des französischen Militärs stieg die Anzahl der Anschläge und die Anzahl der getöteten Zivilist*innen und Soldat*innen – sowohl aus Mali, als auch aus Frankreich und der UN-Mission.

Die Resultate der UN-Stabilisierungsmission MINUSMA entsprechen nicht den gewünschten Ergebnissen. Sie unternimmt zwar viele Anstrengungen im Rahmen der Stabilisierung, aber ihr Mandat ist darauf begrenzt, das Töten von Zivilist*innen zu verhindern, und den Aufbau der Verwaltung und die Rückkehr für Geflüchtete zu unterstützen. Wenn Sie diese Schritte und die Bemühungen der französischen Behörden, militärisch gegen die Terrorist*innen zu intervenieren, gemeinsam betrachten, sehen Sie, dass das Ergebnis mager ist. Dies erklärt auch die aktuelle Unruhe in der malischen Zivilgesellschaft gegen die französische Präsenz in Mali.

3. Wie stark befürwortet die Bevölkerung die unterschiedlichen Missionen und warum?

Ohne die EU, ohne Frankreich wäre Mali heute von terroristischen Gruppen besetzt. Die Frage der Befürwortung der Missionen durch die Bevölkerung wurde auf dem von der malischen Regierung organisierten inklusiven nationalen Dialog besprochen, an dem sich alle Teile der Gesellschaft Malis beteiligten. Die französische Regierung war tatsächlich besorgt, sodass Präsident Macron die Staatschefs der G5-Sahel einlud, um deutlich zu fragen: „Wollen Sie, dass wir vor Ort sind oder nicht?“ Denn organisierte Demonstrationen gegen Frankreich und die internationalen Truppen machten Bedenken der Bevölkerung deutlich. Viele Stimmen vertraten offen die Meinung, dass die internationalen Interventionen bedeutungslos seien, nicht viel bringen, die Situation sogar verschlimmern, und man ihren Abzug fordern sollte.

Aber aus unserer Sicht als Sicherheitsexpert*innen ist das eine sehr schlechte Idee. Denn, wenn die internationalen Truppen abziehen, wer soll schlussendlich ihre Arbeit ersetzen? Sie werden alles mitnehmen, auch sämtliche finanzielle Unterstützung. Das würde also zu einer Menge Problemen führen. Der Sahel und Mali könnten sogar eine Gefahr für Europa darstellen, denn durch Instabilität würden die Grenzen der Migrationsbewegungen im Sahel verschoben. Solange es keine Stabilität gibt, bleiben junge Menschen nicht in Gebieten, in denen sie Gefahr laufen, getötet zu werden. Sie werden versucht sein, dorthin zu gehen, wo es ihnen besser geht.

4. Welche Rolle sollte die „G5 Sahel Joint Force“ in Mali Ihrer Meinung nach spielen?

Die G5-Sahel wurde zur Stabilisierung und zum Kampf gegen Terrorist*innen geschaffen. Es mangelt der G5-Sahel jedoch erheblich an Mitteln, personellen und materiellen Mitteln und Kriegslogistik. Die Idee hinter der Schaffung der G5-Sahel ist sehr gut. Aber die Operationalisierung verursacht große Probleme. Ich persönlich bilde die Truppen der G5-Sahel aus. Ich stelle immer wieder fest, dass die Soldat*innen dem Terrorismus, der Migration und der Instabilität unserer Grenzen ein Ende bereiten wollen. Aber es mangelt wirklich an den Mitteln. Auch wenn Deutschland uns zahlreiche Kampfpanzer zur Verfügung stellt, müssen unsere Soldat*innen vor Ort in der Lage sein, mit ihnen umzugehen. Wir bräuchten auch Ersatzteile und Mittel zur Wartung. Niemand hier ist qualifiziert genug, um sie ohne Deutschland, Frankreich oder Belgien aufrechtzuerhalten. Dadurch wird deutlich, warum das Niveau des Engagements wirklich strategisch überprüft und dem aktuellen Kontext angepasst werden muss.

5. Vor etwa einem Jahr haben Sie sich für eine Neuausrichtung und Reorganisation der internationalen Missionen der Vereinten Nationen und der EU ausgesprochen, an denen auch Deutschland beteiligt ist. Hat sich inzwischen etwas verändert?

Ja, in der Tat konnten wir in letzter Zeit feststellen, dass unsere eindringlichen Appelle gehört wurden – insbesondere Deutschland hat eine Reihe konkreter Maßnahmen ergriffen. Ich hatte den Schwerpunkt [in dem damaligen Interview, Anm. d. Red.] auf die lokale Entwicklung gelegt, weil sich die Krise oft durch mangelnde Entwicklung in vielen Gebieten erklären lässt. Dieser Mangel an Entwicklung drängt junge Menschen dazu, sich terroristischen Gruppen anzuschließen, um ein wenig Geld zu verdienen und ihren Bedürfnissen nachzukommen. Ich denke, dass unser Aufruf gehört wurde und dass nach und nach Anstrengungen unternommen werden. Aber es geht nur sehr langsam vorwärts, sehr zaghaft. Ich unterstreiche noch einmal, was wir heute dringend benötigen: Wir müssen wirklich in Projekte mit schnellerer Wirkung investieren. Gleichzeitig müssen wir Sicherheitspersonal ausbilden und der Regierung helfen, sich Zugang zu den nördlichen Regionen zu verschaffen und dort niederzulassen. Denn ohne die Präsenz der Regierung, selbst mit Europas Finanzierung und anderer Hilfe, wird es keine Folgemaßnahmen geben.

6. Was wären Ihre drei konkreten Empfehlungen für das Engagement Deutschlands und der EU in Mali?

Es gibt viele Ratschläge, ja sogar viele Bitten, mit denen man an Deutschland herantreten könnte: Deutschland sollte sich direkt an den Stabilisierungsbemühungen Malis beteiligen, und zwar erstens vor allem in den Bereichen Investitionen und Schaffung von Mikroprojekten für Landwirt*innen. Zweitens durch institutionelle Reformen, denn es wird ab März Parlamentswahlen geben. Deutschland kann die Ausbildung von Wahlhelfer*innen unterstützen, damit die Wahl geregelt abläuft. Wenn die Wahl nicht gut verläuft, werden alle bisherigen Bemühungen zunichte gemacht. Mein dritter Ratschlag ist, dass Deutschland seine Strategie im Hinblick auf seine Beteiligung an den Bemühungen zur Bekämpfung von Terrorist*innen überdenkt. Das bedeutet ganz einfach: mehr materielle und logistische Unterstützung für die Gruppen der G5-Sahel bereitzustellen und dennoch nicht davon auszugehen, dass die G5-Sahel dadurch in die Lage versetzt wird, Migration zu beseitigen oder zu stoppen. Denn das funktioniert nicht. Um Migration zu stoppen, müssen wir in die Gebiete investieren, in denen junge Menschen ihre Familien verlassen und gehen. Das sind meine drei kleinen Empfehlungen.

7. Was halten Sie von der neuen Spezialeinheit „Takuba“?

Viele Menschen in Mali lehnen diese Idee einer neuen Spezialeinheit ab. Sie denken, dass es nur eine weitere Struktur darstellt, die unnötige Kosten verursacht. Viele sind der Meinung, dass bestehende Strukturen wie Barkhane und die Truppen der G5-Sahel gestärkt werden müssen. „Takuba“ ist ein Tuareg-Wort und bedeutet „das Schwert“. Wenn die Tuareg dieses Takuba-Schwert ziehen, bedeutet es hinauszugehen, um zu töten oder Krieg zu führen. Das heißt, dass es sich um eine Spezialeinheit handelt, die nur zum Krieg führen ausgebildet wird. Die Erfahrungen im Irak, in Afghanistan und Syrien haben uns jedoch gezeigt, dass Krieg nicht die Lösung ist. Unsere Sorge betrifft die Zusammensetzung dieser Spezialeinheit: Wird diese Spezialeinheit nur aus französischen oder europäischen Soldat*innen bestehen oder wird sie eine gemischte Truppe mit Afrikaner*innen sein? Es handelt sich also um das gleiche Militärpersonal der Armee, das die gleichen Elemente liefern wird – die gleichen Elemente, die es auch schon in den Truppen der G5-Sahel gibt, finden Sie auch in dieser Spezialeinheit.

Der Anti-Terror-Kampf im Sahel ist in keiner Weise effektiv. Er ist nicht nur ein militärischer, sondern ein alltäglicher Kampf, der permanent von der Zivilbevölkerung, den Verwaltungsbehörden und auch vom Militär geführt werden muss. Aber man hat sich für einen militärischen Kampf entschieden. Deshalb empfängt die Zivilbevölkerung Terrorist*innen oft in ihren Familien, sie beherbergen sie sogar, sie leben mit ihnen zusammen, ganz einfach weil die Zivilbevölkerung nicht in diesen Kampf involviert ist.

Der zweite Punkt zu dieser Spezialeinheit ist das Problem der Koordination zwischen den Akteuren. Ohne Koordination wird diese Spezialeinheit nicht die erwarteten Ergebnisse liefern. Daher glaube ich nicht, dass die Idee einer neuen Spezialeinheit die Lösung ist. Aber vielleicht könnte diese Spezialeinheit mit den Mitgliedern der G5-Sahel zusammenarbeiten. Ich denke, das wäre klug und könnte Früchte tragen.

8. Sollte Deutschland einen größeren Beitrag leisten? Was erhoffen Sie sich vom deutschen Engagement?

Bislang wird die Präsenz Deutschlands von Seiten der Behörden und der Zivilbevölkerung eindeutig akzeptiert und gut geheißen, weil sie wissen, dass es konkret wird, wenn Deutschland kommt.

Ich denke, dass Deutschland die diplomatischen Wege neu beleben muss. Von nun an müssen wir unbedingt zuverlässige Partner haben, Deutschland muss einen echten Zugang haben, ein eigenes Netzwerk von Malier*innen, das es ihm ermöglicht, in den kommenden Jahren auf allen Ebenen präsent zu sein. Denn das Gebiet ist riesig und Entwicklung ist unverzichtbar. Die Hoffnung ist da, die natürlichen Ressourcen sind es auch und die Energie ist da. Es bedarf lediglich einer diplomatischen Strategie, die es Deutschland ermöglicht, seine Position in Mali zu festigen. Schon jetzt schätzen die Zivilbevölkerung und die indigenen Völker die deutsche Präsenz an verschiedenen Orten sehr. Man geht in verschiedene Ortschaften und sieht GIZ-Projekte in Gebieten, wo man sie sich gar nicht vorstellen kann. Das heißt, diese Errungenschaften müssen gestärkt und konsolidiert werden.

9. Was wünschen Sie sich für die Zukunft Malis?

Mein Wunsch für Mali ist ein stabiles und entwickeltes Mali, frei von Terrorismus, eng verflochten in guten Beziehungen mit unseren europäischen Freunden, die fantastische Entwicklungsmodelle haben und die ihre Entwicklungserfahrung mit uns teilen können. Wir haben die Reichtümer, wir haben die natürlichen Ressourcen, die uns helfen könnten, dies den Entwicklungsdiensten in einer Win-Win-Situation zur Verfügung zu stellen, in einem Mali des Friedens. Ich möchte, dass unsere europäischen Freunde nach Mali kommen können, dass sie im Sahel Urlaub machen können, dass sie an Festivals in der Wüste teilnehmen können, ohne Angst haben zu müssen, entführt zu werden.


Das Interview führten Julia Friedrich und Marie Wagner am 23.01.2020. Dies ist eine gekürzte Version. Es wurden auch eine englische und eine französische Version auf dem Blog veröffentlicht.

Redaktion und Übersetzung aus dem Französischen: Julia Friedrich und Marie Wagner

Friedenseinsätze Sub-Sahara Afrika Mali

Youssouf Coulibaly

Dr. Youssouf Coulibaly is a professor at the University of Legal and Political Sciences in Bamako. In addition, he trains military, police, gendarmes, and civilians in Mali and throughout Africa at the Peacekeeping School in Bamako on behalf of the Ministry of Defense. The Peacekeeping School in Bamako is tasked with selecting soldiers to participate in peacekeeping operations in West Africa and the African Union.