Frauen, Frieden und Sicherheit weiterdenken

08. März 2020   ·   Melanie Coni-Zimmer, Sonja Katharina Schiffers

Die Bundesregierung entwickelt einen neuen Nationalen Aktionsplan zu Frauen, Frieden und Sicherheit. Sie sollte dabei sowohl inhaltliche Erkenntnisse der Leitlinien zu Krisenprävention und Friedensförderung nutzen, als auch – wie beim Leitlinienprozess – die fachöffentliche Debatte miteinbeziehen.

Frauen tragen einen Großteil der Hölle – so Außenminister Heiko Maas kürzlich bei der Veranstaltung zum Weltfrauentag im Auswärtigen Amt. Dass Frauen besonders von militärischen Konflikten betroffen sind, aber auch eine wichtige Rolle in ihrer Beilegung spielen, hat auch der UN-Sicherheitsrat anerkannt. So verabschiedete er am 31. Oktober 2000 die Meilenstein-Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit. Damit stellte er Frauen und Gender zum ersten Mal rhetorisch ins Zentrum internationaler Sicherheitspolitik. Es folgten neun weitere Resolutionen, die zusammen die Agenda 1325 bilden. Erst 12 Jahre nach Verabschiedung von Resolution 1325 entschied sich die Bundesregierung für ihren ersten Nationalen Aktionsplan (NAP), der von 2013 bis 2016 gültig war. Der zweite und (noch) aktuelle NAP folgte im Jahr 2017, ein dritter wird diesen Sommer geschrieben. Nach anfänglicher Zurückhaltung hat Deutschland sich zuletzt auch auf internationaler Ebene nachdrücklicher für die Agenda 1325 engagiert.

Immer wieder hat die deutsche Zivilgesellschaft konstruktive Kritik zur 1325-Politik der Bundesregierung angebracht, darunter das Fehlen eines eigenen Budgets für den NAP bzw. mangelnde Transparenz in der Mittelvergabe, unzureichende Wirkungsorientierung und -messung sowie eine nicht ausreichende Umsetzung der Agenda durch die Ressorts im Ausland, aber auch innerhalb Deutschlands. Für die Ausarbeitung des neuen Aktionsplans läuft seit Herbst 2019 ein breit angelegter Konsultationsprozess zwischen Ressorts und Zivilgesellschaft. Auf Initiative des Beirats Zivile Krisenprävention soll dieser Prozess auch über die Beiträge in dieser Blogdebatte angereichert werden. In der Gestaltung des neuen NAPs sollte die Bundesregierung insbesondere Ideen aus dem Bereich der zivilen Krisenprävention und Friedensförderung einbeziehen sowie verstärkt aktuelle Debatten aus der Fachcommunity berücksichtigen.

NAP 1325 und Leitlinien zusammendenken

Seit Sommer 2017 bilden die Leitlinien der Bundesregierung den Rahmen für das deutsche Engagement zur Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung. In den Leitlinien werden die Agenda 1325 und der Nationale Aktionsplan als ein wichtiger Referenzrahmen für deutsches Engagement und “wichtige und anspruchsvolle Querschnittsaufgabe” anerkannt. An diversen Stellen in den Leitlinien wird die Berücksichtigung von Resolution 1325 und Genderaspekten als Zielgröße angesprochen, etwa bei der Förderung inklusiver Friedensprozesse, bei Maßnahmen der Demokratieförderung und der Sicherheitssektorreform (SSR), in Form der Förderung von Frauen beim Personaleinsatz im Ausland oder bei der Ausbildung von Mediatorinnen. 

Die Umsetzung der Leitlinien und der neue NAP 1325 können sich in mehrfacher Hinsicht ergänzen, aufeinander aufbauen und voneinander profitieren. Gleichzeitig würde das die Kohärenz außen-, sicherheits- und entwicklungspolitischen Handelns der Bundesregierung stärken. Dies erfordert aber auch eine intensivere Zusammenarbeit der Verantwortlichen, die für die Umsetzung verschiedener Aspekte der Leitlinien bzw. des NAPs 1325 verantwortlich sind – sowie einen intensiveren Dialog mit und zwischen den jeweiligen zivilgesellschaftlichen Fachcommunities. Zwei vielversprechende Beispiele sind der Fokus auf Prävention sowie das Zusammenspiel von Aktionsplan und ressortgemeinsamen Strategien zur Sicherheitssektorreform, Rechtsstaatsförderung und Vergangenheitsbewältigung.  

Der Vorrang der Prävention sollte sich im NAP wiederspiegeln  

In den Leitlinien und auch in der aktuellen internationalen Debatte wird die Prävention von Gewaltkonflikten ebenso betont wie in Resolution 1325. Die Leitlinien bekennen sich explizit zum Primat der Politik und zum Vorrang der Prävention. Wo immer möglich soll gewaltsame Konfliktaustragung durch frühzeitige Krisenerkennung und Maßnahmen der Krisenprävention vermieden werden. Die Prävention stellt auch eine der zentralen Säulen der Agenda 1325 dar. Konzeptionell wie in der Umsetzung bleibt die Prävention aber unterentwickelt und wird auch als “poor little sister” der anderen Säulen bezeichnet.  

Im neuen NAP sollten Maßnahmen zur Prävention ausgebaut werden; gleichzeitig sollten Genderaspekte vermehrt in die Umsetzung der Leitlinien eingebracht werden. In der Globalen Studie zur Umsetzung von Resolution 1325 aus dem Jahr 2015 wurden diverse Maßnahmen der Konfliktprävention identifiziert, die verstärkt Aufmerksamkeit verdienen. Frühwarnsysteme sollten beispielsweise genderresponsive Indikatoren und Indikatoren zu sexueller Gewalt umfassen, aber auch eine umfassende Einbeziehung von Frauen in der Entwicklung von Frühwarnsysteme sollte ermöglicht werden. Ein entsprechendes Ziel im aktuellen NAP bezieht sich nur auf das Frühwarnsystem des Auswärtigen Amtes, nicht aber auf die entsprechenden Frühwarn- und Konfliktanalyse-Systeme der anderen Ministerien.

Zudem würden sowohl der neue NAP als auch die Umsetzung der Leitlinien im Bereich der Prävention von einem schärferen Blick auf gewaltfördernde Männlichkeitsbilder profitieren. Letztere beinhalten die Idee des “starken Mannes”, der unnachgiebig und risikobereit ist und kein Mitgefühl zeigt. So können gewaltfördernde Männlichkeitsbilder ganz erheblich zur Eskalation von Konflikten beitragen. Im aktuellen NAP werden Männlichkeitsbilder lediglich im Kontext der Herausforderungen für Gleichstellung erwähnt. Auch im Bereich der Extremismusprävention und Radikalisierung sollte die Arbeit mit gewaltfördernden Männlichkeitsbildern stärker in den Fokus rücken.

Der Aktionsplan und die ressortgemeinsamen Strategien können sich gegenseitig verstärken  

Im Sommer 2019 verabschiedete die Bundesregierung drei ressortgemeinsame Strategien zur Vergangenheitsbewältigung, Sicherheitssektorreform und Rechtsstaatsförderung. Die drei Strategien greifen Genderaspekte in unterschiedlichem Maße auf, können aber im Großen und Ganzen als genderresponsiv gelten und gehen im Grad der Konkretisierung über den aktuellen NAP hinaus. Dadurch können sie zur Weiterentwicklung des NAPs beitragen. 

Beispielsweise wird im aktuellen NAP das Thema der Sicherheitssektorreform in deutschen Partnerländern nicht explizit angesprochen. Der Sicherheitssektor in fragilen und von Konflikten betroffenen Staaten hat eine besondere Bedeutung für den Schutz von Frauen und Mädchen vor sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, aber auch in der Prävention und Verfolgung von Straftaten. Hier sollte eine konkrete Zielsetzung des neuen NAPs sein, Geschlechterperspektiven bei der Planung und Durchführung von SSR-Projekten systematisch einzubeziehen. Die Aktivitäten zur Umsetzung der neuen SSR-Strategie in verschiedenen Ministerien würden wiederum von der systematischen Einbeziehung von in-house oder zivilgesellschaftlicher Genderexpertise in Deutschland und seinen Partnerländern profitieren. Auch genderresponsive Zielsetzungen aus den anderen beiden Strategien sollten in den NAP 1325 aufgenommen und so systematischer umgesetzt und überprüft werden.

Debatten aus der Fachcommunity berücksichtigen 

Neben der gemeinsamen Weiterentwicklung von NAP 1325 und Leitlinien wird es eine zentrale Herausforderung in der Ausarbeitung des neuen Aktionsplans sein, die Diversität und Weiterentwicklung der 1325-Fachdebatte einzubeziehen. Bei der Entwicklung der Leitlinien hat sich der Einbezug der Fachöffentlichkeit bewährt, indem er Raum für neue und weiterführende Ideen geschaffen hat. 1325-Fachdebatten sind deutlich weiter fortgeschritten als die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats und der aktuelle Nationale Aktionsplan. Sie sollten daher in der Ausarbeitung des neuen NAPs umfassend berücksichtigt werden. Beispielhaft hierfür stehen erstens Fragen der Gleichstellung von Frauen im Militär im Kontext der Kritik an “making war safe for women”, zweitens die Logik des “Frauen an die Verhandlungstische” gegenüber einer umfassenden feministischen Außenpolitik und drittens der Fokus auf Frauen anstelle von Gender. 

Gleichstellung im Militär vs. Making War Safe for Women? 

Der Abbau von Diskriminierung im Militär ist wünschenswert und die Förderung von Diversität in den Truppen sicherlich sinnvoll. Beides wird auch von Frauenorganisationen eingefordert. Entsprechende Ziele zur Erhöhung des Frauenanteils bei militärischem, polizeilichem und zivilem Personal in Auslandseinsätzen finden sich sowohl in den Leitlinien als auch im aktuellen NAP. Allerdings machen Regierungen es sich hier oft zu leicht: Frauen lediglich in bestehende Machtstrukturen einzugliedern, anstatt diese Strukturen zu hinterfragen und aufzubrechen, entspricht nicht dem ursprünglichen Gedanken der Agenda 1325. Feministische Aktivist*innen und Forscher*innen kritisieren seit langem den von vielen Staaten verfolgten militaristischen Ansatz zu 1325, der vor allem die Gleichstellung von Frauen in der Armee vorsieht, anstatt ein feministisches Konzept von Sicherheit zu verfolgen. Im neuen Aktionsplan und seiner Umsetzung könnte die Bundesregierung sich noch stärker für Abrüstung und De-eskalation einsetzen und mögliche Zielkonflikte offenlegen.

Über Teilhabe von Frauen zu einer feministischen Außenpolitik?

Eine weitere Debatte in der 1325-Community nimmt die Frage der Teilhabe von Frauen an Maßnahmen von Frieden und Sicherheit gegenüber einer feministischen Außenpolitik in den Fokus. Diese beiden Stoßrichtungen schließen einander nicht aus. Im Gegenteil: Eine feministische Außenpolitik ist ohne Teilhabe von Frauen natürlich nicht denkbar. Gleichzeitig gilt: Die Teilhabe von Frauen macht noch keine feministische Außenpolitik. Feministische Außenpolitik berücksichtigt Genderperspektiven konsequent in allen relevanten Politikbereichen. Hier könnte der neue NAP deutlich über die Agenda 1325 hinausgehen und beispielsweise feministische Perspektiven auf internationale Politikfelder wie Handelspolitik, Klimapolitik oder digitale Transformation einbringen, die allesamt für menschliche Sicherheit und die Sicherheit von Frauen relevant sind. 

Frauen, Frieden, Sicherheit oder Gender, Frieden, Sicherheit?  

Zudem würde der neue NAP von einem umfassenderen Gender-Begriff profitieren. Obwohl es zahlreiche Ideen zum “Queering” der Agenda 1325 gibt, basiert der aktuelle NAP auf der Idee der Geschlechterbinarität. Das Prinzip der Intersektionalität, also der Berücksichtigung von sich gegenseitig verstärkenden Ungleichheiten – Frauen mit Migrationshintergrund machen beispielsweise andere Erfahrungen als Frauen ohne Migrationshintergrund –, ist im aktuellen NAP ebenfalls kaum verankert. Dort finden sich lediglich indirekte Referenzen zu Intersektionalität beim Themenkomplex Flucht.  

Der neue Aktionsplan bietet eine gute Gelegenheit zur Ambitionssteigerung  

Die drei skizzierten Debatten sind eng miteinander verbunden und münden letztlich in der Frage, wie umfassend die Bundesregierung die Agenda verstehen möchte. Es ist gut, dass die Bundesregierung – anders als beim letzten Mal – einen inklusiven Prozess zur Ausarbeitung des neuen NAPs vorgesehen hat, in dem die genannten Debatten und diversen Positionen Raum finden sollten. Wenn die Bundesregierung den Aktionsplan substanziell weiterentwickeln möchte, wird die interne Abstimmung aufgrund der unterschiedlichen Ansätze und Ambitionsniveaus in den Ressorts eine besondere Herausforderung sein – die aber nicht zu ‘vorauseilender Zurückhaltung’ führen sollte.

Die Bundesregierung hat nun die Möglichkeit, in ihrem neuen NAP sowohl Kohärenz mit den Leitlinien herzustellen als auch das allgemeine Ambitionsniveau zu steigern – und so auch international mit gutem Beispiel voranzugehen. Wir sind gespannt auf Ihre Ideen und Beiträge zur Weiterentwicklung des NAPs zu Frauen, Frieden, Sicherheit und freuen uns auf eine breite Debatte hier auf dem PeaceLab-Blog!

Frauen Frieden & Sicherheit Gender

Melanie Coni-Zimmer

Melanie Coni-Zimmer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin im Programmbereich “Internationale Organisationen” am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Sie ist Mitglied im Beirat Zivile Krisenprävention und Friedensförderung der Bundesregierung. @MConiZimmer

Sonja Katharina Schiffers

Sonja Katharina Schiffers leitet ehrenamtlich das Programm Gender und Internationale Politik bei Polis180 - ein Grassroots-Thinktank für Außen- und Europapolitik - und ist Mitglied des Beirats Zivile Krisenprävention und Friedensförderung. @sonjakathar