Was kosten Frieden und Geschlechtergerechtigkeit? Deutschland braucht ein transparentes und differenziertes Budget 18. Mai 2020 · Nicola Popovic Um sich nachhaltig und kohärent für die Ziele der Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit einzusetzen, muss die Bundesregierung transparenter machen, welche finanziellen Mittel sie für Geschlechtergerechtigkeit ausgeben möchte. Der neue Aktionsplan zur Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats braucht eine gendergerechte Budgetierung. Debatten Frauen, Frieden & Sicherheit Impulse für den dritten Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung Die aktuelle globale Corona-Krise hat zahlreiche gesundheitliche, soziale und politische Auswirkungen. Geschlechterspezifische Gewalt, sexueller Missbrauch, aber auch sozio-ökonomische Missstände verschärfen sich. Das macht die Umsetzung der internationalen Agenda zu Frauen, Frieden und Sicherheit in ihrem 20. Jubiläumsjahr wichtiger denn je. Seit der Verabschiedung der Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats (UNSCR 1325) im Jahr 2000 berücksichtigen immer mehr Akteure und Organisationen, die zu Frieden und Sicherheit arbeiten, geschlechterspezifische Analysen und institutionalisieren Umsetzungsinstrumente der Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit. Mehr als 80 Staaten entwickelten Nationale Aktionspläne (NAP) zur Umsetzung von UNSCR 1325 und schlossen sich zu Netzwerken wie etwa dem globalen Women Peace and Security Focal Point Network zusammen. Trotz zunehmender internationaler Aufmerksamkeit bleiben Initiativen zu Frauen, Frieden und Sicherheit und somit auch die Umsetzung der einzelnen NAPs chronisch unterfinanziert. Fast 90 Prozent der Nationalen Aktionspläne zu UNSCR 1325 haben kein spezifisches Budget für die Entwicklung und Umsetzung der festgelegten Aktivitäten. Fast 90 Prozent der Nationalen Aktionspläne zu UNSCR 1325 haben kein spezifisches Budget für die Entwicklung und Umsetzung der festgelegten Aktivitäten. Das Budget, das den verschiedenen Implementierungsressorts für die themenübergreifenden Aspekte zur Verfügung steht, ist oftmals weder extern noch intern bekannt. In den meisten Fällen ist es nur auf Projektebene nachvollziehbar, meist durch Projekt- und Finanzierungsanträge von zivilgesellschaftlichen Akteuren, und unterliegt saisonalen politischen Prioritäten der verschiedenen Ressorts. Unterschiedlicher Fokus der Nationalen Aktionspläne: im Globalen Süden nach innen, im Globalen Norden nach außen Im Globalen Süden sind Aktionspläne meist nach innen gerichtet und werden unter der Federführung von Ministerien für Gleichstellung oder Inneres umgesetzt. Gleichzeitig unterstützen oftmals auch internationale Organisationen wie UN Women oder bilaterale Geldgeber die Nationalen Aktionspläne. Durch diese finanzielle Abhängigkeit von externen Akteuren kommt es in vielen Fällen zwangsweise zu einer transparenteren Budgetierung und finanziellen Rechtfertigung als im globalen Norden, wie beispielsweise im Falle des NAP der Zentralafrikanischen Republik. In den meisten Nationalen Aktionsplänen des globalen Nordens hingegen liegt der Implementierungsfokus außerhalb der eigenen Staatsgrenzen. Bei solchen nach außen gerichteten Ansätzen zu Frauen, Frieden und Sicherheit spielen Investitionen in Entwicklungszusammenarbeit, Außenpolitik sowie in internationale Friedens- und Sicherheitsmissionen eine große Rolle. Dabei geht es nicht alleine um die direkten finanziellen Mittel, die bilateral oder durch zivilgesellschaftliche oder internationale Organisationen getätigt werden (Official Development Assistance), sondern auch um die Umsetzung von Projekten vor Ort. Wichtig für gezielte Projektmittel für die Unterstützung von MenschenrechtsverteidigerInnen und zivilgesellschaftlichen Frauen- und Menschenrechtsorganisationen ist dabei eine langfristige politische und finanzielle Unterstützung, die über die Projektphasen hinausgeht – besonders in Krisengebieten. Oftmals sind es zivilgesellschaftliche Organisationen und Individuen, die sich in Krisen-und Konfliktzeiten an vorderster Front für Frauen, Frieden und Sicherheit einsetzen. Investitionen in die eigenen Kapazitäten wie beispielsweise kompetentes Friedenspersonal oder diplomatische VertreterInnen, welche geschlechtergerechte Grundsätze umsetzen können, sind aber ebenfalls in nahezu allen europäischen NAPs zu Frauen, Frieden und Sicherheit erwähnt. Die Investitionen in Frauen, Frieden und Sicherheit kommen also aus politisch und thematisch unterschiedlichen Lagern mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Finanztöpfen und mischen sich in einem gemeinsamen Aktionsplan. Um Überschneidungen und Lücken zu erkennen und Ressourcen effektiv und kohärent einzusetzen, müssten diese Mittel und Schwerpunkte für andere Regierungsressorts und die Zivilgesellschaft offengelegt werden. Nur so können konkurrierende Förderprogramme, Duplizierungen und vernachlässigte Themenbereiche oder Regionen identifiziert werden. Denn insbesondere bei einem Wirkungsgrad außerhalb der eigenen Landesgrenze sind die Effekte von unterschiedlichen Fördermitteln und Investitionen schwer zu messen. Finanzierung des deutschen NAP ist undurchsichtig und schwer messbar Deutschlands Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit und nachhaltigen Frieden im Rahmen der Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit nimmt zu. Die Bundesrepublik entwickelte 2013 den ersten Nationalen Aktionsplan zur UNSCR 1325 und berät sich aktuell mit verschiedenen, auch zivilgesellschaftlichen Akteuren für die Erstellung des dritten NAP. Sie ergriff als nicht-ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat seit 2019 wesentliche Initiativen zu dem Thema. International finanziert Deutschland Projekte zu Frauen, Frieden und Sicherheit in vielen Ländern, darunter in der Demokratischen Republik Kongo, in Indonesien oder der Ukraine. Da der NAP ressortübergreifend ausgearbeitet und umgesetzt wird, erstellen verschiedene Ministerien (wie etwa das Auswärtige Amt oder das Bundesministerium für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit) und Institutionen (wie etwa das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) oder die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ)) Ausschreibungen oder finanzieren zivilgesellschaftliche Akteure vor Ort. Diese Mittel unterliegen strengen Regelungen und werden vom Bundesfinanzhof überprüft. Dabei schöpft die Bundesregierung aus den eigenen Töpfen und ist damit unabhängig von externen Geldgebern. Die Budgets der einzelnen Ministerien sind im Bundeshaushalt aufgelistet. Das Auswärtige Amt, das federführend ist für die Umsetzung von UNSCR 1325, verfügt 2020 beispielsweise über 1.23% des gesamten Bundeshaushalts. Darunter fallen im AA-Haushalt Themenschwerpunkte wie Sicherheit von Frieden und Stabilität (52.57%), die Pflege kultureller Beziehungen zum Ausland (17.88%) und die bilaterale Zusammenarbeit der Auslandsbeziehungen (4.6%). Eine Budgetierung aus Geschlechterperspektive oder Einsicht in die Gelder, die beispielsweise Geschlechtergerechtigkeit oder unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zugutekommen, gibt es jedoch nicht. Es bleibt unklar, woher die Mittel kommen, die für die Aktivitäten des dritten NAP reichen sollen. Es bleibt dadurch unklar, woher die Mittel kommen, die für die Aktivitäten des dritten NAP reichen sollen. Sie kommen aus verschiedenen Töpfen und sind somit an verschiedene Themenbereiche und Bedingungen geknüpft. Das macht die Investitionen der deutschen Politik zur Umsetzung von UNSCR 1325 schwer messbar und undurchsichtig. Finanzierungen für die Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit müssen sichtbarer werden Eine stärkere Sichtbarkeit der Finanzierungen zur Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit ist nicht nur im Interesse der Zivilgesellschaft, ForscherInnen und LobbyistInnen. Eine geschlechterspezifische Analyse der Mittel kann auch den Bundesministerien helfen, ihr eigenes Engagement differenzierter zu bewerten und die Wirkung der Finanzierung von Projekten und Initiativen auf verschiedene Bevölkerungsgruppen hervorzuheben. Denn viele der bereits finanzierten Maßnahmen kommen Themenbereichen der Agenda zugute. In Mali beispielsweise setzt sich Deutschland mit einem erheblichen Betrag für Wasserversorgung in abgelegenen Gebieten und Hygiene ein. Das hat zur Folge, dass besonders Frauen, die für die Versorgung ihrer Familien zuvor unsichere Wege zurücklegen mussten, sich nicht mehr in Gefahr begeben müssen. Das Projekt hat also eindeutig eine Wirkung auf Frauen, Frieden und Sicherheit und könnte somit unter dem Aspekt der Umsetzung der UNSCR 1325 Erwähnung finden. Allerdings ist dies weder im deutschen NAP noch in einem anderen Berichtssystem zu Frauen, Frieden und Sicherheit markiert. Transparenz und Kohärenz steigern: Einheitliches Gender Marker System und Gender Budgeting für alle Ressorts Durch ein sogenanntes Gender Marker System könnte man Mittel innerhalb von Projekten und Programmen sichtbarer machen, die geschlechtergerechten Initiativen zu Gute kommen. Durch ein sogenanntes Gender Marker System könnte man Mittel innerhalb von Projekten und Programmen sichtbarer machen, die geschlechtergerechten Initiativen zu Gute kommen. Dabei würden Projekte und deren Mittel danach gekennzeichnet werden, inwieweit sie eine Geschlechterperspektive und unterschiedliche Bedürfnisse berücksichtigen. Dadurch könnten auch die Wirkungen auf Frauenförderung durch eine bessere Wasserversorgung wie in Mali sichtbarer gemacht werden. Zahlreiche internationale Organisationen, wie die Vereinten Nationen und die OECD, zivilgesellschaftliche Organisationen, aber auch das Bundesministerium für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit verwenden bereits ein solches System. Die Bundesregierung sollte den neuen NAP als Gelegenheit nutzen, um in allen Ressorts einheitliche Gender Marker für ihre jeweiligen Projektmittel und Fördertöpfe einzuführen. Deutschland unterstützt Gender Budgeting in anderen Ländern, wendet es jedoch in den eigenen Haushaltsplänen nicht an. Noch effektiver wäre eine komplexe Genderanalyse der gesamten Ressort- und des Bundeshaushalts als Grundlage für ein sogenanntes Gender Budgeting. Die gesamte Einnahmen- und Ausgabenstruktur würde dadurch systematisch auf Wirkungen auf die Gleichberechtigung der Geschlechter überprüft werden. Diese Analyse würde darlegen, wie viele finanzielle Ressourcen des Bundeshauhalts oder der verschiedenen Ressorts Geschlechtergerechtigkeit zu Gute kommen – nicht nur im Ausland, sondern auch in den Ressorts selbst. Deutschland unterstützt Gender Budgeting in anderen Ländern, wie etwa durch die GIZ in der Mongolei, wendet es jedoch in den eigenen Haushaltsplänen nicht an. Dabei könnte dies von Nutzen sein, um Mittel für den neuen Aktionsplan zu identifizieren, präziser zu verwenden und ihre Wirkung messbarer zu machen. Den Philippinen beispielsweise half eine Durchsicht der öffentlichen Gelder aus einer Geschlechterperspektive, Ressourcen im eigenen Haushalt für den ersten Nationalen Aktionsplan zu UNSCR 1325 zu identifizieren und diesen somit unabhängig von externen Geldgebern zu entwickeln. In Fällen wie Kanada und Schweden werden im Sinne einer feministischen Entwicklungs- und Außenpolitik sämtliche Mittel und Initiativen auf ihre Herkunft und ihren geschlechterspezifischen Wirkungsgrad untersucht. Dadurch werden Entwicklungszusammenarbeit, Außenpolitik und der generelle Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit und Frieden präziser, effizienter, transparenter und nachhaltiger. Trotz partizipativer Entwicklung des dritten deutschen NAPs fehlt die finanzielle Transparenz Der bisherige Entwicklungsprozess hin zu einem dritten deutschen NAP zu Frauen, Frieden und Sicherheit war durch verschiedene Konsultationsmechanismen bisher partizipativ, inklusiv und transparent. Das federführende Auswärtige Amt hat zivilgesellschaftliche, internationale und regionale Organisationen zu den bisherigen und geplanten Maßnahmen und Prioritäten des nächsten NAP regelmäßig befragt. Allerdings bleiben die bereitstehenden Ressourcen weiterhin unerwähnt. Dabei sind es gerade diese Mittel, die politische Prioritäten greifbar machen. Im NAP könnten spezifische Budgets pro Resultat aufgeführt werden, die auf Gender Marker Systemen oder gar einer haushaltsweiten Genderanalyse basieren. Denn die deutsche Zivilgesellschaft fordert schon länger eine Offenlegung der für den NAP verfügbaren Mittel und eine Bereitstellung von ausreichend finanziellen und personellen Kapazitäten. Dies würde der chronischen Unterfinanzierung von Geschlechtergerechtigkeit, nachhaltigem Frieden und menschlicher Sicherheit entgegen wirken, aber auch einen Vergleich erlauben, für welche Hilfen und Initiativen wie viele Mittel bereitstehen – und für welche nicht. Wenn die von der Bundesregierung gesetzten Prioritäten für Frauen, Frieden und Sicherheit ernst zu nehmen sind, dann müsste ein solcher Vergleich gestattet sein. Debatten Frauen, Frieden & Sicherheit Impulse für den dritten Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung Frieden & Sicherheit Gender Finanzierung Nicola Popovic Nicola Popovic ist Mit-Gründerin und Direktorin von Gender Associations und arbeitet seit über 15 Jahren zu Vielfalt, Frieden und Sicherheitsthemen in Afrika, Europa, Lateinamerika, und dem Nahen Osten. Ihre Themenschwerpunkte liegen auf der Umsetzung internationalen Rechts auf nationaler Ebene, Maßnahmen zu Sicherheitssektorreformen und der Vorbereitung auf Friedenseinsätze insbesondere zum Schutz und Prävention sexualisierter und geschlechterspezifischer Gewalt. @Npopovic1325
Artikel Männlichkeitsbilder wandeln heißt Krisen vorbeugen Zwanzig Jahre nach Verabschiedung der UN-Resolution 1325 bleibt die Women, Peace and Security-Agenda einer einseitigen Auffassung von „Gender“ verhaftet. Die Bundesregierung sollte im neuen Nationalen Aktionsplan die Transformation von gewaltbasierten zu friedvollen Formen von Männlichkeit priorisieren und langfristig eine Gender, Peace and Security-Agenda anstreben. Maximilian Kiefer • 06. Mai 2020
Artikel Frauen an den Verhandlungstisch? Ja, aber nicht als Pflichtübung Eine breite Beteiligung an Friedensprozessen ist wichtig, um Konfliktursachen anzugehen und Frieden nachhaltiger zu gestalten. Deutschland sollte sich für kontextspezifische Inklusion einsetzen, die Verhandlungspartner_innen nicht auf einzelne Identitätsmerkmale reduziert: Das Ziel sollte immer die Transformation der Beziehungen zwischen verfeindeten Akteuren sein. Andreas Hirblinger, Dana Landau • 04. Mai 2020
Artikel Women in Ukraine’s Military: An Opportunity for Change Since 2014, the number of women in the Ukrainian military has drastically increased. Local civil society has been promoting gender equality in Ukraine’s security sector from the bottom up. International actors should do the same: Germany needs to support the promotion of women to higher ranks as well as gender-sensitive programs for demobilization and reintegration. Hanna Hrytsenko • 28 April 2020