Männlichkeitsbilder wandeln heißt Krisen vorbeugen

06. Mai 2020   ·   ​Maximilian Kiefer

Zwanzig Jahre nach Verabschiedung der UN-Resolution 1325 bleibt die Women, Peace and Security-Agenda einer einseitigen Auffassung von „Gender“ verhaftet. Die Bundesregierung sollte im neuen Nationalen Aktionsplan die Transformation von gewaltbasierten zu friedvollen Formen von Männlichkeit priorisieren und langfristig eine Gender, Peace and Security-Agenda anstreben.

Die UN-Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit, die den Anstoß zur Women, Peace, and Security-Agenda (WPS) gab, feiert dieses Jahr ihr zwanzigjähriges Jubiläum. Gemeinsam mit neun Folgeresolutionen gilt sie heute als internationaler Meilenstein, um die vielfältigen Rollen von Frauen in der Krisenprävention, der Konfliktlösung und der Friedenskonsolidierung sichtbar zu machen und ihre Beteiligung in allen drei Phasen sicherzustellen. So ist es mittlerweile allgemein anerkannt, dass Frauen und Männer in unterschiedlicher Weise von Konflikten betroffen sind, Frauen häufig die Hauptlast des Krieges tragen und dass sich eine stärkere Beteiligung von Frauen in Friedensprozessen nachhaltig positiv auf die Dauer des Friedens auswirkt.

Mehr als nur Frauen: Gender umfassend betrachten und Männlichkeiten in den Blick nehmen

Während die WPS-Agenda vor allem zu Beginn für ihre oft ambitionslose bzw. fehlende Implementierung kritisiert wurde und immer wieder auf Spannungen zwischen westlichen Normen und lokalen Realitäten verwiesen wird, möchte ich die Probleme hervorheben, die sich aus einem alleinigen Fokus der WPS-Agenda auf Frauen ergeben. Zwar wird fast immer der Begriff „Gender“ benutzt, dennoch bleibt bei näherer Betrachtung der Eindruck bestehen, dass „Gender“ in den allermeisten Fällen immer noch mit „Frauen“ gleichgesetzt wird. Wie Kimberly Theidon bereits 2009 formulierte: „‘adding gender‘ is policy-speak for ‘adding women‘”. Ein solches Verständnis nimmt „Gender“ aber nicht ernst. Stattdessen muss die Umsetzung der Resolution 1325 größere Geschlechternormen wie Vorstellungen von Männlichkeit mit in den Blick nehmen und deren Zusammenhänge mit Konflikten adressieren. Einige dieser Zusammenhänge möchte ich hier kurz skizzieren.

Bezogen auf Konfliktprävention zeigen Untersuchungen, dass Staaten mit einer höheren Geschlechterungleichheit mit einer höheren Wahrscheinlichkeit in Kriege involviert sind. Zudem trägt eine militarisierte Männlichkeit, also die gesellschaftliche Verknüpfung von Männlichkeit, Militarismus und Gewalt, zur Legitimation von Gewalt bei und befördert Konflikte. Darüber hinaus gehen Wissenschaftler*innen davon aus, dass Konflikte Formen von besonders gewaltbasierten Männlichkeitsvorstellungen, sogenannten „militarisierten“ bzw. „militärischen Männlichkeiten, hervorbringen, welche zu sexualisierter Gewalt während Bürgerkriegen beitragen. Folglich ist die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit, und somit friedlichen Männlichkeiten, die beste Krisenprävention. Des Weiteren bestehen gewaltbasierte Geschlechtervorstellungen nach dem formalen Ende eines Konfliktes fort. Die Verknüpfung von Männlichkeit mit Gewalt, Kriegstraumata sowie der Unfähigkeit, in einer (Nach-)Kriegsgesellschaft die Familie zu ernähren, führt oft zu vermehrter häuslicher Gewalt. Entsprechend muss die Thematisierung von gewaltbezogenen Männlichkeiten zu einem festen Bestandteil der Friedensförderung werden. Hier ist auch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit gefragt: so sollten Männer stärker explizit in Komponenten zu Geschlechtergerechtigkeit einbezogen werden, indem beispielsweise Maßnahmen zur Ernährungssicherung oder HIV-Prävention mit Genderworkshops verknüpft werden.

Bestehende Programme für Sensibilisierung und Transformation von Männlichkeit nutzen

Sinnvolle Ansatzpunkte stellen Programme zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration (DDR-Programme), zu Reformen des Sicherheitssektors (SSR) oder zu Vergangenheitsarbeit dar. Beispielsweise könnte die Bundesregierung Programmkomponenten wie Reintegrations- und Qualifizierungskurse oder Gesundheitsprogramme für ehemalige Kämpfer mit Workshops zu häuslicher Gewalt und psychosozialer Hilfe zur Traumataverarbeitung verknüpfen. Da die Fähigkeit, finanziell für die eigene (zukünftige) Familie zu sorgen, für viele ehemalige Kämpfer von zentraler Bedeutung ist, bieten Maßnahmen zur Einkommensgenerierung ebenfalls einen guten Hebel, um gewaltbasierte Vorstellungen von Männlichkeit in Workshops zu thematisieren und zu transformieren. Hier lohnt es sich, Männer mit Vorbildcharakter einzubeziehen und insgesamt zu stärken, da diese oftmals in Post-Konfliktkontexten nicht sichtbar sind.

Zweitens kann Gender in Reformen des Sicherheitssektors in einem tiefergehenden Sinne integriert werden. Liberia bietet hier ein gutes Beispiel: so wurden in der Nationalen Liberianischen Polizei Gendertrainings und in den Streitkräften Liberias Maßnahmen bezüglich sexualisierter Gewalt eingeführt. Zudem besteht inzwischen sowohl in der Polizei als auch im Militär ein verpflichtender Frauenanteil. Dies sind wichtige Schritte, um in Sicherheitsinstitutionen kultivierte Formen von aggressiver Männlichkeit aufzubrechen, für deren Umsetzung sich die Bundesregierung einsetzen sollte. Anhaltende Probleme mit sexualisierter Gewalt in UN-Friedensmissionen widersprechen allerdings einer internationalen Vorbildfunktion.

Letztlich können Ansätze zur Vergangenheitsbewältigung und Versöhnung (Transitional Justice) ebenfalls dazu beitragen, gewaltbasierte Bilder von Männlichkeit abzubauen, indem beispielsweise Medienkampagnen im Rahmen von Versöhnungsprozessen gezielt mit Vorstellungen von Männlichkeit und Gewalt brechen. Zwar haben sich traditionelle Versöhnungsprozesse, wie Mato Oput in Uganda, als friedensfördernd herausgestellt, allerdings ohne Gender zu berücksichtigen. So bestehen Stigmatisierungen von weiblichen Opfern sexualisierter Gewalt und ihrer im Konflikt geborenen Kinder fort, während gewalttätiges Verhalten als typisch männlich akzeptiert wird. Auch wird sexualisierte Gewalt gegen Männer in Programmen zur Vergangenheitsarbeit immer noch zu wenig beachtet.

Fortschritte aus den Leitlinien und ressortgemeinsamen Strategien nutzen

Mit Blick auf die deutsche Umsetzung der Resolution 1325 zeigt sich, dass im zweiten Nationalen Aktionsplan (2017-2020) zwar mehrfach auch auf Männer, beispielsweise als Opfer sexualisierter Gewalt, eingegangen und damit zumindest im Ansatz die Gleichsetzung von „Männern = Täter“, „Frauen = Opfer“ aufgehoben wird. Ein tiefergreifendes Verständnis von Gender fehlt jedoch weiterhin. So wird der Abbau stereotyper Geschlechtervorstellungen und Männlichkeitsbilder lediglich ein einziges Mal thematisiert, und zwar im Kontext der Krisenprävention.  

Besser aufgegriffen wird die Resolution 1325 in den ressortübergreifenden Leitlinien der Bundesregierung „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ (2017), zum Beispiel bezogen auf die Inklusivität von Friedensprozessen und SSR-Programmen, die Förderung von Rechtsstaatlichkeit sowie den Anteil von entsendeten Frauen. Allerdings fehlt auch hier der Einbezug von Gender und gewaltfördernden Männlichkeiten in den drei Phasen der Krisenprävention, Konfliktlösung sowie Friedensförderung.

Positiver sind die neuen Strategien der Bundesregierung zu Rechtsstaatsförderung, Sicherheitssektorreform und Transitional Justice zu bewerten. So nennt die Strategie zur Rechtsstaatsförderung die Förderung der Menschenrechte als wichtige Leitlinie, wozu die Bundesregierung den Einsatz für die Gleichstellung der Geschlechter und geschlechtergerechter Gesetzgebung sowie den Schutz benachteiligter Gruppen zählt. Hier wird der Bezug zur Resolution 1325 deutlich. In ähnlicher Weise sollen deutsche Interventionen im Bereich der Sicherheitssektorreform dem Human-Security-Ansatz folgen, der den Schutz des Individuums in den Mittelpunkt stellt. Auch hier sind die besonderen Sicherheitsbedürfnisse und Interessen von Frauen im Sicherheitssektor mitgemeint. Die Strategie zur Vergangenheitsarbeit listet die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit als einen von vier Schwerpunkten in der Vergangenheitsbewältigung und bei Versöhnungsprozessen auf. Im Vergleich zu den vorhergehenden zwei Strategien liest sich die Betonung von Gerechtigkeit anstelle von Gleichheit ambitionierter. Zudem werden die Bedeutung von Geschlechterrollen in Konflikten sowie Mehrfachdiskriminierungen (Intersektionalität), auch aufgrund von sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität, hervorgehoben. Damit geht dieses letzte Papier als einziges über das „adding women“-Verständnis von Gender hinaus, auch wenn LGBTQI*-Rechte und -Teilhabe nicht genannt werden.

Programme für DDR, SSR und Vergangenheitsbewältigung langfristiger finanzieren

Das Entscheidende dieser konzeptionellen und strategischen Überlegungen wird letztendlich jedoch immer die Implementierung und die Finanzierung sein. Hier muss das Verständnis von Gender der einzelnen Ministerien in der Projektplanung und -umsetzung über die simple Gleichsetzung mit Frauen („adding women“) hinausgehen, damit der neue Nationale Aktionsplan und die neuen Strategien keine Papiertiger bleiben. Darüber hinaus muss eine langfristige Finanzierung der drei diskutierten Instrumente sichergestellt werden. Ein DDR-Programm in Liberia hat eindrücklich gezeigt, dass eine mangelnde Finanzierung zuallererst zulasten der Genderperspektive geht und Frauen in Konsequenz als Zielgruppe nicht erreicht werden. Zudem sollte die Bundesregierung längere Projektlaufzeiten anvisieren: Geschlechterrollen und -bilder lassen sich nicht in Projektzeiträumen von zwei bis drei Jahren verändern. Nur wenn diese beiden Aspekte, Implementierung und Finanzierung, berücksichtigt werden, können die durchaus vorhandenen gendertransformativen Möglichkeiten der Resolution 1325 genutzt werden.

Zusammengefasst: Gender wird in den Debatten um die Resolution 1325 noch immer häufig mit Frauen gleichgesetzt, wodurch Männer als „agents of change“ aus dem Blickfeld geraten. Ebenso wenig werden gewaltfördernde Männlichkeitsvorstellungen thematisiert. Programme zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration, Sicherheitssektorreformen sowie Versöhnungsprozesse und Vergangenheitsbewältigung bieten hierfür lohnende Ansatzpunkte für die Bundesregierung, die im neuen Nationalen Aktionsplan berücksichtigt werden müssen. Die Thematisierung von Männlichkeiten kann allerdings nur der erste Schritt von einer Women, Peace and Security- (WPS) hin zu einer Gender, Peace and Security-Agenda (GPS) sein: genauso müssen die vielfältigen Stimmen von LGBTQI einbezogen und die GPS intersektional gedacht werden.

Frieden & Sicherheit Conflict Prevention Gender

​Maximilian Kiefer

Maximilian Kiefer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-geförderten Forschungsprojekt zur „Transformation gewaltzentrierter Männlichkeiten nach bewaffneten Konflikten“ am Institut für Politikwissenschaften der Universität Tübingen.