Frauen an der Spitze von EU-Friedensmissionen? Eine Frage des politischen Willens

30. Juni 2020   ·   ​Patricia Kruse, Tobias Pietz

Führungspositionen werden in EU-Friedenseinsätzen und EU-Delegationen immer noch zum Großteil mit Männern besetzt. Im Gegensatz dazu haben die Vereinten Nationen in den letzten vier Jahren den Frauenanteil in Führungspositionen stark erhöht. Was Europa derzeit fehlt, ist der politische Wille. Die EU-Ratspräsidentschaft ist eine Chance für Deutschland, dies zu ändern.

An diesem Mittwoch übernimmt Deutschland und somit Kanzlerin Merkel den Vorsitz des Europäischen Rates. Damit wird dieses Gremium seit seiner Einführung vor 35 Jahren insgesamt nur 4.5 Jahre von einer Frau geführt worden sein. Sehr ähnlich verhält es sich mit der Leitung von Missionen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union, deren Fokus bisher nur sehr eingeschränkt auf der Sichtbarkeit und Förderung von Frauen lag. Nur so ist erklärbar, dass es im Jahr 2020 keine einzige Frau gibt, die eine der aktuell elf europäischen zivilen Missionen (oder eine der sechs militärischen Operationen) führt. Überhaupt stand an der Spitze der zivilen Einsätze bisher nur sechsmal eine Frau – dafür aber 64-mal ein Mann. Deutschland hat seit dem Beginn der Missionen der GSVP über 16 zivile Missionsleiter gestellt, allerdings ausschließlich Männer. Auch bei den stellvertretenden Leitungen sind Frauen deutlich unterrepräsentiert – in lediglich drei der elf zivilen Missionen – EUCAP Sahel NIGER, EUPOL COPPS und EUMM Georgien – sind Frauen stellvertretende Leiterinnen, davon immerhin zwei deutsche Expertinnen. Warum leiten so wenige Frauen Friedenseinsätze der EU? Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist zwar nur ein kleiner Aspekt der Frage, wie man im Bereich Frieden und Sicherheit den Einfluss und die Bedeutung von Frauen erhöhen kann – allerdings einer mit hoher Sichtbarkeit und somit einer Signalwirkung. 

UN-Generalsekretär Gutteres zeigt: persönlicher Einsatz für mehr Frauen bringt Resultate

Im Vergleich zur EU stehen die Vereinten Nationen weitaus besser da: In der aktuellen Liste des Führungspersonals der „Field Operations“ der VN sind ein Drittel der Leitungspositionen von Frauen besetzt, bei den stellvertretenden Leitungen sogar die Hälfte – und das beinhaltet auch die Führung von robusten, militärischen Einsätzen der Vereinten Nationen. Dies ist auch ein Resultat der Ankündigung des derzeitigen UN Generalsekretärs Antonio Gutteres, der in seiner Antrittsrede im Dezember 2016 erklärte, dass am Ende seiner Amtszeit die Hälfte aller Senior Positions (inklusive Sonderbeauftragte und Missionsleitungen) mit Frauen besetzt werden sollen. Sowohl im Reformprogramm Action for Peacekeeping, als auch in diversen anderen strategischen Dokumenten wie der Uniformed Gender Parity Strategy spielt deshalb die Förderung von weiblichem Personal und das Erreichen einer Parität eine zentrale Rolle.  

Die Auslegung von „besserer Repräsentation“ darf nicht den EU-Mitgliedsstaaten überlassen werden 

Dieses Jahr im Oktober jährt sich zum 20. Mal die UN-Sicherheitsratsresolution 1325 zum Thema „Frauen, Frieden und Sicherheit (WPS)“. Bis heute eine bahnbrechende Resolution - nicht umsonst ist das 20-jährige Jubiläum also prominent im Kalender der internationalen Gemeinschaft markiert. Es bietet auch die Gelegenheit, zu reflektieren, inwiefern die Inklusion von Frauen in der Außen- und Sicherheitspolitik seither eigentlich erfolgt ist. Blickt man hier auf die GSVP wird schnell klar, dass zumindest in der Personalpolitik noch großer Nachholbedarf besteht. Im November 2018 hat die EU den Pakt für die zivile GSVP veröffentlicht (Civilian CSDP Compact). Dieser enthält u.a. Selbstverpflichtungen der Mitgliedsstaaten, das zivile Personal in EU-Friedenseinsätzen zu erhöhen. In Verpflichtung 16 des Pakts wird hier auch auf den Aspekt der Repräsentation von Frauen eingegangen, allerdings im Vergleich zu den anderen insgesamt 22 Selbstverpflichtungen äußerst unpräzise. Der Anteil von Frauen auf allen Ebenen von EU-Einsätzen müsse erhöht und eine Geschlechterperspektive überall mitgedacht werden. Da die Erfüllung des Compact allerdings auf Nationalstaatsebene angesiedelt ist, kann jeder Mitgliedsstaat selbst entscheiden, was eine bessere Repräsentation genau bedeutet – und nicht alle Mitgliedsstaaten haben ein Interesse an mehr Frauen in Friedensmissionen, ob allgemein oder auch explizit in Leitungspositionen.  

Nach 20 Jahren Resolution 1325 ist mehr Einsatz der EU gefragt, trotz der Herausforderungen durch Corona und Brexit 

Im Jubiläumsjahr der Resolution 1325 hat Deutschland nicht nur einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen inne, sondern wird ab Juli auch die EU-Ratspräsidentschaft für sechs Monate übernehmen, eine sehr seltene Kombination in der internationalen Politik. Auch wenn Corona, Brexit und die Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFF) bereits eine unglaubliche Arbeitslast bedeuten, sollte diese Chance dazu genutzt werden, zentrale Forderungen der Resolution 1325 voranzutreiben. 

Wie dringlich diese Schritte sind, zeigen die aktuellen Entwicklungen im Rahmen der Corona-Krise: Die extreme Zunahme an häuslicher Gewalt (bis zu 30% in Frankreich) und an sexuellem Missbrauch durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens; die meist sehr ungleiche Aufteilung von häuslichen und vor allem Fürsorgeaufgaben von Kindern, Alten und Kranken in Zeiten von geschlossenen Kitas und Schulen; die ungleiche Bezahlung und ungleiche Job-Sicherheit. Dies alles wirkt sich jetzt schon in Europa und anderen von Corona betroffenen Ländern extrem auf die Sicherheitslage insbesondere von Frauen aus. In Kriegs-und Krisengebieten und natürlich auch den Flüchtlingslagern in und außerhalb Europas wird sich die Situation um ein Vielfaches verschärfen. In der Antwort der EU im Rahmen ihrer Außen- und Sicherheitspolitik auf die Corona-Krise müssen zentrale Aspekte von 1325 berücksichtigt werden – auch bei den GSVP-Einsätzen. In der Beratung und dem Training von lokalen Partnern, vor allem Sicherheitsakteuren, muss Bezug genommen werden auf die Konsequenzen der Krise, die in hohem Maße Frauen treffen.  

Deutschland kann die derzeitige Doppelrolle bei UN und EU nutzen 

In Zeiten wie diesen muss eine Geschlechterperspektive ernsthaft und umfassend in alle Entscheidungen mit einbezogen werden. Und – das lehrt uns die bisherige Erfahrung in der Umsetzung von 1325 – gerade dann braucht es mehr Frauen in Führungspositionen und Entscheidungsprozessen. Deutschland wird im Juli im UN-Sicherheitsrat die offene Debatte zu sexueller Gewalt in Konflikten leiten. Die schwierigen Verhandlungen, die 2019 zu Resolution 2467 führten, haben gezeigt, dass mit dem jetzigen Sicherheitsrat nur wenig Fortschritte in diesem Bereich erzielt werden können. Dennoch sollten Gelegenheiten wie diese gezielt genutzt werden, um öffentlichkeitswirksamer in New York, Brüssel und den europäischen Hauptstädten darauf zu verweisen, was in zwanzig Jahren von 1325 und den Folgeresolutionen erreicht wurde und wo noch große Lücken sind. Hier könnte Deutschland seine Doppelrolle bei UN und EU ausspielen. Beide Organisationen haben seit Jahren zu 1325/WPS eng kooperiert, bspw. im Krisenmanagement und bei den Friedenseinsätzen. So haben UN und EU in einem strategischen Dokument mehrere Prioritäten für die Zusammenarbeit in den nächsten Jahren beschlossen, 1325/WPS ist dabei die erste Priorität. Im November 2019 kamen hierfür über 100 Expertinnen in Brüssel für einen gemeinsamen EU-UN Workshop zu 1325/WPS zusammen. Innerhalb der Laufzeit der Prioritäten bis Ende 2021 soll für dieses Thema eine collaborative Platform zwischen EU und UN aufgebaut werden.

Die Bundesregierung muss mit gutem Beispiel vorangehen und den eigenen Frauenanteil erhöhen 

Zur GSVP der Europäischen Union lässt sich abschließend feststellen, dass es nicht nur auf der Leitungsebene an weiblichen Personal fehlt. Der Anteil von Frauen am Personal in Friedenseinsätzen muss grundsätzlich weiter erhöht werden, bei der zivilen GSVP liegt er beim internationalen Personal gerade mal bei knapp 25 Prozent. In Deutschland liegt die Zuständigkeit für den Einsatz von zivilen Experten, darunter Richter oder Verwaltungsexperten, die den (Wieder-)Aufbau ziviler Kapazitäten fördern, humanitäre Unterstützung leisten oder an Wahlbeobachtungsmissionen teilnehmen, beim Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF). Aktuell sind 41% der über das ZIF entsandten deutschen zivilen Sekundierten – also der Experten, die in Friedenseinsätze bei Einsätzen der EU und OSZE arbeiten – Frauen. Diese Zahlen verschlechtern sich jedoch, wenn man die sekundierten deutschen Polizeikräfte mit einbezieht: dann befindet sich Deutschland mit einem Gesamtfrauenanteil von 29 Prozent nur noch im Mittelfeld bei der zivilen GSVP – wo bspw. Schweden mit 39 Prozent und Finnland mit 42 Prozent besser dastehen. Bei den Führungspositionen unterhalb der Missionsleitung sind zwölf von 33 deutschen Sekundierten weiblich, eine gute aber ausbaufähige Position. Es fehlen die Missionsleitungen, vor allem bei der oben erwähnten GSVP der EU,  aber auch bei den Delegationen der EU. Dies liegt vor allem an einem Mangel an politischem Willen – einen anderen Grund für die Unterrepräsentation gibt es nicht. So lange Mitgliedsstaaten für die Toppositionen fast ausschließlich Männer vorschlagen, wird es zu keiner nennenswerten Verbesserung kommen.  

Wie wäre es, wenn die EU-Staaten analog zur Politik der UN ankündigen, bis 2025 – dem 25-jährigen Jubiläum der Resolution 1325 – eine Parität der Geschlechter in der Leitung von GSVP-Einsätzen zu erreichen? Dafür könnte man schon für die nächsten frei werdenden Missionsleitungen 2020 und 2021 geeignete Kandidatinnen finden. Auch die Bundesregierung sollte hier mit gutem Beispiel voran gehen, und versuchen, vor allem Frauen für die nächsten Missionsleitungen zu nominieren und während der Ratspräsidentschaft auch auf andere Mitgliedsstaaten entsprechend einzuwirken. Die hohe Anzahl an Frauen in Spitzenpositionen bei den UN-Friedenseinsätzen – übrigens zum Teil auch Europäerinnen – zeigt deutlich: Es gibt genug geeignete Kandidatinnen. 

Selbstverständlich geht es bei der Resolution 1325 um mehr als nur um Frauen in Führungspositionen. Es geht um einen ganzheitlichen Ansatz der Inklusion in jedem Bereich der Außenpolitik. Die Repräsentation auf der Leitungsebene stellt hier aber einen wichtigen Aspekt dar, um die Stimme von Frauen in Entscheidungsprozesse einfließen zu lassen. Wichtig ist, die Erfahrung von Frauen auf allen Ebenen ernst zu nehmen und in der Außenpolitik mitzudenken.

Friedenseinsätze Europäische Union Frauen

​Patricia Kruse

Patricia Kruse arbeitet für die Geschäftsführung des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF). @patricia__kruse

Tobias Pietz

Tobias Pietz ist stellvertretender Leiter des Bereichs Analyse beim Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF). @tobias_pietz