Männerbilder hinterfragen, Straflosigkeit beenden, Frieden sichern

02. Juni 2020   ·   Leonie Hopgood, Lisa Müller-Dormann

In Friedenseinsätzen kommt es immer wieder zu sexualisierter Gewalt, die durch Peacekeeper verübt wird. Dies darf nicht so bleiben: Die Bundesregierung sollte sich in diesem Zusammenhang stärker auf die Bekämpfung von gewaltbasierten Männlichkeiten konzentrieren und bestehende UN-Formate nutzen, um der Straflosigkeit ein Ende zu bereiten.

Im Jahr 2020 sind 2802 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Rahmen von 12 Einsätzen und unter der Flagge dreier Organisationen in Missionen weltweit eingesetzt. Dort arbeiten sie unter anderem als Ausbildende, Beobachtende und Peacekeeper mit internationalen Truppen zusammen. Besonders die UN-Blauhelme stehen hierbei im Vordergrund: Mit 978 entsandten Peacekeepern befindet sich die Bundeswehr zwar nur auf dem 31. Platz der internationalen Truppensteller der Vereinten Nationen, als viertgrößte Beitragszahlerin kommt der Bundesrepublik jedoch eine wichtige Verantwortung bei der Sicherstellung von effektiven Friedenseinsätzen zu. Auch wenn der Schutz der Zivilbevölkerung häufig eine der obersten Prämissen dieser Einsätze ist, haben Berichte über Straftaten durch Peacekeeper in den letzten Jahrzehnten immer wieder gezeigt, dass internationale Einsatzkräfte nicht nur Beschützer sind, sondern auch zu Tätern von Übergriffen und sexualisierter Gewalt werden können.

Allein 2019 wurden laut des letzten jährlichen Berichts des UN-Generalsekretärs António Guterres 205 Fälle sexualisierter Gewalt durch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von UN-Organisationen und UN-Missionen innerhalb ihrer eigenen Reihen oder gegen die Zivilbevölkerung im Einsatzland gemeldet. Hierbei handelt es sich unter anderem um sexualisierte Übergriffe, Vergewaltigungen, Zwangsprostitution oder die Bezahlung für sexuelle Dienste. Es geht also um Formen von Gewalt, bei denen Sexualität als Machtinstrument ausgenutzt wird.

Gewaltfördernde Männlichkeiten als Grund für sexualisierte Gewalt durch Peacekeeper anerkennen

Dieses Fehlverhalten stellt die Legitimität der Einsätze, der Einsatzkräfte sowie der beteiligten Organisationen und Staaten insgesamt in Frage. Zusätzlich zum immensen physischen und psychischen Trauma, dem die Betroffenen ausgesetzt sind, schaden diese Übergriffe dem Vertrauen der lokalen Bevölkerung gegenüber den Peacekeepern und normalisieren sexualisierte Gewalt über das Bestehen des Konfliktes hinaus. Dies verhindert den Weg zu nachhaltiger Gerechtigkeit der Geschlechter innerhalb der Gesellschaft.

Die UN hat sich dem Kampf gegen sexualisierte Gewalt innerhalb ihrer institutionellen Strukturen und Missionenverpflichtet. Seit Beginn seiner Amtszeit hat der UN-Generalsekretär Maßnahmen zur individuellen Strafverfolgung und einen Betroffenen-zentrierten Ansatz im Rahmen der „Null Toleranz”-Strategie verstärkt. Zwar hat Guterres anerkannt, dass Ungleichheit zwischen den Geschlechtern der Ursprung für sexualisierte Gewalt sei, doch kommen strukturelle Gründe wie diskriminierende und gewaltfördernde Geschlechterstereotypen, beispielsweise in Form von toxischer Maskulinität, in dieser Strategie noch zu kurz. Ungleiche und hierarchische Machtverhältnisse dominieren nach wie vor den Truppenalltag und Mitgliedstaaten bzw. Truppensteller werden nicht genug in die Pflicht genommen.

Die in UN-Friedensmissionen eingesetzten Peacekeeper werden durch die Mitgliedstaaten gestellt und oftmals in einem klassischen militarisierten und hierarchisierten Umfeld ausgebildet, das von einem Bild starker, teils aggressiver und gewaltfördernder Männlichkeit bestimmt ist. Entsprechende Verhaltensmuster werden auf den Kontext des gesamten Einsatzes projiziert und können so zu sexualisierter Gewalt gegenüber Zivilisten und Zivilistinnen beitragen. Besonders der starke Unterschied der sozio-ökonomischen Gegebenheiten und Machtverhältnisse zwischen der Bevölkerung und den Truppen in Konfliktregionen verstärkt dies. So können auch Parallelen zu nicht-militärischen Einsätzen, wie beispielsweise Übergriffe durch Personal internationaler Hilfs- und Entwicklungsorganisationen, gezogen werden. Die erhöhte Präsenz von weiblichen Peacekeepern ist in diesem Zusammenhang zwar hilfreich, kann jedoch nicht die Wurzeln des Problems bekämpfen.  

Der neue Aktionsplan sollte den Abbau von Rollenbildern auch als Schutz vor sexualisierter Gewalt begreifen

Vielmehr sollten sich die Bemühungen auf den strukturellen Abbau von vermeintlichen Geschlechterrollen und gezielte Gender-Trainings vor und während der Entsendung konzentrieren. Eine frühe Auseinandersetzung mit gewaltfördernden Rollenbildern und Maskulinitäten kann nicht nur sexualisierter Gewalt vorbeugen, sondern auch die Effektivität der Einsätze stärken. Dies betrifft alle Truppensteller. Denn das Risiko für sexualisierte Gewalt nimmt ab, wenn Soldatinnen und Soldaten aus einem Land mit hoher Geschlechtergerechtigkeit kommen. Berichte zu sexualisierter Gewalt durch Personal von EU-Missionen zeigen, dass diese Straftaten kein bestimmtes Herkunftsland haben und alle Truppensteller in der Pflicht sind, bestehende Rollenbilder in ihren Streitkräften zu hinterfragen.  

Bereits im Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung (NAP) für 2017-2020 zur Umsetzung der Agenda zu Frauen, Frieden und Sicherheit wurde die Bekämpfung gewaltfördernder Männlichkeiten als ein Ziel festgelegt. Hier wurden jedoch vor allem nationale Maßnahmen, wie Abbau von Stereotypen in Medien und Werbung oder geschlechterreflektierte Arbeit mit männlichen Geflüchteten hervorgehoben. Als explizites Schwerpunktthema der deutschen Außenpolitik wurde der Abbau von Rollenbildern im Sinne der Konfliktprävention sowie zum Schutz vor sexualisierter Gewalt und Ausbeutung nicht identifiziert. Die Bundesregierung sollte den neuen nationalen Aktionsplan nutzen, um Ungleichheiten durch stereotype Geschlechterrollen und toxischer Maskulinität als Wurzel des Problems auch innerhalb von Friedenseinsätzen den Kampf anzusagen.  

Auf nationaler Ebene: Best Practices sammeln und systematische Abläufe zum Erkennen und Melden sexueller Übergriffe etablieren

Bereits im letzten NAP wurde festgeschrieben, dass alle entsandten Soldatinnen und Soldaten Deutschlands Trainings zur Prävention sexualisierter Gewalt erhalten. Für den neuen Aktionsplan sollte Deutschland sich vornehmen, gemeinsam mit weiteren Partnerländern internationale Best Practices zu Gender-Trainings in einem Handbuch zu sammeln und weiterzuentwickeln. Dabei sollte die Bekämpfung der Ursachen sexualisierter Gewalt, wie die Dynamiken von Geschlechterrollen und Machtverhältnisse, im Mittelpunkt stehen. Mittlerweile gibt es im Kontext der internationalenEntwicklungszusammenarbeit bzw. unter NGOs eine Reihe von Toolkits und Zusammenstellungen von Lessons Learned. Gemeinsam mit dem Zentrum für Internationale Friedenseinsätze könnte Deutschland diese Ressourcen online aufarbeiten und sammeln, Seminare zum Austausch von Best-Practices anregen und Trainingsbedarfe innerhalb der Truppensteller identifizieren.  

Zur effektiven Umsetzung dieser Strategie müssen diese Erkenntnisse allerdings auch auf nationaler Ebene seitens der Botschaften, Bundeswehr und innerhalb der Einsatzkräfte internalisiert werden. Konkret bedeutet dies, dass institutionelle Kulturen in Bezug auf Geschlechter- und Rollenbilder vor Ort hinterfragt werden müssen. Durch Gender-Mentorinnen und -Mentoren in allen Leitungsebenen könnte gezielt mehr Sensibilität für Geschlechter- und Machtverhältnissen geschaffen und der Missionsalltag regelmäßig evaluiert werden, um so zeitnah auf gemeldete Fälle reagieren zu können. Außerdem sollten die deutschen Soldatinnen und Soldaten darin geschult werden, jegliche Form sexualisierter Gewalt und Ausbeutung innerhalb einer Mission zu erkennen und zu melden. Diese Meldungen müssen auf allen Hierachieebenen unterstützt werden und die meldenden Personen dürfen dadurch keine professionellen oder persönlichen Nachteile erleiden. Systematisierte Abläufe sind hierfür ein Muss.  

Auf UN-Ebene: Einfluss im Circle of Leadership und im Sicherheitsrat nutzen  

Während wichtige Geldgeber wie die USA im Bereich Peacekeeping Kosten einsparen, wächst die Verantwortung Deutschlands in Zusammenarbeit mit seinen Partnern, die geplanten UN-Reformen im Bereich „Null-Toleranz“ finanziell zu unterstützen. Nur so kann sichergestellt werden, dass Verhaltens- und Disziplinareinheiten sowie Einheiten für Gender und für Betroffene sexualisierter Gewalt auch mit ausreichend Personal ausgestattet sind. Beispielsweise fordert die UN-Beauftragte für Betroffene sexualisierter Gewalt, Jane Connors, dass es nicht nur in vier, sondern in allen 13 Friedensmissionen Teams gibt, die sich ausschließlich um die Bedürfnisse und Belange (Betreuung von Kindern, Vaterschaftstests, Entschädigung und Training) von Betroffenen kümmern. Bisher hat nur ein geringer Teil der Missionen bereits einen konkreten Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt vorgelegt; der Umfang der Maßnahmen der Disziplinareinheiten variiert also noch stark.

  Nicht nur auf personeller und finanzieller Ebene ist die Umsetzung der Reformen des Generalsekretärs von Mitgliedstaaten wie Deutschland abhängig, sondern auch bezüglich der juristischen Nachverfolgung der Straftaten. 2017 hat Guterres deswegen Mitgliedstaaten hinter einer freiwilligen Erklärung vereint (dem sog. Voluntary Compact mit 103 Unterzeichnern) sowie den Circle of Leadership ins Leben gerufen. Die Gruppe besteht aus hochrangigen politischen Vertreterinnen und Vertretern, die sich dazu verpflichtet haben, sexualisierten Missbrauch und Ausbeutung durch UN-Personal zu bekämpfen. Deutschland hat nicht nur den Compact unterzeichnet, sondern ist im Circle of Leadership mit Bundeskanzlerin Merkel auch hochrangig vertreten. Diese Foren müssen allerdings dringend durch konkrete Maßnahmenmit Leben gefüllt werden: Laut einer offiziellen Statistik wurden seit 2010 in nur 173 Fällen Maßnahmen seitens der Mitgliedstaaten bzw. der UN getätigt. Im Rahmen des Circle of Leadership und des Voluntary Compacts könnte die Bundesregierung  für einen regelmäßigen Austausch zur besseren Umsetzung von juristischer Strafverfolgung und für die Entwicklung einer internationalen Datenbank zum Status der Ermittlungen werben. Außerdem könnte durch ein jährlich stattfindendes Ranking innerhalb der 103 Unterzeichner (bestehend aus Punkten für die nationale Beteiligung an UN-Friedensmissionen sowie ergriffenen Maßnahmen zur juristischen Strafverfolgung bzw. Umsetzung der UN-Reformen des Generalsekretärs) Druck auf Mitgliedstaaten ausgeübt werden.

In Mandatserneuerungen der UN-Friedensmissionen geraten Textpassagen, die sich für Gender und sexuelle und reproduktive Rechte einsetzen, immer mehr unter Druck. Wenn Deutschland es mit der Bekämpfung gewaltfördernder Männlichkeiten im Sinne der Prävention ernst meint, muss die Bundesregierung in den letzten Monaten ihrer Mitgliedschaft auch im UN-Sicherheitsrat weniger Konflikte scheuen und bei bestimmten Formulierungen durch Enthaltungen sowie enge Abstimmung mit der Zivilgesellschaft klare Akzente setzen.

Die Bundesregierung hat im neuen NAP die Chance, eine strukturelle Ursache für sexualisierte Gewalt zu überwinden. Das Problem gewaltfördernder Formen von Maskulinität sollte in diesem dritten NAP umfassender in die außenpolitischen Maßnahmen integriert werden und als systematischer Auslöser von sexualisierter Gewalt in internationalen Friedens- und Hilfsmissionen anerkannt werden. Die Bundesregierung hat auf diplomatischer und militärischer Ebene die Verantwortung und die Instrumente, um sich international für einen umfassenden, präventiven Ansatz gegen sexualisierte Gewalt und die immer noch vorherrschende Straflosigkeit einzusetzen.

Friedenseinsätze Frauen Frieden & Sicherheit

Leonie Hopgood

Leonie Hopgood ist Mitglied im Programm Gender und Internationale Politik von Polis180 - Grassroots-Thinktank für Außen- und Europapolitik. @leonie_hpgd

Lisa Müller-Dormann

Lisa Müller-Dormann ist Co-Vorsitzende des Programms Gender und Internationale Politik und im Vorstand von Polis180 aktiv. @lisamuedo