Rechtsradikale Ideologien bedrohen Frauen, Frieden und Sicherheit in Deutschland

07. Juli 2020   ·   ​Victoria Scheyer

Um den Prinzipien der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ auch innerhalb Deutschlands gerecht zu werden, sollte die Bundesregierung im neuen Nationalen Aktionsplan einen innenpolitischen Bezug herstellen. Anti-Feminismus, Rassismus und Rechtsradikalismus müssen auch hierzulande als gesamtgesellschaftliche Probleme identifiziert und bearbeitet werden.

Die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ erkennt an, dass eine Geschlechterperspektive für Friedenssicherung und Gewaltprävention dringend notwendig ist. Allerdings führt der derzeitige Nationale Aktionsplan 1325 (NAP) der Bundesregierung zur Umsetzung eben dieser Agenda diese Erkenntnis hauptsächlich im Kontext außenpolitischer Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Handlungsrichtlinien für Militär- und Polizeieinsätze in von Konflikt betroffenen Ländern an. Somit sind hiermit fast ausschließlich außenpolitische Instrumente gemeint, während innenpolitische Strategien kaum Erwähnung finden. Friedenspolitik ist jedoch mehr als das (unerlässliche) Bestreben, bewaffnete Konflikte zu beenden und Menschen militärisch zu schützen. Friedenspolitik sollte das Ziel verfolgen „Mechanismen gewaltfreier Konfliktbearbeitung“ zu fördern – innen- und außenpolitisch. Der neue deutsche NAP braucht einen komplementären Blick nach innen, der den Prinzipien der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ auch in Bezug auf gesellschaftspolitische Konflikte innerhalb Deutschlands gerecht wird.

Auch die nationalen Aktionspläne der USA, Großbritanniens, Italiens oder Australiens richten ihre jeweiligen Analysen und politischen Mittel nach außen und sehen nur wenige innenpolitische Maßnahmen zur Gewaltprävention und Geschlechtergerechtigkeit vor. Sie suggerieren somit, dass sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt eigentlich nur in Ländern des Globalen Südens stattfindet und im eigenen Land nicht thematisiert werden muss. Dies birgt die Gefahr, Staaten in friedliche Expert*innenländer und gewaltvolle Nicht-Expert*innenländer einzuteilen, wobei letztere Kategorie aufgrund der nach außen gerichteten Logik der NAPs westlicher Staaten nicht-westliche Staaten beinhalten würde. Solch eine Einteilung konstruiert eine Hierarchie, in der Staaten des Global Nordens dominieren. Die feministische Forscherin Columba Achilleos-Sarll warnt davor, dass „[a]uf diese Weise […] geschlechtsspezifische und rassistische Grenzen wiederhergestellt und Kontinuitäten mit dem Kolonialismus beschworen“ werden können. Die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ wurde jedoch ursprünglich entwickelt, um auf die lokalen Bedürfnisse und Bedrohungen der jeweiligen Frauen zu reagieren und die Sicherheitsbedürfnisse von marginalisierten Gruppen und Frauen sichtbar zu machen. Um eine authentische Friedenspolitik zu verfolgen und nicht nur in die gesellschaftlichen Konflikte von Drittstaaten einzugreifen, bedarf es also auch der Umsetzung im eigenen Land – mithilfe des Nationalen Aktionsplans.

Tiefsitzende, gesellschaftliche Konflikte anerkennen, mit rechtsradikaler Gewalt auseinandersetzen

Unsicherheiten und Bedrohungen entstehen in Deutschland nicht durch schwer bewaffnete militärische Fahrzeuge und Soldat*innen, sondern durch tiefsitzende menschenfeindliche Ideologien. Diese sind institutionalisiert in rechtsradikalen Parteien, Gruppierungen und Bewegungen zu deren Agenden meist Frauen- und Migrant*innenfeindlichkeit sowie Antisemitismus und Rassismus gehören und die nationalistische und antidemokratische Ziele verfolgen. Diese Bewegungen zielen darauf ab, reproduktive Rechte, Selbstbestimmung und Anerkennung von Homosexualität und Transsexualität einzuschränken und traditionelle Familienbilder wiederherzustellen. Ihre Warnung vor einer „Verweiblichung“ der Gesellschaft verbinden sie mit anti-islamischer, antisemitischer oder rassistischer Hetze und verbreiten so ihre völkische Ideologie von homogenen Kulturen während sie patriarchalische Strukturen aufrecht erhalten. Um diese Ziele zu erreichen, wird die Abschaffung der Demokratie als probates Mittel mindestens in Erwägung gezogen. Neben diesem systemischen Angriff auf soziale Gerechtigkeit und Demokratie drücken sich diese Ideologien immer wieder durch extreme Gewalt aus. In Deutschland wurde diese Gefahr zuletzt durch Gewalttaten wie die Morde in Hanau und Halle sichtbar. Doch sind dies nicht die einzigen Anschläge dieser Art, wie das Bundesamt für Verfassungsschutz zeigt. Die enormen Ausmaße von geschlechtsspezifischer und rassistischer Gewalt in Deutschland dürfen nicht zur alltäglichen Normalität werden und dürfen nicht als voneinander unabhängige und gelegentliche Gewalttaten verstanden werden. Die kurze Aufmerksamkeit, die rassistischer oder sexistischer Gewalt nach konkreten Taten zuteil wird, flaut jedoch nach einem kurzen, ungläubigen Aufschrei schnell wieder ab. Bewegungen wie Black Lives Matter, Organisationen wie die Amadeu Antonio Stiftung oder die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, sowie Studien über Partnerschaftsgewalt des Bundeskriminalamts weisen deutlich auf eine gesamtgesellschaftliche Problematik hin. Besonders von sexualisierter und rassistischer Gewalt betroffene Gruppen in Deutschland oder an den EU-Außengrenzen, wie zum Beispiel Migrant*innen oder geflüchtete Frauen, werden kaum medial thematisiert. Diese Beispiele rechtsradikal motivierter, direkter Gewalt, welche bis hin zu Morden reichen, sind jedoch lediglich die Spitze eines Eisberges struktureller Gewalt, welche tief in unserer Gesellschaft verankert ist und die Lebensrealitäten vieler Menschen in Deutschland tagtäglich bestimmt und beeinträchtigt. Nur wenn diese tiefsitzenden gesellschaftlichen Konflikte in ihrem Ausmaß (an-)erkannt werden, bekommen sie die für ihre Aufarbeitung nötige Aufmerksamkeit. Die Auseinandersetzung mit rechtsradikaler Gewalt und Terror fordert die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ mindestens seit der Resolution 2242 des UN Sicherheitsrats.

Geschlechterperspektive innenpolitisch anwenden, Instrumente gegen Rassismus und zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen miteinander verbinden

Das Verständnis der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ als rein außenpolitisches Instrument relativiert gesellschaftspolitische Konflikte in Deutschland und kann zu den oben genannten postkolonialen Hierarchien beitragen. Die Bundesregierung sollte sich mit Mechanismen gewaltfreier Konfliktbearbeitung und Gewaltprävention auch innenpolitisch auseinandersetzen. Sie würde so Authenzität beweisen und zu mehr sozialem Frieden in Deutschland beitragen. Anti-Feminismus, Rassismus und Rechtsradikalismus als gesamtgesellschaftliche Probleme zu identifizieren erhöht den Druck auf alle Akteur*innen, diese Probleme aufzuarbeiten und macht es unabdingbar, die Geschlechterperspektive einzubeziehen. Der neue NAP sollte auch deswegen einen innenpolitischen Bezug herstellen, damit Instrumente wie zum Beispiel der Nationale Aktionsplan gegen Rassismus oder der Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen enger miteinander verbunden und besser umgesetzt werden können. Außerdem würde so der Intersektionalität von rechtsradikal motivierter Diskriminierung mehr Aufmerksamkeit zuteil.

Präventive Maßnahmen innerhalb Deutschlands im NAP vorsehen, Rollenbilder dekonstruieren, Finanzierung von Demokratieförderung gewährleisten

Der aktuelle NAP (2017-2020) bezieht sich innenpolitisch lediglich auf den Schutz von geflüchteten Menschen oder Strafverfolgung von sexualisierter Gewalt und sieht keine präventiven Maßnahmen – in Deutschland – vor. Genau diese Lücke sollte der neue NAP im Punkt Eins „Die Geschlechterperspektive bei der Prävention von Konflikten, Krisen und Gewalt systematisch einbeziehen“ jedoch schließen. Es gibt einige Vorschläge und Projekte zur Bearbeitung dieser Gewalt formuliert von zivilgesellschaftlicher und politischer Seite, wie zum Beispiel mehr Fort- und Weiterbildungen bezüglich Anti-Rassismus, Mediation und Konfliktbearbeitung für Lehrkräfte, pädagogische Fachkräfte, Verwaltung, Justiz und Polizei. Im öffentlichen Dienst, in Behörden und in öffentlichen Einrichtungen sollte eine hohe Diversität der Mitarbeitenden gesichert sein.

Im Sicherheitssektor (Polizei und Bundeswehr) sollte es spezielle Einheiten für gewaltlose Mediation und Konfliktbearbeitung geben. Darüber hinaus braucht dieser Sektor interne Anlaufstellen für Menschen, die Rassismus oder Sexismus erfahren oder beobachtet haben. Außerdem müssen rechtsextremistische Strukturen aufgedeckt und geahndet werden.

Präventionsarbeit beinhaltet auch die Dekonstruktion von Vorurteilen, Rollenbildern und Stereotypen und die Refokussierung weg von Schutz und Nachsorge für weibliche Opfer und hin zur Dekonstruktion aggressiver Männlichkeitsbilder. Für diese Dekonstruktion und den Abbau von Vorurteilen müssen Begegnungsstätten und politische Bildungseinrichtungen geschaffen werden.

Um diese Vorschläge umzusetzen, bedarf es einer auf hohem Niveau gewährleisteten Finanzierung der Rechtsextremismusprävention und Demokratieförderung. Auch in den drei weiteren Punkten des aktuellen NAPs (2. Mitwirkung, 4. Schutz und 5. Bewusstseinsförderung) muss die innenpolitische Ausrichtung erweitert oder sogar erst hinzugefügt werden. Die Mitwirkung von betroffenen Personen in allen Phasen der Erarbeitung von Maßnahmen sollte systematisch zur Voraussetzung gemacht werden, sodass Frauen und diskriminierte Gruppierungen ihre Sicherheitsbedürfnisse äußern können und konstruktiv am Prozess der Maßnahmenentwicklung beteiligt sind. Der zentrale Punkt Vier des NAPs über Schutz vor sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt muss zusätzlich einen verstärkten Bezug auf Deutschland bekommen, der Strafverfolgung, Schutzeinrichtungen und institutionelle Reformen vorantreibt. Schutzstrukturen, wie zum Beispiel Polizeischutz für bedrohte Menschengruppen, speziell für Frauen, sollten zugänglicher gemacht werden. Zusammengefasst ist es in Deutschland an der Zeit, die Präventions-, Partizipations- und Schutzmaßnahmen für Frauen und bedrohte Menschengruppen zu verstärken und in alle Teile der Politik und Gesellschaft zu integrieren.

Zivilgesellschaft Frauen Frieden & Sicherheit

​Victoria Scheyer

Victoria Scheyer ist Doktorandin am Gender, Peace and Security Institut der Monash Universität in Melbourne.