Deutschland im UN-Sicherheitsrat: Krisenprävention strategisch priorisieren

20. August 2020   ·   Anna-Marie Hetterich

Krisenprävention ist eines der Leitthemen der deutschen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat. Während einige Fortschritte erzielt wurden, besonders bezüglich der stärkeren Einbindung der Zivilgesellschaft, sollte sich die Bundesregierung nun langfristiger und strategischer für die Verankerung von Krisenprävention im Sicherheitsrat einsetzen.

Deutschland wurde im Juni 2018 mit einer Krisenpräventionsagenda in den Sicherheitsrat (UNSR) der Vereinten Nationen (UN) für 2019/2020 gewählt. Das Ziel der Bundesregierung war es, dass der UNSR als wichtigstes Organ der UN „noch stärker als bisher in der Prävention von Konflikten tätig wird, im Sinne eines umfassenden Sicherheitsbegriffs“. Zur Halbzeit der deutschen Mitgliedschaft betonte Außenminister Maas, dass der Sicherheitsrat viel mehr ein Krisenpräventions- als Krisenreaktionsgremium sein solle. Deshalb setzte Deutschland auch im Jahr 2020 auf einen präventiven Ansatz im Rat. Die verhärteten Fronten im Sicherheitsrat und die Ablehnung eines umfassenden Sicherheitskonzeptes von drei der ständigen fünf Mitglieder (P5), stehen im Kontrast zum deutschen Ansatz für multilaterale Krisenprävention. Daher mündete die Agenda für Krisenprävention trotz des Engagements aus Berlin in keinem konkreten Agendapunkt oder einer Resolution. Dennoch konnte die deutsche Delegation durch ihr Auftreten als Brückenbauer in und außerhalb des UNSR und durch die intensive Nutzung des Vehikels der Arria-Formula-Meetings ihre Präventionsagenda vorantreiben. Neben der Fortführung dieser Strategien sollte die deutsche Bundesregierung weiterhin durch stetige Reformbemühungen eine stärkere präventive Rolle des UNSR anstreben.

Öffnung des Rates für die Zivilgesellschaft als Beitrag zu Krisenprävention  

Bei den Fortschritten sind insbesondere vier Themenbereiche hervorzuheben. Erstens hat es die Bundesregierung geschafft, das Thema Krisenprävention trotz der Blockierung des Sicherheitsrats durch die Förderung von Nebenthemen und der Einbeziehung der Zivilgesellschaft weit oben auf der Tagesordnung des Rates zu platzieren. Beispielsweise lud die deutsche Delegation wiederholt Repräsentanten der Zivilgesellschaft für Präsentationen in den Rat ein (Briefer), unter anderem zu der von Deutschland eingebrachten Nachfolgeresolution zu Frauen, Frieden und Sicherheit. Dadurch wurde der Themenkomplex Frauen, Frieden und Sicherheit in den Blickpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Diese Arria-Formula-Meetings waren hart erkämpft und ermöglichten eine Öffnung des Rates gegenüber der betroffenen Zivilgesellschaft und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen zu Themen die indirekt die deutsche Präventionsagenda stärken. Gekoppelt mit den Liveübertragungen von offenen Debatten im UN-WebTV ermöglichte Deutschland so einer breiten Öffentlichkeit den Zugang zu dem mächtigsten Organ der Friedenssicherung der Vereinten Nationen und sorgte somit für mehr Transparenz.  

Die deutschen Allianzen: Schritt für Schritt in Richtung Krisenprävention  

Zweitens hat die bisherige deutsche Arbeitsweise im Sicherheitsrat gezeigt, wie Deutschland die Agenda des Rates beeinflussen kann, um das Thema Prävention langfristig und strategisch zu platzieren. 2020 bietet den einzigartigen diplomatischen Vorteil eines „Europäischen Frühlings“ – die verbündeten europäischen Staaten mit gemeinsamem Konfliktpräventionsansatz, Belgien, Estland und Frankreich, hatten jeweils die Präsidentschaft des UNSR vor Deutschland inne. So konnten die Staffelstabübergaben untereinander gut vorbereitet werden, um auch zukünftigen europäischen Mitgliedern wie Irland einen effektiven Start zu ermöglichen und Krisenprävention langfristig auf der Agenda des Rats zu halten. Deutschland profitiert im UNSR dabei von jahrzehntelanger diplomatischer Arbeit in Europa. Die europäische Koordinierung und Führung im blockierten UNSR war und bleibt zentral – besonders beim Voranbringen kontroverser Themen wie Responsibility to Protect oder Frauen, Frieden und Sicherheit.  

Drittens setzte sich Deutschland für eine transparentere und fairere Arbeitsverteilung zwischen ständigen und nichtständigen Mitgliedern des UNSR ein. Die deutsche Delegation erarbeitete sich zum Beispiel die Ko-Federführung, und somit die Verantwortung, zu den Tagesordnungspunkten Sudan und Libyen mit dem ständigen Mitglied Großbritannien sowie den Vorsitz des Sanktionskomitees zu Libyen. Deutschland organisierte auch in enger Abstimmung mit der EU, den UN und der sudanesischen Regierung die Sudan Partnership Conference zur multilateralen Unterstützung eines friedlichen politischen und wirtschaftlichen Übergangs im Sudan in Berlin.  

Enge Zusammenarbeit mit anderen E10-Staaten ermöglicht strategischere Förderung der Präventionsagenda  

Viertens zeigte Berlin bisher eine außergewöhnlich hohe Bereitschaft mit den gewählten zehn Mitgliedern (E10) und den P5 sowohl intern als auch extern (durch gemeinsames öffentliches Auftreten) eng zusammen zu arbeiten, um gemeinsame Bestrebungen selbstbewusst voranzutreiben. Diese deutsche Bereitschaft einerseits von ehemaligen E10-Staaten wie Schweden zu lernen, welches ebenso einen Fokus auf Prävention gelegt hatte, sowie andererseits eine Weitergabe der Erfahrungen an zukünftige Mitglieder anzustreben, ermöglicht eine strategische und langfristige Förderung der Präventionsagenda im Rat. Ein Beispiel dafür ist das gemeinsame Statement vom 24. Juli 2020, das Deutschland nicht nur mit zehn Mitgliedern des Sicherheitsrates zu seinem Fokusthema Klimawandel und Sicherheit erreichen konnte, sondern das auch die Mitunterzeichnung der drei zukünftigen Sicherheitsratsmitglieder Irland, Kenia und Norwegen trägt. Das Statement verkündet, dass die große Mehrheit der Staaten im Rat erwartet, dass sich der Sicherheitsrat (und somit auch Russland, China, und USA) dieser Herausforderung annehmen wird. Darüber hinaus organisiert sich die Allianz in eine informelle Expertengruppe zur Unterstützung und Aufrechterhaltung des Drucks im UNSR.  

Mehr Transparenz, Koordinierung und Zusammenarbeit für bessere Krisenprävention  

Trotz dieser kleinen Erfolge und wichtigen Schritte gibt es eine Reihe von Bereichen, in denen die Bundesregierung in den letzten Monaten ihrer derzeitigen Mitgliedschaft im Rat und darüber hinaus die Präventionsagenda noch stärker vorantreiben kann.  

In seiner Funktion als Präsident des UNSR traf sich Botschafter Heusgen am 6. Juli 2020 mit dem Special Advisor on the Prevention of Genocide, Adama Dieng, um Entwicklungen in der Sahel, Südasien und dem Mittleren Osten zu besprechen – ein wichtiger Expertenaustausch, der routiniert werden sollte, um einer Politisierung von Prävention entgegen zu wirken. Informelle Briefings, wie zum Beispiel das Horizon-Scanning potenzieller Konflikte von Interesse für das UNSR durch das UN-Sekretariat (DPPA), wurden im Jahr 2010 von Großbritannien eingeführt und sollten in einer Working Group für Krisenprävention fokussiert und institutionalisiert werden. Dabei sollten die Erfahrungen und Nachteile der 2002 gegründeten Ad-hoc-Working Group zu Krisenprävention und Resolutionen in Afrika einfließen.  

Die Etablierung eines systematischen, transparenten und ständig verfügbaren Frühwarnungsmechanismus, zum Beispiel basierend auf dem Framework of Analysis für Atrocity Crimes des Office on Genocide Prevention and the Responsibility to Protect, würde dem Rat helfen, seinen Auftrag zu erfüllen. Dieser besteht schließlich nach Artikel 24 und 39 der UN-Charta daraus, Frieden zu wahren und umfasst laut dem 2005 World Summit Outcome (A/RES/60/1) auch, die Weltbevölkerung vor Genozid, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen.  

Heusgen rief auch dazu auf, den informellen interaktiven Dialog zwischen der dem UNSR untergeordneten Kommission für Friedenskonsolidierung, die auf Friedensstiftung in Postkonfliktgebieten fokussiert ist, und dem Rat durch eine effektivere Beratung mit gezielten und spezifischen Ratschlägen zu Konfliktsituationen zu verbessern. Ebenso sollte eine engere Verzahnung der für die Krisenprävention- und Bewältigung zuständigen Instrumente und Mechanismen angestrebt werden, um eine faktenbasierte Handlungsfähigkeit des Rats zu ermöglichen. Basierend auf dem tief verankerten Präventionskonsens in der deutschen Außenpolitik haben deutsche Ständige Vertreter die Möglichkeit, sich entgegen des jetzigen Widerstands vor allem Russlands und Chinas langfristig und strategisch für die Etablierung einer Working Group einsetzen zu können. Nationale und gemeinsame europäische Expertise in Frühwarnung und Krisenprävention, sowie eine strategische EU-UN Partnerschaft ermöglichen Deutschland für eine stärkere Professionalisierung, Koordinierung und Komplementarität der UN-Präventions- und Friedensinstrumente im und für den UNSR einzustehen.  

Größere Diversität in Debatten, mehr Koordinierung zwischen UN-Organen und langfristige Ziele  

Wie Deutschland in seinen Leitlinien verkündet, ist „das internationale Engagement zur Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung mühsam und langwierig. Doch Beharrlichkeit und ein langer Atem zahlen sich aus“. Es ist essenziell, dass Deutschland im UNSR als ein Brückenbauer für Krisenprävention mit gleichgesinnten Ländern konsequent für ein erweitertes Sicherheitskonzept einsteht.  

Eine Stärkung von Frauen in allen Aspekten der Prävention sowie die weitere Öffnung des Rats gegenüber der Zivilbevölkerung und die Institutionalisierung mit einer Working Group für Prävention brächten mehr Transparenz und faktengestützte Handlungsfähigkeit durch die folgenden Schritte:  

  1. Im Zuge der Implementierung von Resolution 2467 sollte Deutschland weiterhin besonders die Partizipation von weiblichen Expertinnen und lokalen Frauenorganisationen aus der betroffenen Zivilbevölkerung unterstützen und deren sichere sowie bedeutsame Teilhabe in allen Entscheidungsprozessen für eine gendersensible Prävention gewährleisten. Frauen leiden unverhältnismäßig mehr in Krisen, wie auch jetzt unter COVID-19, was sie unter anderem weiterhin benachteiligt, eine gleichberechtigte Rolle in allen Stadien der Krisenprävention einnehmen zu können.
  2. Die Bundesregierung sollte sich weiterhin nicht nur für eine stärkere Regelmäßigkeit von offenen Debatten einsetzen, sondern auch für eine größere Diversität der Briefer mit einer zwingenden Genderexpertise. Empfehlenswert ist es, systematisch Erfahrungsberichte aus dem Feld einzuholen, zum Beispiel von nationalen R2P Focal Points, Einheiten der Gute-Dienste-Mission des UN-Generalsekretärs Dienste wie der Mediation Support Unit, oder von präventionserfahrenen Resident Coordinators und so eine engere Verzahnung der UN-Präventionskapazitäten zu fördern sowie nationale und regionale Netzwerke zu stärken.
  3. Deutschland sollte sich langfristig für die Etablierung einer Working Group zu Prävention einsetzen, um dem Rat ein systematisches und faktenbasiertes Frühwarnsystem zu ermöglichen, eine effizientere Koordinierung der Präventionsinstrumente der UN mit regelmäßigen Expertenbriefings aus dem Feld zu erreichen und die Zusammenführung der Expertise der verschiedenen Querschnittsbereiche zu fördern.   

Dies wären wichtige Schritte, um den Rat in ein Krisenpräventionsgremium zu entwickeln, das sich seiner Aufgabe der Friedenserhaltung effektiver stellen kann und eine bessere Verzahnung von Präventions- und Postkonfliktmechanismen der UN anstrebt.  

Mit der EU-Ratspräsidentschaft, der Mitgliedschaft im Sicherheitsrat und im UN-Menschenrechtsrat bietet das Jahr 2020 eine einmalige Chance für Berlin, sich für einen umfassenden Krisenpräventionsansatz zu engagieren: Hier kann sich die Bundesregierung immer wieder aktiv mit ihren europäischen Partnern dafür einsetzen, einen größeren Konsens zu erreichen sowie diesen strategisch mit so vielen Verbündeten wie möglich im UNSR zu verankern. Diese Chance sollte sie auch in der zweiten Jahreshälfte 2020 nicht verstreichen lassen.

Zivilgesellschaft UN-Sicherheitsrat Krisenprävention

Anna-Marie Hetterich

Anna-Marie Hetterich war von 2015 bis 2019 Associate Programme Management Officer im United Nations Office of the Assistant Secretary-General of Umoja innerhalb des Departments of Management Strategy, Policy & Compliance und beschäftigt sich mit den Themen Global Governance, Human Rights & Technology. Sie ist Mitglied bei Genocide Alert e.V. und tritt für eine Stärkung von Frühwarnungsmechanismen und Krisenprävention ein. @AMHetterich