Mädchen, Frieden und Sicherheit – der Schlüssel zu nachhaltigem Wandel 04. August 2020 · Regev Ben Jacob, Michiko Fukase, Susanne Hassel, Daniel Ziegler Der nächste deutsche Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ sollte die Bedürfnisse und Rechte von Mädchen und jungen Frauen deutlich hervorheben. Mehr Investitionen der Bundesregierung sind nötig um die Bildung von Mädchen und jungen Frauen zu fördern, ihre angemessene Partizipation an friedensfördernden Aktivitäten zu erhöhen und eine systematische Integration einer Gender- und Kinderrechtsperspektive in der Programmplanung sicherzustellen. Debatten Frauen, Frieden & Sicherheit Impulse für den dritten Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung In Konflikten und Krisen tragen Kinder die Hauptlast. Aufgrund ihres Alters und ihres Geschlechts sind sie spezifischen Risiken ausgesetzt. So wird beispielsweise Mädchen im Jugendalter viele Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt (Gender Based Violence, GBV) zugefügt. Kinder, die bereits hohen Risiken ausgesetzt sind, leiden unter den weitreichenden Folgen von COVID-19 besonders stark. Gleichzeitig spielen Kinder – und im Rahmen der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ (Women, Peace and Security Agenda, WPS) vor allem Mädchen – eine enorm wichtige Rolle bei der Gestaltung friedvoller Gesellschaften. Diese Herausforderungen und Chancen werden von globalen Menschenrechtsabkommen wie der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) oder der UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW) sowie durch weitere globale Verpflichtungen wie beispielsweise den „Core Commitments for Children in Humanitarian Action“ (CCC) anerkannt, die im Einklang mit den Nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals, SDGs) stehen und auf den Schutz und das Empowerment von Mädchen abzielen. Die deutsche Perspektive vernachlässigt bisher einen sehr zentralen Akteur der Agenda für Frauen, Frieden & Sicherheit: Mädchen. Deutschland unterstützt die WPS-Agenda seit mehreren Jahren sehr engagiert, so auch besonders während der derzeitigen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat. Die deutsche Perspektive vernachlässigt jedoch bisher tendenziell einen sehr zentralen Akteur dieser Agenda: Mädchen. Zwar bezogen sich frühere deutsche Nationale Aktionspläne zur WPS-Agenda auch in einzelnen Aspekten auf Mädchen, spezifische Bezüge zu Kinderrechten, die Rolle von Kinderrechtsorganisationen und die Beteiligung von Mädchen und jungen Frauen als Akteurinnen des Wandels wurden allerdings nicht ausreichend berücksichtigt. Diese Perspektive sollte jedoch am wenigsten vernachlässigt werden. Der Schwerpunkt der deutschen Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Sicherheitsratsresolution 1325 basiert auf drei Grundsätzen: Prävention, Partizipation, und Schutz. In diesem Sinne wird in diesem Artikel die Schlüsselrolle von Mädchen und jungen Frauen in der Friedensförderung und Krisenprävention hervorgehoben. Die Bundesregierung sollte diese im neuen Nationalen Aktionsplan zur WPS-Agenda ausdrücklich adressieren. Prävention: Mehr in Bildung für jugendliche Mädchen und junge Frauen investieren Frauen, Männer, Mädchen und Jungen erleben Gewalt und Konflikte unterschiedlich. Ein dauerhafter Frieden kann nur mit klaren, gender-transformativen Strategien erreicht werden, die Ungleichheiten, Ausgrenzung und Diskriminierung bekämpfen. Wirkungsvolle Maßnahmen gegen schädliche Gendernormen und GBV müssen priorisiert werden, um Missbrauch und Ausbeutung zu verhindern. Dies erfordert größere Investitionen in die Verwirklichung der Rechte von Mädchen und jungen Frauen vor, während und nach Konflikten, um ein unterstützendes und inklusives Umfeld zu schaffen, in dem sowohl die persönliche Entwicklung als auch das Übernehmen von führenden Rollen möglich sind. In diesem Zusammenhang ist es wesentlich, dass die Bundesregierung mehr in die Bildung jugendlicher Mädchen investiert. Die Bildung von Mädchen stärkt die Wirtschaft und verringert Ungleichheiten, was zu stabileren und resilienteren Gesellschaften für alle beiträgt. Aktuell besuchen weltweit 132 Millionen Mädchen keine Schule. In von Konflikten betroffenen Ländern ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Mädchen nicht zur Schule gehen können, doppelt so hoch wie bei Jungen. Doch bei (Aus-)Bildung für Mädchen und junge Frauen geht es um mehr als nur um den Zugang zu Schulen. Es geht auch um das Sicherheitsgefühl von Mädchen in und um Klassenräumen, um Partizipationsmöglichkeiten, Wege zur wirtschaftlichen Eingliederung und um den Erwerb sozialer und emotionaler Werte, Einstellungen, Kompetenzen, Kenntnissen und Fähigkeiten, die für das Lernen, den Erfolg und das Wohlbefinden unerlässlich sind. Um dem Aspekt der Prävention im neuen Nationalen Aktionsplan Rechnung zu tragen, müssen diese Strategien für junge Frauen und Mädchen berücksichtigt werden. Partizipation: Mehr Investitionen in die angemessene Beteiligung von Mädchen in der Friedensförderung Mädchen und junge Frauen leisten einen einzigartigen Beitrag als aktive Akteurinnen für Frieden. Wie in der Kinderrechtskonvention festgelegt, ist es nicht nur ihr Recht, an Entscheidungen, die sie betreffen, beteiligt zu sein. Sie können und sollten auch führende Rollen in der Friedensförderung übernehmen. Investitionen in die Inklusion und Partizipation jugendlicher Mädchen sind von entscheidender Bedeutung − nicht zuletzt, weil sich Hürden und Chancen für die Beteiligung an sozialen Prozessen bereits im jungen Alter verfestigen. Dies gilt sowohl für die Aneignung von Gewohnheiten und Fähigkeiten, die Partizipation fördern, als auch für die Etablierung sozialer Normen, die bestimmen, wann und wie Mädchen und Frauen teilhaben sollen. Eine transformative WPS-Agenda erfordert die Priorisierung und Ausweitung von Investitionen, um eine angemessene Beteiligung junger Frauen und Mädchen zu unterstützen Eine transformative WPS-Agenda erfordert die Priorisierung und Ausweitung von Investitionen, um eine angemessene Beteiligung junger Frauen und Mädchen zu unterstützen – sei es in ihren Schulen oder in der Gesellschaft insgesamt. Die deutsche Regierung sollte sich auf die Unterstützung von Programmen und Projekten konzentrieren, die sowohl die Aneignung von Fähigkeiten zur Ausübung von Partizipation als auch den Raum für Partizipation fördern und jungen Frauen und Mädchen helfen, ihr Vertrauen aufzubauen, an Entscheidungsprozessen teilzunehmen und entscheidende Themen in ihren Gemeinden zu beeinflussen. Die Stärkung von Kapazitäten jugendlicher Mädchen fördert ihre Rolle bei Entscheidungsprozessen. In konfliktträchtigen Regionen, wie bei grenzüberschreitenden interkommunalen Spannungen in Tadschikistan, verbesserten die von UNICEF eingeführten Maßnahmen die friedensfördernden Kompetenzen jugendlicher Mädchen und Jungen. Dank Gemeinschaftsprojekten und der Vermittlung mit den lokalen Behörden konnten sie aktiv zum Aufbau des sozialen Zusammenhalts beitragen. Darüber hinaus sollten gemeindenahe Strukturen auf umfassende Weise gestärkt werden, wobei die Rolle von Mädchen im Vordergrund stehen muss. Im Südsudan wurde der Schwerpunkt auf den Ausbau der Kapazitäten bestehender gemeindebasierter Strukturen wie Frauenzentren und -verbände gelegt, um die Gleichstellung der Geschlechter, den Schutz vor GBV sowie die Beteiligung von Frauen an lokalen Justiz- und Friedensprozessen voranzutreiben. Diese Aktivitäten konzentrierten sich darauf Frauen und Mädchen zu stärken und gleichzeitig Gemeindevorsteher*innen, Männer und Jungen als zentrale Akteure in den Prozess einzubeziehen. Auch technologische Innovationen wie z.B. der U-Report können junge Menschen dazu bewegen, eine Kultur des Friedens und der Toleranz in ihren Gemeinden zu fördern, ein breites Netzwerk aufzubauen und sich mit Themen zu befassen, die für sie wichtig sind. Wie sich aktuell zeigt, können digitale Ansätze Teil der Lösung sein und der neue deutsche Nationale Aktionsplan für die WPS Agenda muss diese Aspekte berücksichtigen, um die Skalierung erfolgreicher Maßnahmen sicherzustellen. Schutz: Förderung der systematischen Integration einer Gender- und Kinderrechtsperspektive Schutz vor GBV kann nur erfolgreich sein, wenn die Maßnahmen auf die spezifischen Bedürfnisse von Mädchen und jungen Frauen zugeschnitten sind. Der neue deutsche Aktionsplan muss Programme aufrechterhalten und umfassend einbeziehen, die darauf abzielen, Gendernormen im Sinne der Rechte von Mädchen und jungen Frauen zu verändern, die Verheiratung von Kindern zu verringern, frühe Schwangerschaften vorzubeugen und die sexuelle Gesundheit von Jugendlichen zu verbessern. Das bedeutet auch, gezielt in die umfassende Unterstützung von Überlebenden geschlechtsspezifischer Gewalt zu investieren, einschließlich psychischer und psychosozialer Unterstützungsdienste, insbesondere in von Konflikten betroffenen und fragilen Umgebungen. In solchen Programmen muss systematisch eine Gender- und Kinderrechtsperspektive einbezogen werden. Die Bundesregierung kann dies entscheidend fördern. Eine Möglichkeit zur Umsetzung sind partizipative Sicherheitsaudits, mit deren Hilfe proaktiv Risiken für GBV in verschiedenen Umgebungen wie Siedlungen von Vertriebenen, Wasser- und Sanitäranlagen, in Einrichtungen der Nahrungsversorgung und in Schulen ermittelt und Programme entsprechend angepasst werden können. Im Libanon, wo UNICEF Sicherheitsaudits als Teil eines breiteren Ansatzes von GBV-Interventionen einsetzte, gaben 83 Prozent der Frauen und Mädchen sechs Monate nach Beginn der Interventionen an, sich sicherer zu fühlen. In Regionen, die durch politische Instabilität geprägt sind, können Hausbesuche in Dörfern durch Kinderschutzbeauftragte ein erfolgreicher Weg sein, um marginalisierte Mädchen zu erreichen. In Burkina Faso führten Besuche in Gemeinden und Lager für intern vertriebene Menschen dazu, dass sich mehr als 310.000 gefährdete jugendliche Mädchen in Jugendclubs anmeldeten und wichtige Informationen zu Förderung ihrer Lebenskompetenzen und ihrer Gesundheit erhielten. Dies unterstützt das Empowerment der Mädchen und dient ebenfalls als wichtige Strategie zur Reduzierung der Verheiratung von Kindern. Neben der Aktivierung und Unterstützung maßgeschneiderter Programme muss der neue deutsche Nationale Aktionsplan auch zur Förderung von Ansätzen verpflichten, die sich mit GBV in Notsituationen befassen. Dies umfasst die Bereitstellung von sektorübergreifenden Diensten für Überlebende (d.h. medizinische, psychosoziale und Sicherheitsangebote), die Minderung des GBV-Risikos in allen Sektoren und die Verhinderung von GBV durch Bekämpfung von Ursachen wie Ungleichheit der Geschlechter. Die IASC Guidelines für die Integration von GBV-Interventionen in humanitären Maßnahmen spielen in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle und müssen von humanitären Akteur*innen auf alterssensible Weise eingeführt werden, um die Sicherheit von Frauen und Mädchen in der gesamten humanitären Hilfe zu verbessern. Deutschland sollte betonen, dass die WPS-Agenda nicht nur für Mädchen und Frauen umgesetzt wird, sondern vor allem auch gemeinsam mit ihnen Im aktuellen Jahrzehnt des Handelns zur Erreichung der SDGs hat die Bundesregierung die Chance, weiterhin eine führende Rolle bei der Stärkung der WPS-Agenda auszufüllen und die dringend benötigte kollektive Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse und Stimmen von Mädchen und jungen Frauen zu schaffen. Für UNICEF basiert dies auf: Der Gewährleistung eines angemessenen Zugangs zu qualitativ hochwertiger Bildung für Frauen und Mädchen, um die zugrundeliegenden Konfliktursachen in Friedenskompetenzen umzuwandeln. Der Förderung der psychischen Gesundheit, des psychosozialen Wohlbefindens und des Empowerment junger Frauen und Mädchen sowie der Förderung ihrer Entscheidungsstärke als Führungskräfte und Akteurinnen des Wandels. Der Verringerung der Vulnerabilität von Frauen und Mädchen und die Förderung von Solidarität, sozialem Zusammenhalt und Friedensförderung durch die Einbeziehung lokaler Führungskräfte und Gemeinden. Der Stärkung inklusiver Partnerschaften, um zivilgesellschaftlichen Organisationen junger Frauen Zugang und Unterstützung für ihre Arbeit zu gewährleisten und die WPS-Agenda voranzutreiben. Es ist unerlässlich, dass der deutsche Nationale Aktionsplan die aktive Partizipation von Mädchen und jungen Frauen im Sinne der SDGs gewährleistet. Es ist daher unerlässlich, dass der dritte deutsche Nationale Aktionsplan alterssensibler ist, die Bedürfnisse und Rechte von Mädchen und jungen Frauen im Nexus humanitäre Hilfe-Entwicklung-Frieden klar berücksichtigt und aktive Partizipation von Mädchen und jungen Frauen im Sinne der SDGs gewährleistet. Die Bundesregierung und ihre humanitären und entwicklungspolitischen Partner müssen junge Frauen und Mädchen in die Entwicklung, Umsetzung und Überwachung von Unterstützungsprogrammen einbeziehen. Es wird ein wesentlicher Erfolgsfaktor und ein bedeutender Beitrag zum nachhaltigen Wandel in friedlichen Gesellschaften sein, dass die Operationalisierung und Umsetzung der WPS-Agenda nicht nur für sie, sondern mit ihnen gestaltet wird. Debatten Frauen, Frieden & Sicherheit Impulse für den dritten Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung Frauen Frieden & Sicherheit Jugend in Konflikten Regev Ben Jacob Regev Ben Jacob ist Programme Specialist im Peacebuilding and Fragility Team der Programme Division von UNICEF in New York. @UNICEF Michiko Fukase Michiko Fukase ist Programme Officer im Peacebuilding and Fragility Team der Programme Division von UNICEF in New York. @UNICEF Susanne Hassel Susanne Hassel ist Senior Advisor for development cooperation and humanitarian aid in der Advocacy and Programme Division von UNICEF Deutschland in Berlin. @UNICEFgermany Daniel Ziegler Daniel Ziegler ist Public Partnerships Manager im Europe Team der Public Partnerships Division von UNICEF in New York und Berlin. @UNICEFgermany
Artikel Girls, Peace and Security – The Key for Sustainable Change The next German National Action Plan on the Women, Peace and Security agenda should put a strong emphasis on the needs and rights of girls and young women. The German government could invest more in their education, scale up investments in their meaningful inclusion in peacebuilding, and promote a systematic integration of a gender and child rights perspective into programming. Regev Ben Jacob, Michiko Fukase, Susanne Hassel, Daniel Ziegler • 15 July 2020
Artikel Genderkompetenzen in Friedensmissionen trainieren – aber richtig! Gender Mainstreaming-Kompetenzen zur Umsetzung der Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit in Friedenseinsätzen sind nicht an einem Tag erlernt. Es benötigt mehr finanzielle und personelle Ressourcen zur Entwicklung von maßgeschneiderten Kursen, die neue Zielgruppen einbeziehen, damit Expert*innen zur Erreichung der Ziele der UN-Resolution 1325 beitragen können. Svenja Wolter, Brigitta von Messling • 06. Juli 2020
Artikel Rechtsradikale Ideologien bedrohen Frauen, Frieden und Sicherheit in Deutschland Um den Prinzipien der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ auch innerhalb Deutschlands gerecht zu werden, sollte die Bundesregierung im neuen Nationalen Aktionsplan einen innenpolitischen Bezug herstellen. Anti-Feminismus, Rassismus und Rechtsradikalismus müssen auch hierzulande als gesamtgesellschaftliche Probleme identifiziert und bearbeitet werden. Victoria Scheyer • 07. Juli 2020