Genderkompetenzen in Friedensmissionen trainieren – aber richtig!

06. Juli 2020   ·   Svenja Wolter, Brigitta von Messling

Gender Mainstreaming-Kompetenzen zur Umsetzung der Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit in Friedenseinsätzen sind nicht an einem Tag erlernt. Es benötigt mehr finanzielle und personelle Ressourcen zur Entwicklung von maßgeschneiderten Kursen, die neue Zielgruppen einbeziehen, damit Expert*innen zur Erreichung der Ziele der UN-Resolution 1325 beitragen können.

In den letzten 20 Jahren hat das Thema Women, Peace & Security (WPS) im internationalen Krisenmanagement eine Professionalisierung erfahren. Zum einen wird die Umsetzung der UN-Resolution 1325 und nachfolgender Resolutionen in Friedensmissionen der UN, OSZE und EU als ein eigenständiges Arbeitsfeld und eine eigene Expertise anerkannt, die sich, unter anderem, in der Schaffung von Gender Units und Positionen für Gender-Beratern*innen in EU, OSZE und UN Friedensmissionen äußert. Zum anderen wird von Personal ein Grundverständnis der WPS-Agenda, Fähigkeiten des Gender Mainstreamings sowie eine positive Haltung zu Geschlechtergerechtigkeit vorausgesetzt. Zum Beispiel zeigen das OSCE Competency Model, das Competency Framework der UN und auch das Leitbild für zivile Expert*innen des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF), dass diese „Gender-Fähigkeiten“ als bereichsübergreifende Kernkompetenz gefragt sind. Die Gender-Kompetenzen des Personals sollen durch Trainingsmaßnahmen vor und während eines Friedenseinsatzes gefördert und erweitert werden; das zeigen auch die EU Trainings-Richtlinien für GSVP-Missionen.

In Deutschland  verpflichtet sich die Bundesregierung im Aktionsplan zur Umsetzung von Resolution 1325 Personal für Friedenseinsätze zu UN-Resolutionen fortzubilden (Ziel 3c) sowie zum Thema sexualisierter Gewalt und Ausbeutung zu sensibilisieren (Ziel 4a). Daher sind die WPS-Agenda und Gender als Querschnittsthemen innerhalb der letzten Jahre ein kleiner, aber fester Bestandteil von Trainings für die Einsatzvorbereitung für ziviles und polizeiliches Personal geworden. Darüber hinaus werden Spezialisierungskurse zur Vertiefung bestimmter Kompetenzen und Themen angeboten. Darunter fallen beispielsweise die Kurse Gender Advisorder NATO, Women, Peace & Securityder Polizei Baden-Württemberg und des ZIF sowie Integration of a Gender Perspective in CSDP des European Security and Defense College und der Folke Bernadotte Academy.

Trainings lassen wenig Zeit für praktische Skill-Entwicklung und Strategieerarbeitung zur Umsetzung der WPS-Agenda

Eine ausreichende, das heißt der Komplexität und dem Themenspektrum angepasste  Kursdauer, genügend Ressourcen, die Fach- und Methodenkompetenz der Trainer*innen sowie die Motivation der Teilnehmenden sind ausschlaggebende Faktoren für eine erfolgreiche und umfassende Kompetenzförderung. Die Trainingskurse für die Einsatzvorbereitung von zivilem und polizeilichem Personal in Deutschland, die sogenannten Pre-Deployment-Kurse der UN und EU sowie die Induction-Trainings vor Ort im Einsatzland müssen eine Vielzahl von relevanten Themen für die Missionen abdecken, von Sicherheitsaspekten zu Missionsstrukturen, sodass WPS meist auf nur ein Modul beschränkt ist.

Die knappe Zeit führt dazu, dass diese Kurse nur eine oberflächliche Sensibilisierung und unvollständigen Wissenstransfer zu den UN-Resolutionen erzielen. Für die Vermittlung von Skills und Strategien zur Umsetzung der WPS-Agenda bleibt hingegen wenig Zeit. Die Entwicklung von praktischen Fähigkeiten verlangt von den Trainer*innen, den Teilnehmenden die Gelegenheit zu bieten, in Szenario-basierten Übungen und Rollenspielen das neu erlernte Wissen anzuwenden. Zum Beispiel werden Teilnehmende in einem fiktiven aber realistischen Szenario beauftragt einen Übergangsjustizprozess zu entwickeln, der auch Fälle von sexualisierter Gewalt bearbeitet und Bedarfe von Frauen und Männern des Gastlandes berücksichtigt.

Auch Trainingskurse reduzieren die WPS-Agenda zu sehr auf ein „Frauen-Thema“

Darüber hinaus fangen Haltungs- und Verhaltensänderungen immer bei der eigenen Person an, was für Trainer*innen bedeutet, im Training ausreichend Raum für Selbstreflexion zur eigenen (Gender-) Identität, Stereotypen und Rollenverständnis zu schaffen. Die Diversität der Arbeitsprofile der Teilnehmenden, die von Rechts- und Politikberatung bis hin zu Missionssicherheit und Logistik reicht, stellt Trainer*innen vor eine zusätzliche Herausforderung, eine Genderperspektive in verschiedene Tätigkeitsfeld zu integrieren. Selten besitzen Trainer*innen eine tiefgreifende Genderexpertise in allen verschiedenen Berufsfeldern. Daher bleiben auch hier Kurse häufig auf der Sensibilisierungsebene.

Doch die zeitlichen Beschränkungen und unterschiedlichen Fachkenntnisse der Trainer*innen limitieren auch den Umfang, mit dem das Thema inhaltlich bearbeitet werden kann. Vor allem in den ersten Resolutionen fokussiert sich die WPS-Agenda hauptsächlich auf die Bedürfnisse und Rollen von Frauen und Mädchen, ohne diese in Zusammenhang mit der Rolle von Männern zu bringen. So wird es auch in Trainingskursen leicht zu einem „Frauen-Thema“ reduziert und nicht in Verbindung mit Transformationsprozessen in Hinsicht auf Zugang zu Macht und Gewaltkulturen thematisiert. Bedürfnisse sexueller Minderheiten werden oft ausgelassen. Hinzu kommt, dass Genderdynamiken sehr kontext-spezifisch und kultursensibel sind, deren Bearbeitung in kurzen Trainingsmodulen schwer zu leisten ist.

An diesem Punkt setzen die in Deutschland und international angebotenen Spezialisierungskurse an, die Fachexpertise beispielsweise für Gender-Beratung oder die Bekämpfung von geschlechterbasierender Gewalt aufbauen. Eine Teilnahme ist nicht verpflichtend für einen Einsatz in einer Friedensmission und liegt daher vor allem am persönlichen Engagement Einzelner. Dies sind oft Expert*innen, die schon Interesse für das Thema mitbringen und sensibilisiert sind. Die Teilnahme von Personen, die einen strategischen Beitrag zur Umsetzung der WPS-Agenda und Schaffung eines gender-sensiblen Arbeitsplatzes im Missionskontext leisten könnten, ist nicht unbedingt gewährleistet. Abschreckend wirkt zudem, dass  Kurs- und Reisekosten häufig selber getragen und Urlaub genommen werden muss.

International fehlen Fortbildungskurse für das mittlere und obere Management in Friedenseinsätzen

Darüber hinaus fehlt es international mit einigen Ausnahmen an zielgruppen-gerechten Spezialisierungskursen für das mittlere und leitende Management von Friedenseinsätzen. Obwohl sich die (immer noch männlich dominierte) Führungsriege der UN, der OSZE und der EU für Geschlechtergleichheit ausgesprochen hat, fehlt es an Möglichkeiten beziehungsweise einer Verpflichtung zur Weiterbildung von gender-sensiblen Führungskompetenzen der leitenden Ebenen. Von einer einheitlichen Förderung für gender-sensible Führungskompetenzen im Missionskontext sind wir noch weit entfernt. 

Der stetige Aufbau von Kompetenzen allen Personals für Friedenseinsätze sollte auch nach 20 Jahren UN-Resolution 1325 noch Priorität haben, da sie ein grundlegender Baustein der Steigerung der Effektivität bei der Mandatsumsetzung sind. Trainings, seien es Einsatzvorbereitungs- oder Spezialisierungskurse, spielen dabei eine wesentliche Rolle. Sie könnten durch die Umsetzung folgender Empfehlungen geschärft werden.

Geldgeber sollten gezielt Gender als Kernkompetenz fördern und Anreize für Weiterbildung setzen 

Multilaterale Organisationen wie die UN, EU und OSZE und besonders ihre Mitgliedstaaten – also die Geldgeber – müssen Gender weiter als Kernkompetenz fördern, und zusätzliche Expertise einfordern. Mit weiteren finanziellen Ressourcen der Bundesregierung, basierend auf neuen Regelungen im Nationalen Aktionsplan, könnten zum Beispiel permanente Genderexpert*innen in deutschen zivilen und polizeilichen Trainingsorganisationen angestellt werden und in allen Kursen und Fortbildungsprogrammen eine Genderperspektive integrieren.

Nationale Trainingsinstitutionen in Staaten, die Personal in Friedensmissionen entsenden sowie Trainingsnetzwerke wie das European Security & Defense College (ESDC) der EU sollten ihr Angebot an Spezialisierungskursen ausweiten. Ein Fokus muss auf Führungskräftetraining gelegt werden, damit das mittlere und leitende Management in Friedensmissionen befähigt ist, die WPS-Agenda umzusetzen und unter anderem auch einen gender-sensiblen Arbeitsplatz zu schaffen. Für diese Zielgruppe sind maßgeschneiderte Formate und Inhalte besonders notwendig. Darüber hinaus sollten Anreize für die Weiterbildung von Genderkompetenz geschaffen werden, damit sich die Teilnahme an Spezialisierungskursen nicht auf motivierte, bereits sensibilisierte Personen beschränkt. Der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung kann hier einen wichtigen Beitrag leisten.

Parallel sollten Mitgliedsstaaten, Auswahlgremien und Missionsleitungen bei der Auswahl von Personal nicht nur Kenntnisse der WPS-Agenda, sondern Genderexpertise in den verschiedenen Fachbereichen einer Mission verlangen.

Mehr Online-Formate und In-Mission Trainings unterstützen

Die auch durch die Corona-Krise erhöhte Akzeptanz von Online-Formaten bietet die Chance, die Reichweite von Trainings zu erweitern und einem größerem Publikum, einschließlich der Führungsebene, zugänglich zu machen. Auch können Trainingsanbieter dadurch vermehrt Expert*innen aus Konfliktgebieten und Arbeitsfeldern mit orts- und fachspezifischem Wissen einbinden, die besser spezialisierte Kompetenzen stärken können.

Formate wie in-Mission Trainings, die im Missionsgebiet durchgeführt werden, spielen bei der Vertiefung und Spezialisierung von Gender-Kompetenzen eine wichtige Rolle. Inhaltlich kann so konkret auf die Bedarfe und Genderdynamiken im Einsatzland sowie missionsinterne Prozesse, Strukturen und Führungsverhalten eingegangen werden. Die Trainingsanbieter, Mitgliedsstaaten, Hauptquartiere multilateraler Organisationen und Trainingseinheiten der Missionen sollten sich zur Finanzierung und praktischen Umsetzung enger koordinieren, um Duplizierung zu vermeiden und Synergien zu stärken. Der aktuelle Prozess auf EU-Ebene, bei dem die EU Civilian Training Group verschiedene Training Area Assessments durchführt, um Anforderungen für Training zu identifizieren, ist ein wichtiger Schritt dafür.

Kompetenzaufbau durch Training ist nur ein Teil des Puzzles

Zuletzt ist wichtig festzuhalten: Kompetenzaufbau durch Training leistet einen wichtigen Beitrag zur besseren Umsetzung der WPS-Agenda in Friedenseinsätzen, ist aber nicht alleine ausschlaggebend für Erfolg. Mitgliedstaaten müssen die Förderung von Trainingskapazitäten mit gendersensiblen Rekrutierungsprozessen verlinken; des Weiteren sollten sie die Umsetzung von UN Resolution 1325 in Mandaten auch bei der Berichterstattung der Missionen explizit einfordern und sich nicht mit quantitativen Informationen über die Situation von Frauen/Mädchen zufriedengeben. So würde das Thema Gender, und dadurch die Nachfrage nach geschultem, gender-kompetentem Personal, von Missionen und Mitgliedstaaten priorisiert werden.

Der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung, der dieses Jahr erneuert wird, ist ein wichtiger Beitrag zur Priorisierung von Gender Gerechtigkeit in von Deutschland geförderten Maßnahmen zum Krisenmanagement im Aus- und Inland. Doch auch bei uns scheint der Weg noch lang: die Abwesenheit einer Genderperspektive in der Reaktion auf die Corona-Krise zeigte dies erst kürzlich sehr offensichtlich auf.


Vereinte Nationen Friedenseinsätze Frauen Gender

Svenja Wolter

Svenja Wolter arbeitet seit mehr als fünf Jahren im Capacity Building für internationales Peacebuilding und Konfliktprävention. Derzeit ist sie am Zentrum für Internationale Friedenseinsätze für Trainingsprogramme im Rahmen der deutschen Trainingspartnerplattform tätig.

Brigitta von Messling

Brigitta von Messling leitet das Team Training im Zentrum für Internationale Friedenseinsätze. Sie war für die UN im Einsatz in Liberia (UNMIL) und Kolumbien (UNMC & UNVMC). @bvm_brigitta