Effektivität first: Für einen Multilateralismus, der liefert 24. November 2020 · Ronja Scheler Das gesellschaftliche Unverständnis für Multilateralismus resultiert nicht etwa aus Begriffsstutzigkeit, sondern aus der mangelnden Effektivität des internationalen Systems. Daher sollte die Bundesregierung im neuen Weißbuch das Ziel eines wirksamen Multilateralismus durch flexible Kooperationen und Multistakeholder-Ansätze mit klaren Prinzipien, Regeln und Normen festschreiben. Debatten Weißbuch Multilateralismus Impulse für die Bundesregierung Zwei Drittel der Deutschen wissen nicht, was das Wort „Multilateralismus“ bedeutet. Dieses Ergebnis einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung aus dem Jahr 2019 ist mittlerweile allen Kenner*innen des deutschen Multilateralismus-Diskurs ein Begriff. In der Tat scheinen die Deutschen nicht viel mit einem Terminus anfangen zu können, der laut Außenminister Heiko Maas „wie ein apothekenpflichtiges Arzneimittel“ klingt. Das Auswärtige Amt leitet aus dieser Erkenntnis primär einen Kommunikationsauftrag ab. Wenn die Bevölkerung das Konzept nicht versteht, muss es besser erklärt werden. Unterstützung für multilaterales außenpolitisches Vorgehen ist die erhoffte Konsequenz. Klingt plausibel – oder etwa nicht? Es sind vielmehr Emotionen und „gefühlte Wahrheiten“, die eine*n zur Unterstützerin oder zum Gegner einer Sache werden lassen; gute Politik muss also auch als gut empfunden werden. Leider stößt die Devise „tue Gutes und rede darüber“ recht schnell an ihre Grenzen. Denn der Grund für die etwaige Ablehnung von Internationalisierung und einer multilateral ausgerichteten deutschen Außenpolitik, die sich teils in fundamentaler Globalisierungskritik oder der Unterstützung nationalistischer Gruppierungen niederschlägt, ist nicht etwa ein Mangel an Verständnis. Die persönliche Haltung zu Politik ist kein sachlich-kognitiver Prozess, bei dem die Meinung der Ratio folgt. Es sind vielmehr Emotionen und „gefühlte Wahrheiten“, die eine*n zur Unterstützerin oder zum Gegner einer Sache werden lassen; gute Politik muss also auch als gut empfunden werden. Und hier hapert es, denn die positiven Effekte von regelbasierter internationaler Zusammenarbeit werden von vielen Mitgliedern der Gesellschaft schlicht nicht wahrgenommen. Wirksames internationales Agieren ist die Voraussetzung für gesellschaftlichen Rückhalt Deswegen ist es an der Zeit, einen Begriff aus der politischen Mottenkiste zu holen, ihn zu entstauben und zur Zielvorgabe des „Weißbuch Multilateralismus“ zu machen: den des „effektiven Multilateralismus“. Geprägt wurde das Konzept in der Europäischen Sicherheitsstrategie von 2003. Als Kennzeichen eines wirksamen multilateralen Miteinanders wurden damals eine „stärkere Weltgemeinschaft, gut funktionierende internationale Institutionen und eine regelbasierte Weltordnung“ ausgelobt – Zielsetzungen, die auch knapp 20 Jahre später nichts von ihrer Gültigkeit eingebüßt haben. Wirksames internationales Agieren ist die Voraussetzung dafür, dass eine multilaterale Außenpolitik in der Gesellschaft ankommt und somit die Art von Legitimität bekommt, die sie benötigt. Dennoch wurde der Begriff des effektiven Multilateralismus, nachdem er einige Jahre fester Bestandteil zahlloser Publikationen rund um die globale Rolle der EU und das internationale System an sich gewesen war, irgendwann aus dem außenpolitischen Vokabular verbannt. Wohl weil man eingestehen musste, dass das multilaterale System alles andere als effektiv war (und immer noch ist), nicht aber, weil es nicht effektiv sein sollte. Im Gegenteil: Wirksames internationales Agieren ist die Voraussetzung dafür, dass eine multilaterale Außenpolitik in der Gesellschaft ankommt und somit die Art von Legitimität bekommt, die sie benötigt. Dieses Ziel sollte stets der Nukleus des multilateralen „Tuns und Darüberredens“ sein, heute noch mehr als vor zwanzig Jahren. Komplexe Herausforderungen erfordern einen Fokus auf Ergebnisse Denn die zunehmende Komplexität der Welt hält viele Herausforderungen parat, für die ein gemeinschaftliches und international abgestimmtes Vorgehen unerlässlich ist – globale Pandemien, Klimawandel, Digitalisierung und vieles mehr. Allen Herausforderungen gemein ist, dass sie unmittelbare Auswirkungen auf das Leben von Menschen weltweit haben. Doch lässt der gegenwärtige Zustand der globalen Ordnung und ihrer Institutionen nicht darauf hoffen, dass diese Probleme zeitnah und wirksam gelöst werden können (und – machen wir uns keine Illusionen – daran wird auch ein Einzug von Joe Biden ins Weiße Haus kurzfristig nichts ändern). Globale Machtverschiebungen gen Osten und Süden, aber auch der wachsende Einfluss nichtstaatlicher Akteure haben den Handlungsspielraum „klassischer“ internationaler Organisationen eingeengt. Geopolitische Ränkespiele tun ihr Übriges, um die multilaterale Ordnung der vergangenen Jahrzehnte lahmzulegen. Effektiv geht anders. Damit multilaterales Handeln effektiver wird, ist es unerlässlich, sich zuvorderst auf das Ergebnis von internationaler Zusammenarbeit zu konzentrieren, nicht auf das Zustandekommen. Was sollte also getan werden? Damit multilaterales Handeln effektiver wird, ist es unerlässlich, sich zuvorderst auf das Ergebnis von internationaler Zusammenarbeit zu konzentrieren, nicht auf das Zustandekommen. Dafür werden verstärkt multilaterale Initiativen außerhalb des institutionalisierten Rahmens der Vereinten Nationen notwendig sein. Es stimmt zwar: Ein inklusiv-universalistisches System à la UN, in dem möglichst alle Staaten und ihre Bevölkerungen vertreten sind, mag demokratisch und deshalb wünschenswert erscheinen. Doch – frei nach Fritz Scharpf – Legitimation entsteht nicht nur durch den Input („Herrschaft durch das Volk“), sondern auch durch den Output („Herrschaft für das Volk“). Und auf letzteren kommt es an, wenn der Mehrwert internationaler Zusammenarbeit auch bei den Bürger*innen ankommen und als solcher gefühlt werden soll. Flexible Kooperationen und Multistakeholder-Ansätze für einen effektiven Multilateralismus Um das Ziel eines effektiven Multilateralismus zu erreichen, sollte das „Weißbuch Multilateralismus“ der Bundesregierung zuvorderst zwei Strategien verankern: Erstens muss die deutsche Außenpolitik stärker als bisher auf flexible Kooperationen und Koalitionen der Willigen setzen. Wo das UN-System blockiert und handlungsunfähig ist, müssen gleichgesinnte Staaten im minilateralen Rahmen voranschreiten und Probleme eigeninitiativ angehen. Die von Deutschland und Frankreich initiierte Allianz für den Multilateralismus liefert ein prominentes Beispiel für eine solche Strategie. Anders als geschlossene Club-Formate wie die G7 oder die G20 zeichnet sie sich durch ihre Offenheit aus, stets in der Hoffnung, dass sich im Lauf der Zeit mehr und mehr Staaten anschließen und so Wirksamkeit und Inklusivität erhöht werden können. Zweitens sollte das Weißbuch festschreiben, wie die Machtverschiebung hin zu nichtstaatlichen Akteuren in Form von Multistakeholder-Ansätzen besser nutzbar gemacht werden kann für eine effektive multilaterale Politik. Private stakeholders wie Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen oder Unternehmen können nämlich einen erheblichen Beitrag dazu leisten, dass globale Herausforderungen wirksam adressiert werden. Und noch mehr als das: In vielen Global-Governance-Bereichen wie Klimawandel und Digitalisierung wird ein effektives regelbasiertes Vorgehen ohne den Privatsektor nicht möglich sein. So dürfen beispielsweise Tech-Konzerne nicht nur als Teil des Problems betrachtet werden; sie müssen zum Teil der Lösung gemacht werden. Das Weißbuch muss konkrete Prinzipien, Regeln und Normen definieren Beiden Strategien sollte das Weißbuch ausreichend Raum gewähren, dabei aber über hohle Bekenntnisse hinausgehen. Essentiell ist es, die dazugehörigen Prinzipien zu definieren, die einen effektiven Multilateralismus ermöglichen. Im Falle der flexiblen Koalitionen bedeutet dies insbesondere auszuformulieren, in welchen Fällen informelle Kooperationen dem formellen Institutionen-Rahmen vorzuziehen sind, in welcher Form entsprechende Initiativen an internationale Organisationen andocken, wie sie diese zu stärken vermögen und unter welchen Umständen sie möglicherweise in bestehenden Institutionen aufgehen könnten. Bei Multistakeholder-Ansätzen andererseits sollte das Weißbuch die Regeln benennen, unter denen private Akteure in außenpolitisches Handeln einbezogen werden, sowie die Normen, an die diese sich halten müssen. Im besten Falle werden Plattformen definiert, die Deutschland (oder seine internationalen Partner) den nichtstaatlichen Stakeholdern anbieten, um Multistakeholder-Initiativen auszuloten, zu konzipieren oder umzusetzen. Das jüngst zum dritten Mal durchgeführte Paris Peace Forum kann hier als Vorbild dienen. Gelingt es, diese Strategien und die dazugehörigen Prinzipien im Weißbuch zu berücksichtigen, kommt man einem effektiven Multilateralismus ein gutes Stück näher. Als Konsequenz darf die Bundesregierung auf verstärkte Unterstützung in der Bevölkerung hoffen, Vokabel-Kenntnis hin oder her. Debatten Weißbuch Multilateralismus Impulse für die Bundesregierung Partner Kommunikation Multilateralismus Ronja Scheler Dr. Ronja Scheler ist Programmleiterin Internationale Politik bei der Körber-Stiftung. Sie twittert zu Multilateralismus und internationaler Politik unter @RonjaScheler.
Artikel Von Freundesgruppen bis zu Koalitionen der Willigen: Den „neuen“ Multilateralismus aktiv mitgestalten Multilaterale Politik ist normativ und realpolitisch die DNA deutscher Außenpolitik. Doch Multilateralismus darf nicht zu einem inhaltsleeren Dogma verkommen. Deutschland sollte sich den neuen Formen des Multilateralismus wie Freundesgruppen, Kontaktgruppen und Koalitionen der Willigen stärker öffnen und im Weißbuch Multilateralismus deren Relevanz und Beständigkeit anerkennen. Carlo Masala • 05. Oktober 2020
Artikel Leitlinien für eine polyzentrische Welt: Worauf es bei der Förderung von Multi-Stakeholder-Governance ankommt In Zeiten multilateralen Stillstands bieten Multi-Stakeholder-Initiativen eine Chance. Das Weißbuch Multilateralismus bietet der Bundesregierung die Gelegenheit, die Rolle von Multi-Stakeholder-Initiativen im neuen Multilateralismus zu klären und Leitlinien für ihre Einbindung in die Arbeit der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen zu entwerfen. Klaus Dingwerth • 16. September 2020
Artikel Wer Multilateralismus will, muss auch sagen können, wo und wie Eine deutsche Multilateralismus-Strategie sollte in das multilaterale System investieren und starke internationale Organisationen fördern, die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union stärken und der Umsetzung bestehender internationaler Regeln Vorrang gegenüber der Entwicklung neuer Regelwerke einräumen. Nicole Deitelhoff • 06. Oktober 2020