Prioritäten richtig setzen: Wie Reformen im Sicherheitssektor Frieden fördern

09. März 2021   ·   Andreas Wittkowsky

Eine aktuelle UN-Resolution bekräftigt, dass Reformen des Sicherheitssektors ein Schlüsselelement der Friedensförderung sein können. Dazu dürfen sich internationale Aktivitäten nicht auf technische Unterstützung beschränken. Deutschland sollte die Verfasstheit, Steuerung und Kontrolle des Sektors in den Fokus nehmen und Reformen politisch begleiten.

Ob in der Ukraine, in Mali oder Kosovo – immer öfter zielen internationale Friedenseinsätze, Mediationen und Programme der Friedensförderung auf die Stärkung des Sicherheitssektors – die Streitkräfte, Polizei und Justiz eines Landes. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen diese Organe nicht nur Sicherheit für die Bevölkerung gewährleisten und damit die friedliche Entwicklung einer Gesellschaft ermöglichen, sondern auch die Legitimität staatlicher Institutionen insgesamt erhöhen.  

Sicherheitsorgane, die dies nicht leisten und gar die Menschenrechte verletzen, sind oft Ursache oder Treiber von Gewaltkonflikten. Die Reform des Sicherheitssektors ist deshalb ein wichtiger Aspekt vieler Friedensabkommen. Unter dem Kürzel SSR unterstützen internationale Organisationen wie UNDP, die Afrikanische Union, die OSZE oder die Weltbank solche Reformen programmatisch und finanziell.  

Eine neue UN-Resolution zielt auf die Verfasstheit, Steuerung und Kontrolle des Sicherheitssektors  

Auf Initiative Südafrikas hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Ende 2020 seine zweite Resolution zu dem Thema verabschiedet, wie Sicherheitssektorreformen zur Friedensförderung beitragen können. Dazu entwickelt Resolution 2553 jene Ansätze weiter, die erstmals 2014 in Resolution 2151 formuliert wurden. Die neue Resolution betont die zentrale Bedeutung der Governance des Sektors, die man mit seiner Verfasstheit, Steuerung und Kontrolle umreißen kann. Die Betonung der Governance ist der Erfahrung geschuldet, dass vergangene SSR-Aktivitäten zu oft zu technisch als Ertüchtigungsmaßnahmen (train and equip) betrieben wurden, dabei die Governance vernachlässigten und deshalb nicht zum Abbau der Konfliktursachen beitrugen.  

Die Vereinten Nationen haben sich in den letzten Jahren mehrfach mit den Herausforderungen beschäftigt, die mit der Umsetzung von SSR verbunden sind: in einem Bericht des UN-Generalsekretärs, in Stellungnahmen des Präsidenten des Sicherheitsrats und in verschiedenen Reviews von Friedenseinsätzen, zu deren Mandat SSR-Aktivitäten gehören (v.a. in der Zentralafrikanischen Republik, Mali, dem Südsudan und der DR Kongo). Dabei wurden Defizite identifiziert, welche das südafrikanische Konzeptpapier für den Sicherheitsrat zusammenfasst. Es betont, dass die Mandate von UN-Friedenseinsätzen mit SSR-Komponenten die Governance-Dimension oft vernachlässigen. SSR-Aktivitäten werden zu selten als gemeinsame Querschnittsaufgabe aller UN-Organisationen vor Ort (Missionen, UNDP, OCHA u.a.) angegangen, ihre Koordination mit den Aktivitäten anderer internationaler Unterstützer ist unzureichend. Frauen sind in SSR-Prozessen unterrepräsentiert und in der Förderung nicht ausreichend berücksichtigt. Außerdem sind SSR-Aktivitäten häufig unterfinanziert, weil sie die Kriterien der offiziellen Entwicklungshilfe (ODA) nicht erfüllen  

Die Resolution unterstreicht demokratische Kontrolle, gesellschaftliche Teilhabe und politische Prozesse  

Resolution 2553 bezweckt, diese Defizite zu überwinden. Sie betont, dass Sicherheitssektorreformen eine Schlüsselrolle in der Friedensförderung zufällt. Denn ein schwacher Sicherheitssektor, gepaart mit mangelnder Legitimität seiner Akteure, unterminiert die Fähigkeit von Staaten, Frieden und Sicherheit nachhaltig zu gewährleisten – und gefährdet damit auch die Erfolge internationaler Friedenseinsätze. Die Resolution vertieft ein breites Spektrum von Aspekten, trifft aber zwei Kernaussagen:  

1. Reformen des Sicherheitssektors müssen sich daran messen lassen, inwieweit sie tatsächlich seine Governance verbessern. Die Wortwahl im Resolutionstext bekräftigt das: security sector reform (SSR) und securiy sector governance and reform (SSG/R) werden parallel und gleichberechtigt verwendet. Sicherheitsorganen fällt die Verantwortung zu, die Bedürfnisse aller Bevölkerungsteile nach Sicherheit effektiv zu befriedigen und gleichzeitig deren Vertrauen zu gewinnen. Die Legitimität der Institutionen und ihrer Akteure hängt wesentlich von demokratischer Kontrolle und Transparenz ab, ebenso von der angemessenen Teilhabe von Frauen und Jugendlichen an SSG/R-Aktivitäten. 

2. SSG/R-Maßnahmen sollen Teil eines politischen Prozesses sein, der die gesamte Sicherheitsarchitektur des jeweiligen Landes umfasst. Nationale Rahmenstrategien, Reviews und Pläne sind die Instrumente, um Orientierung zu vermitteln. Um Anliegen der Zivilgesellschaft aufzunehmen, bieten sich inklusive Sicherheitsdialoge an. Die Resolution unterstreicht die Erkenntnis der letzten Jahre, dass rein technische Ertüchtigungsmaßnahmen (train and equip) zu kurz greifen

Erfolgreiche Friedensförderung braucht effektivere multilaterale Zusammenarbeit 

Resolution 2553 fordert auch eine bessere Arbeitsteilung innerhalb des UN-Systems ein. Sondergesandte und Missionsleiter sollen SSG/R konsequent in ihre Aktivitäten integrieren. Vertrauensbildende Maßnahmen und die Koordinierung der externen Unterstützung durch die UN Country Teams werden besonders hervorgehoben. Wichtig ist auch die Sicherung der Erfolge von Friedenseinsätzen, wenn diese zum Ende kommen und andere Akteure Verantwortung übernehmen (transition). 

Insofern bietet die Resolution auch gute Anknüpfpunkte für Deutschlands Bestreben, den Multilateralismus zu stärken. Denn wenn die angestrebten Veränderungen im UN-System greifen, wächst die potentielle Bedeutung der Vereinten Nationen als Umsetzungspartner und koordinierende Kraft für internationale SSG/R-Aktivitäten. Dies umso mehr, als die Resolution auch die Stärkung von regionalen Partnerschaften, so zwischen AU und UN, propagiert. 

Auch Deutschland sollte einen Governance-Ansatz und seine politische Einbettung deutlich priorisieren 

Nicht alles in der Resolution ist neu. Ein Meilenstein ist die starke Betonung der Governance und der politischen Einbettung von Reformen dennoch. Resolution 2553 wird damit zum Referenzdokument für internationale SSG/R-Aktivitäten – auch für jene, die zur Umsetzung der „Ressortgemeinsame[n] Strategie zur Unterstützung der Sicherheitssektorreform (SSR)“ der Bundesregierung erfolgen. 

Dabei bekräftigt die Resolution die Prinzipien, zu denen sich die Bundesregierung in ihrer Strategie bekannt hat. Gleichzeitig spitzt sie diese dahingehend zu, dass sie Governance und politische Einbettung als deutliche Prioritäten benennt. Diese Priorisierung sollten deutsche SSR-Akteure bei der Umsetzung und Überprüfung der Strategie berücksichtigen. 

Die Bundesregierung sollte in der Praxis auf Fehlentwicklungen schnell reagieren und nachhaltige Finanzierung gewährleisten 

Allerdings hat sich in der Vergangenheit die Förderung von Good Governance als eine der schwierigsten Zielsetzungen von SSR-Vorhaben erwiesen – vor allem in Ländern, die sich noch inmitten eines Gewaltkonflikts befinden (z.B. in Afghanistan oder Mali). Hier geraten externe Unterstützer immer wieder in die „Ertüchtigungsfalle“: Unter dem aktuellen Druck der Sicherheitsbedrohungen und im Angesicht wenig reformfreudiger lokaler Akteure wird die technische Ertüchtigung von Sicherheitsorganen zur Standardlösung. Angedockte Governance-Komponenten erfüllen eher die Funktion eines programmatischen Feigenblatts. Gegen dieses Dilemma bietet auch Resolution 2553 kein Patentrezept. Dieses gibt es auch nicht. Um ihm entgegenzuwirken, bleibt es deshalb wichtig, das Umfeld von SSR-Aktivitäten genau zu erfassen, seine Entwicklung laufend zu beobachten und auf Fehlentwicklungen schnell – und auch politisch – zu reagieren. 

Im März 2021 findet im Rahmen der deutschen SSR-Strategie die erste ressortgemeinsame Fortbildung statt. Sie soll deutsche SSR-Förderer dazu befähigen, zielführende Aktivitäten in einem multilateralen Umfeld zu entwickeln. Bei der Evaluierung des Pilotkurses wäre es wichtig zu bewerten, ob er eine ausreichend Hilfestellung für den praktischen Umgang mit den Governance-Herausforderungen geleistet hat. Praxisrelevant ist dabei auch die Frage, wie SSR-Aktivitäten eng und zeitnah mit einer politischen Begleitung verzahnt werden können und wie eine nachhaltige Finanzierung für den langjährigen Bedarf von Reformmaßnahmen ressortgemeinsam gewährleistet werden kann.

Dieser Beitrag bezieht sich auf ein aktuelles ZIF-kompakt „Governance und politische Einbettung: Neue UN-Resolution zu Sicherheitssektorreform und Friedensförderung.“

Vereinte Nationen Security Sector Reform Friedensförderung

Andreas Wittkowsky

Dr. Andreas Wittkowsky ist Leiter des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geförderten Projekts „Frieden und Sicherheit“ am Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin.