Wunsch und Wirksamkeit: Kernelemente einer deutschen SSR-Strategie 10. Juli 2018 · Andreas Wittkowsky Man kann dem Konfliktmanagement Deutschlands möglicherweise vieles vorwerfen – nicht aber, dass es übermäßig strategiefreudig ist. Die Absicht der Bundesregierung, eine ressortübergreifende Strategie zur Unterstützung von Sicherheitssektorreformen (SSR) zu erarbeiten, kann diese Lücke in einem äußerst sensiblen Handlungsfeld schließen. Debatten Sicherheitssektorreform Ideen für eine Strategie der Bundesregierung Ob wir es wollen oder nicht – auf Deutschland wird weiterhin größere Verantwortung zukommen, weltweite Krisen zu verhindern, Konflikte zu bearbeiten und Frieden zu fördern. Die Probleme wachsen, der Erfolgsdruck wird größer. Die Konflikte in anderen Teilen der Welt haben handfeste Konsequenzen auch bei uns und schlagen sich mittlerweile in den Wahlergebnissen nieder. Damit stellt sich auch die Frage der Wirksamkeit unseres Handelns neu. Die Stärkung des Sicherheitssektors in Partnerländern hat für das deutsche Konfliktmanagement an Bedeutung gewonnen – auch unter dem Stichwort „Ertüchtigung“. Die dahinterstehende Logik ist grundsätzlich richtig: Nur fähige lokale Sicherheitskräfte sind in der Lage, nachhaltig Sicherheit vor Ort zu schaffen. Doch es gibt ein großes Problem (und noch ein paar geringfügig kleinere): Ein UNDP-Bericht zu den Ursachen von Gewaltextremismus in Afrika bestätigte vor kurzem, dass es gerade die Übergriffe der Sicherheitsorgane sind, die junge Menschen in die Radikalisierung treiben. Diese einfach zu trainieren, sie besser auszurüsten und zu hoffen, am Ende käme mehr Sicherheit heraus, ist also gewagt. Gemeinsame Ziele, politische Reflexion Vor diesem Hintergrund kann man die Bedeutung einer ressortübergreifenden SSR-Strategie gar nicht unterschätzen. Dabei ist Deutschlands Engagement in Partnerländern nicht exklusiv, und in den seltensten Fällen führend. Der Normallfall ist vielmehr, dass die Maßnahmen der Bundesregierung Teil eines vielschichtigen internationalen Engagements sind. Es geht also nicht nur darum, wie die Ressorts zu einer gemeinsamen Zielsetzung kommen, sondern auch, wie sich der deutsche Beitrag international einordnet. Dabei ergibt sich auch die Frage, ob es komparative Vorteile gibt, auf die sich Deutschland konzentrieren möchte – und ob die komparativen Vorteile die richtige Antwort auf heutige Konfliktlagen sind. Um die Wirksamkeit des deutschen Engagements zu erhöhen, sollte eine SSR-Strategie drei Kernfragen beantworten: (1) Welche Ziele verfolgt Deutschland und wie ist mit Zielkonflikten umzugehen, damit sich der deutsche Beitrag wirksam in die internationale Arbeitsteilung einfügt? (2) Wie können Planung, Umsetzung und Monitoring konfliktsensibel gestaltet und politisch eingebettet werden? (3) Wie können die Ressorts die Umsetzung der SSR-Strategie gemeinsam nachhaltig begleiten? Die Eckpunkte einer SSR-Strategie hat die internationale Konferenz Security Sector Reform + Governance darüber hinaus schon deutlich herausgearbeitet, die das Auswärtige Amt und das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze 2015 gemeinsam organisiert haben. Um nur die wichtigsten in Erinnerung zu rufen: Das übergeordnete Ziel aller SSR-Bemühungen ist es, die Governance im Sicherheitssektor zu verbessern. Dadurch sollen seine Angehörigen befähigt werden, die Sicherheit der Bevölkerung nachhaltig zu gewährleisten; im Zentrum steht die Menschliche Sicherheit (Human Security). Reformen sind langwierig, nicht frei von Rückschlägen und Zielkonflikten; sie erfordern ein langfristiges, selbstreflexives Engagement externer Unterstützer. Änderungen in der Sicherheitsarchitektur eines Landes sind oft zutiefst politisch und berühren den Kern gesellschaftlicher Machtstrukturen. Technische Maßnahmen allein greifen zu kurz; sie müssen politisch eingebettet und begleitet werden. Das Leitmotiv lautet: keine Stärkung von Kapazitäten, ohne die Gestärkten in die Verantwortung zu nehmen. Selten ist das Umfeld günstig für eine geschmeidige Umsetzung von SSR-Programmen. Aus der Entwicklungszusammenarbeit ist bekannt, dass erfolgreiche Maßnahmen Reformwillen und Ownership vor Ort erfordern. Dass dies bei Schlüsselakteuren gleichzeitig und dauerhaft vorliegt, ist eher die Ausnahme. Es geht weniger um das Was als um das Wie – um eine stringente, konfliktsensible Prozessgestaltung. Um die eigenen Erfolgsaussichten zu erhöhen, ist es deshalb nötig, konfliktsensibel und flexibel mit den Akteuren und ihren Interessen umzugehen. Dabei ergeben sich aufgrund verschiedener Zeithorizonte Zielkonflikte. Was kurzfristig angemessen und machbar erscheint, hat möglicherweise längerfristig negative Folgen. Anpassungsfähige Prozesse Für den richtigen Instrumentenmix gibt es keine Blaupause. Trotzdem kann eine SSR-Strategie mehr leisten, als den verfügbaren Instrumentenkasten aufzulisten. Es geht weniger um das Was als um das Wie – um eine stringente, konfliktsensible Prozessgestaltung. Denn falsch verstandene Flexibilität droht in Beliebigkeit abzugleiten. So sind gute Antworten gesucht auf folgende Fragen: Wo und wie können die Ressorts die Debatte über Ziele, Zielkonflikte, konfliktsensibles Vorgehen und die politische Einbettung der Maßnahmen gemeinsam führen? Was ist notwendig, um SSR-Maßnahmen politisch einzubetten und Fehlentwicklungen entgegenzuwirken? Wie müssen Instrumente und Finanzierungsmodi fortentwickelt werden, um sich an unvorhergesehene Entwicklungen anpassen zu können? Und wie können die Prozesse besser institutionalisiert werden? Dies alles erfordert zunächst Investitionen in die ressortübergreifende "Steuerungsarchitektur" in Deutschland - in Institutionen, Instrumente, Verfahren. Es sind Investitionen, die sich lohnen. Denn wenn SSR-Maßnahmen kontraproduktiv sind, steht viel auf dem Spiel. Einige Investitionsobjekte sind nicht neu, doch noch nicht zufriedenstellend bearbeitet. Die Stichworte lauten ressortübergreifende Konfliktanalyse, Monitoring und Evaluierung. Gelingt es, das sogenannte „Do No Harm“-Prinzip ressortübergreifend als Standard für SSR-Maßnahmen und -Programme verbindlich festzulegen, wäre dies ein qualitativer Quantensprung. Vor allem aber gilt es, Unkenrufen vorzubeugen, die SSR-Strategie würde schnell in den Schubladen verschwinden. Denn sie ist eine wichtige Chance, den politischen Wunsch in bessere Wirkung zu übersetzen. Ein ehrgeiziger Aktionsplan, der ressortübergreifend nachgehalten wird (z.B. in der bereits eingerichteten AG SSR), ist das beste Gegenmittel. Debatten Sicherheitssektorreform Ideen für eine Strategie der Bundesregierung Security Sector Reform Politikkohärenz Friedensförderung Andreas Wittkowsky Dr. Andreas Wittkowsky ist Leiter des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geförderten Projekts „Frieden und Sicherheit“ am Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin.
Artikel Sicherheitspolitische Verengung verspielt das Potenzial des SSR-Konzepts Eine strategische Neuausrichtung von SSR darf nicht zu Lasten des Ziels gehen, Sicherheits- und Entwicklungspolitik zu Gunsten menschlicher Sicherheit zu koordinieren. Hierfür müsste die Bundesregierung Projektlaufzeiten deutlich verlängern, lokale Kontexte der Partnerländer ernster nehmen und auf einseitige Prioritäten zu Gunsten der materiellen „Ertüchtigung“ staatlicher Sicherheitsorgane verzichten. Sabine Mannitz • 07. Juni 2018
Artikel Wer strategisch reformieren will, muss ressortgemeinsam planen Strategische Reformvorhaben im Sicherheitsbereich sollten gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und demokratische Kontrolle stärken, um nachhaltig erfolgreich zu sein. Doch das deutsche SSR-Engagement weicht zu oft von diesen Prinzipien ab. Die Bundesregierung muss endlich ressortgemeinsam planen sowie die nötigen Ausbildungs- und Analysekapazitäten schaffen. Ursula Schröder • 06. Juni 2018
Artikel Politik- statt Turnstunde: Wie SSR und Ertüchtigung strategischer werden können Sowohl Fähigkeitsaufbau als auch Reform im Sicherheitssektor berühren die Verteilung der Macht über die Instrumente der Gewalt im Partnerland. Beides kann nur Erfolg haben, wenn die Bundesregierung ihre Projektinstrumente in politische Strategien für die einzelnen Länder einbettet. Dann könnte sie auch zivilgesellschaftliche Instrumente besser nutzen, um echte Reformen zu fördern. Philipp Rotmann • 14. Juni 2018