Friedensmediation: Deutschlands Ass im Ärmel

08. Mai 2018   ·   Almut Wieland-Karimi

In der Friedensmediation ist Deutschland ein Schwergewicht mit schlummernden Potenzialen. Um diese voll auszunutzen, sollte die Bundesregierung ihre Netzwerke effektiver nutzen, Mediationsprozesse langfristig finanzieren, auch unliebsame Verhandlungspartner einbeziehen, Kapazitäten für Mediation ausbauen und ihren Einsatz für den Frieden besser kommunizieren.

Die deutsche Außenpolitik verfügt über ungenutzte Potenziale – und zwar in der Mediation und der Mediationsunterstützung. Deutschland genießt weltweites Ansehen als ehrlicher Vermittler und Makler. Diese Potenziale benötigt die Bundesregierung, wenn sie tragfähige politische Lösungen und Transformationsansätze für die steigende Zahl an Konflikten und Kriegen entwickeln möchte.

Früh hat die deutsche Politik die Bedeutung des zivilen Krisenmanagements erkannt und die eigenen Kapazitäten in diesem Bereich weiterentwickelt. Und Deutschland möchte sich noch stärker international und friedenspolitisch engagieren, wie etwa der „Review“-Prozess zur deutschen Außenpolitik im Jahr 2014 oder die 2017 von der Bundesregierung verabschiedeten Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ untermauern.

Bei der Friedensmediation und Mediationsunterstützung agieren wir allerdings nach wie vor zurückhaltend. Dabei wäre jetzt der Moment, unsere Trümpfe auszuspielen. Wir sollten der (wiederaufkommenden) kriegerischen Konfliktaustragung auf internationaler Ebene die Macht der Diplomatie und der Verhandlungslösungen entgegenstellen. Dabei geht es nicht um Streichelzoo und Harmonielehre, sondern um die hohe Kunst der Vermittlung und die Fähigkeit zum Austarieren von Interessen und Kompromissen.

Deutschlands schlummernde Potenziale liegen in der Track 1-Diplomatie

Zurzeit beteiligen wir uns bei der Mediation in Konfliktregionen insbesondere durch unterstützende Maßnahmen auf „Track 2“ oder „Track 3“, also Dialogformate, Trainings etc. mit gesellschaftlichen Führungspersönlichkeiten und der Zivilgesellschaft. Dazu gehört beispielweise auch die finanzielle Förderung wichtiger Nichtregierungsorganisationen, wie der Berghof Foundation und des Centre for Humanitarian Dialogue.

Die schlummernden Potenziale – unsere „Asse im Ärmel“ – liegen im Bereich des „Track 1“, also den hochrangigen Verhandlungen mit politischen und militärischen Führungspersönlichkeiten. Und hier insbesondere in der Verknüpfung mit den anderen Mediationsbemühungen, also einem Multi-Track-Ansatz. Dabei können wir auf Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit aufbauen: etwa die Vermittlungsbemühungen im Konflikt in der Ukraine durch Bundeskanzlerin Angela Merkel und den damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier sowie die europäische und auch deutsche Rolle bei der Aushandlung des Atom-Abkommens mit dem Iran.

Diese fünf Aspekte sollte die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode angehen, um Deutschlands Rolle in der internationalen Friedensmediation auszubauen:

Deutschland ist auf allen Ebenen hervorragend vernetzt

Für ein effektives Engagement braucht es erstens mögliche Eintrittspunkte („entry points“) in die Friedensmediation. Derer gibt es viele, nicht zuletzt unsere Botschaften in Krisen- und Konfliktstaaten kennen sie aus ihrer täglichen Arbeit.

Ein Beispiel ist Deutschlands Vorsitz in der Internationalen Kontaktgruppe Afghanistan: Die afghanische Regierung hat den Aufständischen ein umfassendes Friedensangebot unterbreitet. Wir gelten als einer der wenigen vertrauenswürdigen Vermittler im Land. Zudem gibt es erfolgreiche deutsche und europäische Aktivitäten auf den Track 2- und Track 3-Ebenen am Hindukusch, mit denen Synergien geschaffen werden könnten. Hier sollten wir einen Trumpf ausspielen.

Welchen Mehrwert hat unser Engagement? In einem breiten Feld an Akteuren muss unsere Vermittlung etwas anbieten und schaffen können, was andere in der Konflikttransformation nicht leisten. Schlagworte sind hierbei: Deutschlands wirtschaftliche Stärke und politisches Gewicht, multilaterales Engagement vor allem im finanziellen Bereich sowie gute Partnernetzwerke aufgrund der jahrzehntelangen Arbeit von Diplomatie, politischen Stiftungen und der Entwicklungs­zusammenarbeit. Die Bundesregierung sollte auch die lokalen und/oder regionalen Vermittlungs­bemühungen berücksichtigen und Kohärenz zwischen den geförderten Tracks 2 und 3 mit den Track 1-Verhandlungen herstellen.

Mediationsprozesse langfristig finanzieren

Zweitens ist es unerlässlich, dass die neue Bundesregierung ihr Engagement im Bereich der Friedensmediation in ein langfristiges Konzept einbettet. Für Mediationsprozesse sollte sie überjährige und mehrjährige Mittel zur Verfügung stellen, auch wenn es haushaltstechnisch eine Herausforderung ist. Denn: Wann ein Waffenstillstand oder ein Friedensabkommen geschlossen werden kann, richtet sich nicht nach Zeitleisten und Fiskaljahren, sondern nach konkreten politischen Gelegenheiten und Gegebenheiten. Nicht zur Abschreckung, aber erwähnenswert: Der Friedensprozess in Kolumbien hat fünf Jahrzehnte gedauert.

Um eine effektive Nutzung der Finanzmittel zu sichern, sollten diese mit anderen Handlungsfeldern verknüpft werden – insbesondere mit der bi- und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Hier kann Deutschland auf jahrzehntelang gewachsene Strukturen aufbauen. Auch der neue Bericht ‚Pathways to Peace‘ der Vereinten Nationen und der Weltbank mahnt die Verknüpfung von Entwicklung und Prävention an, um Gewaltkonflikte zu vermeiden.

Diversität – bei Gesprächspartnern und im eigenen Team

Friedensmediation kann, drittens, nur dann erfolgreich sein, wenn sie vielfältige Interessenslagen berücksichtigt. Die Bundesregierung sollte auch unliebsame Verhandlungspartner einbeziehen wie gewalttätige nichtstaatliche Gruppen, beispielsweise Djihadisten im Nahen Osten. Denn Frieden kann man nur mit seinen Feinden schließen.

Wichtig sind auch marginalisierte Akteure: Nicht zuletzt Frauen aus den Konfliktländern gehören in viel stärkerem Maße als bisher an die Verhandlungstische.

Diversität als Maxime gilt dabei natürlich ebenso für Mediationsteams selbst. Waren zwischen 1992 und 2011 nur zwei Prozent der Mediatoren weiblich, gibt es inzwischen wichtige Netzwerke wie das Nordic Women Mediator Network oder FemWise-Africa, einer Initiative der Afrikanischen Union. Zudem sollten die Teams nicht nur aus Diplomat/innen bestehen, sondern auch aus Abgeordneten, Mediationsexpert/innen, Wirtschaftsvertreter/innen und anderen.

Rotationssystem für Diplomat/innen mit Mediationstätigkeit aussetzen

Viertens bedürfen neue Aufgaben manchmal auch neuer Strukturen. In der Abteilung S (für „Stabilisierung“) im Auswärtigen Amt entsteht gerade ein Mediationsteam. Ein verstärktes Mediationsengagement sollte aber auch Konsequenzen für die Personalpolitik und -entwicklung haben. Über den gezielten weiteren Ausbau der Kapazitäten von Attachés bis zu Altgedienten hinaus: wie wäre es, das Rotationssystem für Diplomaten mit Mediationstätigkeit auszusetzen? Außerdem brauchen wir eine einsatztüchtige „Werkzeugkiste“ an Handlungsansätzen und -strategien, um die Kohärenz mit anderen internationalen Mediationsakteuren und deutschen bi- und multilateralen Ansätzen zu stärken. An Instrumenten seien hier beispielsweise Konfliktanalysen, inklusive Vermittlungstechniken, Akteursmappings oder die Verzahnung von Multi-Track-Ansätzen genannt. Dazu müssen wir aber zunächst unsere strategischen Interessen, thematisch und regional, sowie unseren komparativen Vorteil formulieren, die Finanzierung sicherstellen und geeignetes Personal schulen und vorbereiten. Dann können wir uns international mit Partnern in Mediationsprozessen austauschen, absprechen und Verantwortung übernehmen.

Die Bevölkerung unterstützt den Einsatz für den Frieden

Krisenprävention und damit auch Mediationsprozesse laufen schließlich oftmals lautlos im Hintergrund und abseits der Öffentlichkeit. Denn es ist wichtig, dass Vertrauen aufgebaut wird zwischen politischen Kontrahent/innen bzw. möglichen Verhandlungspartner/innen, aber auch zu den Mediator/innen – was nicht in die Öffentlichkeit gehört. Dennoch sollte die Bundesregierung künftig die Kommunikation über das friedenspolitische und krisenpräventive Engagement „nach außen“ in die deutsche Bevölkerung stärker mitdenken und umsetzen. Denn der Einsatz für den Frieden findet breite Unterstützung, wie Umfragen etwa seitens der Körber-Stiftung belegen.

Deutschland kann die Mediationserfahrungen und -bemühungen „klassischer Vermittlerstaaten“ wie der Schweiz, Norwegens, Schwedens und Finnlands sowie internationaler Organisationen ergänzen. Unser Trumpf ist die Kooperation mit all diesen Vermittlungsakteuren als politische und wirtschaftliche Mittelmacht, die Gewicht in die Verhandlungen einbringt. Dies wäre auch ein wichtiger und sichtbarer Schritt, um der Aushöhlung des Multilateralismus vorzubeugen, wovor Außenminister Heiko Maas jüngst in einem Interview mit dem Spiegel warnte.

Deutschland ist mit seiner Verpflichtung zur Stärkung des zivilen Krisenmanagements und der Umsetzung eines vernetzten Ansatzes auf dem richtigen Weg. Nun ist es wichtig, auch eine Stimme zu finden, um in Konflikten weltweit aktiv und lösungsorientiert mitzureden. Umso mehr, wenn wir aller Voraussicht nach 2019/2010 mit am Tisch des VN-Sicherheitsrats sitzen werden: es ist an der Zeit, unser Ass aus dem Ärmel zu holen.