Liberale Weltordnung verteidigen: Wir haben genug gefordert, lasst uns handeln!

13. September 2018   ·   Ulrich Lechte

Es ist Zeit für ein selbstbewusstes Engagement Deutschlands in den Vereinten Nationen: in Entwicklungszusammenarbeit und Bundeswehr investieren, substantiell mehr Personal für Friedenseinsätze stellen, Reformen des Sicherheitsrates und der Managementstrukturen vorantreiben und humanitäre Hilfe noch besser finanzieren.

Mit dem Einzug Deutschlands in den UN-Sicherheitsrat stellt sich die Frage, welche Rolle Deutschland zukünftig weltpolitisch einnehmen möchte. Der schrittweise Rückzug der USA hinterlässt ein Vakuum, welches gefüllt werden muss. Insbesondere die Vereinten Nationen leiden dabei kräftig unter dem abrupten Politikwechsel der USA: Weg vom Multilateralismus – hin zur bilateralen Deal-Making-Politik. Dies stärkt letztlich die Akteure in der UN, die mit der liberalen Weltordnung wenig am Hut haben. Während die Aufmerksamkeit auf den USA liegt, untergraben China und Russland still und heimlich die UN, beispielsweise mit geplanten Jobkürzungen im Bereich der Menschenrechte in Friedensmissionen. Unabhängig davon, ob Donald Trump eine zweite Amtszeit antreten wird: die derzeitige Geringschätzung der Vereinten Nationen bleibt. Mächte wie China und Russland werden nicht zögern und weiter ihre eigenen Ziele vorantreiben. Dies ist nicht in unserem Sinne. Es geht um die regelbasierte Weltordnung, in der die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren gilt. Diese zu verteidigen, muss für uns oberste Priorität haben.

Umdenken in Berlin: Mut zur Verantwortung, Einsatz für Europa, Investitionen in Sicherheit

Deutschland kann und sollte das von den USA hinterlassene Vakuum füllen – aber Deutschland muss das auch wollen. Als viertgrößter Beitragszahler der UN hat Deutschland allen Grund selbstbewusst auf dem internationalen Parkett zu agieren. Dies sollte Deutschland in den kommenden zwei Jahren als nicht-ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat auch tun. Schon bei seinen letzten Engagements als nicht-ständiges Mitglied hat Deutschland unter Beweis gestellt, dass es internationale Diplomatie auf höchster Ebene gekonnt beherrscht. So wurde beispielsweise während der deutschen Präsidentschaft im Sicherheitsrat 2011 und auf Initiative Deutschlands Resolution 1998 zum besseren Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten einstimmig verabschiedet. Dieses konstruktive Verhalten bescherte uns großes Vertrauen der anderen Mitgliedstaaten.

Deutschland muss mehr Verantwortung übernehmen. Guter Wille und Absichtserklärungen reichen jedoch nicht aus, um die liberale Weltordnung zu verteidigen. Auf Worte müssen Taten folgen. Auf diplomatischer Ebene muss Deutschland Position beziehen, Partner suchen und Initiativen mit breiter Unterstützung vorantreiben. Das gute Verhältnis zu Frankreich könnte hierbei eine Schlüsselrolle einnehmen, um nötige Unterstützung von einem der ständigen Mitgliedstaaten im Hintergrund zu erreichen. Darüber hinaus sollten die EU-Mitgliedstaaten an einen Strang ziehen. Deutschland muss sich für ein kohärenteres europäisches Handeln einsetzen, um gemeinsame Interessen in der Außen- und Sicherheitspolitik bei den UN besser durchsetzen zu können.

Deutschland muss nicht nur sichtbare Präsenz auf dem diplomatischen Parkett zeigen, sondern sich auch in der praktischen Umsetzung bewähren. Als Mitglied im UN-Sicherheitsrat entscheiden wir über die Mandate der jeweiligen Friedenseinsätze. Wir dürfen diese nicht nur beschließen und andere für uns die Kastanien aus dem Feuer holen lassen. Wir müssen auch selbst in der Lage sein, einen substantiellen Beitrag für Friedensmissionen zu leisten. Dazu sollte die Bundesregierung erstens die nötigen Investitionen im Verteidigungs- und Entwicklungsbereich aufbringen. So müssen z.B. Streitkräfte ausgebaut werden. Zweitens sollte sich Deutschland verstärkt in UN-Friedenseinsätze engagieren, in dem es mehr Soldaten, Polizisten und zivile Helfer zur Verfügung stellt. Deutschland muss nicht nur auf nationaler Ebene investieren, sondern sollte auch höhere Finanzmittel für die UN bereitstellen. Deutschland sollte damit nicht bis zur SR-Mitgliedschaft in 2019 warten, sondern jetzt schon die Voraussetzungen schaffen, um einen gelungenen Start hinzulegen.

Reformen in New York: Sicherheitsrat und Managementstrukturen

Durch die sich verändernde internationale Ordnung – weg von einer hegemonialen und hin zu einer multipolaren Weltordnung – wird die Macht der Vereinten Nationen in Kriegsfällen oft überbewertet. So sind die Kapazitäten für Peacemaking insbesondere bei Konflikten, bei denen einer der Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat eigene Interessen verfolgt, gelinde gesagt, beschränkt. Letztlich ist es machtpolitische Realität, dass der Sicherheitsrat auf absehbare Zeit handlungsunfähig bleibt, wenn sich die Veto-Mächte uneinig sind – wie z.B. im Falle Syriens, bei dem Russland jegliche Sanktionen und Resolutionen blockiert. Die eigentlichen Stärken der Vereinten Nationen werden aber oft verkannt. Diese liegen nämlich nicht auf dem Gebiet des Peacemaking, sondern in der Krisenprävention und auf dem Gebiet des Peacekeeping.

Ziel deutscher Außenpolitik muss es sein, geschickt zu handeln, um die im Weltsicherheitsrat vertretenen Parteien an den Tisch zu bringen und Lösungen zu finden. Deutschland muss sich gerade auf den Gebieten stark machen, auf denen ein Veto abwendbar ist. Bei bereits entbrannten Konflikten wird der UN-Sicherheitsrat, aufgrund der möglichen Pattsituation, immer wieder an seine Grenzen stoßen. Wenn Krisen hingegen frühzeitig erkannt werden können und die Fronten noch nicht so verhärtet sind, dann sind die Chancen wesentlich höher, eine konstruktive Lösung zu erreichen und die Vetomächte von der Nutzung Ihres Vetos abzuhalten.

Deutschland sollte Diskussionen neu beleben und neue Impulse setzen. Die ins Stocken geratenen Verhandlungen um die Reformierung des UN-Sicherheitsrates müssen beispielsweise angegangen werden. In seiner jetzigen Form spiegelt der Rat die politischen Verhältnisse von 1945 wieder und braucht dringend Anpassungen, um handlungsfähig und repräsentativ zu bleiben. So sollten wir uns beispielsweise für einen europäischen Sitz und für eine bessere Repräsentanz von Afrika einsetzen.

Die eigentliche Arbeit liegt aber zumeist in den Hauptorganen – denen öffentlich nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird – und den Sonderorganisationen der Vereinten Nationen. Das bedeutet für Deutschland viel Stellschraubenarbeit: Letztlich müssen auch die internen Strukturen der Vereinten Nationen verbessert werden. Denn der Erfolg der Vereinten Nationen misst sich an der Effektivität und Effizienz seiner Maßnahmen zur Krisenprävention, der Friedenssicherung und der Friedenskonsolidierung. Eine Management-Reform mit dem Abbau von Doppelstrukturen und Mandatsüberschneidungen, die Gewährleistung finanzieller und materieller Ausstattung durch die Mitgliedstaaten, und damit die Erhöhung der Funktionsfähigkeit, würden die Schlagkraft der UN insgesamt verbessern.

Letztlich muss der Multilateralismus wieder attraktiver werden, insbesondere in einer Zeit, in der Einzelstaatlichkeitsdenken wieder mehr Raum gewinnt. Die großen Aufgaben unserer Zeit können nur gemeinsam und nicht allein bestritten werden: Dieses Bewusstsein muss auch durch Mittel der Public Diplomacy national wie international geschaffen werden.  

Menschenrechte, Schutzverantwortung und humanitäre Hilfe

Menschenrechte zu verteidigen und den Schutz des Individuums sicherzustellen, sollte unsere oberste Priorität sein. Jeglichen Versuchen, deren Anwendbarkeit zu relativieren, muss widerstanden werden. Denn jeder Angriff auf die Rechte des Einzelnen ist letztlich ein Angriff auf die Freiheit der Gesellschaft in Gänze. Aus diesem Grund gehört zur Verteidigung von Menschenrechten auch die Stärkung der Schutzverantwortung (engl.: Responsibility to Protect, R2P): Es reicht nicht, wenn Menschenrechte nur auf dem Papier existieren. Staaten müssen auch ihre Verantwortung zum Schutze der Menschen vor schweren Menschenrechtsverletzungen wahrnehmen. Wenn Staaten nicht in der Lage oder willens sind, ihre Bevölkerung vor Gräueltaten zu schützen, dann muss die internationale Staatengemeinschaft helfend einspringen. Das ist die Idee hinter dem Konzept der Schutzverantwortung. Zu oft wird die R2P aber auf militärische Interventionen reduziert. Dabei werden die Fälle übersehen, bei denen durch humanitäre Hilfe Leben gerettet werden kann. Darauf sollte die Bundesregierung einen stärkeren Fokus legen, denn humanitäre Hilfe genießt eine höhere internationale Akzeptanz als militärische Interventionen.

Daher sollte die Bundesregierung ihre eingegangenen Verpflichtungen vom humanitären Weltgipfel 2016 in Istanbul erfüllen – und ihre nicht-zweckgebundenen Beiträge erhöhen. Insbesondere sollte der UNHCR durch mehr nicht-zweckgebundene Mittel ausgestattet werden. Neben den oft unregelmäßig eintreffenden Zahlungen, erschweren die Zweckbindungen die Arbeit des UNHCR in der schnellen Krisenhilfe enorm. In Folge einer besseren und flexibleren finanziellen Ausstattung könnte der UNHCR effizienter arbeiten und gleichzeitig besser und schneller auf akute Krisen reagieren. Die Umsetzung solcher Vereinbarungen ist ein Gradmesser dafür, ob Deutschland ernsthaft daran interessiert ist, die regelbasierte liberale Weltordnung zu bewahren oder nicht.

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Ulrich Lechte

Ulrich Lechte (FDP) ist Mitglied des Bundestags und Vorsitzender im Unterausschuss Vereinte Nationen, internationale Organisationen und Globalisierung.