Kein Rechtsstaat ohne Antikorruption und Integrität in der Justiz

10. April 2019   ·   ​Florian Stolpe

Erst eine funktionierende, unabhängige und unbestechliche Justiz kann gewährleisten, dass (nicht)staatliche Akteure sich an geltendes Recht halten. Wirksame und nachhaltige Methoden, um Korruption in der Justiz zu bekämpfen, sind u.a. Systeme der Checks and Balances sowie zur Stärkung der Transparenz in der Justiz und ihre Kontrolle durch eine freie Presse.

Debatten

in Zusammenarbeit mit dem RSF-Hub der Freien Universität Berlin

Wenn Gerichtsentscheidungen geltendes Recht missachten und der Zugang zu Recht vom wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Status einer Person abhängt, dann wird die Justiz zum Teil des Problems. In Staaten mit einer schwachen Gerichtsbarkeit werden Rechtsgüter, wie z.B. Rechte auf politische Mitbestimmung, ökonomische und soziale Teilhabe, die körperliche Unversehrtheit oder der Schutz vor willkürlicher Verhaftung, häufig missachtet. Anstatt dass alle Bürger*innen ihre Rechte geltend machen können, regiert das Recht des Stärkeren, Mächtigeren und Reicheren. Dass sie dann Alternativen zur gerichtlichen Konfliktschlichtung suchen und letztendlich die Legitimität staatlicher Institutionen in Frage stellen, ist daher wenig überraschend. Häufig ist fragile Staatlichkeit die Folge.

Durch Korruption werden Gesetze bedeutungslos

Wer Rechtsstaatlichkeit stärken will, muss Korruption in allen Sektoren bekämpfen. Denn wie Daniel Heilmann zutreffend geschrieben hat, bedingen sich Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung gegenseitig. Der Justiz kommt eine doppelte Aufgabe zu: den Kampf gegen Korruption in Staat und Gesellschaft zu bestreiten und dabei auch über ihre eigene Integrität zu wachen. Nur eine Justiz, die selbst die Einhaltung von Integritätsstandards vorlebt, kann ein starker Akteur für effiziente Korruptionsbekämpfung in anderen Sektoren sein. 

Eine korrumpierte Justiz bedeutet, dass Gesetze bedeutungslos werden und letztendlich Rechtsunsicherheit herrscht – das Gegenteil des Rechtsstaates. Fehlende Rechtssicherheit führt unweigerlich auch dazu, dass die Attraktivität eines Landes für (gerade in post-Konflikt- und aufstrebenden Volkswirtschaften so notwendige) Investitionen erheblich leidet. Die Rechtsstaatsstrategie der Bundesregierung muss sich daher auch der Bedeutung der Unabhängigkeit und Integrität der Justiz annehmen.

Maßnahmen, die die Integrität im Justizsektor stärken, ermöglichen nicht nur die Bekämpfung von alltäglicher Korruption, etwa von „Beschleunigungsgeldern“. Es geht auch darum, korrupte Netzwerke aufzubrechen, die politische Korruption und state capture erst ermöglichen. Gerade diese korrupten Netzwerke – aufbauend auf Nepotismus, Klientelismus und Patronage – sind es, die wirtschaftliche Ungleichheiten verstärken, ganze Bevölkerungsgruppen von politischer Mitbestimmung und dem Zugang zu Recht ausschließen und so schlussendlich Konfliktursachen verstärken. Strafverfolgungsbehörden und Gerichte können diejenigen Akteure zur Rechenschaft ziehen, die auf Kosten der Allgemeinheit Regeln missachten und in die eigene Tasche wirtschaften. 

Bei der Verfolgung von Korruption muss die Justiz jedoch unparteiisch und fair vorgehen und darf nicht selber in einem Netz von Bestechungen verfangen sein. Tut sie dieses nicht, geht Glaubwürdigkeit verloren, wie Lothar Jahn treffend klarstellt. Die hybriden, national-internationalen Missionen zur Stärkung der Justiz und Bekämpfung von Korruption und Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) und Honduras (MACCIH) tragen diesem Umstand Rechnung. In solchen Missionen könnte sich Deutschland verstärkt engagieren.

Schwächen gründlich analysieren und Stärken sinnvoll fördern

Die deutsche Bundesregierung fördert Initiativen zur Stärkung von Integrität in der Justiz seit vielen Jahren. Seit 2005 wird beispielsweise die Judicial Integrity Group (JIG) unterstützt, eine selbstorganisierte, internationale Gruppe hochrangiger Richter*innen. Die JIG hat unter anderem die Bangalore Principles of Judicial Conduct erarbeitet, eine Sammlung weit verbreiteter und international anerkannter ethischer Grundsätze für die Arbeit von Richter*innen. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat die Ausarbeitung dieser Prinzipien sowie die Umsetzung des Artikels 11 der UN Convention against Corruption zu Justiz unterstützt. In diesem Rahmen wurde ein Analysewerkzeug („Judicial Integrity Scan“) entwickelt, um Reformbedarfe zur Stärkung nationaler Integritätssysteme für die Justiz zu identifizieren und darauf aufbauende Maßnahmen zu erarbeiten.

Eine solche Untersuchung könnte durchaus auch Bestandteil der Orientierungs- und Analysephase vor neuen Rechtsstaatsprogrammen in fragilen Kontexten sein, wie sie mein Kollege Jens Deppe fordert. In einigen Ländern führte die Umsetzung der Empfehlungen des Scans zu Fortschritten in den jeweiligen Justizsektoren: In Georgien wurde die übersetzte Kommentierung der Bangalore Principles weit verbreitet, was sich auf die 2017 verabschiedete Justizreform auswirkte; in Kirgisistan kann die Justiz durch Medientrainings für Richter*innen, Pressesprecher*innen und Journalist*innen nun leichter mit der Öffentlichkeit in den Dialog treten; in der Mongolei wurde die Versetzung und Entlassung von Justizpersonal genauer geregelt, um willkürliche Disziplinarmaßnahmen gegen engagierte Richter*innen zu erschweren.

Nicht nur Deutschland hat erkannt, wie wichtig Integrität im Justizsektor ist. Das United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) gründete 2018 das Global Judicial Integrity Network (GJIN), um dieses Themenfeld gemeinsam mit Richter*innen aus aller Welt zu bearbeiten. Auch Mechanismen wie CICIG und MACCIH sind aus dieser Erkenntnis heraus entstanden. Es besteht also durchaus Potenzial für Kooperation mit internationalen Organisationen, um gemeinsam und koordiniert die Antikorruptionssysteme von Staaten zu stärken, die von Krisen betroffen sind.

Insgesamt sollten sich die verschiedenen Geber, Akteure und Projekte besser abstimmen, gemeinsame Analysen durchführen sowie ihre Ansätze zur Rechtsstaatsförderung und Antikorruption kohärenter gestalten. Ansonsten können sie kaum konkrete Ergebnisse erreichen. Regelmäßige (informelle) Austauschrunden der internationalen Akteure über ihre entsprechenden Aktivitäten könnten den Informationsfluss erleichtern, Synergien schaffen und Foren etablieren, in denen auch über eine tatsächliche „collective donor response“ bei Korruptionsfällen gesprochen werden kann. Insbesondere wenn Budgethilfe geleistet werden soll, ist eine solche Abstimmung auf der politischen Ebene sinnvoll. In internationalen Foren werden derzeit auch Handlungsempfehlungen für Projektmitarbeiter*innen bei Korruptionsfällen diskutiert, die zur Kohärenz beitragen sollen.

Ein Beispiel auf Projektebene wäre eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen der deutschen Rechtsstaatsförderung in Afghanistan mit den dortigen UNODC Projekten, die u.a. an der Stärkung des Anti-Corruption and Justice Center arbeiten. Deutsche Akteure könnten auch an der Einführung elektronischer Fall-Management-Systeme (so wie in Nigeria) arbeiten oder Trainingskurse zu Justizethik fördern. Ein weiterer möglicher Ansatz ist die Förderung von Peer-to-Peer Netzwerken zwischen Richter*innen zu den Themen Unabhängigkeit und Integrität sowie den hierfür notwendigen rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen. Dass Korruption in der Justiz wirksam und nachhaltig bekämpft werden kann, wird an Beispielen wie Botswana, Ruanda oder Singapur deutlich. Diese Länder haben nachhaltig wirksame Reformen umgesetzt, indem sie Systeme der Checks and Balances sowie zur Stärkung der Transparenz in der Justiz eingeführt und ihren Bürger*innen sowie der Presse eine Wächterfunktion einräumt haben.

Fehlende Integrität wirkt sich auf SSR und Vergangenheitsbewältigung aus

Integrität in der Justiz ist nicht nur für die Rechtsstaatsstrategie relevant, sondern berührt auch die Interventionsebenen der anderen beiden Strategien im Leitlinienprozess der Bundesregierung. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die Ausstrahlungswirkung fehlender Integrität auf Vergangenheitsbewältigung und Rechenschaft im Sicherheitssektor verdeutlicht:

  • Die juristische und strafrechtliche Aufarbeitung von Gräueltaten in Bürgerkriegen ist aus Perspektive des Menschenrechtsschutzes obligatorisch, aber häufig eine politische Entscheidung. Die nationale, und gegebenenfalls auch hybride, Übergangsjustiz baut grundsätzlich darauf auf, dass es Richter*innen gibt, die mit diesen Fällen betraut werden können. Wenn sich Angeklagte ein positives Urteil kaufen können, ist eine Vergangenheitsbewältigung durch Gerichte schlicht unmöglich.
  • Reformen des Sicherheitssektors nach Bürgerkriegen sollen unter anderem die zivile Kontrolle über Sicherheitsbehörden wiederherstellen. Dabei sollte ein Aspekt die effektive Verfolgung und Sanktionierung von Verstößen gegen Regeln und Gesetze sein. Bei schwerwiegenden Verstößen müssen die Beschuldigten dienst- und auch strafrechtlich belangt werden können. Ohne integre Justiz kann weder den Beschuldigten noch den Opfern ein fairer Prozess angeboten werden. Eine effektive Kontrolle des Sicherheitssektors kann so nicht stattfinden.

Kein Rechtsstaat ohne Antikorruption und Integrität in der Justiz

Ein Rechtsstaat kann nur entstehen, wenn das gesamte Justizwesen – Gerichtsbarkeit, Staatsanwaltschaft, Strafvollzug und Justizverwaltung – unabhängig, unbestechlich und funktional eingerichtet ist. Daher muss eine sinnvolle Rechtsstaatsförderung auch immer Elemente enthalten, die Unabhängigkeit und Integrität in der Justiz fördern. Die Förderung der Justiz – einschließlich der zur Korruptionsbekämpfung eingesetzten Ermittlungsorgane (z. B. Nationale Antikorruptions-Behörden oder Kommissionen) – sollte deshalb einen zentralen Bestandteil der Strategie zur Rechtsstaatsförderung darstellen.

Debatten

in Zusammenarbeit mit dem RSF-Hub der Freien Universität Berlin

Rechtsstaatsförderung

​Florian Stolpe

Florian Stolpe ist Politikberater für Antikorruption in der Abteilung Global Policy, Governance bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Dieser Beitrag gibt lediglich seine persönliche Meinung wieder.