Warum das deutsche Recht nicht exportfähig ist

09. April 2019   ·   Kilian Bälz

Die Rechtsstaatsförderung braucht einen Paradigmenwechsel. Das deutsche Recht ist nicht exportfähig. Verfassungsberatung und hochrangige Konferenzen bleiben wirkungslos. Die Bundesregierung sollte in der internationalen juristischen Zusammenarbeit auf die Juristenausbildung und -fortbildung setzen. Und auf eine technische Kooperation auf der Arbeitsebene. Motor des Wandels ist nicht der Export rechtsstaatlicher Prinzipien, sondern die Digitalisierung.

Debatten

in Zusammenarbeit mit dem RSF-Hub der Freien Universität Berlin

Die deutsche Rechtsstaatsförderung geht von falschen Prämissen aus. Anders als die Träger der Initiative Law Made in Germany glauben, ist das deutsche Recht nur sehr eingeschränkt exportfähig. Verfassungsberatung und hochrangig besetze Konferenzen sind weitgehend wirkungslos. Denn rechtlicher Wandel ist heute primär technologiegetrieben. Und hier hat Deutschland wenig zu bieten. In ihrer neuen Strategie zur Rechtsstaatsförderung sollte sich die Bundesregierung darauf besinnen, wie rechtlicher Wandel in Schwellen- und Entwicklungsländern funktioniert. Juristische Ausbildung und technische Verwaltungskooperation spielen hier eine Schlüsselrolle.

Deutschland hat einen tollen Rechtsstaat. Das Grundgesetz ist eine vorbildliche Verfassung. Die Gerichte arbeiten präzise, transparent und in den meisten Fällen recht zügig. Wer sich gegen eine Entscheidung der Verwaltung wendet, erhält einen sorgfältig begründeten Widerspruchsentscheid. Kostenfrei.

Mangelnde Exportfähigkeit des deutschen Rechts

Exportfähig ist dieses System in seiner Breite aber nicht.  

Die Initiative Law made in Germany verkennt, dass Deutschland im Recht keine international gängige Technologie anzubieten hat. Seit Jahrzehnten ist es der Londoner Markt mit seinen Vertragsmustern, der den Standard im internationalen Finanzrecht setzt. Ein Unternehmenskaufvertrag nach deutschem Recht ist kein Exportprodukt wie ein Mercedes oder BMW. Viele Juristen auf der Welt praktizieren glücklich und zufrieden, ohne sich jemals den Kopf über das Abstraktionsprinzip des deutschen BGB zerbrochen zu haben. Es fehlt schlicht die Nachfrage nach dem Export deutscher Rechtsprinzipien. Die Nachfrage lässt sich auch nicht künstlich schaffen. So ist jedenfalls meine Erfahrung als internationaler Anwalt, der seit vielen Jahren in der MENA Region tätig ist und dort internationale Unternehmen und Entwicklungsbanken bei Investitionen berät.

Hinzu kommt, dass der wichtigste Motor rechtlichen Wandels in den letzten zwei Jahrzehnten das Internet war und keine Rechtsstaatsinitiative. Das gilt jedenfalls für die Staaten der MENA-Region. Erforderte früher der Zugriff auf grundlegende internationale Verträge eine spezialisierte Bibliothek, ist inzwischen so gut wie jede Konvention fast überall per Smartphone abrufbar. Gesetze und Gerichtsentscheidungen sind kostenlos über Datenbanken erhältlich – auch in fragilen Staaten wie dem Irak oder dem Jemen. Nach 2011 hat in Libyen die Facebook-Seite der Übergangsregierung das Gesetzesblatt ersetzt. Die Digitalisierung schafft eine neue Transparenz und demokratisiert den Zugang zu juristischen Informationen. Das ist eine echte Revolution. Auf diesem Gebiet hat Deutschland wenig beizusteuern. Weil der deutsche Rechtsstaat so gut funktioniert, schreitet die Digitalisierung von Gerichten und Behörden so langsam voran. Und wer sich für E-Justice oder E-Government interessiert, wird eher in Dubai oder Singapur fündig als in Düsseldorf oder Stuttgart. 

Weitestgehend wirkungslos sind schließlich internationale Konferenzen mit hochkarätigen Teilnehmern. Gewiss kann es sinnvoll sein, den Kontakt zu Entscheidern aus Partnerstaaten zu pflegen, etwa wenn es darum geht, für den Beitritt zu internationalen Konventionen zu werben. Und die Rechtsstaatsförderung hat sicher den Horizont der deutschen Rechtswissenschaft erweitert, indem heute Fragen wie die Verfassungsentwicklung im Sudan, afghanisches Familienrecht oder auch fragile Staatlichkeit etablierte Forschungsgebiete sind. Nur die Wirkung in den Partnerländern ist zweifelhaft. Welche Justizministerin, welcher Verfassungsrichter wird grundsätzlich seine Meinung ändert, nur auf Grund der Teilnahme an einer internationalen Konferenz? Und wie trägt ein weiterer Sammelband über die soziale Marktwirtschaft oder Islam und Verfassung zum rechtlichen Wandel bei? 

Rechtlicher Wandel ist ein diskursiver Prozess

Nachhaltiger rechtlicher Wandel beruht nicht auf dem Export von Standards, sondern ist ein diskursiver Prozess, dessen Akteure die juristischen Berufsträger sind, aus Anwaltschaft, Justiz, Verwaltung und Wissenschaft. Dieser Prozess ist von außen nur bedingt beeinflussbar – und sicherlich nicht durch den gutgemeinten Export deutschen Rechts oder die punktuelle Interaktion bei hochrangig besetzten Rechtsstaatskonferenzen. Das zeigt nicht zuletzt die Entwicklung des deutschen Recht: Affirmative action, judicial self restraint und business judgement rule. Zentrale Begriffe unserer Rechtsordnung sind heute importiert. Der Impuls zum Rechtsimport kam aber von innen und nicht von außen. Entscheidend war, dass in Deutschland eine international orientierte Generation von Juristinnen und Juristen herangewachsen war, die diese Konzepte in der deutschen Diskussion platziert haben. Wer lässt sich schon gerne von Weltbankjuristen die Schwächen des deutschen Kreditsicherungsrechts vorhalten? Das ist in den Partnerländern der juristischen Entwicklungszusammenarbeit nicht anders.

Wer sich dieser Einsicht nicht verschließt, wird der Juristenausbildung eine Schlüsselfunktion einräumen. Ein Stipendienprogramm für junge Juristen, die einen Master of Laws im Ausland absolvieren, kann eine sehr viel nachhaltigere Maßnahme der Rechtsstaatsförderung sein als die Beratung einer Verfassung, die nie in Kraft tritt oder nicht das Papier wert ist, auf der sie gedruckt wird. Hier sind die Bundesregierung und Organisationen wie der DAAD gefragt, und natürlich die Hochschulen. Eine Nachwuchswissenschaftlerin, die von einem Promotionsstudium im Ausland neue Denkansätze mitbringt, hat oft sehr viel mehr Biss und erzeugt eine nachhaltigere Wirkung als der höfliche Austausch unter Honoratioren. Der Fokus auf die Ausbildung erfordert dabei einen entsprechenden Zeithorizont. Schnelle Lösungen gibt es nicht. Denn bis die betreffenden Absolventen einmal in Entscheidungspositionen angekommen sind, vergehen rasch 10 bis 20 Jahre. Und ein international offener Juristenstand verbessert lediglich die Voraussetzungen für einen rechtsstaatlichen Wandel, ohne diesen zu garantieren.

Hinzu kommt, dass das Rechtssystem nicht nur von seiner Elite lebt. Seine Qualität wird maßgeblich geprägt von den „normalen“ Berufsträgern, die die Flure der Gerichte der unteren Instanzen, die Anwaltskanzleien und die Verwaltungsbehörden bevölkern. Ein Rechtssystem ist nur so gut wie sein schwächstes Glied. Was nutzt der in einem transparenten Verfahren erstrittene Titel, wenn er nicht vollstreckt werden kann, weil die Vollstreckungsbehörden ineffizient oder vielleicht einfach bestechlich sind? 

Wer hier etwas ändern möchte, muss bei den praktischen Fertigkeiten, den „Skills“ ansetzen. Wie beispielsweise das frühere Programm der American Bar Association in Kairo mit Kursen, in denen junge Anwälte lernen, wie sie plädieren, Verträge entwerfen, das Büro organisieren, Mandanten werben und mit der Berufsausübung Geld verdienen. Diese Maßnahmen helfen dem Einzelnen dabei, sich beruflich fortzuentwickeln. Und ertüchtigen so einen Berufsstand, von dem das Rechtssystem lebt. Solche Maßnahmen zu unterstützen könnte auch Gegenstand einer Rechtsstaatsinitiative der Bundesregierung zu sein.

Der Rechtsstaat ist kein Aussichtsberg

Bei der institutionellen Kooperation sollte auf der Arbeitsebene angesetzt werden, wie dies etwa die Twining-Projekte der EU tun, die auf einer längerfristig angelegten Partnerschaft von Fachbehörden beruhen, etwa im Kartell-, Verbraucher- oder Telekommunikationsrecht. Der praktisch-fachliche Austausch über Regulierungsfragen ist sinnvoller als die Diskussion allgemeiner Rechtsstaatsthemen. Die Einrichtung einer Rechtsprechungsdatenbank hat möglicherweise einen größeren Effekt auf die Qualität der Rechtspflege als der Export rechtsstaatlicher Vorzeigeprinzipien und ein elektronisches Gesellschaftsregister kann einen größeren Beitrag zur Korruptionsbekämpfung leisten als noch eine Transparenzinitiative. 

Deutschland kann mit Recht stolz sein auf seine Verfassung und seinen Rechtsstaat, gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Deutschland hat hier viel erreicht. Der Rechtsstaat ist aber kein Aussichtsberg, den man erklimmt, um davon auf andere herabzuschauen. Rechtsstaatlichkeit ist vielmehr ein Prozess und tägliches Bemühen. Der Weg ist das Ziel und die Zielerreichung abhängig vom Pfad. Hieran sollte sich auch eine Initiative zur Rechtsstaatsförderung orientieren.

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Naher Osten & Nordafrika Rechtsstaatsförderung

Kilian Bälz

Dr. Kilian Bälz ist Rechtsanwalt und Partner bei Amereller, einer internationalen Anwaltskanzlei mit Fokus auf die MENA Region.