Baustellen und Kontroversen der EU-Friedenspolitik 09. Juli 2019 · Elsa Benhöfer Der nächste EU-Haushalt sowie neue Instrumente lösen Kontroversen in der europäischen Friedenspolitik aus. Diese sollte die Bundesregierung aus einer friedensfördernden Perspektive angehen. Die deutsche Ratspräsidentschaft bietet hierfür Gestaltungsmöglichkeiten – auch für die Zivilgesellschaft. Debatten Neustart in Brüssel? Ideen für die europäische Friedens- und Sicherheitspolitik Die europäische Friedens- und Entwicklungspolitik befindet sich zurzeit im Wandel. Dabei ergeben sich friedenspolitische Gestaltungsspielräume, auch mit Blick auf die deutsche Ratspräsidentschaft ab Juli 2020. Neben den Verhandlungen um das neue Budget diskutieren die EU und ihre Mitgliedsstaaten über zwei Instrumentenvorschläge besonders kontrovers: Das neue Instrument für Nachbarschaft, Entwicklung und internationale Kooperation (NDICI) sowie die Europäische Friedensfazilität (European Peace Facility, EPF). Die Prioritäten der gemeinsamen Friedens- und Entwicklungspolitik werden die neu besetzten EU-Institutionen in der kommenden Jahreshälfte weiter verhandeln und im Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für 2021 bis 2027 festsetzen. Darin legen sie u.a. fest, welche Antworten sie auf externe Aufgaben der EU wie Klimawandel, Frieden und Sicherheit, Gender oder Migration geben werden. Die Fokusregion des neuen MFR ist Afrika. Dies zeigen die verstärkten Bemühungen im Bereich Frieden und Sicherheit ebenso wie die Förderung wirtschaftlicher Investitionen auf dem afrikanischen Kontinent. Fokus auf Migration und Ertüchtigung löst große Kritik aus Neu geschaffen werden soll das „Instrument für Nachbarschaft, Entwicklung und internationale Kooperation“ (NDICI). Es soll ehemals eigenständig budgetierte Instrumente umfassen, u.a. aus den Bereichen Frieden, Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechte. Damit baut die EU fragmentierte Budgets ab und erhofft sich weniger bürokratischen Aufwand und mehr Flexibilität bei der Mittelvergabe. Bemerkenswert ist der Fokus auf Migrationskontrolle und Ertüchtigung. Mindestens zehn Prozent des 93,1 Milliarden Euro starken Budgets sind für Migrationskontrolle und -folgen vorgesehen. Zur Ertüchtigung sollen die Maßnahmen im Rahmen von „Capacity Building in support of Security and Development” (CBSD) beitragen. Dazu zählen u.a. der Wiederaufbau von ziviler Infrastruktur, Unterstützung beim Grenzschutz, aber auch Trainings- und Equipment-Unterstützung für militärische Akteure - dabei geht es explizit nicht um Kriegsgerät. Repressive Lösungen für Migration fördern keinen Frieden. Doch an den CBSD-Maßnahmen gibt es große Kritik. Es ist nicht ersichtlich, ob ihnen Risikoanalysen, „Do-no-harm“-Strategien o.ä. vorangehen und ob durch den Fokus auf Migration und Ertüchtigung Projekte in den Bereichen Frieden, Entwicklung und Prävention in den Hintergrund geraten könnten. Außerdem fördern repressive Lösungen für Migration keinen Frieden. Vielmehr sollten die EU und ihre Mitgliedsstaaten Fluchtursachen durch Maßnahmen der Friedensförderung und Entwicklung angehen. Zu geringe Mittel für zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung Das NDICI gliedert sich in vier verschiedene Säulen: Geographisches Programm, Thematisches Programm, Krisenreaktionsmaßnahmen und ein Flexibilitätspolster für neue Herausforderungen. Noch ist nicht klar, wie viel Prozent der 93,1 Milliarden Euro am Ende konkret Maßnahmen der Friedensförderung decken werden – explizit für Frieden und Stabilität sind derzeit eine Milliarde Euro eingeplant. Nach Einschätzung vieler Expert*innen sind die Mittel für zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung deutlich zu niedrig. Wie die unterschiedlichen integrierten Instrumente operationalisiert werden und wie genau die Verwaltungsstruktur der NDICI Umsetzung aussieht, steht jedoch noch nicht fest. Es kommt nun also darauf an, eine friedensfördernde Operationalisierung des NDICI sicherzustellen. Die EU-Kommission und das Europäische Parlament haben dem NDICI bereits zugestimmt. Nachdem auch der Europäische Rat seine Position hierzu beschlossen hat und die EU-Posten neu besetzt sind, beginnen die abschließenden Trilog-Verhandlungen. Es ist also noch nicht zu spät, friedensfördernden Einfluss auf das NDICI auszuüben. Die zuständigen Abteilungen der Bundesregierung sollten sich ressortübergreifend und gemeinsam mit ihren europäischen Kolleg*innen nicht nur für mehr Mittel für zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung einsetzen. Sie sollten auch danach fragen, welche externen EU-Instrumente die Finanzierung von zivilem Personal in europäischen Interventionen fördern und ob ein kohärenter Politikansatz auch mit Blick auf die Umsetzung anderer externer EU-Instrumente sichergestellt werden kann. Gezielte Nachfragen vom deutschen und europäischen Parlament können diesen Prozess unterstützen. Die Voraussetzung hierfür ist, dass die Parlamentarier*innen über diese Themen gut genug informiert sind. Verhandlungen zur EPF verlangsamen und Schutzmaßnahmen integrieren Neben NDICI gibt es noch eine Reihe weiterer Fonds und Instrumente, die die externe Politik der EU mitbestimmen. Besonders heiß diskutiert wird zurzeit die European Peace Facility (EPF). Die durch den EPF geschaffene Möglichkeit, Waffen für Friedensmissionen bereitzustellen, ist für die einen eine Errungenschaft, für die anderen ein friedenspolitisches Desaster. Im Unterschied zum NDICI ist die EPF nämlich außerhalb des EU-Budgets angelegt und unterliegt daher nicht Artikel 41 (2) der EU-Verträge. Dieser verbietet es, militärische Aktivitäten aus dem EU-Haushalt zu finanzieren. Wie auch Julian Bergmann und Mark Furness schreiben, soll die EPF die Finanzierung von Friedensmissionen und den Aufbau sicherheitspolitischer Kapazitäten in Partnerländern in einem Instrument bündeln und ausweiten. Die EU wird also künftig ihre sicherheitspolitischen Förderungen in Drittländern erhöhen. Friedenspolitisch engagierte Akteur*innen sollten darauf hinwirken, dass diese Maßnahmen konfliktsensibel umgesetzt werden und in Kohärenz mit zivilen Maßnahmen stehen. Es wäre ein Paradox, aus dem EU-Haushalt einerseits friedensfördernde Maßnahmen wie Rechtsstaatsförderung zu finanzieren und gleichzeitig Militärhilfen in fragilen Kontexten nicht an strenge Monitoring-Maßnahmen zu knüpfen. Ob es sinnvoll ist, militärische Kapazitätsbildung in ohnehin schon vulnerablen Kontexten zu finanzieren und zu fördern, bleibt fraglich. Falls die EU dies weiterhin tut, sollte sie sicherstellen, dass die geförderten Sicherheits- und Militärakteure ihr neues Equipment nicht missbrauchen, sondern Menschenrechte einhalten und sich friedensfördernd verhalten. Die EU sollte sich grundsätzlich sehr gut überlegen, welche Akteur*innen sie in diesen Kontexten fördert und wessen Sicherheit durch die Förderung verbessert wird (Stichwort: Menschliche Sicherheit). Aus diesem Grund sollte sie die Verhandlungen zur EPF verlangsamen und Schutzmaßnahmen integrieren, die einen Missbrauch verhindern, wie z.B. Risikoanalysen oder Monitoring. Es wäre ein Paradox, aus dem EU-Haushalt einerseits friedensfördernde Maßnahmen wie Rechtsstaatsförderung zu finanzieren und gleichzeitig Militärhilfen in fragilen Kontexten nicht an strenge Monitoring-Maßnahmen zu knüpfen. Die grundsätzliche Idee ist, alle militärischen bzw. sicherheitspolitischen Ziele über die EPF und alles Zivile über das NDICI zu finanzieren. Doch das Militärische und das Zivile so stark voneinander zu trennen – auch auf EU-Verwaltungsebene, wo für das NDICI etwa die EU-Kommission und für die EPF der Rat zuständig ist – entspricht nicht der Selbstverpflichtung der EU, einen integrierten Ansatz zu verfolgen. Um zivile und militärische Ansätze umfassend betrachten, einbetten und umsetzen zu können, sollten die EPF und der MFR in enger Abstimmung verhandelt werden. Deutsche Ratspräsidentschaft bietet breite Gestaltungsmöglichkeiten EU-Instrumente haben in den letzten Jahren wichtige entwicklungs- und friedensfördernde Arbeit weltweit finanziert. Entscheidend ist, das weiterhin sicherzustellen und die Wirkung zu erhöhen. Hierbei bietet das nachhaltige Entwicklungsziel (SDG) 16 eine wichtige Orientierung, um eine kohärente Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik zu gestalten. SDG 16 ist auf die langfristige Transformation hin zu friedlichen, gerechten und inklusiven Gesellschaften ausgerichtet. Die Bundesregierung hat sich zur Umsetzung von SDG16 verpflichtet und signalisiert, es auf die Agenda der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu setzen. Daher geht es jetzt darum, die sich bietenden Chancen zu nutzen und eine friedensfördernde EU-Politik mitzugestalten. Eine Möglichkeit zur Gestaltung bieten die derzeitigen Verhandlungen um eine Neuauflage des Partnerschaftsabkommens von Cotonou und die sich wandelnde EU-Förderung für die Afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur (Stichwort: EPF). Wenn sich diese an SDG 16 orientieren, kann die EU einen positiven Beitrag leisten, indem sie in ihrer Zusammenarbeit mit den Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP-Staaten) und in ihrer Partnerschaft mit der AU ihre eigene Rolle in einer (pan-)afrikanischen Partnerschaft konfliktsensibel reflektiert und lebt. Diskussionen mit afrikanischen Partnern zeigen, dass Afrika von externen Geldern unabhängiger werden möchte und viele Menschen sich gleichzeitig lokalere Interventionen wünschen, die insbesondere den Governance-Aufbau stärken, anstatt einen Zuwachs an militärischen Interventionen. Auch wären Maßnahmen zur Prävention von Gewalt wünschenswert. Staatliche, zivilgesellschaftliche sowie forschungsorientierte Organisationen sollten die anstehende deutsche EU-Ratspräsidentschaft nutzen und für eine kohärente friedensfördernde EU-(Afrika-) Politik werben. Sollten die Verhandlungen um den MFR, inklusive NDICI und EPF noch in die deutsche Ratspräsidentschaft hineinfallen, wird es darauf ankommen, hier friedenspolitische Akzente zu setzen. SDG 16 ernst zu nehmen heißt, konsequent auf Instrumente zu setzen, die nachhaltig zu friedlichen, gerechten und inklusiven Gesellschaften beitragen. Die Zivilgesellschaft kann die Bundesregierung daran immer wieder erinnern und sie in partnerschaftlicher Zusammenarbeit bei der Umsetzung von SDG 16 unterstützen. Um die Zeit vor der Ratspräsidentschaft zu nutzen, könnte damit jetzt begonnen werden. (Dieser Beitrag erschien zunächst in einer längeren Version als Impuls-Artikel bei FriEnt.) Debatten Neustart in Brüssel? Ideen für die europäische Friedens- und Sicherheitspolitik Europäische Union Politikkohärenz Friedensförderung Europa Elsa Benhöfer Elsa Benhöfer ist Referentin für Internationale Prozesse und Kommunikation bei FriEnt - Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung.
Artikel Die "Europäische Friedensfazilität": Gute Idee mit großen Risiken Die Idee einer "Europäischen Friedensfazilität" (EPF) könnte eine gute Lösung sein, um die Finanzierung von militärischen Maßnahmen von Entwicklungsgeldern zu trennen. Doch sie birgt auch Risiken. In den Verhandlungen zur EPF sollten die EU-Mitgliedsstaaten unter anderem sicherstellen, dass die Fazilität die afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur nicht schwächt. Julian Bergmann, Mark Furness • 29. Mai 2019
Artikel Stückwerk beenden, Entwicklung ziviler Fähigkeiten professionalisieren Die Entwicklung der Fähigkeiten für die zivilen EU-Missionen ist derzeit fragmentiert und unkoordiniert. Durch nationale Implementierungspläne des zivilen GSVP-Pakts und eine Überprüfung der zivilen Fähigkeiten können die EU-Mitgliedstaaten die Grundlage für mehr Koordination und Kooperation schaffen. Wenn die zivile GSVP professionalisiert werden soll, ist das dringend nötig. Carina Böttcher • 29. Mai 2019
Artikel Friedensförderung braucht eine Verjüngungskur Friedliche und inklusive Gesellschaften entstehen, wenn auch junge Menschen in gesellschaftliche und politische Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Die neue Bundesregierung sollte daher einen Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-Resolution 2250 entwickeln und deutlich mehr in die Beteiligung von jungen Menschen in der Friedensförderung investieren. Elsa Benhöfer • 04. April 2018