Vom Münchner zum Berliner Konsens: Endlich Klartext reden! 16. Dezember 2019 · Nora Müller Die Berliner Politik spricht viel zu wenig über Außenpolitik und Krisenprävention. Das liegt auch daran, dass Bevölkerungsumfragen ein geringes Interesse von Bürger*innen für ein stärkeres außenpolitisches Engagement Deutschlands zeigen. Hier muss die Bundesregierung jetzt Klartext reden – angefangen mit der Bundeskanzlerin. Debatten Krisenarbeit kommunizieren Impulse für die Bundesregierung Auf der ewigen „Liste der Themen, über die niemand spricht“, nimmt die Zivile Krisenprävention einen Spitzenplatz ein – leider. Die Gründe dafür liegen scheinbar auf der Hand: Dort, wo Krisen verhindert werden und Stabilisierung gelingt, knallt es nicht. Und was nicht scheppert, hat in der Logik der medialen Aufmerksamkeitsökonomie meist keinen Newswert – if it doesn’t bleed, it doesn’t lead. Hinzu kommt: die Bundesregierung hat das Thema „Kommunikation“ lange Zeit stiefmütterlich behandelt. Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit rund um die Zivile Krisenprävention ist selten strategisch, in den wenigsten Fällen koordiniert und daher so gut wie nie von Erfolg gekrönt. Doch sind damit die Gründe für die strukturelle Unsichtbarkeit, an der die Zivile Krisenprävention leidet, erschöpfend behandelt? Ich glaube nicht. Die Deutschen fühlen sich weitestgehend sicher Obwohl Europas Nachbarschaft seit Jahren von Krisen und Konflikten erschüttert wird und die außen- und sicherheitspolitische Großwetterlage sich merklich verdüstert, bleibt das subjektive Sicherheitsempfinden der Deutschen unverändert hoch. Das zeigen die Ergebnisse einer Umfrage, die die Körber-Stiftung seit 2014 jährlich durchführt. Befragt nach den Auswirkungen einer „Welt aus den Fugen“ auf Deutschland und ihrer persönlichen Einschätzung der Lage in der Bundesrepublik, antworten 76% der Bundesbürger*innen mit „sehr sicher“ oder „eher sicher“. In Kombination mit ausgeprägter Skepsis gegenüber einer aktiveren deutschen Außenpolitik – auch 2019 lehnt der größere Teil der Befragten mehr Engagement in internationalen Krisen ab – verdichten sich die Umfrageergebnisse zu einem bemerkenswerten Befund: Die Mehrheit der Deutschen fühlt sich sicher und sieht nach wie vor keine Veranlassung, in das turbulente Weltgeschehen jenseits der europäischen Komfortzone stabilisierend einzugreifen, nicht mit zivilen und schon gar nicht mit militärischen Mitteln. No conflicts, please – we’re German: so lässt sich diese Haltung in Abwandlung eines Economist-Titels aus dem Jahr 2012 zusammenfassen. Kein öffentliches Klima also, das einer umfassenden Debatte über deutsches Krisenengagement im Allgemeinen und Zivile Krisenprävention im Besonderen förderlich wäre. Das Wohlergehen der Deutschen hängt auch von Frieden und Stabilität in der Nachbarschaft ab Deutschlands Sicherheit gilt es heute [...] in der Sahel-Zone, in Libyen und an vielen anderen Orten der volatilen europäischen Nachbarschaft zu schützen. Zwar bejahen laut einer Umfrage der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt) mehr als zwei Drittel der Deutschen die Frage, ob Deutschland stärker in Friedensförderung investieren sollte. Denn zur Wahrheit gehört auch: Ebenso wie sich die wenigsten US-Amerikaner*innen gegen motherhood, apple pie and the flag aussprechen, lehnt kaum jemand in Deutschland die Bereitstellung von mehr Mitteln für friedensfördernde Maßnahmen ab (und gut, dass es so ist!). Doch wie viel Aussagekraft steckt in diesem abstrakten Bekenntnis zur Förderung des Weltfriedens? Bezogen auf die reale Politik: eher weniger. Wie sonst wäre zu erklären, dass nur magere 16% der Bundesbürger*innen die Konflikte in Europas Nachbarschaft, insbesondere im Nahen und Mittleren Osten, als zentrale Herausforderung für deutsche Außenpolitik erachten? Fast doppelt so viele Befragte dagegen halten die Bekämpfung des Klimawandels für die Top-Priorität, an der sich Deutschlands außenpolitisches Handeln ausrichten sollte. Ohne Zweifel: die Rettung des Klimas ist eine Menschheitsaufgabe, für deren Bewältigung sich die Bundesregierung deutlich entschiedener einsetzen sollte als bisher – auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene (auch wenn überraschende 48% der Deutschen aller Versäumnisse zum Trotz ihr Land noch immer in einer klimapolitischen Vorreiterrolle sehen). Doch im Eifer des (Klima-) Gefechts gerät mitunter aus dem Blick, dass das Wohlergehen der Menschen in Deutschland nicht nur vom Erreichen der Pariser Klimaziele abhängt, sondern auch von Frieden und Stabilität in Europas Nachbarregionen. Deutschlands Sicherheit gilt es heute nicht mehr nur am Hindukusch, sondern auch in der Sahel-Zone, in Libyen und an vielen anderen Orten der zunehmend volatilen europäischen Nachbarschaft zu schützen. Was der ZEIT-Journalist Bernd Ulrich jüngst über eine ehemals stolze deutsche Volkspartei schrieb, trifft in gewisser Weise auch auf die schulterzuckende bis skeptische Haltung der Bundesbürger*innen gegenüber mehr deutschem Krisenengagement in einer immer komplizierteren Welt zu: „Die Wirklichkeit springt aus der Box, nur die [Deutschen] bleib[en] drin hocken.“ Sind wir also ein Volk notorischer Ohnemichel mit Hang zur Realitätsverweigerung, die sich auf einer vor allen (sicherheitspolitischen) Stürmen gefeiten „Insel der Seligen“ wähnen? Ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Denn noch 1994 sprachen sich laut einer Infratest-Umfrage im Auftrag der US-amerikanischen RAND Corporation 62% der Bundesbürger*innen für eine aktivere deutsche Außenpolitik aus. Was also hat den Sinneswandel der Deutschen im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte ausgelöst? Zunächst wohl die Tatsache, dass statt des prophezeiten „Endes der Geschichte“ neue, unübersichtliche und kaum beherrschbare Konflikte aufbrachen, die abschreckend wirkten. Auch die Ernüchterung über die begrenzten Erfolge des „vernetzten“ deutschen Engagements auf dem Balkan und in Afghanistan spielt eine Rolle. Die deutsche Politik muss jetzt Klartext reden [Der Berliner Konsens] muss, ohne in Alarmismus zu verfallen, die Deutschen auf rauere Zeiten einstimmen. Also doch Zurückhaltung statt Engagement? Mit dem sogenannten Münchner Konsens von 2014 zielte die deutsche Politik auf eine längst überfällige Trendwende hin zu einer aktiveren Außenpolitik und singt seitdem das Hohe Lied von Deutschlands Verantwortung auf globaler Bühne. In der öffentlichen Meinung indessen hat sich kaum etwas bewegt. Was also tun? Das Gebot der Stunde lautet: Endlich Klartext reden! Nach dem allmählich verblassenden Münchner Plädoyer des damaligen Bundespräsidenten, Außenamtschef und der damaligen Verteidigungsministerin braucht es heute einen (angesichts der großkoalitionären Irrungen und Wirrungen leider unwahrscheinlichen) Berliner Konsens der außen-, sicherheits- und entwicklungspolitischen Ressorts unter Federführung der Bundeskanzlerin. Dieser muss, ohne in Alarmismus zu verfallen, die Deutschen auf rauere Zeiten einstimmen. Und darauf, dass Deutschlands Sicherheit und Wohlstand auf Dauer nur gesichert werden können, wenn die Bundesrepublik sich deutlich aktiver als bisher und unter Einsatz ihres gesamten außenpolitischen Instrumentariums für Stabilität und Sicherheit in Europas Nachbarschaft einsetzt. Umso wichtiger ist dies in der historischen Umbruchphase, in der die USA sich immer stärker auf die Einhegung Chinas und immer weniger auf die Stabilisierung des europäischen Hinterhofs konzentrieren. Solange es nicht gelingt, diese Botschaft in den Köpfen und Herzen der Deutschen zu verankern, wird auch die Zivile Krisenprävention weiterhin „strukturell unsichtbar“ bleiben. Zugegeben: Für die Beantwortung der Gretchen-Frage „Wie sag‘ ich’s dem Volk?“ existieren keine Patentrezepte. Stellen wir uns den Berliner Konsens also als breit angelegte, konzertierte Kommunikationsoffensive vor, deren Spielstätten die Marktplätze der Republik (auch die elektronischen), nicht die Konferenzräume von Ministerien und außenpolitischen Denkfabriken sind. Und bleiben wir bescheiden in unseren Erwartungen. Denn auch für die Kommunikation von Krisen- und Konfliktprävention gilt, wie Robert Malley, Präsident der International Crisis Group, jüngst treffend bemerkte: „Conflict prevention is often a labor of frustration.“ Debatten Krisenarbeit kommunizieren Impulse für die Bundesregierung Zivilgesellschaft Kommunikation Conflict Prevention Nora Müller Nora Müller leitet den Bereich Internationale Politik der Körber-Stiftung. @MuellerNora
Artikel Frieden in die Schulen: Transparente, authentische und kontroverse Ansätze für die Friedenspädagogik Friedensbildung gehört in die Schulen. Dafür sollte die Bundesregierung mehr Informationen und Materialien zur Verfügung stellen und ihre Herausforderungen in der Friedenspolitik transparenter kommunizieren. Kontroversen sind notwendig und erwünscht. Uli Jäger • 04. Dezember 2019
Artikel Zeitzeugen der Krisenprävention: Nutzt das Potential der Friedensmacher Das Krisenengagement deutscher Diplomaten und ziviler Experten bleibt außerhalb der Fach-Communities unsichtbar. Einsätze der Soldaten werden nur pauschal wahrgenommen. Dabei gäbe es zahlreiche spannende Geschichten zu erzählen. Die Bundesregierung sollte diese Fachkräfte und weitere Institutionen dabei unterstützen, von ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen vor Ort zu berichten. Winfried Nachtwei • 13. November 2019
Artikel Instrument statt Beiwerk: Strategische Kommunikation und Stabilisierung Kommunikation ist ein politisches Instrument des Krisenengagements der Bundesregierung, welches sie in Deutschland ressortübergreifend ausbauen sollte. In Stabilisierungskontexten sollte die Bundesregierung vor allem die Kommunikationsfähigkeiten von lokalen Partnern stärken. Juliane Kabus • 07. November 2019
Artikel Wer keine Strategie hat, kann sie auch nicht kommunizieren Der Bundesregierung fehlt es zurzeit nicht nur an der richtigen Kommunikation ihrer Friedens- und Sicherheitspolitik, sondern an etwas Grundlegenderem: einer Strategie. Sie sollte bei Krisen und Konflikten den Mut haben, Probleme zu benennen, und den Willen, sie zu lösen. Erst dann kann sie den Bürgern ein glaubwürdiges Narrativ vermitteln. Isabella Pfaff • 30. Oktober 2019