Berlin braucht eine „Friedensfabrik“ – Eine zentrale Anlaufstelle für Informationen und Austausch zu Krisenprävention und Friedensförderung

12. Februar 2020   ·   Cornelia Brinkmann

Weder das zivile Friedens- und Krisenengagement der Bundesregierung noch die dazugehörige Fachdiskussion sind sichtbar für die breite Öffentlichkeit. Die Schaffung einer „Friedensfabrik“ als Ort des Informierens, Lernens und kontroversen Austausches in Berlin könnte Meinungsbildung und Wissenstransfer ermöglichen.

„Was machen Sie eigentlich?“ ist eine Standardfrage, die ich immer wieder nach Vorträgen über meine Tätigkeit als Friedensfachkraft in Afghanistan hören muss. Auch wenn ich meine Vorträge mit Fotos veranschauliche, einzelne Arbeitsschritte genau beschreibe, die Arbeitsmethoden detailliert vorstelle und von konkreten Erfolgsgeschichten berichte, bleibt regelmäßig das ungläubige Staunen bei einigen Zuhörer*innen. Denn wenn sie zum ersten Mal von zivilen Friedenseinsätzen hören, können sie sich nicht vorstellen, dass Friedensarbeit in einem so fragilen Kontext möglich und sinnvoll ist. Ebenso bleibt unverstanden, was den Unterschied zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr ausmacht, die in den deutschen Medien regelmäßig thematisiert werden. Diese Reaktion weist auf eine enorme Wissenslücke bei den Menschen hin: Obwohl sich seit Mitte der 1990er Jahre das deutsche friedenspolitische Engagement erheblich ausdifferenziert und professionalisiert hat, ist der Informationstransfer in die breite Öffentlichkeit nicht gelungen.

Ansätze des zivilen Friedens- und Krisenengagements bleiben verborgen

Die breitere Öffentlichkeit sollte über Grundlagen- und Orientierungswissen der zivilen Ansätze in der Friedensförderung, der Krisentransformation und der Gewaltprävention verfügen. Sie brauchen Wissen darüber, wie Konflikte konstruktiv bearbeitet werden und dass zivile Alternativen zu bewaffneten Einsätzen existieren. Der Bundeswehr steht jährlich ein üppiges Budget für Werbung in Straßenbahnen, U-Bahn-Stationen, Youtube-Serien und auf Plakatwänden zur Verfügung. Dieser Asymmetrie der öffentlichen Präsenz muss ein Narrativ entgegengestellt werden, welches die breite Palette an Möglichkeiten illustriert, wie zivile Ansätze der Krisentransformation funktionieren. Erst dann können sich die Bürger*innen ein vollständiges Bild über die Instrumente der deutschen Friedenspolitik machen und Informationen über das zivile Friedens- und Krisenengagement der Bundesregierung einordnen und bewerten. Diese Anschlussfähigkeit von Informationen ist die Basis für eine erfolgreiche Kommunikation.

Dafür bräuchte es einen physischen Ort des Informierens, Lernens und Austauschens, sowohl für das Fachpublikum als auch für die breite Öffentlichkeit. Doch etwas Vergleichbares wie das Militärhistorische Museum in Dresden fehlt für das zivile Friedens- und Krisenengagement. Eine „Friedensfabrik“ würde genau diese Lücke schließen.

Es gibt eine lebendige Fachdiskussion in Friedenspolitik, Friedens- und Konfliktforschung, Think-Tanks, Entwicklungszusammenarbeit und praktischer Friedensarbeit.

  • Weltweit einmalig sind die Leitlinien der Bundesregierung „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern, die einen tiefen Einblick in das breite Spektrum der Instrumente, Handlungsfelder und Akteur*innen einzelner Ressorts geben. Die Beiträge im PeaceLab-Blog geben den Stand des Diskurses in dieser Fach-Community wieder.
  • Der deutschen Friedens- und Konfliktforschung wird vom Wissenschaftsrat in seiner aktuellen Evaluierung attestiert, dass sie einen „unverzichtbaren Beitrag zum Verständnis und zur Bearbeitung großer gesellschaftlicher Herausforderungen“ leistet.
  • Das Zentrum für internationale Friedenseinsätze (ZIF) qualifiziert und vermittelt im Auftrag der Bundesregierung ziviles Fachpersonal für internationale Friedens- und Wahlbeobachtungseinsätze.
  • Mit dem Zivilen Friedensdienst (ZFD) waren in den letzten 20 Jahren 1.400 Friedensfachkräfte für zwei bis drei Jahre bei lokalen Partnerorganisationen in knapp 60 Ländern tätig.

Medien berichten zu wenig über Friedensengagement, daher Multiplikator*innen stärken

Leider werden diese Beispiele bislang zu wenig von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen. Auf die mangelnde Berichterstattung und die Schwierigkeit, komplexe Prozesse darzustellen, wird immer wieder hingewiesen. Ja, es stimmt: Friedensprozesse sind oft langwierig und benötigen manchmal geschützte Dialogräume. Zu viel Öffentlichkeit kann sogar kontraproduktiv wirken und z.B. Kooperationspartner*innen gefährden.

Erfolgreiches ziviles Friedens- und Krisenengagement beruht auf einem sensiblen Wechselspiel von staatlichen und nicht-staatlichen Akteur*innen. In einem Krisenkontext können zivilgesellschaftliche Akteur*innen oft noch tätig sein, wenn dies für staatliche Akteur*innen nicht mehr möglich ist. Bei zu viel Nähe zu staatlichen Akteur*innen aus den Entsendeländern wird ihnen manchmal unterstellt, als Spion*innen tätig zu sein – mitunter mit lebensgefährlichen Folgen.

Dies trägt dazu bei, dass die Medien zu wenig über das staatliche und zivilgesellschaftliche Friedensengagement berichten. Neben Medienvertreter*innen können Multiplikator*innen aus Politik, Forschung und Bildungsarbeit, Kunst- und Kulturschaffende und vor allem die Praktiker*innen, die in fragilen Kontexten arbeiten, wichtige Beiträge zur Informationsvermittlung leisten. Um genau diese zu unterstützen, könnte ein Ort als Forum dienen, an dem die Arbeit für zivile Friedensförderung, Krisentransformation und Gewaltprävention für Menschen ohne große Vorkenntnisse verständlich gebündelt dargestellt wird.

Empfehlungen zum Aufbau eines Informations- und Bildungsortes

Steps for Peace – Institut für Peacebuilding arbeitet seit Anfang 2018 an der Entwicklung einer „Friedensfabrik“, die als Informations-, Bildungs- und Begegnungsforum dienen soll. In Workshops, Studien und Hintergrundgesprächen sammelte das Institut umfangreiche Informationen und Anregungen. Die dabei erarbeiteten Empfehlungen werden im Folgenden vorgestellt.

Forum des Wissensmanagements. Erst wenn die Bearbeitung von Krisen und gewaltförmigen Konflikten mit zivilen Mitteln in der Öffentlichkeit bekannt ist, kann das Vertrauen der Bevölkerung für die Friedensförderung und Krisentransformation der Bundesregierung gewonnen werden.

Erkenntnisse über Konzepte, zivile Instrumentarien, Akteur*innen und praktische Erfahrungen der Friedensförderung, Gewaltprävention und Krisentransformation müssen verständlich in Dauer- und Sonderausstellungen präsentiert werden. Veranstaltungen, Workshops und Führungen sollen diese Präsentationen ergänzen und vertiefen. Beispielsweise könnten folgende Themenblöcke gebildet werden:

  • Erkenntnisse aus der Friedens- und Konfliktforschung
  • Staatliche Instrumente der Außenpolitik, der Entwicklungszusammenarbeit und des Inneren
  • Zivilgesellschaftliche Handlungsfelder der Friedensförderung
  • Typische Themen- und Arbeitsfelder der Friedensförderung und des zivilen Krisenengagements

Es gibt bereits positive Ansätze: Die ausleihbare Wanderausstellung „Frieden machen“ der Bundeszentrale für politische Bildung zeigt eindrucksvoll, wie zivile Friedensarbeit didaktisch attraktiv und interaktiv aufgearbeitet werden kann. Weitere ausleihbare Ausstellungen anderer Anbieter*innen stehen ebenfalls zur Verfügung. Diese bieten aufbereitete Informationen zur Erläuterung einzelner Instrumente des internationalen Krisenengagements an. Aus all diesen Materialien könnte eine konsolidierte Dauerausstellung entwickelt werden.

Forum für Kontroversen, Dialog und kollegialen Erfahrungsaustausch. Auf Dauer angelegte Friedensförderung sowie konstruktive und gewaltfreie Konfliktbearbeitung gelingen nur durch gemeinsames Engagement auf unterschiedlichen Ebenen: zwischen den Menschen, innerhalb eines Landes und zwischen Staaten. Dies geht selbstverständlich mit komplexen und kontroversen Aushandlungsprozessen einher, für die geeignete Dialogräume zur Verfügung gestellt werden. Sonderausstellungen und Veranstaltungen zeigen aktuelle Debatten auf und geben Raum für kollegialen Erfahrungsaustausch. 

Forum für die breite Öffentlichkeit und Multiplikator*innen. Die Friedensfabrik präsentiert den aktuellen Kenntnisstand und aktuelle Debatten der Friedensförderung und der zivilen gewaltfreien Konfliktbearbeitung verständlich für die breite Öffentlichkeit: für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Das Projekt soll sowohl die Vorteile und Qualitäten eines modernen, interaktiven Museums haben, als auch ein Dialogzentrum mit Raum für Begegnungen, Workshops, Fachkonferenzen etc. sein. Davon profitieren Multiplikator*innen wie Journalist*innen, Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, Lehrkräfte, Pädagog*innen, Kunst- und Kulturschaffende, da sie diese Informationen auch für ihren Kontext nutzen können. Weitere Zielgruppen könnten Gäste sein, die z.B. im Rahmen von Besucherprogrammen nach Deutschland kommen, Bürger*innen die ihre Abgeordneten und Schulklassen, die Berlin besuchen. Die Räumlichkeiten für die Friedensfabrik sollten für eine breite Öffentlichkeit gut erreichbar und in ein lebendiges Umfeld eingebettet sein. Berlin als Bundeshauptstadt mit internationaler Ausstrahlung wäre hervorragend dafür geeignet. Der ehemalige Flughafen Tempelhof erfüllt viele Bedingungen und wäre daher als Standort sehr attraktiv. Aber auch andere Standorte sind denkbar.

Gesucht: Stabile Finanzierung und Räumlichkeiten für die Friedensfabrik

Das Friedens- und Krisenengagement der Bundesregierung mit gewaltfreien Instrumenten wird durch verschiedene Ressorts sowohl im Inland als auch im Ausland mit staatlichen und nicht-staatlichen Akteur*innen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene bearbeitet. Um dieses breite Spektrum in der zukünftigen Friedensfabrik abzubilden, wird derzeit ein Netzwerk von kooperierenden Akteur*innen aufgebaut. Diese bringen sich mit ihren jeweiligen Ressourcen ein, sei es Know-how, personelle Ressourcen, Infrastruktur oder Finanzmittel.

Die zwei wichtigsten nächsten Schritte sind zum einen, die solide Finanzierung eines solchen Forums ab der Entwicklungsphase sicherzustellen und zum anderen, eine ausreichend große und zentrale Räumlichkeit für die Friedensfabrik in Berlin zu finden. Hier kann auch die Bundesregierung helfen: Staatliche Mittel sollten strukturelle Asymmetrien für nicht-staatliche Akteur*innen ausbalancieren, indem ein Budget für die Konzeptionsentwicklung bereitgestellt wird. Schon der Entstehungsprozess des Informations- und Bildungsortes soll die Vielfalt der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen abbilden.

Die Friedensfabrik startet 2020 mit einem ersten Pilotprojekt: Ausleihbare Wanderausstellungen zeigen an wechselnden Orten Ausschnitte des zivilen Friedens- und Krisenengagement. Die erste Ausstellung „Peace Counts“, mehrfach in den Blogbeiträgen als ein sehr positives Beispiel für gelungene Kommunikation erwähnt, kann im April 2020 im Rathaus Schöneberg besucht werden.

Friedensförderung Zivilgesellschaft Kommunikation

Cornelia Brinkmann

Cornelia Brinkmann ist Geschäftsführerin von Steps for Peace - Institut für Peacebuilding gGmbH. Seit 2000 arbeitet sie als Friedenspolitische Beraterin und hat seit 2005 als Friedensfachkraft, Trainerin und Evaluatorin umfassende Afghanistan-Erfahrung gewonnen.