Deutsche Polizistinnen in Friedenseinsätzen: Hürden erfassen und überwinden!

05. August 2020   ·   Nina Steinitz

Um die Anzahl deutscher Polizistinnen in Auslandseinsätzen dauerhaft zu erhöhen und verstärkt Genderschwerpunkte zu setzen, sollte die deutsche Politik spezifische Hürden für Polizistinnen systematisch untersuchen und angehen, Gender-Aspekte in vorbereitenden Trainings ausbauen und einen stärkeren Austausch mit und zwischen Rückkehrerinnen aus Missionen fördern.

Auch zwanzig Jahre nach Verabschiedung der UN-Resolution 1325 bleibt eine der dort formulierten zentralen Forderungen unerfüllt. Bis heute liegt der Anteil von uniformierten Frauen in Friedensoperationen unter den angestrebten Werten. Die Bundesregierung ist im Rahmen der von den UN initiierten Global Effort-Kampagne und der sog. Elsie-Initiative for Women in Peace Operations bestrebt, einen Beitrag zur Umsetzung der dort formulierten Ziele zu leisten. Im Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung von Resolution 1325 für den Zeitraum 2017-2020 (NAP II) hat sie es sich zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil bei deutschem Militär-, Polizei- und zivilem Personal in internationalen Organisationen zu erhöhen, den Anteil sekundierter Frauen in Friedensmissionen zu konsolidieren und deutsches Militär-, Polizei und ziviles Personal zu den Prinzipien der Resolution 1325 kontinuierlich fortzubilden. In den letzten Jahren wurden in diesen Bereichen deutliche Fortschritte gemacht. Dennoch bleibt weiterhin viel zu tun.  

Es gibt keine systematische Erhebung, warum sich Polizistinnen für Missionen bewerben und warum nicht

Der Frauenanteil bei den durchschnittlich 97 deutschen Polizeikräften, die 2019 in Auslandseinsätzen wie Friedensoperationen und dem bilateralen Polizeiprojekt in Afghanistan teilnahmen, lag nach Angaben der Geschäftsstelle AG Internationale Polizeimissionen (GSt. AG IPM) bei knapp 16% (2017 und 2018 waren es durchschnittlich ca. 13%). Vorläufige Zahlen deuten auf einen weiteren Anstieg des Frauenanteils über 20% für das Jahr 2020 hin (im Juli 2020 befanden sich insgesamt 66 Polizist_innen der Bundespolizei, Länderpolizeien und des BKA in Friedensoperationen der UN, EU, der OSZE und im bilateralen Polizeiprojekt in Afghanistan). Systematisch erhobene Erkenntnisse, welche die aktuellen Zahlen erklären könnten, liegen momentan noch nicht vor. Der Anstieg gegenüber den Vorjahreszahlen könnte aber unter anderem durch die sinkenden Gesamtzahlen von deutschen Polizist_innen in Friedensoperationen erklärt werden. Andererseits steht er auch im Zusammenhang mit den Erfordernissen in den Missionen, die im frankophonen Raum angesiedelt sind. Polizistinnen können hier oftmals mit besseren Französischkenntnissen punkten, wie zum Beispiel in der UN-Mission in Mali (MINUSMA), wo aktuell mehr als die Hälfte der entsandten deutschen Polizeikräfte Frauen sind. Trotz dieser positiven Ansätze besteht noch Handlungsbedarf hinsichtlich weitergehender Ziele: zum Beispiel die dauerhafte und nachhaltige Erhöhung des Anteils von weiblichen Individual Police Officers (IPOs) in allen Friedensoperationen mit deutscher Beteiligung auf 25% bis 2025, und angesichts der Tatsache, dass gegenwärtig nur eine Polizistin des höheren Dienstes in einer Auslandsmission in Führungsposition tätig ist.

Bis dato gibt es in Deutschland weder eine systematische Erhebung der Motive, aus denen deutsche Polizistinnen an internationalen Missionen teilnehmen noch eine Untersuchung der Hürden, die dazu führen, dass sich Frauen in geringerer Zahl für den Einsatz in internationalen Missionen bewerben als ihre männlichen Kollegen. 2018 hatte das Genfer Center for Security Sector Governance (DCAF) im Auftrag der Elsie-Initiative eine Grundlagenstudie erstellt (kurz Barrier-Studie), in der diese Aspekte länderübergreifend analysiert und Empfehlungen für follow-up-Studien formuliert wurden. Die Studie hat u.a. ergeben, dass die Anerkennung der Relevanz der Erhöhung des Frauenanteils in Friedensoperationen durch die UN und ihre Mitgliedsstaaten bisher noch nicht zu einer messbaren Erhöhung des Frauenanteils geführt hat. Ebenfalls hat die Studie herausgearbeitet, dass der niedrige Anteil von Frauen in Auslandsmissionen nicht allein auf den entsprechend niedrigen Anteil von Frauen in den nationalen Armeen und Polizeien zurückzuführen ist. Stattdessen variierten die herausgearbeiteten Hürden stark landesspezifisch und seien sowohl auf der organisationalen als auch auf der individuellen Ebene zu finden.

Gründe für den geringen Anteil von Polizistinnen in Missionen systematisch untersuchen

Sehr zu begrüßen ist eine in diesem Kontext kürzlich vom BMVg in Auftrag gegebene sogenannte Barrier-Studie zur Untersuchung von Hürden für die verstärkte Entsendung von Soldatinnen der Bundeswehr in Friedenseinsätzen der Vereinten Nationen, die die Barrierstudie von DCAF als Grundlage nimmt. Obgleich für die deutschen Polizeien hier sicherlich einige Antworten abgeleitet werden können, kann diese Studie eine polizeispezifische Untersuchung der Problematik nicht ersetzen: Elementare Unterschiede zwischen Militär und Polizei in Bezug auf die Zielsetzungen in internationalen Friedensmissionen, die organisationalen Voraussetzungen sowie die Formen der Personalrekrutierung unterstreichen den Bedarf für eine gesonderte Betrachtung deutlich.

Die Barrier-Studie von DCAF stellt in diesem Zusammenhang einen wertvollen Referenzpunkt dar, da die dort herausgearbeiteten Hürden auch für die Beteiligung von Polizistinnen an UN-Friedensmissionen gelten. In Deutschland sollten besonders jene Aspekte untersucht werden, die die Chancengleichheit schwächen. Dies sind zum Beispiel der fehlende Zugang zu Informationen über Möglichkeiten an Auslandseinsätzen teilzunehmen; mögliche Einschränkungen durch das polizeiliche Arbeitsumfeld in der Mission bspw. durch unangemessene Unterkunft und Ausrüstung; familienbedingte Einschränkungen im Zusammenhang mit der überproportionalen Verantwortung von Frauen für die Betreuung und Pflege von Kindern und älteren Angehörigen; fehlende Gleichbehandlung im Einsatz; höheres Risiko sexueller und geschlechtsbasierter Belästigung und Gewalt; unzureichende (Weiter-)Förderung auf der Ebene der Entsendeorganisation und fehlende Karriere-Entwicklungsmöglichkeiten (bspw. durch fehlende berufliche Unterstützungsnetzwerke).

Es liegt demnach auf der Hand, dass die spezifischen Hürden, die deutsche Polizistinnen davon abhalten sich für internationalen Friedensoperationen zu bewerben, systematisch erhoben werden müssen. Dies sollte geschehen, indem sowohl Polizistinnen als auch die polizeilichen Trainingsinstitute in Brühl, Böblingen und Lübeck, die die Vor- und Nachbereitungsseminare für Polizist_innen durchführen, die Entsender in Bund und Ländern (z.B. die Dienststellenleitungen) sowie die Geschäftsstelle AG IPM befragt und in Planungsprozesse mit einbezogen werden.

Mehr Polizistinnen machen Missionen effektiver

Wie aus zahlreichen Sicherheitsratsresolutionen, Strategiepapieren, Richtlinien und Standard Operating Procedures der UN-Polizeidivision hervorgeht, wird die Teilnahme von Polizistinnen an Friedensoperationen und auch gender-sensibles policing (welches die unterschiedlichen Sicherheitsbedürfnisse von Frauen, Männer, Mädchen und Jungen in der gesamten Bandbreite des polizeilichen Aufgabenspektrums in einer UN-Friedensoperation berücksichtigt) innerhalb der UN als hochrelevant für die operationale Effektivität von Missionen eingeschätzt. Im Klartext heißt das: eine gender-ausgeglichenere Beteiligung an UN-Friedenmissionen hat nachweisbar positive Auswirkungen. Die operative Effektivität von Missionen wird verbessert und es werden wichtige Beiträge zur Verwirklichung der „Frauen, Frieden und Sicherheit“ (WPS)-Agenda und des Grundsatzes des equal right to serve geleistet. Deutlich gemacht werden soll hier ein Aspekt, der in aktuellen Gleichstellungsdebatten oftmals übersehen wird: Der Fokus auf eine einfache quantitative Erhöhung von Teilnehmerinnenzahlen greift zu kurz. Vielmehr sollten die qualitativen Faktoren in den Vordergrund gestellt werden, die für eine verstärkte Partizipation von Polizistinnen sprechen. 

Frauen können negative Auswirkungen von Missionen reduzieren und deren Legitimität erhöhen

Das Argument, dass die Teilnahme von uniformierten Frauen besonders gefördert werden sollte, um Missionen effektiver zu mache, taucht bisher nur sehr sporadisch in politischen Debatten auf. Es gibt jedoch viele Gründe, die für die Richtigkeit dieser Annahme sprechen. So wurde in einer Studie des österreichischen Innenministeriums festgestellt, dass die Teilnahme von Polizistinnen an Missionen good-practice-Beispiele liefere, die eine verstärkte Implementierung von Geschlechtergleichstellungsmaßnahmen in den jeweiligen Polizeistrukturen der Gaststaaten zur Folge habe. Auch führe eine sichtbare Teilnahme von Polizistinnen zu einer Erleichterung der Kontaktaufnahme mit Opfern von sexueller Gewalt und Menschenhandel und zu einer Verbesserung des Außenbildes einer Mission.

In der DCAF-Barrier-Studie wird hervorgehoben, dass Teams mit größerem Frauenanteil besser in der Lage dazu seien, Kontakte zur lokalen Bevölkerung aufzubauen und ein besseres Verständnis für ihre Bedarfe zu entwickeln. Dieser Aspekt hat im Rahmen von Community Policing und Maßnahmen rund um die Bekämpfung von sexueller und geschlechtsbasierter Gewalt (SGBV) besondere Relevanz. Zudem sprechen ein nachweislich geringerer Gebrauch von Gewalt und Schusswaffen und eine größere Bereitschaft zu Deeskalation und Vertrauensaufbau der Studie zufolge dafür, dass durch den Einsatz von Frauen die negativen Auswirkungen von Friedensmissionen reduziert werden können. Schließlich führe die Präsenz von Frauen zu einer größeren Legitimität der Mission aus der Sicht von Zivilist_innen. 

Besonders sichtbar wird der positive Beitrag zur operativen Effektivität von Missionen durch die Teilnahme von Frauen im Rahmen sog. All Female Teams in Missionen der UN – nur aus Polizistinnen bestehenden geschlossenen Polizeieinheiten (sog. Female Formed Police Units, F-FPUs) oder nur aus Soldatinnen bestehenden Einheiten. Erfahrungen wie die der indischen F-FPU im Rahmen der UN-Mission in Liberia (UNMIL), die unter anderem von der ehemaligen Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf für ihre Vorbildfunktion für liberianische Frauen gelobt wurde, liefern hier konkrete good-practice-Beispiele. So zeigte sich in einer aktuellen Studie des Effectiveness of Peace Operation Networks (EPON) zur UN-Mission in der Zentralafrikanischen Republik (MINUSCA) auch, dass die Präsenz von Polizistinnen der UNPOL und Soldatinnen des Female Engagement Teams des sambischen Bataillons nachhaltige Effekte für ein verbessertes Sicherheitsempfinden und eine erhöhte Motivation für eine Karriere im Sicherheitssektor unter zentralafrikanischen Frauen mit sich gebracht hat.

Spezifische Hürden für Polizistinnen in Auslandseinsätzen systematisch berücksichtigen

Wie kann die Teilnahme von Polizistinnen an internationalen Friedensoperationen weiter gefördert werden? Welche implementierten Maßnahmen haben sich bewährt und können weiter ausgebaut oder optimiert, welche von anderen Staaten erfolgreich erprobten Konzepte können angewandt werden? Der dritte NAP der Bundesregierung zur Umsetzung der Resolution 1325 sollte hier klare Maßnahmen zur Konsolidierung und Weiterverfolgung der im zweiten NAP formulierten Ziele beinhalten. Jüngste positive Entwicklungen wie die Erhöhung der Anzahl von Polizistinnen in einigen Missionen sollten in besonderer Weise gewürdigt und im Rahmen der deutschen Beteiligungen in Friedensoperationen verstetigt werden. Zu empfehlen ist eine systematische Berücksichtigung sowohl der spezifischen Hürden, mit denen deutsche Polizistinnen konfrontiert sind, als auch der spezifischen Potentiale, die der Einsatz von Polizistinnen in Missionen mit sich bringt. Ein diesbezüglicher Vorschlag für ein Forschungsprojekt wurde vom Fachgebiet Internationale Polizeiliche Beziehungen der Deutschen Hochschule der Polizei im Juni 2020 auf ministerieller Ebene eingereicht.  

Gender-Aspekte in Ausbildung und Trainings ausbauen

Wichtige Impulse für den NAP III sind darüber hinaus von der bevorstehenden Veröffentlichung des Umsetzungsberichtes zum NAP II zu erwarten. Hier werden aktuelle Entwicklungen wie die verstärkte Berücksichtigung von Genderaspekten in Training und Ausbildung von Polizist_innen im Inland aber auch in Trainings von Polizist_innen in anderen Staaten oder in regionalen Organisationen aufgezeigt. Von herausgehobener Bedeutung ist der bereits in den deutschen polizeilichen Trainingsinstituten sowie bspw. auch in den Kursen des ZIF stattfindende Prozess einer gezielten Einbeziehung gendersensibler Aspekte sowie deren praxisbezogene Aufbereitung in den entsprechenden Trainings und in der Ausbildung. Aktuell werden in dem für alle deutschen Polizist_innen verpflichtenden Basisseminar zur Vorbereitung auf einen internationalen Missionseinsatz Inhalte der UN-Resolution 1325 sowie der Folgeresolutionen behandelt. Zusätzlich werden Spezialtrainings zu WPS und SGBV an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg/Böblingen angeboten, die konkrete Anleitungen für die Umsetzung der Ziele von Resolution 1325 vermitteln und sich auch an Personal der Bundeswehr und aus dem zivilen Bereich wenden.

In den vorbereitenden Trainings sollten zukünftig Fähigkeiten im Bereich Gender-Mainstreaming im Rahmen polizeilicher Aufgaben in internationalen Friedensoperationen sowohl bei Polizistinnen als auch bei Polizisten gefördert und wenn möglich ausgebaut werden. Ebenso würde die Einbeziehung von neuen Themenfeldern wie beispielsweise der Umsetzung genderresponsiver Maßnahmen im Rahmen von Sicherheitssektorreformen (SSR) in Vorbereitungstrainings oder Fortbildungen aktuellen strategischen Ausrichtungen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik Rechnung tragen.    

Rückkehrerinnen systematisch nach ihren Erfahrungen befragen und Austausch fördern

Auch im Rahmen der von den Trainingsinstituten organisierten Nachbereitungskurse besteht bislang noch nicht ausgeschöpftes Potential, die in Friedenseinsätzen gewonnenen wertvollen praktischen Erfahrungen im Sinne eines Wissensmanagements für zukünftige Einsätze zu sichern. Eine qualitativ umfangreichere Erhebung von Einsatzerfahrungen im Rahmen einer systematischen Befragung der Missionsrückkehrer_innen über die bisherigen Inhalte der Nachbereitungskurse hinaus wäre hier eine erste niedrigschwellig zu implementierende Maßnahme, die einen Fokus auf gendersensible Informationen erst ermöglichen würde. Eine Vertiefung des Austausches zwischen Geschäftsstelle der AG IPM und Trainingsinstituten wäre im Hinblick auf eine mögliche Erhebung von gendersensiblen Aspekten, zum Beispiel im Rahmen von Factfinding-Missionen ebenfalls von großem Vorteil. Im Zuge der kritischen Auseinandersetzung mit den spezifischen Faktoren, die bis dato dafür sorgen, dass Polizistinnen in internationalen Polizeimissionen unterrepräsentiert sind, sollte nach Erkenntnissen der Barrier-Studie auch die mangelnde Einbindung von Frauen in karrierefördernde informelle Netzwerke berücksichtigt werden. Dies liefert wichtige Erklärungsansätze, warum Polizistinnen sich seltener für ein Engagement in einer internationalen Mission bewerben und sich ihre beruflichen Laufbahnen nach Wiederkehr oft weniger vorteilhaft entwickeln, als dies bei ihren männlichen Kollegen der Fall ist. Die strukturelle Förderung eines institutionalisierten Netzwerkes, welches sowohl Polizistinnen, die sich in internationalen Einsätzen befinden oder an solchen interessiert sind, als auch Missionsrückkehrerinnen die Möglichkeit zu Information und Austausch bietet, erscheint hier als das Gebot der Stunde.

Friedenseinsätze Frauen Polizei

Nina Steinitz

Nina Steinitz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Internationale Polizeiliche Beziehungen der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Sie forscht zu den Themen Evaluation von deutschem polizeilichem Engagement in internationalen Friedensoperationen und bilateralen Projekten sowie zur Teilnahme von Polizistinnen in internationalen Friedensoperationen. @nina_steinitz