Feministische Außenpolitik für einen besseren Multilateralismus

12. November 2020   ·   Barbara Mittelhammer

Um globale Herausforderungen umfassender, nachhaltiger und gerechter anzugehen, sollte sich die Bundesregierung beim Weißbuch Multilateralismus an drei Grundpfeilern feministischer Außenpolitik orientieren: Menschliche Sicherheit, Diversität und Inklusion in allen Phasen des Policy-Zyklus, sowie ein selbstkritischer Blick nach innen.

Die Bundesregierung möchte mit dem Weißbuch Multilateralismus „neue Wege zur Bearbeitung jener Herausforderungen finden, die derzeit nicht ausreichend von Regelsystemen erfasst sind“, schreibt Staatsminister Niels Annen im Auftakt zu dieser Debatte. Angesichts globaler Herausforderungen unter dem Brennglas von Covid-19 und inmitten einer anhaltenden Krise des Multilateralismus sollte die Bundesregierung diese Gelegenheit wahrnehmen, um über die Bewahrung der Grundzüge des multilateralen Systems hinaus zu gehen. Das ist nicht nur angesichts des Anspruchs‚building back better‘ angemessen, der nach den Erfahrungen im Umgang mit der Coronavirus-Pandemie an internationale Zusammenarbeit gestellt wird. Es bietet auch die Möglichkeit, eigene beziehungsweise systemimmanente blinde Flecken und Schwachstellen aufzudecken und zu adressieren.

Eine solche Schwachstelle ist, dass politische Entscheidungsprozesse nicht ausreichend divers und inklusiv gestaltet sind. Frauen und andere marginalisierte Gruppen sowie ihre unterschiedlichen Bedürfnisse bleiben in diesen Prozessen stark unterrepräsentiert.  Dabei ist der positive Effekt  gleichberechtigter und inklusiver Beteiligung beispielsweise auf die Stabilität und Qualität von Friedensabkommen oder Konfliktprävention belegt. Über diese instrumentellen Effekte hinaus ist die Gleichstellung der Geschlechter eines der Grund- und Menschenrechte, zu denen Deutschland sich in seiner Außenpolitik deutlich bekennt.

Politik, die nicht wirklich divers gedacht und gestaltet ist, und nicht alle in den Blick nimmt, die von ihr betroffen sind, wird immer zu kurz greifen, auch wenn sie wohl gemeint ist. Feministische Außenpolitik reflektiert internationale Machtstrukturen, orientiert sich an den Bedürfnissen aller Personengruppen, stellt menschliche Sicherheit und Menschenrechte in den Mittelpunkt und macht Gender als Distinktionsmerkmal sichtbar. So können globale Herausforderungen umfassender, nachhaltiger und gerechter bearbeitet werden. Das Weißbuch Multilateralismus sollte sich daher an den Grundpfeilern feministischer Außenpolitik orientieren.

1. Grundpfeiler: Ein breit gefasstes Sicherheitsverständnis

Ein feministisches Verständnis von Frieden und Sicherheit ist breit gefasst, ähnlich wie im Konzept menschlicher Sicherheit, und wird um Dimensionen wie wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung erweitert. Dadurch rücken Aspekte nachhaltiger Entwicklung und Frieden, aber auch von Pandemie-Management oder der Klimakrise in den Fokus. Im Mittelpunkt steht die Sicherheit von Individuen, nicht von Staaten. Im Gegensatz zum engeren Begriff nationaler Sicherheit betont eine feministische Perspektive zivile Mittel und Prävention und beleuchtet strukturelle Ungleichheiten, nicht nur zwischen den Geschlechtern.

Die Bundesregierung sollte im Weißbuch dieses umfassende Sicherheitsverständnis übernehmen, da ein effektiver Multilateralismus auf diese Weise globale Herausforderungen klarer in den Blick nehmen und vorausschauender, nachhaltiger und zielbewusster wirken kann. Außerdem sollte der Blick im Weißbuch auf Wirkungszusammenhänge gelegt werden, wie beispielsweise den Umgang mit der Klimakrise und deren Auswirkungen auf Frieden und Sicherheit. In diesen Prozess sollten alle Ressorts entsprechend einbezogen werden, um Politikkohärenz sicherzustellen.

Ein feministisches Sicherheitsverständnis wirkt sich auch auf finanzielle Beiträge und entsprechende Zusagen im Weißbuch aus. Die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit, Krisenprävention und humanitäre Hilfe sollten in den jeweiligen Etats nachhaltig gesteigert und das fortbestehende Missverhältnis zugunsten des Verteidigungsetats ausgeglichen werden. Die Bundesregierung muss an ihrer Verpflichtung zur ODA-Quote von 0,7% festhalten und diese umsetzen. Außerdem sollten finanzielle wie personelle Ressourcen für bedürfnisorientierte und genderbewusste Risiko-Analysen, Vorausschau und Frühwarnsysteme gestärkt werden. Dabei sollte die besondere Belastung durch Covid-19 im Bereich humanitärer Hilfe und sozio-ökonomischer Entwicklung berücksichtigt werden. 

2. Grundpfeiler: Diversität in allen Phasen und Bereichen

Eine weitere Säule feministischer Außenpolitik ist Diversität in Teilhabe und Rollenbildern. Dabei geht es um die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen und marginalisierten Gruppen und das Aufbrechen struktureller Ungleichheiten. Das kritische Hinterfragen „kulturelle(r) Normen, die unterdrücken und ausschließen“ ist daher ein wesentlicher Bestandteil der feministischen Perspektive. Der Zivilgesellschaft kommt dabei größere Handlungsmacht zu, als bisher in internationaler Zusammenarbeit der Fall. Zwar beruht Multilateralismus auf Staatlichkeit als Ordnungsprinzip, dennoch können globale Herausforderungen wie die Klimakrise, die Regulierung des Cyberraums, nachhaltige Entwicklung oder der internationale Terrorismus, um nur einige zu nennen, nicht ohne nicht-staatliche Akteure gedacht werden. Damit ist ein feministischer Ansatz besonders geeignet, um Antworten auf heutige Herausforderungen zu finden.

Eine so verstandene Diversität ist als Grundlage multilateraler Zusammenarbeit wichtig, um wesentliche Bedürfnisse, Informationen, Perspektiven und Akteure einzubeziehen, die momentan bei der Bearbeitung von globalen Problemen übersehen werden. Somit kann internationale Politik nachhaltig wirksam gestaltet werden.

Um einen diversen Ansatz voranzubringen muss die Bundesregierung im Weißbuch die Teilhabe von Frauen und marginalisierten Gruppen in allen Phasen und auf allen Ebenen des Policy-Zyklus verankern und Auswirkungen politischer Maßnahmen auch aus der Gender-Perspektive abwägen. Dafür sollte das Weißbuch konsequent Gender-Mainstreaming in allen Prozessen und auf allen Ebenen umsetzen. Neben paritätischer Teilhabe sollen damit auch Barrieren zur Beteiligung von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen an politischen Entscheidungen abgebaut werden. Dafür sollten im Weißbuch Quoten zur Besetzung von Ämtern, Positionen, Delegationen, Einsatzteams etc. definiert. Dort wo möglich sollten Gender-Marker für Budgets festgelegt und Gender-Analysen als Instrument in politischen Entscheidungsprozessen verankert werden. Gender kann dadurch als relevante politische Dimension im Weißbuch sichtbar gemacht werden und darf nicht verhandelbar sein.

Der programmatischen und sprachlichen Ausgestaltung des Weißbuchs sollten außerdem Rollenbilder zugrunde liegen, die Stereotype aufbrechen. Frauen im Rahmen des Weißbuchs als einseitig schutzbedürftig darzustellen, würde vernachlässigen, dass sie auf vielfältige Art zu Frieden und Sicherheit beitragen, sei es in Konfliktprävention, Friedensförderung, Wiederaufbau oder Übergangsjustiz. Für Männer und Jungen müssen sowohl spezifische Schutzbedürfnisse als auch Anforderungen an (Weiter)bildung und Training in Amt und Einsatz berücksichtigt werden, beispielsweise im Hinblick auf eigene stereotype Rollenbilder.

Um alle Phasen politischer Entscheidungsprozesse inklusiver zu gestalten, sollte das Weißbuch die Zivilgesellschaft und im Besonderen die Expertise feministischer Organisationen aktiv einbinden und feministische Netzwerke weltweit fördern. 

3. Grundpfeiler: Selbstkritische Reflektion

Und schließlich beginnt feministische Außenpolitik zu Hause. Politischer Wille und ein ernsthaftes Interesse an Veränderung sind nötig, um echten Fortschritt zu erreichen. Ein selbstkritisches Hinterfragen der eigenen Rolle ist Teil einer feministischen Perspektive. Maßgaben an Diversität, Teilhabe und Inklusion richten sich auch und zuallererst an die heimische Politik. Deutschland wird der Gleichstellung der Geschlechter auf nationaler Ebene bei Weitem nicht gerecht, weder in Politik noch in der Wirtschaft. Es fehlt an kritischer Positionierung – zu der eigenen Kolonialgeschichte, dem systematischen Aufarbeiten rassistischer Strukturen, und beispielsweise dem Hinterfragen geschlechtsspezifischer Auswirkungen deutscher Waffenexporte. Die Bundesregierung setzt mit dem Weißbuch Multilateralismus besonders in Zeiten erstarkenden Rechtspopulismus und Nationalismus ein wichtiges Zeichen für werte- und regelbasierte internationale Zusammenarbeit. Im Sinne der eigenen Glaubwürdigkeit sollte das Weißbuch bei der Einordnung von Deutschlands Rolle im multilateralen System einen selbstkritischen Blick nach innen zugrunde legen.

Den Fokus auf Umsetzung und Wirksamkeit setzen

Letztlich sollte die tatsächliche Umsetzung der drei beschriebenen Prinzipien als Messlatte dienen. Dafür sollte sich die Bundesregierung an ‚best-practice‘-Beispielen und der Expertise feministischer Zivilgesellschaft orientieren. Die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen sind dabei nicht zuletzt hinsichtlich ihrer Operationalisierung ein Vorbild. So sollte das Weißbuch einen Fokus auf politische Umsetzung und Wirksamkeit der Maßnahmen legen.

Die zähe Umsetzung und langsamen Fortschritte der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ auf Basis der UN-Sicherheitsratsresolution 1325 verdeutlichen, wie dringend wir in diesem Bereich Wirkungsorientierung benötigen. Das Weißbuch sollte deshalb einen funktionalen Monitoring-Mechanismus für die Instrumente des Gender-Mainstreamings als Teil der deutschen Multilateralismus-Strategie etablieren.  

Die Bundesregierung sollte das Weißbuch Multilateralismus zum Anlass nehmen, um das multilaterale Wertesystem – mindestens aber ein entsprechendes deutsches Selbstverständnis – diverser, inklusiver und dabei stärker zu machen. Deutschland sollte die eigenen Bemühungen um eine feministische Außenpolitik intensivieren und umfassend in eine ressortübergreifende deutsche Außenpolitik integrieren. Für zögerliches und ausgrenzendes Handeln gibt es wenig Raum in Anbetracht der immensen Herausforderungen vor denen wir stehen.

Zivilgesellschaft Frauen Multilateralismus

Barbara Mittelhammer

Barbara Mittelhammer ist selbstständige politische Analystin und Beraterin in Berlin. Ihre Themenschwerpunkte sind humanitäre Sicherheit, feministische Außenpolitik und die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“. @BMittelhammer