Global abrüsten, um das Klima zu schützen 24. Februar 2021 · Angelika Claußen Der Klimawandel verstärkt nicht nur bestehende Konflikte: Kriege und militärische Interventionen sind gleichzeitig extrem schädlich für das Klima. Abrüstung kann daher nicht nur die Emissionen der Rüstungsproduktion reduzieren, sondern auch finanzielle Ressourcen für Klimaschutz freisetzen. Die Bundesregierung sollte auf eine nachhaltigere Sicherheitspolitik setzen. Debatten Klima und Konflikte Prioritäten und Impulse für die Bundesregierung Das Leben auf der Erde und die Gesundheit ihrer Bewohner*innen ist im 21. Jahrhundert doppelt bedroht – durch die fortschreitende Klimakatastrophe und die zunehmende Atomkriegsgefahr. Zu beiden trägt die aktuelle globale Aufrüstungsspirale massiv bei. Sie produziert Emissionen und Umweltverschmutzung, bindet dringend benötigte Finanzmittel und führt zur Renaissance von Abschreckungsstrategien. Gleichzeitig haben Erderhitzung, Biodiversitätsverlust und die Übernutzung unserer Lebensgrundlagen schon jetzt massive Folgen für unsere Gesundheit und für die menschliche Sicherheit. Dabei sind Militär und die Rüstungsindustrie als angebliche Garanten für Sicherheit und Wohlstand nicht Teil der Lösung, sondern des Problems: Sie heizen die Klimakatastrophe weiter an. So hängen Konflikte und Kriege direkt oder indirekt mit den sich zuspitzenden ökologischen Krisen zusammen. Dabei sind Militär und die Rüstungsindustrie als angebliche Garanten für Sicherheit und Wohlstand nicht Teil der Lösung, sondern des Problems: Sie heizen die Klimakatastrophe weiter an und schwächen unsere Anpassungsmöglichkeiten erheblich. Sowohl die Klimakrise als auch Aufrüstung erfordern multilaterale Lösungen Die Lösungsstrategien für die Klimakrise, Aufrüstung und das atomare Wettrüsten gehen in dieselbe Richtung: Als grenzüberschreitende Herausforderung benötigen sie globale Prävention und kollektives Handeln auf Grundlage der Erkenntnisse der Wissenschaft. Während die vom Menschen verursachte Klimakatastrophe seit über vier Jahrzehnten wissenschaftlich untersucht und belegt ist, steht die Wissenschaft bei der Erforschung der Wirksamkeit militärischer Mittel zur Erreichung politischer Ziele, sei es nun nukleare Abschreckung oder die militärische Abschreckungsdoktrin allgemein, ziemlich am Anfang. In den letzten Jahren stellten zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse den Beitrag des Militärs zur Erreichung politischer Ziele in Frage. Es gibt Lichtblicke multilateraler Kooperation: Ein historisches Beispiel für kollektives Handeln auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse stellt das Pariser Klimaabkommen von 2015 dar. Erstmals haben fast alle Staaten der Erde nationale Klimaschutzziele definiert. Mit der Ratifizierung des Abkommens sind die Staaten völkerrechtlich verpflichtet, Maßnahmen zur Erreichung der Ziele zu ergreifen, auch wenn internationale Kontrollmechanismen noch schwach ausgeprägt sind. Der am 22. Januar 2021 in Kraft getretene Atomwaffenverbotsvertrag ist ein weiteres Beispiel für die gelungene Zusammenarbeit globaler zivilgesellschaftlicher Bewegungen mit der Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten, die bereit sind, Atomwaffen zu ächten und abzuschaffen. Ein historischer Erfolg in Zeiten von sich auflösenden Abrüstungsverträgen. Er rückt die humanitären Folgen der Massenvernichtungswaffen in den Fokus und wurde gegen den Willen der Atomwaffenstaaten errungen, die sich gegen ihre vertraglich festgelegte Verpflichtung zur Abrüstung sperren. CO2-Emmissionen der Rüstungsproduktion werden in den Klimazielen ausgeblendet Der zähe Widerstand einiger Regierungen gegen jegliche Abrüstungspolitik hängt mit ihrem Status als Atomwaffenmacht zusammen: als ständige Mitglieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) bestimmen sie wesentliche Grundlinien der Weltpolitik. In allen fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats existiert ein mächtiger militärisch-industrieller Komplex (MIK), der seine Interessen sowohl im militärischen wie auch im zivilen Bereich vertritt. Kaum bekannt ist bisher, dass Regierungen und der Weltklimarat (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) den militärisch bedingten CO2-Fußabdruck systematisch ausblenden, seit dem Kyoto-Protokoll von 1997 bis heute im Pariser Klimaabkommen. Kaum bekannt ist bisher, dass Regierungen und der Weltklimarat (UNFCCC) den militärisch bedingten CO2-Fußabdruck systematisch ausblenden, seit dem Kyoto-Protokoll von 1997 bis heute im Pariser Klimaabkommen.Dies ist fatal, da Militär, Rüstungsindustrie und Krieg ungeheure Mengen an fossilen Brennstoffen verbrauchen: Das US-Verteidigungsministerium allein verzeichnete beispielsweise 2017 einen höheren Treibhausgasausstoß als Länder wie Dänemark oder Schweden. Ein von der deutschen Bundeswehr eingesetzter Kampfjet vom Typ Eurofighter verbraucht 3.500 Kilogramm Treibstoff pro Flugstunde, entsprechend 11 Tonnen CO2 Äquivalente. Das entspricht dem jährlichen CO2-Fußabdruck eines Bundesbürgers und auch der ist schon viel zu hoch. Im Jahr 2018 verbrachten die Eurofighter der Bundeswehr 10.480 Flugstunden in der Luft. Mehr als 9 Millionen Bäume bräuchte es, um die umgerechnet dadurch frei gesetzten 115.280 Tonnen CO2 zu speichern. Hinzu kommen die massiven schädlichen Umweltauswirkungen durch verseuchte Böden und Gewässer, Brände und Flächenverbrauch, sowohl durch Militärübungen als auch durch Kriegsausübung. Militär, Rüstungsindustrie und Krieg zerstören damit die Umwelt als Grundlage menschlicher Sicherheit und tragen wesentlich zur Klimakatastrophe bei. Die Erfassung und transparente Veröffentlichung des CO2-Stiefelabdrucks militärischer Aktivitäten wäre deshalb grundlegend für eine effektive Klimaschutzstrategie. Eine militärische Antwort auf durch den Klimawandel verstärkte Konflikte ist kontraproduktiv Gleichzeitig ist die Klimakrise bekanntermaßen Verstärker von Konfliktfaktoren wie Nahrungsunsicherheit, Armut und Naturkatastrophen. Weltweit werden die Ressourcen knapper und es drohen Kriege nicht nur um Rohstoffe, sondern auch um Trinkwasser und fruchtbares Land. Dies ist besonders in den von der Klimakatastrophe am stärksten betroffenen Regionen im globalen Süden der Fall. Durch die Klimakatastrophe befeuerte Konflikte verhindern so auch mögliche Anpassungsstrategien an eben diese Krise. Am meisten bedroht sind die, die am wenigsten zu den Ursachen beitragen – Kinder, Frauen, Einkommensschwache und Benachteiligte. Angesichts dieser komplexen Probleme muss die Politik „Verantwortung“ übernehmen. Diese wird häufig als militärische Stärke, Aufrüstung und militärische Interventionen definiert. Im Weißbuch der Bundeswehr wird ausgeführt, es müsse in „[u]nserer Sicherheitspolitik (...) darum gehen, in den betroffenen Regionen [gemeint sind Krisenregionen in Afrika und im Nahen Osten] legitime politische Strukturen zu stärken und widerstandsfähiger zu machen.“ Das solle durch einen „vernetzten Ansatz“ geschehen, der zivile und militärische Instrumente verbindet. Eine systematische und unabhängige Evaluierung der Ergebnisse militärischer Instrumente, sowohl durch die Konfliktforschung als auch durch die politischen Entscheidungsträger*innen fehlt jedoch. Die zugrunde liegende Konfliktbearbeitung muss zivilen Instrumenten den Vorrang geben, zivile und militärische Mittel müssen klarer getrennt bleiben. Aufrüstung bindet finanzielle Ressourcen, die für Maßnahmen gegen den Klimawandel gebraucht werden Militärische Aufrüstung führt nicht nur zu großem menschlichen Leid, zur Zerstörung von Infrastruktur und zur Entstehung von Migration und Flucht. Sie bindet zudem finanzielle Ressourcen für die Bekämpfung der Klimakatastrophe. 1.917 Billionen US-Dollar flossen 2019 in globale Rüstungsausgaben. Dem gegenüber berechnen Wissenschaftler*innen des Fachjournals Science 1,4 Billionen US-Dollar, die bis 2024 jährlich in Klimaschutz Investitionen fließen müssten, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung zu globalen Umweltveränderungen hat schon 2007 gewarnt: „Ohne entschiedenes Gegensteuern wird der Klimawandel bereits in den kommenden Jahrzehnten die Anpassungsfähigkeit vieler Gesellschaften überfordern. Der Klimawandel könnte die Staatengemeinschaft aber auch zusammenführen, wenn sie ihn als Menschheitsbedrohung verstehen und durch eine energische, weltweit abgestimmte Politik die Weichen für eine Vermeidung des gefährlichen anthropogenen Klimawandels stellt.“Die Opfer der Klimakatastrophe werden als Bedrohung definiert und die Konfliktregionen als neue Märkte für die Rüstungsindustrie. Die Anerkennung der humanitären Bedürfnisse der betroffenen Menschen [...] fehlt. Die aktuelle Politik der Regierungen der NATO-Länder, der EU, Russlands, Chinas und anderer Staaten lässt jedoch bisher keine solche „Zusammenführung der Staatengemeinschaft“ erkennen. Stattdessen ist eine „Versicherheitlichung“ des Klimadiskurses zu befürchten. Viele Länder legen ihren Schwerpunkt auf Flüchtlingsabwehr, Grenzsicherung, Aufstandsbekämpfung und die Kontrolle von Rohstoffquellen und Handelswegen. Die Opfer der Klimakatastrophe werden als Bedrohung definiert und die Konfliktregionen als neue Märkte für die Rüstungsindustrie. Die Anerkennung der humanitären Bedürfnisse der betroffenen Menschen – geschweige denn ein Dialog mit ihnen und ihren Interessensvertreter*innen – fehlt. Die Bundesregierung sollte Transparenz über CO2-Emmissionen der Bundeswehr schaffen und eine nachhaltige Sicherheitspolitik hin zu atomarer Abrüstung priorisieren Welche konkreten Schritte könnte die Bundesregierung gehen, um Gesundheit, Klimaschutz und damit die Lebensgrundlagen unseres Planeten zu bewahren? Deutschland nimmt als NATO-Mitglied bisher aktiv an der Nuklearen Teilhabe teil. Die Bundesregierung sollte eine klare Absage an das atomare Wettrüsten erteilen, indem sie erklärt, dass sie einen Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag beabsichtigt. Dieser Schritt ist mit der NATO-Mitgliedschaft vereinbar und würde auch eine Beendigung der Nuklearen Teilhabe nach sich ziehen. Die Bundesregierung kann konstruktive Gespräche mit den Niederlanden, Belgien und Italien führen, die ebenfalls US-Atomwaffen auf ihren Gebieten stationiert haben und gemeinsam die nukleare Teilhabe beenden. Als Schritt zu einer neuen nachhaltigen Sicherheitspolitik sollte Deutschland im Sinne der Abrüstung auf den Kauf nuklearwaffenfähiger F-18 Kampfbomber verzichten und Rüstungsexporte in alle diejenigen Länder des Nahen Ostens beenden, die in den Jemen-Krieg involviert sind. Die Bundesregierung muss sich verpflichten, Daten des CO2-Fußabdruckes der Bundeswehr für ihren nächsten Bericht, zunächst freiwillig, an das UNFCCC zu erheben. Auf Basis dieser Daten sollte sie in einem neuen Klimaschutzplan den bisherigen Budgetansatz für Emissionen, sowie den zur Verfügung stehenden zeitlichen Rahmen entsprechend der Ziele des Pariser Klimaabkommens neu berechnen. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung hat errechnet, dass Deutschland maximal 6,7 Milliarden Tonnen CO2 emittieren darf – dies bedeutet, dass die Klimaneutralität bereits vor dem Jahr 2050 erreicht werden muss. Dies sind nur einige Beispiele für mögliche Schritte in Richtung einer konsequenten Politik für Abrüstung und die Eindämmung der Klimakatastrophe. Debatten Klima und Konflikte Prioritäten und Impulse für die Bundesregierung Klimawandel Rüstungskontrolle Menschliche Sicherheit Angelika Claußen Dr. med. Angelika Claußen ist niedergelassene Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Sie war von 2001-2011 Vorsitzende der deutschen Sektion der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) und ist jetzt europäische Vizepräsidentin. @IPPNW
Artikel Klima-Sicherheit im VN-Sicherheitsrat: Mit mehr Wissen und mehr Glaubwürdigkeit mehr erreichen Die Bundesregierung sollte die Bemühungen zum Themenkomplex Klimawandel und Sicherheit auch nach der Mitgliedschaft im VN-Sicherheitsrat ausbauen. Hierfür sind die Stärkung der Wissensbasis, die Entwicklung eines breiten Sicherheitsverständnisses und die Verbindung von Maßnahmen zur Minderung der Folgen des Klimawandels mit Instrumenten zur Krisenprävention wichtig. Judith Nora Hardt, Michael Brzoska, Alina Viehoff • 02. Februar 2021
Artikel Mehr Konflikte, mehr Komplexität: Wie sich Klimawandel auf internationale Sicherheit auswirkt Obwohl der Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und Sicherheit schon lange bekannt ist, hat die Bundesregierung ihre Instrumente der Krisenprävention und Friedensförderung bisher unzureichend auf klimabedingte Sicherheitsrisiken abgestimmt. Sie sollte diese Risiken in Frühwarnsysteme integrieren und klima- und sicherheitspolitische Maßnahmen besser aufeinander abstimmen. Hannah Elisabeth Kurnoth, Lukas Rüttinger • 26. Januar 2021
Artikel Keine leichte Beute: Drei Ansätze zur Stärkung multilateraler Rüstungskontrollregime In ihrem Weißbuch Multilateralismus sollte die Bundesregierung die Rüstungskontrolle als klare Priorität festhalten. Konkret sollte sich die Bundesregierung vornehmen, Europas Handlungsfähigkeit in der Rüstungskontrolle zu stärken, plurilaterale Initiativen stärker mit globalen Regimen der Rüstungskontrolle zu verbinden und internationale Institutionen in diesem Politikfeld widerstandsfähiger zu machen. Pia Fuhrhop, Oliver Meier • 29. September 2020