Zeit für klimasensible Konflikttransformation: Komplexe Krisen brauchen komplexe Antworten

16. März 2021   ·   Nora Rathje

Wenn der Klimawandel als „Konflikttreiber“ bezeichnet wird, geraten sozioökonomische und politische Umstände leicht aus dem Blick. Ein systemischer Ansatz kann Zusammenhänge von Klimawandelfolgen und Konflikten verdeutlichen. Für den friedlichen Umgang mit Klimawandelfolgen in Krisenländern sollte Deutschland strukturelle Dimensionen gewalttätiger Konflikte beachten.

Aus Sicht der Konflikttransformation sind Konflikte Bestandteil des menschlichen Miteinanders und daher unvermeidlich für gesellschaftliche Prozesse. Wenn Konflikte konstruktiv ausgetragen werden, können sie sogar Möglichkeiten für gesellschaftlichen Fortschritt bieten. Problematisch wird es, wenn Konfliktparteien versuchen, ihre Interessen gewaltsam durchzusetzen. Im Kontext des Klimawandels muss die Bundesregierung deswegen neben ihrem Engagement zu Klimaschutz und Klimawandelanpassung zusätzlich Gesellschaften und Staaten darin unterstützen, friedliche Lösungen für den Umgang mit klimabedingten Stressfaktoren zu finden.

Um Konflikte in vom Klimawandel stark betroffenen Staaten zu entschärfen, muss die wachsende Ungleichheit aufgrund von Ressourcenknappheit bekämpft und der Zugang zu immer knapper werdenden Ressourcen wie Wasser und Land fair und transparent geregelt werden. Es braucht Räume und Mechanismen für den Dialog mit der Bevölkerung und zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen über den Umgang mit den Folgen des Klimawandels. Regierungen in diesen Ländern müssen soziale Sicherungsnetze für die von Klimawandelfolgen am härtesten betroffenen Bevölkerungsgruppen etablieren und mit der Zivilgesellschaft friedliche Ansätze zur Problemlösung entwickeln. Die politischen und gesellschaftlichen Strukturen müssen reaktionsfähig sein und zu transparenten, inklusiven und fairen politischen Entscheidungen führen, um den klimawandelbedingten Druck abzumildern.

Viele Konfliktregionen sind aber genau deswegen in der Krise, weil diese Prozesse, Institutionen und Strukturen nur unzulänglich oder gar nicht vorhanden sind.

Im Nahen Osten treffen Konflikte und Klimawandelfolgen auf sozioökonomische und politische Herausforderungen

Zahlreiche komplexe Konfliktdynamiken und besonders schwere Klimawandelfolgen durchziehen die Staaten im Nahen Osten. Der RICCAR Arab Climate Change Assessment Report prognostiziert für die Region höhere Temperaturen, veränderten Niederschlag, Rückgang an Frischwasservorkommen und fortschreitende Wüstenbildung. Wie sich dies aber auf das gesellschaftliche Miteinander auswirkt, hat viel mit den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Machtgefügen und Kapazitäten zu tun.

Im Irak beispielsweise führten Korruption, Kriege und mangelnde finanzielle Ressourcen dazu, dass die Wasserinfrastruktur seit Jahren nicht erneuert wurde. Zudem haben nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen Zugang zu Wasser. So hat sich der sogenannte Islamische Staat in seiner Rekrutierungsstrategie zunutze gemacht, dass ein Teil der sunnitischen Bevölkerung vom Wasser abgeschnitten war und sich politisch marginalisiert fühlte. Er setzte das Versprechen, dieser Bevölkerungsgruppe Zugang zu Wasser zu gewähren, gezielt für Propagandazwecke ein und teilweise auch praktisch um. In solchen Kontexten können zunehmende Dürreperioden Ungleichheiten verschärfen und das fragile soziale Gefüge im Irak zerbrechen lassen.

In Syrien haben Dürreperioden den Unmut gegen die Regierung zusätzlich verschärft, weil diese seit 2000 die Agrarwirtschaft liberalisierte und sich durch Subventionsabbau die soziale Sicherheit der Landbevölkerung verschlechterte. Während Korruption und Misswirtschaft die wirtschaftliche Not der ländlichen Bevölkerung verschlimmerten, konnte gleichzeitig eine urbane Elite immer wohlhabender werden. Staffan de Mistura, ehemaliger UN-Sonderbeauftragter für Syrien, sagte dazu auf einer Online-Konferenz der Berghof Foundation: „Die klimatischen Veränderungen haben die politische Krise in Syrien verstärkt und weiter angefacht.“ Weder in Syrien noch im Irak fanden Beteiligungsprozesse statt, in denen Betroffene die Missstände verbalisieren und politische Veränderungen hätten erreichen können.

Vereinfachte Narrative lenken von fehlenden politischen Rahmenbedingungen ab

Die naturwissenschaftlich geprägte Debatte über den Klimawandel denkt in kausalen Zusammenhängen von Ursache und Wirkung. Die Folgen des Klimawandels wirken aber in komplexen gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Kontexten, die als Systeme zu verstehen sind. Deren Wirkungszusammenhänge sind im weiteren Sinne multikausal und von komplexen Wechselwirkungen geprägt. Im Hinblick auf die Entwicklung friedensfördernder Strategien und Maßnahmen sollten Friedensakteure daher genau verstehen, unter welchen Bedingungen Ressourcenkonflikte gewalttätig werden, in welche Strukturen der Klimawandel hineinwirkt und welche langfristigen Transformationen nötig sind, um nachhaltige Mechanismen und Institutionen zum Umgang mit Klimawandelfolgen zu schaffen. Es ist dabei wenig hilfreich, den Klimawandel als „Konflikttreiber“ zu bezeichnen, da dies die sozioökonomischen und politischen Umstände in den Hintergrund rückt. Dieses Narrativ lässt zu wenig Raum, um überlagernde Ursachen und Wechselwirkungen zu erkennen.

In Syrien und im Irak zeigt sich, dass Konflikte nicht konstruktiv gelöst werden können, solange die politischen und sozialen Rahmenbedingungen fehlen. In diesen Kontexten tragen Klimastressoren zu Destabilisierung und Gewalt bei. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass Regierungen oder politische Gruppierungen Klimawandelfolgen politisch instrumentalisieren, um von Fehlentscheidungen, zugrundeliegenden Gewaltstrukturen oder Machtinteressen abzulenken.

Das Zusammenspiel von Klima und Konflikt funktioniert aber auch andersherum: Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung können fragile Staaten zusätzlich belasten. Denn Strategiebildung für komplexe und zum Teil mittelfristige Risikofaktoren und Ressourcenverteilung treten in akuten Krisensituationen hinter dann kurzfristig dringender erscheinenden Themen zurück. Dabei kann genau der ungenügende Umgang mit Beachtung der Klimawandelfolgen wiederum die staatliche Legitimität weiter untergraben und Institutionen schwächen.Klimaschutzmaßnahmen können zudem destabilisierend wirken, wenn diese nicht konfliktsensibel umgesetzt werden. So haben in Nepal einige Klimaschutzmaßnahmen zur Stärkung lokaler Administrationen beigetragen, die jedoch im Konflikt mit der Zentralregierung standen, erklärte ein Experte in einem BMZ Werkstattgespräch zu dem Thema. Der Werkstattbericht, der das Zusammenspiel von Klima und Konflikt ausführlich beleuchtet, erscheint im Mai 2021 auf dem FriEnt Peacebuilding Forum

Treibhausgasemissionen senken und Klimaziele verfolgen

Um den Druck auf gesellschaftliche und staatliche Strukturen in Krisenländern abzumildern, sollte die Bundesregierung die Treibhausgasemissionen hierzulande senken und sich international für die Einhaltung der Klimaziele engagieren. Angesichts des fortschreitenden Klimawandels sollte sie aber gleichzeitig weitere Maßnahmen umsetzen:

1. Nachhaltige Friedensförderung durch systemische, klimasensible Konfliktanalyse

Das Auswärtige Amt, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und ihre Partner sollten zur Entwicklung ihrer Strategien und Maßnahmen auf systemische Konfliktanalyse zurückgreifen, die neben klassischen Konfliktakteuren und Dynamiken auch den Zusammenhang zu Klimawandelfolgen berücksichtigt. Eine systemische Analyse kann helfen, Wechselwirkungen und sich gegenseitig verstärkende Effekte („Feedback loops“) zu erkennen. Daraus ließen sich zum einen länderspezifische Strategien entwickeln, die auf lange Sicht die strukturellen Dimensionen verändern, unter denen Stressoren wie der Klimawandel zu Gewalt führen. Zum anderen kann eine solche Analyse verdeutlichen, inwiefern Klimaschutz und Klimawandelanpassung als Ansatzpunkte für Konflikttransformation dienen. So könnten beispielsweise partizipative Dialog- und Aushandlungsprozesse über Wasserverteilung und -nutzung im Irak zur Friedensförderung zwischen verschiedenen Bevölkerungsteilen sowie zwischen der Zentralregierung und der Regierung der autonomen Region Kurdistan genutzt werden.

2. Den Klima-Entwicklungs-Friedensnexus in die Praxis umsetzen

Deutschland sollte die Zusammenarbeit in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz, Entwicklungszusammenarbeit und Konflikttransformation stärken. Dafür benötigt es über die „Strategie der strukturbildenden Übergangshilfe“ des BMZ und den Leitlinien der Bundesregierung zu Krisenprävention hinaus mehr Initiativen, um ressortübergreifende Kooperationen in der Praxis zu stärken. So könnten zum Beispiel inklusive lokale Dialogforen dabei helfen, Handlungsoptionen und Prioritäten für Klimaschutzmaßnahmen zu identifizieren und Projekte zu entwickeln. Geber- und Implementierungsorganisationen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit könnten diese im nächsten Schritt mit Akteuren vor Ort umsetzen. Die Dialogforen können als Konfliktlösungsmechanismus die Implementierung begleiten und langfristig auch andere Konfliktthemen adressieren.

Um Synergie- und Entwicklungspotentiale zu identifizieren, sollten das Auswärtige Amt, BMZ, BMU und BMWi gemeinsame Gesprächsformate initiieren, an denen auch Implementierungsorganisationen teilnehmen. Darüber hinaus sollten die Ministerien die Förderung von ressortübergreifenden Projektideen erleichterten, beispielsweise durch gemeinsame oder koordinierte Mittelvergabe. All diese Punkte können an die Erfahrungen des Triple-Nexus Ansatzes (Entwicklungszusammenarbeit, Humanitäre Hilfe, Friedensförderung) anknüpfen.

3. Langfristiges Engagement ermöglichen

Vor dem Hintergrund wie Klimastressoren in Konfliktkontexten wirken, ist es umso dringender, heute Veränderungsprozesse in Konfliktländern anzustoßen, die die Rahmenbedingungen für friedliche Konfliktlösungen von morgen schaffen. Für die Wechselwirkungen zwischen Klimawandel und Konflikt greifen linear gedachte Zusammenhänge, die einseitige Wirkungspfade zwischen Klimawandel und Konfliktverschärfung entwerfen, zu kurz. Die Konflikttransformation geht hingegen von multidimensionalen, nicht-linearen Prozessen aus, um die strukturellen Dimensionen von Gewaltdynamiken zu verstehen. Dazu lassen sich mit gesellschaftlichen Akteuren in den jeweiligen Ländern nachhaltige Veränderungsprozesse entwickeln, die Gesellschaften stabilisieren und langfristig widerstandsfähig machen. Solche Prozesse benötigen ein umfassendes und langfristiges Engagement, das über den Zeitrahmen eines ein- oder zweijährigen Projektzyklus hinausgeht. Das Auswärtige Amt sollte daher langfristige Finanzierung für diese Arbeit bereitstellen.

4. Forschung fördern zu Konfliktbearbeitungsmechanismen im Kontext von Klimawandel

Wie gehen lokale Institutionen und traditionelle Konfliktbearbeitungsmechanismen (zum Beispiel traditionelle Shura-Councils oder Ältestenräte) mit dem Druck des Klimawandels um? Welche Ansatzpunkte für Konfliktlösung über Ressourcenkonflikte bieten sie? Wo reichen diese Mechanismen nicht aus? Um klimawandelsensitive, friedensfördernde Projekte zu entwickeln und erfolgreich zu implementieren, sollte die Bundesregierung Forschung fördern, die diese Zusammenhänge untersucht. Durch Förderprogramme für lokale Forschungsprojekte und Einrichtungen können Institutionen in den Ländern selbst gestärkt und Erkenntnisgewinne lokal verankert werden.

Naher Osten & Nordafrika Klimawandel Konflikttransformation

Nora Rathje

Nora Rathje ist Projektmanagerin in der Middle East and North Africa Unit der Berghof Foundation.