Nachhaltige Rechtsstaatsförderung: Erfahrungen der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit

23. Mai 2019   ·   Stefan Hülshörster

Die Lehren der über 25-jährigen Erfahrung der IRZ zeigen: Wirkungsvolle und nachhaltige Rechtsstaatsförderung muss kontextbezogen sein, flexibel und schnell reagieren können, langfristig denken und Nachwuchskräften besondere Aufmerksamkeit schenken. Fehlender Reformwille und mangelndes Rechtsstaatsbewusstsein im Partnerstaat sind hierbei besondere Herausforderungen.

Debatten

in Zusammenarbeit mit dem RSF-Hub der Freien Universität Berlin

Die 1992 vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gegründete Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit e.V. (IRZ) blickt inzwischen auf mehr als 25 Jahre intensiver fachlicher Zusammenarbeit mit über 30 Partnerstaaten in der Rechtsstaatsförderung zurück. Um den bisweilen langjährigen Reformprozessen in den Partnerländern zu einem nachhaltigen Erfolg zu verhelfen, sind verschiedene – je nach Partnerstaat unterschiedliche – Parameter und Ansätze in der beratenden Tätigkeit zu berücksichtigen.

Die IRZ verfolgt mit ihrer Arbeit wichtige übergeordnete Ziele und bestimmte fachliche Schwerpunkte im Hinblick auf regionale Stabilität, Krisenprävention und eine europäische Integration. Auf dieser Ebene arbeitet die IRZ angebotsorientiert. Auf konkreter gesetzestechnischer Reformebene aber muss eine Beratungsinstitution wie die IRZ auch bedarfsorientiert arbeiten und sich an von den Partnerstaaten formulierten Reformschwerpunkten orientieren. Im Folgenden werden sieben Lehren aus der Arbeit der IRZ zusammengefasst.

1. Rechts- und Justizreformberatungen müssen kontextbezogen sein

Maßnahmen der Gesetzgebungsberatung und zur Unterstützung von Rechts- und Justizreformen in Transformationsstaaten müssen sich an den gegebenen rechtshistorischen, -kulturellen und -soziologischen Hintergründen orientieren und diese berücksichtigen. Normen können nicht ohne Weiteres von einem in ein anderes System übertragen werden („no legal transplants“). Wenn sie Wirkungen entfalten sollen, müssen sie sich in vorhandene Rechtsstrukturen einfügen und ein kohärentes System ausformen. So tragen sie dazu bei, dass systemische Blockaden in Recht und Justiz verhindert werden. Gelungen ist dies z.B. bei den Verfassungsberatungen in der Ukraine, bei der Einführung des Instruments der Verfassungsbeschwerde in Albanien und der Ukraine, bei der Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Republik Moldau und wiederum in der Ukraine, oder bei den Beratungen zur Reform des Zivilgesetzbuchs der Russischen Föderation, um nur einige Beispiele zu nennen.

Die IRZ vereint in ihren Gremien u.a. Mitglieder des Deutschen Bundestages, Vertreter*innen relevanter Bundesministerien, aller Kammern und Verbände der juristischen Berufe sowie der Wirtschaft. Hieraus kann sie einen Großteil ihrer Expert*innen gewinnen, die teils über viele Jahre intensiv an Beratungsvorhaben mitwirken. In der IRZ selbst arbeiten zudem Fachleute, die den nationalen Rechtsordnungen der Partnerstaaten versiert sind und die jeweiligen Landessprachen beherrschen. Diese werden vor Ort von gut vernetzten und spezialisierten Kolleginnen und Kollegen unterstützt, die teils auch selbst an Reformprozessen mitwirken. Durch diese Struktur können passgenaue Lösungsvorschläge erarbeitet werden.

2. Nach der Gesetzgebungsberatung muss die Implementierung des neuen oder reformierten Rechts folgen

Nach der Verabschiedung von neuen oder reformierten Gesetzen müssen diese institutionell und verfahrensmäßig implementiert werden, Folgegesetze erarbeitet oder angepasst, Institutionen aufgebaut oder umstrukturiert sowie Verfahrensabläufe definiert werden. Will man den Partnerstaaten dabei helfen, dass das reformierte Recht auch zu Geltung kommt, sind  die Fortbildung der Rechtsanwender*innen aller Ebenen und die Festigung eines an demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen orientierten Rechtsbewusstseins ebenso wichtig.

3. Rechtsstaatsförderung ist eine generationenübergreifende Aufgabe

Die Erfahrung aus mehr als zwei Jahrzehnten führt deutlich vor Augen, dass Rechts- und Justizreformen und damit die Rechtsstaatsförderung insgesamt eine generationenübergreifende, eine auf Dauer angelegte Aufgabe ist. Beratungsprojekte wie z.B. zur Schaffung von Verwaltungsgerichtsbarkeiten in den Transformationsstaaten haben in aller Regel mehrere Jahre in Anspruch genommen. 

So haben beispielsweise Beratungen zur Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Ukraine annähernd 15 Jahre gedauert, bis eine solche nach deutschem Vorbild eingeführt wurde. Eine dem deutschen Verwaltungsverfahrensgesetz entsprechende gesetzliche Grundlage für das Behördenhandeln wurde nach langem Stillstand erst Ende 2018 in das ukrainische Parlament eingebracht. Ähnlich lange benötigte man in der Republik Moldau. Dort tritt nun am 1. April 2019 ein Verwaltungskodex mit einem Verwaltungsgerichtsgesetz und einem Verwaltungsverfahrensgesetz in Kraft. Erforderlich sind mithin Geduld, ein langer Atem und bisweilen eine gewisse Frustrationstoleranz. 

4. Für die Projektarbeit erforderlich sind Flexibilität und zeitnahe Reaktionen

Die Reformprozesse in den Partnerländern vollziehen sich uneinheitlich, oft wenig stringent. Bisweilen geraten Reformen ins Stocken, bis hin zu längerem Stillstand. Manches Mal vollziehen sich unerwartet reformerische Kehrtwenden, positive wie negative. Politische Vorzeichen verändern sich oftmals schnell und unerwartet.

Dies alles erfordert ein überaus flexibles und unbürokratisches Arbeiten und stellt hohe Anforderungen an die eingesetzten Expert*innen, um adäquat auf sich schnell ändernde Rahmenbedingungen reagieren zu können. Flexibilität und Schnelligkeit sind daher bedeutsame und unabdingbare Faktoren für eine effektive Beratungstätigkeit. Unflexible und starre Projektplanungen hingegen sind in solchen Situationen hinderlich.

5. Fehlender Reformwille oder mangelndes Rechtsstaatsbewusstsein als Herausforderung

Gerade mit Blick auf die Bemühungen der Partnerstaaten zur effektive Korruptionsbekämpfung wird klar, dass ein fehlender Reformwille oder ein nur wenig ausgeprägtes Rechtsstaatsbewusstsein zu einem Leerlauf von reformierten Gesetzen führen können. Zwei Probleme bringen die Rechtsstaatsförderung, in der die zivilgesellschaftliche Beteiligung Bestandteil der Beratungsansätze ist und die das Wohl der gesamten Gesellschaft in den Blick zu nehmen hat, an die Grenzen der Machbarkeit: 

Einerseits die insbesondere in sogenannten defizitären Demokratien oft vorkommende mangelnde Akzeptanz von gesellschaftlicher Teilhabe an rechtspolitischen Reformprozessen z.B. durch NGOs. Andererseits eine immer noch an ökonomischen Partikularinteressen bestimmter Personengruppen ausgerichtete Politik in manchen Partnerstaaten. Hier wird deutlich, dass Rechtsstaatsförderung unbedingt durch eine Politikberatung im engeren Sinne begleitet werden sollte.

6. Nachwuchskräfte verdienen besondere Aufmerksamkeit

Die IRZ bietet z.B. in Sarajevo und in Lviv an den dortigen Universitäten Studiengänge für fortgeschrittene Studierende zur Einführung in das deutsche Recht mit europäischen Bezügen an. Hier verbirgt sich ein hohes Potential an reformbereiten und modern denkenden, fähigen und sprachkundigen jungen Jurist*innen, denen im fortgeschrittenen Studium durch diese Begleitstudien, durch universitäre Kooperationen, Stipendien und Sommerschulen Grundsätze und Inhalte von Rechtsstaatlichkeit nähergebracht werde. 

Sie werden in Zukunft die Träger und Garanten der Rechtsstaatlichkeit in ihren Heimatländern sein. In ähnlicher Weise unterstützt die IRZ junge berufstätige Jurist*innen durch praxisbezogene Hospitationen bei deutschen Kolleginnen und Kollegen. Gerade praxisorientierte Aus- und Fortbildungsprogramme für junge Jurist*innen müssen daher Teil der Rechtskooperation sein.

7. Rechtsstaatsförderung findet auch auf regionaler Ebene statt

Die Rechtsstaatsförderung findet nicht nur im bilateralen fachlichen Austausch zwischen IRZ und Partnerstaat statt. Gerade die Aspekte Krisenprävention und Vergangenheitsbewältigung erfordern einen regionalen, grenzüberschreitenden Tätigkeitsansatz, wie dies z.B. die Zusammenarbeit der IRZ mit den Verfassungsgerichten der Westbalkanstaaten zeigt. Hier führt ein gemeinsam geführter verfassungsrechtlicher Fachdialog zu einer stärkeren Verständigung untereinander, was als Beitrag zu einer Vergangenheitsbewältigung verstanden werden soll.

Ähnlich verhält es sich in der MENA-Region, wo ebenfalls ein regionaler Erfahrungsaustausch in besonderem Maße von der IRZ gefördert wird. In anderen Fällen kann ein solcher Ansatz als Beitrag zu regionaler Stabilisierung gesehen werden, so z.B. der Versuch im Rahmen eines Teils der östlichen Partnerschaft, innerhalb derer das Kooperationsklima durch den russisch-ukrainischen Konflikt schwer belastet ist, trilaterale Kooperationsmodelle z.B. zunächst in der politisch eher unbelasteten anwaltlichen Zusammenarbeit ins Leben zu rufen.

Debatten

in Zusammenarbeit mit dem RSF-Hub der Freien Universität Berlin

Rechtsstaatsförderung

Stefan Hülshörster

Dr. Stefan Hülshörster ist Mitglied des Vorstands und Geschäftsführer der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit e.V. (IRZ).