Rechtsstaatsförderung: Schwieriger, wichtiger, innovationsbedürftig

21. Mai 2019   ·   Henning Glaser

Unter den Bedingungen einer sich dramatisch verändernden Weltordnung ist die Rechtsstaatsförderung wichtiger, aber auch schwieriger denn je. Geber wie Deutschland sollten nicht nur in Einzelprojekten denken, sondern innovative Ansätze wie Regionalzentren fördern.

Debatten

in Zusammenarbeit mit dem RSF-Hub der Freien Universität Berlin

Rechtsstaatsförderung (RSF) wird seit Jahrzehnten betrieben und dies stets unter dem Einfluss übergeordneter außenpolitischer Ordnungszusammenhänge. Die letzte, nach dem Ende des Kalten Krieges einsetzende Welle der RSF wurde bald von den Anforderungen einer wirtschaftlichen Globalisierung dominiert. Heute lässt sich Globalisierung immer noch als wesentlicher Faktor für die Umsetzung der SDG 16 begreifen, zunehmend jedoch im Zeichen einer Geopolitisierung in einem sich zuspitzenden strategischen Wettbewerb zwischen den Großmächten.

RSF-Strategien müssen globale Machtverhältnisse reflektieren

Jede umfassende Strategie der RSF sollte diese Realitäten einbeziehen. Insofern steht die liberale Weltordnung – mit den Elementen einer menschenrechtsbasierten, rechtsstaatlichen Demokratie, der freien wirtschaftlichen Kooperation und dem regelbasierten Multilateralismus – derart unter Druck, dass Beobachter statt von einer Krise, von einem bereits begonnenen Auflösungsprozess sprechen. Bei alledem wird die Stimme Europas zusehends schwächer, bedienen die USA immer stärker die unilaterale Geopolitik zulasten einer normbasierten Ordnung und steht mit dem Aufstieg Chinas ein zunehmend prägender Akteur im Raum.

Innereuropäisch gerät der Konsens über rechtstaatliche Grundlagen dabei ebenso unter Druck wie das die liberale Weltordnung tragende Bündnis mit den USA. Gleichzeitig meldet ein immer mehr auch technologisch, militärisch und politisch machtvoll ausgreifendes China globale Ordnungsansprüche an. Das chinesische Gegenmodell nationaler und internationaler Ordnung findet nicht nur außerhalb Europas wachsenden Zuspruch. Schon jetzt beginnt sich der chinesische Einfluss mitunter bereits auf die Beschlussfähigkeit der EU in Sachen Rechtsstaat und Menschenrechte auszuwirken.

Es ist ein vitales Interesse Deutschlands, Rechtstaatlichkeit weltweit zu fördern

Bei alledem geht es um Volatilitäten und Erosionen, deren Effekte leicht das Wesen der europäischen Ordnung selbst betreffen können. Denn Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte stehen im untrennbaren Zusammenhang einer gemeineuropäischen Verfassungsstaatlichkeit, deren normative DNA sie ausmachen.

So entsteht eine Gemengelage, in der es stetig schwieriger wird, eine lange Zeit von historischen Erfolgen, überlegener Macht, und eigener Überzeugtheit gedeckte Evidenz westlicher Ordungsvorstellung im globalen Süden einfach vorauszusetzen. Vielmehr schwindet diese ‚on the ground‘ dramatisch, während Beschränkungen für die RSF wachsen und Rückschläge sich mehren. Gleichzeitig lassen tiefgreifende Umwälzungen in Gestalt neuer Technologien, aufkommender Rüstungsdynamiken und des Klimawandels einen Erhalt der liberalen Weltordnung notwendiger erscheinen denn je.

Das gilt gerade für ein Land wie Deutschland, das wie kaum ein anderes in so vielerlei Hinsicht ein vitales Interesse am Erhalt der liberalen Weltordnung hat und damit ein besonderes Anliegen, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit weltweit zu fördern. In der Tat verteidigen wir mit dem Rechtsstaatsprinzip überall und jederzeit letztlich die Grundlagen unserer Gesellschaft.

Vor diesem Hintergrund wird die RSF beides: schwieriger und wichtiger als je zuvor. Dementsprechend bedarf sie der grundlegenden Überholung ihrer strategischen Ausrichtung und Instrumente.

Ausgangsannahme ist, dass in der RSF oft zu einfach kalkuliert, zu hoch gezielt und zu wenig genau justiert wird. Damit verbunden sind systemische Fehler im Grunddesign der RSF. Durch sie geht der getätigte Aufwand häufig an den Anforderungen vorbei, zeitigt nicht selten gänzlich ungewollte Folgen und wird insgesamt zu ineffizient betrieben.

Den Randbedingungen der Rechtsstaatsförderung Rechnung tragen

Wer die RSF verbessern will, muss zunächst ihre Randbedingungen ändern. Dazu gehört das oft unterschätzte Ausmaβ:

  • der Andersheit der Konzepte, Anschauungen und Interessen in den Geber- und Empfängerhorizonten,
  • der Distanz zwischen den beteiligten Akteuren innerhalb der bilateralen Austauschbeziehung,
  • der Abwehrhaltungen auf Seiten der ‚Empfänger‘,
  • der Neigung, Scheinrealitäten auszubilden, was vermeintlich geteilte Werte, Ziele und Methoden angeht,
  • der Manipulierbarkeit der Programme nicht nur durch staatliche Machtapparate, sondern auch zivilgesellschaftliche Akteure,
  • der Fehleinschätzungen der Lage und mangelnden professionellen Ausstattung vieler westlicher Dialogpartner, sowie
  • des notwendigen Maßes an Aufwand und Anpassung, um nachhaltig Erfolge zu erzielen.

Zielstellung: Übergreifende Strukturen schaffen

Was die Zielstellung einer effektiven RSF angeht, ist klar, dass RSF kein mechanischer Übertragungsakt von A nach B sein kann. Daraus sollten Geber wie die Bundesregierung die Konsequenz ziehen, nicht nur auf Einzelprojekte und Projektlogiken wie den „logframe“-Ansatz zu schauen, sondern übergreifende, dynamischere Strukturen fördern, die unterschiedliche Wirkebenen, Wirkdimensionen und Entwicklungshorizonte integrieren.

Diese Strukturen sollten im Verhältnis zu den Einzelprojekten einen Mehrwert produzieren können, etwa durch den Aufbau einer besonderen regionalen und fachspezifischen Beratungskompetenz, die sich wiederum stärkend auf die Handlungspotenzen der RSF insgesamt auswirken und durch die Bundesregierung und die anderen Akteure der RSF genutzt werden könnte. Zudem eignet sich eine derartige Struktur besonders dazu, zu einer Quelle von ‚soft power‘ entwickelt zu werden. Dass alles setzt ein entsprechendes Prozessverständnis und die Verfügbarkeit geeigneter Akteure voraus.

Prozessfelder statt Einzelprojekte

Eine Ausgangsbeobachtung ist, dass es in der RSF keine per se ‚guten‘ oder ‚schlechten‘ Maßnahmenformate gibt. Entscheidend ist vielmehr eine sachnahe Konzeptionierung, ausreichende Intensität, fortlaufende Optimierung und, vor allem, die Einbettung in übergreifende, langfristige Prozesszusammenhänge, in denen ein Maximum an Synergie der Einzelansätze in der Summe zur Verstärkung, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit dient.

Dabei sollte mit unterschiedlichen Zeithorizonten gearbeitet werden. Sollten Geber wie die Bundesregierung für den Eintritt bestimmter Erfolge realistischer Weise deutlich mehr Zeit und Aufwand vorsehen als reguläre Projektlaufzeiten es erlauben, können sich auch kurzfristig und ungeplant Gelegenheiten für strategische Kurzzeitinterventionen ergeben, mit denen entscheidende Weichen gestellt werden können. Das geht nur dann, wenn auch außerhalb der etablierten Projektlogiken gearbeitet werden kann.

Mit einem Fokus auf übergreifende, dynamische Prozessfelder, können einzelne Abläufe und Maßnahmen so fortlaufend in einem Gesamtprozess integriert, analysiert, neu ausgerichet und optimiert werden. Dabei lässt sich zugleich an den Fundamenten, Horizonten und ‚Zwischenräumen‘ der rechtsstaatlichen Entwicklung eines Landes ansetzen. So lässt sich jeweils das Mögliche leisten, ohne dass wenig Aussichtsreiches künstlich weitergeführt oder gar zum potemkinschen Dorf stilisiert werden müsste.  

Akteursdesign: Regional verankerte Kompetenzzentren schaffen

Um die RSF in dieser Weise zu realisieren, bedarf es entsprechender Akteure: Hier sollten Geber wie die Bundesregierung vor allen Einzelprojekten über die Schaffung neuer Akteurstypen nachdenken. Als Modell bietet sich eine institutionell in der Zielregion verankerte Instanz an, die mit eigener Fach- sowie Lokal-/Regionalexpertise ausgestattet, komplexe Prozesse implementiert und – über vereinbarte Einzelprojekte hinaus – aufgrund eines weit gefassten Optimierungsmandats tätig wird. So könnte ein effektiver Schlussstein im Gefüge der überkommenen RSF-Instutitionen aussehen, der zudem Impulse anderer Akteure ergänzen, integrieren und unterstützten könnte.

Nach zehn Jahren der fortlaufenden Entwicklung einer solch neuen Akteursplattform in Südostasien, namentlich des German-Southeast Asian Center of Excellence for Public Policy and Good Governance (CPG), seien einige konkrete Lernerfahrungen angeführt. Als grundlegende Designentscheidung bewährt hat sich die Etablierung einer synergetisch ausgerichteten Struktur als akademisches Fachzentrum, praxisorientierter Think Tank, und Serviceprovider, die interdisziplinär und regional ausgerichtet ist. Dabei verstärken sich Grundlagenforschung, klassische Beratungsleistung, die Aus- und Fortbildung von Juristen und die Vorhaltung einer Plattform für den regionalen und inter-regionalen Austausch wechselseitig. Gleichzeitig ist ein sichtbarer Ausdruck deutscher ‚soft power‘ in Asien entstanden.

Bewährt hat sich die Einbettung in die lokalen Strukturen durch Einrichtung eines institutionell autonomen Zentrums an der führenden Rechtsfakultät Thailands. Dadurch, und durch die Schaffung einer institutionell verbundenen Stiftung, ist eine handlungsfähige und gegen politische Übergriffe resiliente Instanz geschaffen worden, die nicht „top-down“ gegründet, sondern aus den lokalen Realitäten heraus gewachsen ist und ihre Aktivitäten eng mit den relevanten Akteuren im Gastland und weit darüber hinaus vernetzt. Entwickelt hat sich so eine Institution, die auch dort flexibel tätig werden kann, wo keine besonderen Projektmittel zur Verfügug stehen, gleichwohl aber viel bewirkt werden kann.

So ist insgesamt vor allem eine ständig lernende und wachsende Instanz entstanden, die fortlaufend Erfahrung, Wissen, Reputation, und Netzwerkstärke ansammelt, speichert und zur weiteren Nutzbarmachung bereit hält.

Debatten

in Zusammenarbeit mit dem RSF-Hub der Freien Universität Berlin

Rechtsstaatsförderung

Henning Glaser

Henning Glaser ist Direktor des German-Southeast Asian Center of Excellence for Public Policy and Good Governance (CPG), an der Faculty of Law, Thammasat Universität in Thailand, und Executive Director der Asian Governance Foundation (AGF).