Krisenprävention voranbringen: Vorschläge der PeaceLab-Autor*innen zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft

13. Mai 2020   ·   Alicja Polakiewicz, Julia Friedrich

Corona wird die deutsche EU-Ratspräsidentschaft dominieren, aber die Pandemie darf nicht zum einzigen Thema werden: Auch in der Friedens- und Sicherheitspolitik gibt es riesige Herausforderungen. Die Bundesregierung sollte mehr Koordination anstoßen, zivile Fähigkeiten stärken und Frühwarnsinstrumente schärfen. Eine Zusammenfassung der PeaceLab-Debatte zum „Neustart in Brüssel“.

Mit der nahenden Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft befindet sich Deutschland nicht nur in einer strategisch wichtigen Position, sondern auch in großer Verantwortung. Für die EU werden die nächsten Monate eine entscheidende Phase, die richtungsweisend für die gesamte Legislaturperiode sein wird. Wie so vieles wird auch die Ratspräsidentschaft von der Corona-Krise dominiert werden; insbesondere die Haushaltsverhandlungen werden sich darauf fokussieren. Doch die Corona-Pandemie bedeutet nicht, dass andere Herausforderungen verschwinden werden. Um Ideen und Denkanstöße für Deutschlands Präsidentschaft zu sammeln, hat der Beirat Zivile Krisenprävention und Friedensförderung im Mai 2019 die Debatte „Neustart in Brüssel? Ideen für die europäische Friedenspolitik“ auf dem PeaceLab-Blog angestoßen. Vom 29.05.2018 bis zum 28.02.2020 haben die Autor*innen in 24 Artikeln zentrale Fragen identifiziert, Prioritäten benannt und Empfehlungen für eine effektivere Anwendung bestehender Instrumente ausgesprochen.

Große Herausforderungen: Bündnisverschiebungen, Konflikte in der Nachbarschaft, Fragmentierung

Die Autor*innen waren sich darin einig, dass die EU auch unter der Kommission von Ursula von der Leyen mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert werden wird. Die Corona-Krise wird viele Herausforderungen der EU noch verschärfen:  Die Verschiebung von Bündnissen, veränderte innenpolitische Lagen innerhalb der EU sowie die Auswirkungen von gewaltsamen Konflikten in ihrer Nachbarschaft stellen die Europäische Union auch weiterhin auf die Probe. Strukturell bestünden, so die Autor*innen, noch immer ungelöste Probleme wie die Fragmentierung zwischen Institutionen und Mitgliedsstaaten und die ungenügende Verzahnung zwischen zivilen und militärischen Elementen. Auch neue Finanzierungsinstrumente, insbesondere die Europäische Friedensfazilität, sowie die immer noch andauernden Verhandlungen um den Mehrjährigen Finanzrahmen wurden thematisiert.

Im Zuge der PeaceLab-Debatte diskutierten die Autor*innen allerdings nicht nur über Probleme, sondern auch Chancen und sprachen konkrete Empfehlungen aus. Hierbei könne Deutschland, so sahen es die Autor*innen, Themen setzen, Budgetentscheidungen beeinflussen und Synergien schaffen. Grundsätzlich plädierten sie für einen starken Fokus der Ratspräsidentschaft auf Frieden und Sicherheit.

Besser zwischen Mitgliedstaaten koordinieren

Viele Autor*innen waren sich einig, dass im Bereich Krisenprävention und Friedensförderung weiterhin vor allem mangelnde Kooperation und Koordination der verschiedenen Akteure ein zentrales Problem sei: Institutionen und Mitgliedsstaaten handelten in Isolation; Instrumente würden nicht auf einander abgestimmt. Um dies zu beheben, fehle es vor allem an einem kohärenten Grundansatz. Nationale Implementierungspläne könnten bei der Koordination zwischen Mitgliedsstaaten Abhilfe leisten, aber eben nur, wenn diese unter den Mitgliedsstaaten auch zirkuliert würden. Ein verstärkter Austausch von Expertise zwischen Mitgliedsstaaten untereinander sowie mit den europäischen Institutionen sei daher essentiell. Deutschland könne beim Versuch einer besseren Koordination eine zentrale Rolle einnehmen. Zum einen könne die Bundesregierung grundsätzlich zum Austausch anregen, beispielsweise durch eine stärkere Zusammenarbeit der Nachrichtendienste der EU, wie von Pia Seyfried vorgeschlagen. Zum anderen könne Deutschland aber auch mit gutem Beispiel vorangehen und sein eigenes Wissen teilen. All dies bedürfe allerdings eines gemeinsamen Verständnisses davon, für welche Normen und Werte die EU steht.

Stärker im Rahmen der GSVP zusammenarbeiten

Auch die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP) biete Chancen für mehr Zusammenarbeit. So sah Philipp Neubauer zum Beispiel im gemeinsamen Training von Beamt*innen und Polizist*innen in den zivilen GSVP-Missionen Potenzial. Carloyn Moser hingegen attestierte vor allem innerhalb der GSVP Handlungsbedarf: die Kluft zwischen zivilen und militärischen Elementen müsse überbrückt und die Rolle von zunehmend einflussreichen Agenturen wie Frontex besser definiert werden. Um dies zu erreichen, so Lose Debuysere und Steven Blockmans, biete sich insbesondere das neue Directorate Integrated Approach for Security and Peace [Direktorat für den integrierten Ansatz für Frieden und Sicherheit] an, welches die EU-Befehlskette stärken und klarstellen solle. Auch hier müssten allerdings die politischen Ebenen stärker zusammengedacht werden. Barbara Kunz hob die Debatte auf eine Meta-Ebene und regte dazu an, das Gesamtbild europäischer Verteidigungspolitik zu betrachten. Auch normative Fragen, beispielsweise welche militärischen Fähigkeiten die EU haben möchte, müssten diskutiert werden. Tobias Pietz und Maximilian Schmidtke lenkten währenddessen die Aufmerksamkeit auf den Kulturgüterschutz in Friedensmissionen.

Zivile Fähigkeiten des europäischen Krisenmanagements stärken

Andrew Sherriff und Pauline Veron betonten, dass auch weiterhin die soft power der EU im Vordergrund stehen sollte. Hierbei könne insbesondere der Civilian CSDP Compact eine wichtige Rolle spielen. Laut Carina Böttcher könne der Compact zu einem leistungsfähigen Instrument des europäischen Krisenmanagements werden, sofern die Mitgliedsstaten ihre Zurückhaltung im Informationsaustausch überwinden, ihre Fähigkeiten besser auf einander abstimmen und sich schlussendlich auch der Frage widmen würden, wie der Compact in Zukunft aussehen solle. Auf diese Weise hätte der Compact das Potenzial, das Krisenmanagement der EU deutlich zu verbessern sowie ihre strategische Autonomie zu erhöhen. Tania Laţici forderte aus diesem Grund, dass Deutschland den Compact in der Agenda für die Ratspräsidentschaft priorisieren und seine diplomatischen Netzwerke sowie sein zivilgesellschaftliches Know-How nutzen solle, um EU-Maßnahmen in diesem Bereich zu koordinieren. Ein wichtiges Zeichen zur Umsetzung des Civilian CSDP Compact sei das Entsenden von mehr Personal, weshalb Carina Böttcher Deutschland dazu aufgeforderte, die Zahl an Sekundierungen zu erhöhen. In Anbetracht des sich wandelnden Aufgabenspektrums der GSVP sollten diese Teams vor allem solche mit stärkerer Spezialisierung sein

Klug budgetieren: Unterstützung afrikanischer Friedensbemühungen aufrecht erhalten, Waffenlieferungen sorgfältig prüfen

Hier, wie anderswo, ist das Budget zentral. Derzeit wird der Mehrjährige Finanzrahmen für die Jahre 2021-2027 ausgehandelt und soll eigentlich während der deutschen Ratspräsidentschaft fertig gestellt werden, wobei sich dieser Zeitplan durch Corona bedingt nach hinten verschieben könnte. In Bezug auf das EU-Budget riefen Andrew Sherriff und Pauline Veron dazu auf, die Zusammenarbeit über die „üblichen Verdächtigen“ hinweg auszuweiten: Im Kontext der Finanzverhandlungen zu Frieden und Sicherheit sollten auch Allianzen mit Partner*innen aus dem Verteidigungs-, Entwicklungs- und Klimaumfeld geschlossen werden. Eine weitere Chance, wenn auch eine, die mit Risiken einhergeht, biete die Europäische Friedensfazilität (EFF). Sie könne die Lösung für das langwierige Problem der Finanzierung von militärischen Maßnahmen aus Geldern, die eigentlich für Entwicklungszusammenarbeit bestimmt waren, bedeuten. Damit die EFF aber nicht Gefahr laufe, zu einer Schwächung der afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur beizutragen, schrieben Julian Bergmann und Mark Furness, sollte Deutschland sich dafür einsetzen, dass der neue Mechanismus nicht zu einer verminderten Unterstützung regionaler Friedensbemühungen auf dem Kontinent führt. Möglichen Waffenlieferungen standen die Autor*innen mehrheitlich kritisch gegenüber. Während Klem Ryan die Frage aufwarf, ob das für Waffenlieferungen angedachte Budget nicht besser anderweitig eingesetzt werden könnte, zum Beispiel dazu, EU Kontingente in UN Peacekeeping Missionen zu erhöhen, betonten Bergmann und Furness, dass die EU den konfliktsensitiven Einsatz von Waffenlieferungen nach dem „do no harm“-Prinzip sicherstellen müsse

Instrumente der Prävention und Frühwarnung nutzen

Auch die Themen Prävention und Frühwarnung nahmen einen prominenten Platz in der Debatte ein. So forderte Chiara De Franco, dass Massengewaltprävention zur obersten Priorität erklärt werde und Deutschland beim Priorisierungsprozess eine führende Rolle einnehmen solle. Sie argumentierte hierbei, dass vor allem strukturelle Prävention, welche die Ursachen von Massengewalt angeht, der richtige Ansatz für die EU sei. Anna Penfrat sah Krisenprävention – ein Bereich in dem Deutschland seine Expertise teilen und den Austausch von thematischen und Länderexpert*innen anregen solle – als zentral an. Laut Lisa Musiol hat die EU wichtige Instrumente zur Verbesserung von Frühwarnung bereits entwickelt; jetzt läge es an den Mitgliedsstaaten und EU-Institutionen, diese auch effektiv zu nutzen. Hier könnte Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen und pro-aktiv formelle und informelle Diskussionen initiieren.

Chancen ergreifen für eine effektivere europäische Friedens- und Sicherheitspolitik

Abschließend waren sich die Autor*innen einig, dass auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft viele Herausforderungen warten – die Corona-Krise ist bei weitem nicht die einzige. Gleichzeitig stellt die Präsidentschaft aber auch eine wichtige Chance dar; Deutschland muss diese ergreifen, um auch all die Themen, welche die Autor*innen ansprechen, voranzubringen. Die Bundesregierung hat die Möglichkeit, einen entscheidenden Beitrag dazu zu leisten, Prioritäten klar zu definieren, Zusammenarbeit und Koordination zu verbessern und Ausgaben klug zu budgetieren und somit wichtige Anreize für eine effektivere europäische Friedens- und Sicherheitspolitik zu setzen.

 

Alle Artikel aus der Debatte finden Sie hier auf dem PeaceLab-Blog: „Neustart in Brüssel? Ideen für die europäische Friedenspolitik“.

Europäische Union Veranstaltung Frieden & Sicherheit

Alicja Polakiewicz

Alicja Polakiewicz ist Research Assistant am Global Public Policy Institute und Redakteurin des PeaceLab-Blogs. @alicja_plkwcz

Julia Friedrich

Julia Friedrich ist Research Associate am Global Public Policy Institute und Redakteurin des PeaceLab-Blogs. @ja_friedrich