Nothing about us without us – eine junge Perspektive auf den Multilateralismus

15. Dezember 2020   ·   Paul Klahre, Eva Croon

Junge Menschen haben nicht nur ein Recht an politischen Entscheidungen beteiligt zu sein, sondern können auch zu einer effektiveren Problemlösung beitragen. Daher sollte die Bundesregierung sie im Weißbuch Multilateralismus als Akteure einbeziehen. Die UN-Jugenddelegierten empfehlen stärkere Kontrollmechanismen für selbstgesetzte Ziele und breitere Beteiligungsformate.

Mit 87% erkennt die große Mehrheit der über 800.000 Teilnehmer*innen einer weltweiten Umfrage der Vereinten Nationen (UN) zu 75 Jahren UN das Kernanliegen der Allianz für den Multilateralismus („Allianz“) an: Internationale Kooperation ist der unerlässliche Lösungsweg für die Herausforderungen unserer Zeit. Junge Menschen unter 30, die über die Hälfte der Befragten und ebenso die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen, blicken allgemein optimistischer in die Zukunft als andere Generationen. Sie geben internationalen Institutionen damit den Vertrauensvorschuss, dringend benötigte Fortschritte bewirken zu können, z.B. bei Flucht und Klimakrise. Dieses Vertrauen ist der Grundpfeiler für gelingenden Multilateralismus. Es muss allerdings erarbeitet werden. Jungen Menschen reichen die zahlreichen Erklärungen für den mangelnden Erfolg „langsamer und komplizierter“ internationaler Zusammenarbeit nicht mehr aus. Als „zukünftige“ Generation haben sie das Recht darauf, bereits heute (Außen-)Politik nach ihrer Vorstellung mitzugestalten und brauchen deshalb echte Beteiligungsmöglichkeiten.

Multilateralismus muss wirkungsvoll sein: „Irgendein“ Ergebnis ist nicht genug  

Der Erfolg multilateraler Anstrengungen wird viel zu häufig lediglich daran bemessen, dass überhaupt ein Kompromiss zustande kommt – völlig unabhängig vom Ergebnis der Verhandlungen. Beispiele dafür sind die verspätete UN-Sicherheitsratsresolution zu COVID-19, das noch ausstehende Migrationspaket der EU oder die seit Paris unter ihren Erwartungen gebliebenen Klimakonferenzen. Dieser Fokus auf irgendein Ergebnis muss sich ändern: Der Erfolg multilateraler Bemühungen sollte sich an den inhaltlichen Resultaten der Kompromissfindung messen – „multilateralism that delivers“ oder „zusammen etwas schaffen“. So war das Pariser Klimaabkommen aufgrund des 1,5-Grad-Ziels eine Sensation und nicht etwa, weil mit so vielen Staaten überhaupt ein Verhandlungsergebnis zustande kam. „Neuer“, das heißt gelungener Multilateralismus darf sich nicht mit unbefriedigenden Ergebnissen begnügen.

Gelingt es im Rahmen der Vereinten Nationen nicht, fortschrittliche Ergebnisse entsprechend Deutschlands außenpolitischen Zielsetzungen zu verhandeln, sind weitergehende Initiativen notwendig. Dafür bietet die Allianz für den Multilateralismus einen möglichen Weg, sofern sie denn ergebnisorientiert interpretiert wird: Es reicht nicht, wenn die Bundesregierung per se für Zusammenarbeit wirbt. Stattdessen muss sie 1) ambitioniertere Zielsetzungen treffen, 2) diese Zielsetzungen in den Vordergrund der Verhandlungen stellen und 3) mit jenen Staaten kooperieren, die sich diesen Zielen ebenso verpflichtet fühlen. Als Jugenddelegierte schließen wir uns dieser Vorstellung des „effektiven Multilateralismus an, weil dringend schnellere Lösungen für globalisierte Probleme gefunden werden müssen. Junge Menschen verspüren angesichts der drängenden Herausforderungen unserer Zeit Handlungsdruck. Um durch zukunftsfähige Antworten jungen wie älteren Menschen gerecht zu werden, braucht es in den Worten der afrikanischen Jugendgesandten Aya Chebbi einen „reimagined“ Multilateralismus, der das internationale System aufwertet – und zwar mit Substanz.

Stärkere Rechenschaftspflichten in der Allianz für den Multilateralismus zur effektiven Problemlösung

Die Allianz muss angesichts des Ziels besserer Ergebnisse der internationalen Zusammenarbeit hinsichtlich ihrer Effektivität nüchtern eingeordnet werden: Staaten verpflichten sich im Rahmen der Allianz lose gegenüber sich selbst und schmieden so nicht zuletzt Mehrheiten für Verhandlungen in UN-Foren. Was schön klingt und durchaus funktioniert, wie beispielsweise bei der gemeinsamen Position zu Frieden und Klima oder des Humanitarian Call for Action, unterliegt keinem ernsthaften Kontrollmechanismus und wenig strukturierter Überprüfungen.

Absichtserklärungen durch regelmäßig ca. 60 Staaten in der Allianz sind keine Garanten für effektive Problemlösung. Sie sollten deshalb zumindest einer schwachen Rechenschaftspflicht unterliegen. Die in der Allianz eingegangenen Verpflichtungen brauchen ein breiteres Publikum, welches die Erklärungen auf ihre Umsetzung hin überprüft. Die Bundesregierung sollte sich öffentlichkeitswirksam an den Vereinbarungen anhand eines im Interesse junger Menschen ambitionierten Maßstabs messen (lassen) und Follow-Ups im Rahmen der Allianz institutionalisieren.

Multilateralismus nicht zu jedem Preis: Menschenrechtsverstöße ahnden statt tolerieren

Doch es zählt nicht nur die Einhaltung der gemeinsam gesetzten Ziele, sondern auch welcher Preis für ihr Gelingen gezahlt wird. Vermeintlich gute Ergebnisse multilateraler Zusammenarbeit sind immer dann nicht gut genug, wenn sie Menschenrechtsverletzungen tolerieren. Es braucht klare rote Linien, die etwa die Empfehlungen einer verstärkten EU-China-Partnerschaft berücksichtigen müssen. „Wieso arbeitet Deutschland mit China zusammen, wenn dort Uiguren verfolgt werden?“, fragte uns eine Neuntklässlerin im Workshop zu den UN. Sie macht so deutlich, dass das Vertrauen junger Menschen in die Bundesregierung davon abhängt, ob selbstgesetzte Werte in der Praxis der Außenpolitik tatsächlich die Basis des (Ver)Handelns bilden. Multilaterale Foren müssen glaubhaft genutzt werden, um Menschenrechtsverbrechen anzuprangern und durch äußeren Druck zu bekämpfen.  

„Gleichgesinnte“ Staaten, die sich in der Allianz zusammenschließen wollen, dürfen sich nicht nur anhand des geteilten Interesses identifizieren, sondern müssen auch am Maßstab geteilter Werte – allen voran die Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit – bemessen werden. Die Prinzipienerklärung bildet hierfür eine gute erste Grundlage, muss aber beispielsweise in der ersten Zielsetzung zum Schutz des Völkerrechts um Sanktionsmöglichkeiten erweitert, hinsichtlich des Verständnisses einer „effektiven“ multilateralen Ordnung konkretisiert und um eine umfassendere Strategie zur Zielverwirklichung ergänzt werden. Insbesondere die abstrakte Hülle des wertegeleiteten Multilateralismus im Rahmen des Völkerrechts muss spezifiziert werden. Im neuen Weißbuch Multilateralismus sollte die Bundesregierung folglich nicht nur eine Orientierung zum wo und wie der Zusammenarbeit vornehmen, sondern auch ein deutliches Bekenntnis zum wo und wie nicht.

Besser, inklusiver, gerechter: Multilateralismus mit echter Jugendpartizipation

Darüber hinaus überbewertet die Allianz die Zusammenarbeit von Staaten für die Lösung globaler Herausforderungen. Zwar kann staatliches Handeln etwa durch mehr Frauen in Führungspositionen verbessert werden. Die Allianz verkennt jedoch, dass auch gestärkte Staaten und neue Partnerschaften allein nicht ausreichen, um bei zunehmender Akteursvielfalt dem gestiegenen Bedarf an flexiblen und differenzierten Lösungen für komplexe Probleme gerecht zu werden. Als Informations- und Beratungsquelle, für die Umsetzung politischer Ziele und für erhöhte Legitimität des politischen Handelns ist die Zusammenarbeit mit vielfältigen zivilgesellschaftlichen Organisationen, beispielsweise religiösen Akteuren, heute wichtiger denn je. Gegenüber dem transformativen Potential insbesondere junger Menschen für Frieden und nachhaltige Entwicklung, etwa als kritisch Denkende, Change Maker, Multiplikator*innen und Führungskräfte, zeigt sich die Allianz bisher nicht offen genug und verpasst damit die Chance eines neuen Entwurfs innovativer Zusammenarbeit. Die Forderungen nach einem inklusiven Multilateralismus sind folgerichtig: Eine Studie der OECD zu COVID-19 zeigt, dass die Beteiligung junger Menschen das Vertrauen in entscheidungstragende Institutionen stärkt; ihre Beteiligungsrechte werden dadurch ernster genommen, ihrem Beteiligungsanspruch wird Rechnung getragen, intergenerationelle Gerechtigkeit gefördert, und politische Resultate werden nicht zuletzt mithilfe junger Expertise verbessert.

Dabei wird die Rolle junger Menschen in der internationalen Politik zunehmend anerkannt. Über die Einflussmöglichkeiten von UN-Jugenddelegierten hinaus zeigen dies unter anderem die Einberufung eines Jugendbeirats zu Klimawandel durch UN-Generalsekretär António Guterres und Veranstaltungen wie „Young Voices on the Future of Multilateralism“, dem Afrikanisch-Europäischen Jugendgipfel 2020 oder dem UNESCO Jugenddialog mit Regierungschefs. Beteiligungsformate sollten hierbei inklusiv, mit echten Einflussmöglichkeiten und mit Anbindung an bestehende Organisationsformen junger Menschen gestaltet sein, wie es der Jugendbeirat des Europarats mit Möglichkeiten der Budgetallokation vormacht. An guten Beispielen möglicher Beteiligungsformate und deren Mehrwert für nachhaltigen Frieden mangelt es nicht. Wo ein Wille zu mehr Jugendpartizipation ist, gibt es sogar mehr als einen Weg dorthin.

Weißbuch Multilateralismus mit Blick auf die Jugend: Mehr Kontrolle, mehr Beteiligung

Wir empfehlen der Bundesregierung, im Weißbuch Multilateralismus den Blick auf die Jugend zu richten. Dieser sollte haltbare, klare, ambitionierte Zielvorstellungen der internationalen Zusammenarbeit beinhalten, die sich in neuen Formaten wie der Allianz durch die Einbindung der (jungen) Zivilgesellschaft stets widerspiegeln müssen – nicht jedoch im Kompromiss mit Menschenrechtsverletzungen. Die Allianz für den Multilateralismus kann aufgewertet werden, wenn sich die Bundesregierung für Kontrollmechanismen für die Beschlüsse einsetzt und sich selbst öffentlich an abgegebenen Erklärungen messen lässt. Die Vereinten Nationen müssen zum Beispiel durch einen Jugendbeirat insgesamt mehr Beteiligungsformate für junge Menschen ermöglichen und damit inklusiver und jugendgerechter zu werden – Deutschland trägt die Verantwortung, dies zu fordern und zu fördern. Der Aufruf des Staatssekretärs Niels Annen, für die Ausarbeitung des Weißbuch Multilateralismus zivilgesellschaftliche Expert*innen einzubeziehen, sollte dazu führen, jungen Menschen dauerhaft Gehör zu verschaffen. Das finden anlässlich #UN75 auch UN-Jugenddelegierte weltweit: rejuvenate multilaterlism!

Vereinte Nationen Multilateralismus Jugendpartizipation

Paul Klahre

Paul Klahre ist als UN-Jugenddelegierter Teil der deutschen Delegation zur UN-Generalversammlung 2020 und Sozialentwicklungskommission 2021. Er studiert Internationale Beziehungen mit völkerrechtlichem Schwerpunkt in Dresden und engagiert sich ehrenamtlich als Mitglied der Bundesleitung der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG). @YouthDelegates

Eva Croon

Eva Croon ist als UN-Jugenddelegierte Teil der deutschen Delegation zur UN-Generalversammlung 2020 und Sozialentwicklungskommission 2021. Sie studiert Jura in Köln und engagiert sich ehrenamtlich als internationale Botschafterin im deutschen Jugendrotkreuz und im Steuerungskomitee des europäischen Jugendnetzwerks der Rotkreuz-Rothalbmond-Bewegung. @evacroenchen @YouthDelegates